Mitgliederversammlung von Hertha BSC - Blau-weiße Selbstvergewisserung

So 26.05.24 | 19:17 Uhr | Von Shea Westhoff
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Fabian Drescher (r-l), Interimspräsident von Hertha BSC, Thomas Herrich, Geschäftsführer von Hertha BSC, Benjamin Weber, Sportdirektor von Hertha BSC, und Andreas «Zecke» Neuendorf, Leiter Lizenzbereich bei Hertha BSC, sitzen am 26.05.2024 während der Mitgliederversammlung von Hertha BSC in Berlin auf der Bühne. (Quelle: dpa/Christoph Soeder)
Audio: rbb24 Inforadio | 26.05.2024 | Lars Becker | Bild: dpa/Christoph Soeder

Herthas Mitgliederversammlung zeigt: Kay Bernstein prägt den Klub auch nach seinem Tod. Die Vereinsbosse stellten sich am Sonntag hinter seinen "Berliner Weg" und Fabian Drescher erntete Applaus für seine Ankündigung, als Bernsteins Nachfolger zu kandidieren. Von Shea Westhoff

Es strömten so viele Hertha-Anhänger trotz strahlenden Sonnenscheins ins fahl beleuchtete Souterrain des "CityCubes" auf dem Messegelände, dass offenbar nicht alle Platz fanden. Offiziell kamen 1.688 Gäste zur Mitgliederversammlung - hinter den aufgebauten Stuhlreihen standen aber noch zahlreiche Besucher.

Diese Mitgliederversammlung war mit Spannung erwartet worden. Und das, obwohl nicht einmal eine Gremienwahl geplant war. Dennoch ging es um viel. Jedenfalls um nicht weniger als eine Antwort auf die Frage nach der eigentlichen Identität des Westberliner Fußball-Zweitligisten.

Lebt der "Berliner Weg" noch?

Die Architektur des Veranstaltungsraumes schien erste Hinweise zu liefern. Der in grau betoniertem Brutalo-Chic gehaltene Saal mit unverkleideten Wänden und Säulen entsprach jedenfalls dem Bild, das der Klub gerne darstellt; einen unverschnörkelten, pragmatischen und bodenständigen Klub aus einer Stadt, der es an betonierten Fußball-Hartplätzen in der Tat nicht mangelt.

Der zu Jahresbeginn verstorbene Präsident Kay Bernstein hatte all diese Eigenschaften in die Vereins-DNA implementiert, "Berliner Weg" genannt, und den phasenweise orientierungslosen Klub damit erfolgreich zurück in die Spur gebracht. Einige Mitglieder fragten sich jedoch zuletzt, ob dieser Weg noch Bestand hat.

Die Vereinsseele war in Aufruhr in diesen Tagen: Immerhin scheint die Pleite von 777 Partners bevorzustehen. Bei zwei von sieben Vereinen, bei denen die Investmentgesellschaft Anteile hält, hat sie die Kontrolle bereits verloren oder ihr wurde die Handhabe gerichtlich entzogen. Wie würde sich die Schieflage des Investors auf Hertha auswirken? Dem US-Investor haben sich die Berliner durch die Abgabe von 78,8 Prozent der KG-Anteile verschrieben.

"Ich werde im Sinne des Berliner Weges bei den Wahlen im Herbst antreten"

Die Ultra-Vereinigung Harlekins Berlin 98 – die Bernstein einst mitgegründet hatte – veröffentlichte just in dieser Gemengelage im Vorfeld der Mitgliederversammlung eine Stellungnahme, in welcher der Anteilseigner aus Florida mit dem einstigen Investor Lars Windhorst verglichen und als "brandgefährlicher Partner" bezeichnet wird. Vereinsintern würde zudem eine Fraktion erstarken, "die eine Kehrtwende weg von dem Pfad anstrebt, den Hertha BSC unter Kay Bernstein eingeschlagen" habe.

"Ich kann Kay nicht ersetzen, aber ich werde den Weg, den Kay eingeschlagen hat, weiterführen", stellte der kommissarische Präsident Fabian Drescher im "CityCube" direkt klar. Er bekräftigte die Alternativlosigkeit des "Berliner Weges" – und gab unter donnerndem Applaus seine Präsidentschaftskandidatur bekannt: "Ich werde im Sinne des Berliner Weges bei den Wahlen im Herbst antreten". Bei der Mitgliedersammlung im November soll über die neue Hertha-Führung entschieden werden.

"Zecke" Neuendorf hat Erklärungen

Dann schlug die Stunde des Direktors für den Lizenzbereich und die Akademie, Andreas "Zecke" Neuendorf. Ihm gelang wie wenigen zuvor, den viel beschriebenen "Berliner Weg" spürbar zu machen. Auch die jüngste Trennung vom hochgeschätzten Trainer Pal Dardai hatte bei einigen Mitgliedern Zweifel gesäht, ob die Klub-Chefs überhaupt noch auf diesem rechten Pfad wandeln.

"Der Berliner Weg beinhaltet nicht einen Namen", so Neuendorf. Herthas Klubphilosophie, so der Subtext, hänge nicht an der Personalie Dardai. Neuendorf bat um Vertrauen seitens der Mitglieder und wurde dann grundsätzlich: "Wir stehen für einen ehrlichen, geraden Weg", sagte er und deutete dabei auf die neben ihm sitzenden Vertreter der Klubführung, Thomas E. Herrich und Benjamin Weber. "Aber mit euch gemeinsam", sagte er zu den Mitgliedern. Es gab reichlich Applaus.

Wir sind optimistisch, dass wir das zeitnah auf unseren Kanälen verkünden können

Benjamin Weber zur Trainer-Frage

Später hatte Neuendorf eine Erklärung parat, warum der Abschied von Dardai (der insgesamt dritte) mitnichten einem Zickzack-Kurs gleichkommt. "Wir halten uns daran, was wir abgemacht haben." Und abgemacht gewesen sei eine Zusammenarbeit bis zum Ende der Saison. Nun sei jemand gefragt, der einen neuen Impuls setze. Pal Dardai werde dem Verein erhalten bleiben und jungen Spielern dabei helfen, den Sprung zu den Profis zu schaffen.

Auch was den Sparkurs des Vereins angeht und notgedrungene Spieler-Abgänge in der Vergangenheit, hatte Neuendorf eine emotionale Begründung. Lucas Tousart, einst für stolze 25 Millionen Euro zu Hertha gekommen, habe man für drei Millionen Euro ziehen lassen müssen zum Stadtrivalen, weil die Lizenz für die 2. Liga auf dem Spiel gestanden habe. Man brauchte das Geld und es habe einfach keine besseren Angebote gegeben. "Und dann nehme ich lieber die Lizenz", sagte Neuendorf.

Weber will Gerücht um Fiel nicht kommentieren

Hertha befindet sich immer noch auf Sparkurs. Daher sind weitere Abgänge möglich. Neuendorf sagte: "Wir wollen, dass Fabi (Reese, Anm. d. Red.) das Hertha-Trikot trägt, aber für uns gibt es auch wirtschaftliche Zwänge." Das gleiche gelte für Ibrahim Maza, der von mehreren Klubs umworben werden soll.

Einen Namen für die Dardai-Nachfolge präsentierte die Klubführung am Sonntag indes nicht. "Wir sind auf einem guten Weg", aber zunächst noch vertraulich, sagte Sportdirektor Benjamin Weber. "Wir sind optimistisch, dass wir das zeitnah auf unseren Kanälen verkünden können." Angestoßen von der Bild-Zeitung kursierten zeitgleich Meldungen, dass Hertha kurz vor einer Einigung mit Christian Fiel vom 1. FC Nürnberg stehe. Während der Versammlung darauf angesprochen sagte Weber, er habe in jenem Moment keine Zeitung gelesen. "Es bringt nichts, das jetzt zu kommentieren." Er bat um Vertrauen.

Dardai brauchte erst einmal Urlaub

Blieb noch die Frage nach dem taumelnden Investor 777. Vor den gut anderthalbtausend stimmberechtigten Mitgliedern wurde das Thema an diesem Tag allenfalls gestreift. Thomas Herrich sagte: "Wir haben uns intern mit einer Gruppe zusammengefunden, um alle Szenarien vorzubereiten: Was passiert mit den Anteilen? Was passiert bei einer Pleite?" Doch er stellt klar, dass es bisher wie folgt gewesen sei: "777 hat alle Verpflichtungen vertragsgemäß erfüllt."

Was blieb, war der Eindruck, dass alle in der Vereinsführung aufrichtig bemüht sind, den von Kay Bernstein eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Auch Pal Dardai wird dabei helfen, seine genaue Funktion ist noch unklar.

Von seinem Traineramt bei den Hertha-Profis habe man den Ungarn auf der Mitgliederversammlung übrigens offiziell verabschieden wollen, betonte Thomas E. Herrich. Doch Dardai wollte sich erst einmal in den Urlaub verabschieden. Verständlich, nach dieser turbulenten Hertha-Saison.

Sendung: rbb24, 26.05.2024, 22 Uhr

Beitrag von Shea Westhoff

16 Kommentare

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  1. 16.

    Das wurde auch nicht bestritten. Natürlich sind es auch viele Erfolgsfans. Ich bin Herthafan und mir ist das völlig egal. Mich freut es einfach, dass mein Herzensverein seit dem Abstieg 8000 Mitglieder dazubekommen hat. Aber Sie haben recht. Berlin kann gut auch mehr als zwei Proficlubs vertragen.

  2. 15.

    Wir könnten lange diskutieren. Fakt ist, noch immer gibt es Sprechchöre von Unionfans, die sehr deutlich machen, was sie vom Westteil dieser Stadt halten. Auch ich komme aus dem Ostteil der Stadt und bin schon als kleiner Junge zu Union gegangen, bis ich diese Art, sich selbst zu überhöhen, nicht mehr ertragen konnte. Trotzdem kann es für Berlin nur gut sein, zwei Vereine in der ersten bzw. Zweiten BL zu haben.

  3. 14.

    Ich weiß noch, wie stolz Hertha darauf war, im Wedding (roter Arbeiterbezirk) beheimatet gewesen zu sein zu sein. Ich habe in der Behmstrasse sogar noch deren Jugend gepfiffen. Nun ist die Akademie und gesamte Fussball im Westend.
    Im Gegensatz dazu darf nunmal ein Verein auf seine Herkunft stolz sein, die er nicht verlassen musste, und trotzdem als Berliner Verein gelten.
    Eisernes HaHoHe

  4. 13.

    Dass sowohl Union als auch Hertha in der ganzen Stadt Mitglieder und Unterstützer haben, wird wohl niemand mit etwas Verstand bestreiten. Deshalb hat die durch den Verfasser des RBB-Beitrages erfolgte Charakterisierung von Hertha BSC als "Westberliner" Verein im Jahre 35 nach dem Mauerfall für etwas sprachsensible Ohren gerade in dieser Stadt einen etwas unangenehmen Beiklang.

  5. 12.

    Die Zeiten haben sich geändert, der 1. FC Union Berlin hat in jedem Berliner Bezirk - Fans und Mitglieder. Das hören Herthaner nicht gerne, ist aber die Realität. Und mal nebenbei - in einer Stadt mit 3.8 Millionen Menschen ist sogar noch genug Platz für einen Dritten oder Vierten Verein im Profifußball.

  6. 11.

    "Was für ein Schmarrn." - Sie schreiben es.
    "Die Berliner Medien berichten bei Hertha, Union und Cottbus zumeist aus lokalpolitischer wohlwollender Sicht, aber zuweilen auch äußerst kritisch, wenn was zu bemängeln ist.
    Da werden bei den drei Vereinen aus der Region keine Unterschiede gemacht."
    Dann lesen Sie den heutigen Artikel, in dem, Ihrer Ansicht nach, " keine Unterschiede gemacht" wurden. Ausgewogen sieht anders aus:
    https://www.rbb24.de/sport/beitrag/2024/05/fussball-frauen-regionalliga-nordost-bischofswerda-hertha-berolina-mitte-carl-zeiss-jena-viktoria-berlin-erfurt-turbine-potsdam-ii-dresden-tuerkiyemspor-union.html

  7. 9.

    "es gibt doch nicht servileres als die Hauptstadtpresse, die geradezu Hertha-Hofberichterstattung macht."
    Was für ein Schmarrn.
    Die Berliner Medien berichten bei Hertha, Union und Cottbus zumeist aus lokalpolitischer wohlwollender Sicht, aber zuweilen auch äußerst kritisch, wenn was zu bemängeln ist.
    Da werden bei den drei Vereinen aus der Region keine Unterschiede gemacht.

  8. 8.

    Sie glaubte doch nicht die Mähr, "ganz Berlin liebt die Hertha", die seinerzeit ein gewisser Boateng (nicht der Frauenschläger) verbreitete?
    "Oder ist das einfach nur die eigene Abneigung gegen die Hertha?" - es gibt doch nicht servileres als die Hauptstadtpresse, die geradezu Hertha-Hofberichterstattung macht. Das ist für Sie Indiz für die "Abneigung gegen die Hertha"? Täglicher Abgleich aus der Kammer des Grauens, eines 2.Liga- Vereins.ä
    Ganz nebenbei: wieviel Arroganz - oder Dummheit und Überheblichkeit- gehört dazu, seine Verabschiedung aus dem Verein bis nach seinem Urlaub zu verschieben. Hofft der darauf, dass man bis dato keinen Trainer findet und er weiter seine Unfähigkeit unter Beweis stellen kann, weil diesmal der Verein angekrochen kommt, wie seinerzeit er selbst?

  9. 7.

    Auch wenn das "Westberliner Zweitligist" dummer Unfug ist, kann ich mir vorstellen, dass dies auch der Tatsache geschuldet ist, dass viele Herthaner sich als einzige gesamtberliner Vertreter sehen und Union gerne als "Provinz-" oder "Bezirksverein" verunglimpfen.
    Nochmal! Jeder in Berlin gegründeter und spielender Verein ist ein Vertreter für das gesamte Berlin egal mit welchen Wurzeln. Und jeder Mensch kann sich aussuchen, wen er unterstützen will.
    Eisernes HaHoHe

  10. 6.

    Westberliner Zweitligist? Was soll das denn? Hertha ist ein Verein, der in ganz Berlin verwurzelt ist und das auch immer so gewollt und ausgerufen hat. Ich frage mich, was man damit ausdrücken möchte, ein Vierteljahrhundert nach der Vereinigung. Warum erscheint das dem Verfasser als wichtig? Oder ist das einfach nur die eigene Abneigung gegen die Hertha?

  11. 5.

    Wer bitte ist Schweinchen Schlau? Und was würde Hertha damit von anderen Vereinen unterscheiden?

  12. 4.

    Einige Medienvertreter hatten nach dem Brief der Harlekins mit einer turbulenten Versammlung gerechnet und sind jetzt enttäuscht, dass es insgesamt so eine harmonische Veranstaltung wurde,
    Zum Glück sind die Harlekins bei Hertha und den Hertha Mitgliedern nicht das Maß aller Dinge.

  13. 3.

    Was soll man davon halten?
    Èrst wird die Mittelmäßigkeit mit einem Vertrag bis 2028 ausgestattet und zum "Hertha-Super-Star" hochgejazzt und jetzt steht der zur Disposition? Zumal kein anderer Verein Interesse zu haben scheint?
    Zur Trainersuche nur soviel: welcher Trainer übernimmt einen finanziell angeschlagenen Verein, dessen 2.Liga-Lizenz in Frage stehen kann und wo an den Außenlinien "Schweinchen Schlau" auftauchen kann, der sich dann in die Arbeit einmischt?
    Na ja, wir werden durch die täglichen Updates auf dem Laufenden gehalten.

  14. 1.

    Der gehandelte Trainer heißt Cristian Fiél und nicht Christian Fiel.

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