Sportökonom über Hertha BSC - "Eine Top-Marke des deutschen Sports wurde deutlich heruntergewirtschaftet"

Mi 12.06.24 | 12:50 Uhr
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Fans in der Ostkurve Hertha BSC halten Spruchbänder hoch (Quelle: IMAGO / Nordphoto)
Bild: IMAGO / Nordphoto

Hertha BSC hat die Lizenz für 2024/25 erhalten. Doch Investor 777 Partners scheint seine Anteile verkaufen zu wollen - obwohl eine Zahlung in Millionenhöhe noch aussteht. Im Interview ordnet Sportökonom Christoph Breuer die wirtschaftliche Situation ein.

rbb|24: Herr Breuer, vor wenigen Wochen wurden im Magazin "Josimar" Berichte publiziert, die nahelegen, dass 777 Partners zahlungsunfähig ist. Das US-amerikanische Investment-Unternehmen hält 78,8 Prozent der Anteile an der Hertha BSC GmbH & Co. KGaA und könnte vor der Drohkulisse einer Insolvenz versuchen, diese zu verkaufen. Was sind die Hertha-Anteile überhaupt noch wert?

Christoph Breuer: Wenn man klassische Grundlagen der Unternehmenswertberechnung anlegen würde, wären sie recht wenig wert. Man versucht dazu, die zukünftigen Einnahme-Überschüsse abzuschätzen. Hertha hat es über die letzten Jahre aber wiederholt nicht geschafft, überhaupt einen Jahresgewinn zu erzielen. Darüber hinaus ist der Verein deutlich verschuldet. Der Schuldenstand überragt den Wert des Eigenkapitals und ein Teil der Schulden ist kurzfristig zu bedienen. Von daher ist nicht davon auszugehen, dass ein neuer Käufer dazu bereit wäre, eine signifikante Summe für diese Anteile auszugeben. Andere Aspekte könnten aber auch bedeutsam sein.

Zur Person

Sportökonom Christoph Breuer (Quelle: IMAGO / HMB-Media)
IMAGO / HMB-Media

Christoph Breuer ist Professor für Sportmanagement an der Deutschen Sporthochschule Köln und geschäftsführender Leiter des Instituts für Sportökonomie und Sportmanagement.

Er studierte Sportwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Pädagogik an der TU Darmstadt. Anschließend promovierte und habilitierte Breuer an der Deutschen Sporthochschule Köln.

Und welche wären das?

Man kann den Wert natürlich auch anders berechnen und fragen: Was würde der Aufbau eines Klubs, so wie er jetzt dasteht, kosten? Dann hätte man schon einen Wert. Der Käufer würde sich dann weniger an zukünftigen Gewinnen orientieren, hätte weniger eine finanzielle Motivation. Sondern es geht mehr darum, dass der Klub einen emotionalen Wert darstellt, zur gesellschaftlichen Anerkennung des Investors beiträgt oder man einfach den Klub als eine spannende Werbeplattform für sich sichert.

Es gibt aber wenige Anhaltspunkte dafür, zu welchem Preis diese Anteile nun transferiert würden. Das hängt eben davon ab, was sie dem neuen Käufer wert wären. Eine Private-Equity-Gesellschaft könnte sich am zukünftigen Gewinn orientieren – bräuchte da aber auch Fantasie, wie das zu realisieren wäre. Wer diesen Verein im Moment übernimmt, übernimmt Verbindlichkeiten – und eine begrenzte Aussicht darauf, wie man zukünftig profitabel wirtschaften und eine attraktive Rendite erzielen kann.

Wie läuft ein solcher Anteilsverkauf ab?

Das hängt zunächst einmal von den vertraglichen Rahmenbedingungen ab, die mir nicht bekannt sind. Es wird aber nicht so sein, dass 777 die Anteile auf eBay inserieren würde. Die erste Frage ist, wie ein Weiterverkauf der Anteile geregelt ist. Hat Hertha BSC ein Vorkaufsrecht? Gibt es eine Möglichkeit, die Hertha BSC dazu befähigt, die Anteile selbst zurückzukaufen oder Einfluss auf die Auswahl des zukünftigen Investors zu nehmen? Das wäre sicherlich das beste Szenario für Hertha BSC. Das wäre der Moment, eine konforme Lösung zu finden, die auch für die aktive Fanszene tragbar ist. In England gibt es beispielsweise "Supporters' Trusts" – Fan-Bündnisse, die sich als Investoren engagieren.

Im Falle eines Anteilsverkaufs wäre es für Hertha BSC aber relativ egal, ob 777 seine Anteile teuer oder günstig verkauft. Das ändert erstmal nichts an der Finanzlage für Hertha.

Die Deutsche Fußball Liga (DFL) hat Hertha BSC die Lizenz für die Saison 2024/25 erteilt. Von den vertraglich vereinbarten 100 Millionen Euro, die 777 Partners in den Verein investieren wollte, steht jedoch noch eine Zahlung in Höhe von 25 Millionen Euro aus. Wie groß ist die Gefahr, dass Hertha diese Finanzierungslücke nicht wird schließen können?

Das ist kurzfristig das größere finanzielle Risiko. Bilanziell spielt es keine Rolle, ob 777 Partners oder ein anderer Investor hinter den Anteilen steht. Ein Weiterverkauf der Anteile wäre für Hertha BSC erstmal geschäftsneutral. Dadurch hätte der Verein nicht mehr oder weniger Geld in der Kasse. Aber: Die Finanzspritzen, die Teil des Gesamtpakets von 777 waren, spielen für den Finanz- und Sanierungsplan sicherlich eine zentrale Rolle. Und da sehe ich kurz- und mittelfristig die größere Gefahr für Hertha BSC. Denn ein neuer Anteilseigner müsste ja auch bereit sein, diese Zahlung zu übernehmen, damit der Gesundungsplan überhaupt Bestand haben kann.

Herthas ehemaliger Präsident Kay Bernstein (li.) mit Josh Wander von 777 Partners (mi.) und Hertha-Geschäftsführer Tom Herrich [Quelle: IMAGO / Nordphoto]
Herthas ehemaliger Präsident Kay Bernstein (li.) mit Josh Wander von 777 Partners (mi.) und Hertha-Geschäftsführer Thomas E. Herrich. Bild: IMAGO / Nordphoto

Welche Szenarien sind nach aktuellem Stand denkbar?

Szenario 1: Hertha BSC hat ein Vorkaufsrecht. Bei Herthas derzeitiger Finanzkraft halte ich es allerdings für unwahrscheinlich, dass die Anteile zurückgekauft werden könnten.

Szenario 2: Hertha hat Einfluss auf den Weiterverkauf der Anteile und kann vereinsnahe oder regionale Investoren-Bündnisse für sich gewinnen. Oder man folgt dem englischen Modell eines "Supporters' Trust", was ich auch spannend finde und was hier eine sehr gute Lösung ist. Die Frage ist nur, ob hinreichend Mittel zusammenkommen könnten, denen 777 Partners, deren Gläubiger oder Insolvenzverwalter zustimmen würden.

Wenn auch das nicht eintreten sollte, gäbe es noch ein drittes Szenario: Ein anderer Investor - zum Beispiel aus dem Private-Equity-Bereich, aus einer anderen Branche oder einem anderen Land – versucht, die Anteile zu übernehmen. Dann wäre Hertha in der gleichen Problemlage wie schon mit der Tennor Holding um Lars Windhorst oder wie aktuell mit 777 Partners. Das wäre eine Fortsetzung unter einem anderen Namen.

Im Sommer 2019 ist Investor Lars Windhorst bei Hertha BSC eingestiegen. Das Gesamtvolumen belief sich auf 374 Millionen Euro. Seitdem hatte der Verein neun verschiedene Cheftrainer, Jürgen Klinsmann hat zwischenzeitlich von Champions League und Titeln fabuliert. Die "Alte Dame" ist in die Zweitklassigkeit abgerutscht und hat einen neuen Investor, der nun kurz vor der Insolvenz steht. Wie würden Sie das, was in den vergangenen fünf Jahren in Berlin passiert ist, zusammenfassen?

Ökonomisch kann man sagen: Es hat eine enorme Kapitalvernichtung stattgefunden. Eine Top-Marke des deutschen Sports wurde deutlich heruntergewirtschaftet. In finanzieller Hinsicht ist die Situation so vertrackt, dass nur noch wirklich ernsthafte Bemühungen, den Klub zu sanieren, tragfähig sind. Überall schrillen Alarmglocken, das Risiko für die Lizenzierung ist groß. Aber vielleicht liegt in der Bedrohungslage die einzig wirkliche Chance: Einen Traditionsverein, bei dem immer viele mitsprechen wollen, grundlegend zu sanieren.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Anton Fahl, rbb Sport.

24 Kommentare

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  1. 24.

    Was tue ich? Mich an Union abarbeiten?oder an Hertha?
    Nein, weder noch. Habe ich etwas Unsachliches über Hertha geschrieben?
    Nicht dass ich wüsste

  2. 23.

    Herthaner sollen sich nicht an Union abarbeiten, Sie tun es hier aber genauso. Verstehe ich nicht.

  3. 19.

    Etwas kritisch bewerten ist doch nicht gleichzusetzen mit etwas hassen.
    Fakt ist doch, dass Hertha seinen Markenkern und seinen Ruf, seine Reputation verloren hat.
    Die Investorengesvjichten tragen ihren Teil dazu bei. Das ging schon unter Höneß los und hält nis heute an.
    Ich persönlich wünsche mir, dass Hertha wieder ins Lot kommt, damit es baldd wieder Stadtderbys ganz oben

    Und nebenbei: ich nehme es genau andersrum wahr. Das Herthaner ihren Frust am Stadtmeister abarbeiten und den Abstieg gewünscht haben.
    Aber frei nach Willy Brandt: Leute, svhaut auf diese Stadt. Sie braucht 2 Bundesligisten.

  4. 18.

    Auch in die Regionalliga?
    Ziehen dann auch Zehntausende ins .... äh... wohin dann nur?
    Ob dann die Stadt Berlin auch noch dann die Miete für das "Oly" stundet?
    Wahrscheinlich bekommen die dann das von unseren Steuergeldern bezahlte Stadion.
    Die haben doch nichts. Außer ihre Großkotzigkeit und Selbstherrlichkeit.
    Und Hertha hassen? Zuviel Emotionen für soviel Bedeutungslosigkeit.

  5. 17.

    Wieviel Häme hier immer wieder in den Kommentsren ausgeschüttet wird. Trotzdem ziehen Zehntausende ins Oly. Ihr werdet Hertha nie klein kriegen. Wir gehen in jede Liga, haben wieder neue Mitglieder trotz Abstieg. Ihr arbeitet euch an uns ab. Warum eigentlich? Was ist denn eure Motivation? Einfach nur Hertha hassen?

  6. 16.

    Hertha im selben Atemzug mit Coca-Cola und McDonald zu nennen - daran erkennt man den wahren Hertha-Fan.
    Wobei Hertha auch krank macht und die Arbeitsbedingungen wie Umweltaspekte verheerend sind. Wenn ich an Schweinchen Schlau und die umweltverdreckenden Klebeaktionen dieses Vereins denke. Gut, das ist ja für Jahre vorbei, denn ein Stadtderby gibt es Jan nicht, dafür müsste Hertha wieder aufsteigen.

  7. 15.

    Meine Meinung zum Begriff Topmarke ist eben eine andere und hat mit dem Bekanntheitsgrad nur bedingt was zu tun .
    Als Topmarke sollte man Erfolge verbuchen, da ist Hertha BSC weit entfernt davon.
    Coca Cola und Mc Donalds sind Erfolgreich und sind Leider Topmarken. Ihre Meinung zu diesen beiden Marken teile ich allerdings mit Ihnen.

  8. 14.

    Der Begriff 'Top-Marke' sagt mehr über den Bekanntheitsgrad und weniger über die Beliebtheit aus.
    Coca Cola und Mc Donalds sind auch 'Top Marken', obwohl die Produkte krank machen und die Arbeitsbedingungen wie Umweltaspekte verheerend sind.
    Die 'Marke' Hertha BSC ist jedoch (so oder so) zumindest in Deutschland bekannt und führt in jedem Fall zu Reaktionen, ansonsten würden sich - gerade hier - nicht so viele teils mehrfach täglich an Ihr 'abarbeiten'.

  9. 13.

    Mein Gott das hätte ich auch so sagen können.
    Viel wichtiger finde ich das endlich mal alle begreifen sollten, das eben nicht jede Mannschaft Meister werden kann, sondern genau nur eine.
    Sprich, wenn sie alle perfekt wirtschaften und arbeiten würden, würde es trotzdem nur einen Meister geben und drei die absteigen.

  10. 11.

    Die würden wahrscheinlich ganz vorne in Europa stehen.
    Dort wird kein Geld in den Sand gesetzt wie bei Hertha BSC.
    Dort wird sehr gute Arbeit geleistet, im Wirtschaftlichen und Sportlichem Sinn.
    Hertha BSC ist da weit von weg. Das nächste Geld wird möglicherweise im neuen Stadion verbrennt, das Hertha BSC sich garnicht leisten kann.

  11. 10.

    Wann bitte war Hertha BSC eine Topmarke in Deutschland ?
    Vor 300 oder 400 Jahren ? Da gab es noch kein Profifußball.
    Bei Hertha BSC von einer Topmarke des deutschen Fussball zu fabulieren ist schon extrem weit hergeholt. Dabei ist die gesamte ,, Historie " des Vereins gemeint.

  12. 9.

    Nicht auszudenken wo kleinere Vereine wie z.B Freiburg oder Heidenheim mit dieser Menge von Geld stehen würden.

  13. 8.

    Spielen können sie nicht.
    Vom Aufstieg ganz zu schweigen.
    Aber Selbstvermarktung können sie:
    Vom Big City Club zum „beliebtesten Fußballverein Berlins“ mit der Hertha-Legende, dem „Hertha-Super-Star“ und der „Jesus Torkanone“ zum brutalen Schläger und „Top Marke“.
    Wir reden hier von Hertha BSC,

  14. 6.

    Es geht in dem Aufsatz um eine rein ökonomische Bewertung und Steuerung der Anteile. Es wäre sinnvoll sich daher in den Kommentaren auch fachlich auf dieses Thema zu beziehen. Das gilt auch für die Einschätzung als "Top-Marke" und zwar in dem Sinne das es Investoren gab, die gewollt waren in dieses Unternehmen zu investieren. Hierzu gibt es Zahlen.

  15. 5.

    Der schnelle sportliche und finanzielle Abstieg der Blauweißen, trotz Investoreneinstieg und Finanzspritzen, ist unerklärlich, denn die Absicht war ja, Hertha in diesem Tempo zu einem absoluten Top-Club in Europa zu machen.

    Hertha steht als Symbol für Mißmanagement und kann dementsprechend mit einem Topmanager wieder auf den grünen Zweig kommen.

    Auf, meldet euch!

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