Interview | FES-Direktor Michael Nitsch - "Es könnte passieren, dass Geräte für Olympia nicht mehr geliefert werden können"

Mo 28.08.23 | 15:29 Uhr
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Florin Boeck (Projektentwickler Para, l.) + Michael Nitsch (Direktor FES, r.). Quelle: imago images/Ed Gar
Bild: imago images/Ed Gar

Seit Jahrzehnten sind Sportlerinnen und Sportler mit Geräten des Berliner FES bei Welt-, Europameisterschaften und Olympischen Spielen erfolgreich. Dem Institut, das Bobs, Kanus und Co. entwickelt, drohen nun allerdings gewaltige finanzielle Kürzungen.

rbb|24: Michael Nitsch, das Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten - kurz FES - ist wohl nur größeren Sport-Nerds ein Begriff. Dabei haben Sie nicht unerheblich zum deutschen Erfolg bei Europa- und Weltmeisterschaften sowie Olympischen Spielen in den letzten Jahrenzehnten beigetragen. Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus?

Nitsch: Das Institut wurde 1963 in der DDR gegründet, um dem Hochleistungssport Geräte und Betreuung in den Nationalmannschaftteams zur Verfügung zu stellen, die man am Markt nicht kaufen konnte. Zu DDR-Zeiten hatte man schlicht die entsprechende Währung nicht. Noch heute ist es so, dass es viele Geräte in ihrer Qualität und Exklusivität auf dem Markt gar nicht gibt. Wir bewegen uns ganz oft in Feldern, die für wirtschaftlich handelnde Unternehmen uninteressant sind. Im Bobsport oder Skeleton gibt es zum Beispiel gar keinen richtigen Markt. Ich kann nicht in den Laden gehen und mir einen Bob kaufen. Da kommen wir ins Spiel. Wir entwickeln entsprechend der disziplinspezifischen und individuellen Anforderungen optimale Gerätesysteme.

Zur Person

Michael Nitsch (Direktor FES). Quelle: imago images/Ed Gar
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Michael Nitsch ist Diplomingenieur und seit 2019 Direktor des FES.

Nitsch arbeitet seit 1992 am FES.

Zunächst war er insbesondere im Radsport und ab 2000 als Projektleiter für den Bobsport tätig.

Im Haushaltsentwurf der Bundesregierung ist nun allerdings eine Kürzung der Mittel um ein Fünftel vorgesehen. Wie haben Sie von der Ankündigung erfahren?

Der Haushalt wurde am 5. Juli von Finanzminister Christian Lindner vorgestellt. Wir haben wenige Tage zuvor eine mündliche Ankündigung erhalten. Im Anschluss war der Haushalt als 1.300 seitiges Textwerk verfügbar. Der Zeitpunkt ist allerdings gar nicht so wichtig, die Ankündigung ist fett genug.

Kennen Sie eine Begründung für die Sparmaßnahmen?

Nein, nicht wirklich. Man hat höchstens von pauschalen Kürzungen in einem recht hektischen Aufstellungsverfahren gesprochen. Der Entwurf wurde kurz vor der Sommerpause vorgestellt und viele Parlamentarier hatten noch gar keine Zeit, ihn sich im Detail anzuschauen. Es handelt sich aus unserer Sicht im Vergleich zu anderen Kürzungen nicht um eine verhältnismäßige Einsparung. Der Bundeshaushalt wird um 6,4 Prozent gekürzt, im für uns zuständigen Bundesinnenministerium um 1,5 Prozent. Unserem Trägerverein, dem neben dem FES auch noch das Institut für Angewandte Trainingswissenschaft angehört, droht aber eine Kürzung von 19 Prozent. Sachlich und inhaltlich ergibt es für uns auch keinen Sinn: Wir haben erst vor Kurzem bei den Weltmeisterschaften des paralympischen und olympischen Bereiches im Radsport oder im Kanu gesehen, dass Sportlerinnen und Sportler mit FES-Material Medaillen holen und zufrieden mit ihren Geräten sind.

Wie lassen sich die geplanten Kürzungen genau beziffern?

Das ist relativ einfach. Im Trägerverein würden wir von rund 21 Millionen Euro auf 17 Millionen Euro fallen - also eine Kürzung um vier Millionen Euro. Die Hälfte davon würde das FES betreffen.

Welche Konsequenzen hätten die Einsparungen für das Institut konkret?

Im Vergleich zu den Sachkosten haben wir sehr hohe Personalkosten. Die Sparmaßnahmen würden bedeuten, dass man sich in beiden Instituten von insgesamt 40 Personen trennen müssten. Viele junge Menschen mit viel Expertise haben wir mit viel Mühe in letzter Zeit erst eingestellt. Das werden die Mitarbeiter sein, die zuerst betroffen sein werden, da der Abbau von Personal gemäß einer vorgeschriebenen Sozialauswahl geschehen müsste. Hinzu kommt, dass sich viele Mitarbeiter, die zunächst nicht unmittelbar betroffen sind, Gedanken über die Sicherheit und die Nachhaltigkeit ihres Arbeitsplatzes machen würden. Man muss klar sagen, dass man beide Institute in ihrer derzeitigen Form nicht mehr wiedererkennen würde. Man muss einfach bedenken, dass wir in vielen Bereichen die Besten ihres Fachs beschäftigt haben. Die muss man sich nach Möglichkeit schon im Studium heranziehen. Wenn die einmal auf dem freien Arbeitsmarkt sind, ist es schwer sie zu locken. Die sind bei uns nicht nur am Geld orientiert, sondern vor allem an den Aufgaben und Inhalten. Wenn das nicht mehr stattfinden kann, suchen sie sich etwas anderes.

Man muss bedenken, dass wir in vielen Bereichen die Besten ihres Fachs beschäftigt haben. Die muss man sich nach Möglichkeit schon im Studium heranziehen. Wenn die einmal auf dem freien Arbeitsmarkt sind, ist es schwer sie zu locken.

Michael Nitsch

Erwarten Sie auch Folgen für den deutschen Spitzensport bei den anstehenden Großereignissen in den nächsten Jahren?

Für die Sommersportarten sind die meisten Entwicklungsarbeiten im Hinblick auf die Olympischen Spiele in Paris 2024 weitestgehend gemacht. Es geht also jetzt um die Umsetzung und die Anfertigung der Geräte. Es könnte also passieren, dass Geräte, die die Verbände erwarten, für Olympia nicht mehr geliefert werden können. Auch die Betreuung im Vorfeld der Spiele und in Paris könnte gefährdet sein, wenn das Personal nicht mehr da ist. Das wäre eine Katastrophe. Mit dieser Kürzung sorgt man dafür, dass sich die Konkurrenz im Ausland freut.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Jonas Bürgener, rbb sport.

Sendung: rbb24, 28.08.23, 18 Uhr

12 Kommentare

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  1. 12.

    Echt schon sonderbar, nicht mal eine Medallie!
    Auch wenn FES bzgl. Leichtathletik meines Wissens nicht sonderlich viel zu "bewegen" könne, aber ist schon erschreckend wie andere Nationen Deutschland mitlerweile ein- und deutlich überholen.
    FES schafft es aber dennoch mit ihren Produkten auf dem Wasser und dem Schnee-/Eis-Segment mithalten zu können.
    Aber Deutschland (ob OST oder WEST) ist nun nicht mehr Abhängig von sportlichen Leistungen (= AHA-Effekt) und muß sich international nicht mehr beweisen oder (umweltbelastetes) Edel-Metall einsammeln.
    Alles wird dem Klima und den Steuerzahlern zugute kommen.

  2. 10.

    So richtig und wichtig die Förderung der Forschung und Entwicklung auch im Hochleistungssport ist, so ist im Fall des FES aber anzumerken, das aus diesem elitären Umfeld seit 1999 keinerlei führende Entwicklungen mehr zu verzeichnen sind. Sowohl im Rad- als auch im Bobsport (dort waren sie führend)verwenden deutsche Spitzensportler Material anderer Entwickler. 10 Jahre alte Fahrradrahmen werden auf der seit 3 Jahren nicht mehr aktualisierten website immer noch für absurde 28 000 Euro angeboten.

  3. 9.

    Das ist nun die Kehrseite der "Ausgabenorgie" für politische Wolkenschlösser. Eine Regierung, die mehr ausgibt, als sie einnimmt, kommt dann in einen Spar- oder Verschuldungszwang.

  4. 8.

    Es ist völlig klar, wem wir das zu verdanken haben, dass alle Branchen sich schlecht entwickeln.

  5. 7.

    ...das ist doch interessant, wie man nun hemmungslos und frech, ganz offen sich vom Allgemeinwohl abwendet.
    Kinder, Jugend, Bildung, Sport...alles nicht von hohem politischem Wert. Nein, da wird stattdessen ohne Ende in Krieg investiert, für mich ist das komplett assozial.
    Ach im Übrigen:
    Da gibt es eine uralte Weisheit, die da heisst:
    "Jede Gesellschaft hat die Jugend, die sie verdient hat."
    Da kann man nur hoffen, dass die den Politbetonköpfen dann irgendwann mal den Marsch blasen...
    So eine arrogante Ignoranz gegenüber den sozialen Belangen unserer Gesellschaft ist schon beschämend für die, die sich das auch noch teuer bezahlen lassen.
    Das jene sich noch trauen, in den Spiegel zu gucken...Pfui....Ihr bringt unsere Demokratie im Sinne des Gemeinwesens in Misskredit...schlimm...

  6. 6.

    Das eine hat mit dem anderen rein gar nichts zu tun. Derartige Aufrechnereien (gerne auch mal mit Obdachlosen, Rentnern oder Kindern) sind immer verkehrt. Schließlich gehe solche Vergleiche immer in die Richtung, dass eine sei wichtiger als das andere oder Geld für das eine würde „statt dessen“ ins andere fließen. Dabei ist zumeist beides wichtig und richtig.

    Im aktuellen Umfeld sehen wir allerdings starke Klientelpolitik - insbesondere seitens Ch. Lindner und der FDP.

  7. 5.

    Die Leichtathletik hat gezeigt wo wir stehen. Deutschland taucht noch nicht einmal im Medaillenspiegel auf. Weil es gar keine gab. Leider gibt es einen Zusammenhang zwischen Spitzensport und Spitzentechnik und auch Spitzenkräften. Sehr schade, wo wir uns hinentwickeln.

  8. 4.

    Auf diese Idee können nur Bürokraten kommen. Die Mittel kürzen und dann in den nächsten Jahren wundern, daß die Sportler bei WM und Olympia nur noch hinterherfahren. Anschließend weiter die Mittel kürzen, denn man gewinnt ja nichts mehr. Ein Teufelskreislauf.

  9. 3.

    Wichtiger als Material für deutsche Sportler ist die Bereitstellung von Waffen und Munition für ukrainische Kämpfer.

  10. 2.

    Glückwunsch an alle Parlamentarier, die mit Sport nichts anfangen können!
    Oder haben sich da etwa Lobbyisten jenseits der Elbe eingemischt?
    Gerade sind die Leichtathletik WM ernüchternd zu Ende gegangen. Da braucht es natürlich nicht die ganz große Unterstützung der FES. Die Wintersportarten, Kanu....
    Diese Regierung werden vermutlich immer weniger Menschen verstehen.

  11. 1.

    Das heißt also, 40 Leute können in Zukunft nützliche Dinge bauen statt Luxusspielzeug. Denn was hat es mit Sport zu tun, wenn der Erfolg davon abhängt, was für Technik (und was für Ärzte) die Athleten sich leisten können? Das ist was für Leute, die in keinen Trainingsanzug hineinpassen, aber sich am Medaillenspiegel berauschen wollen.

    Sport ist das, was man selber macht. Alles andere ist Zirkus.

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