Neuer Trainer Cristian Fiél - Hertha geht ins Risiko für eine offensive Spielweise
Cristian Fiél wird der neue Hertha-Trainer. Der Ex-Nürnberger hat nicht weniger als den Bundesliga-Aufstieg als Auftrag – und die Berliner Verantwortlichen müssen beweisen, dass die Trennung von Pal Dardai die richtige Entscheidung war. Von Marc Schwitzky
"Wir sind im Trainerstab sehr zufrieden mit der Saison. Wie die Führung das sieht, ist wieder eine andere Sache. Da sind vielleicht Differenzen. Aber ich sehe das so und halte dafür auch meinen Kopf hin." Mit diesen Worten offenbarte Pal Dardai vor ein paar Wochen die inhaltlichen Differenzen zwischen Trainerteam und Vereinsführung darin, wie die Saison 2023/24 von Hertha BSC zu bewerten ist – und warum der Vertrag von Dardai nicht verlängert wurde.
Nun soll Cristian Fiél als Nachfolger von Dardai deutlich mehr aus den "Blau-Weißen" herausholen – und in allerspätestens zwei Jahren zum Aufstieg bringen. Hertha soll sich dessen Dienste laut Medienberichten eine mittlere sechsstellige Ablösesumme kosten lassen, die an den 1. FC Nürnberg geht.
Wer ist Cristian Fiél?
Dort verbrachte der 44-Jährige seine letzten drei Berufsjahre – erst als Coach der zweiten Mannschaft, dann als Co-Trainer unter Dieter Hecking und 2023/24 als alleiniger Cheftrainer bei den Franken. Cristian Ramon Fiél Casanova, wie er mit ganzem Namen heißt, war vor seiner Trainerlaufbahn auch als Spieler im Profifußball aktiv: Von 1999 bis 2015 spielte er bei den Stuttgarter Kickers, Union Berlin, dem VfL Bochum, Alemannia Aachen und Dynamo Dresden – große Traditionsvereine kennt er somit bestens.
Folgend hatte der gebürtige Esslinger wichtige Trainererfahrungen im Jugendbereich gemacht. Nach seiner aktiven Karriere blieb er als Jugendtrainer in Dresden. Fiél galt als große Zukunftshoffnung, wurde deshalb sehr aktiv auf seinem Karriereweg gefördert. 2019 wurde er in Dresden erstmals Profi-Cheftrainer, schaffte den zuvor gefährdeten Klassenerhalt, wurde nach 15 Spieltagen der neuen Saison jedoch gefeuert. Damals machte sich Sportdirektor Ralf Minge große Vorwürfe, den noch 38-jährigen Fiél zu früh ins Wasser geworfen zu haben. Die Trennung sei ihm alles andere als leicht gefallen. Minge bezeichnete Fiél als "eines der größten Trainertalente überhaupt", das seinen Weg noch gehen würde.
Opfer der Umstände in Nürnberg
2023 ging jener Weg in Nürnberg weiter - Fiél wurde das Amt des Cheftrainers anvertraut. Die Hinrunde unter dem Deutsch-Spanier lief überraschend gut, Nürnberg sammelte 24 Punkte – nur einen weniger als Hertha. In jenem halben Jahr konnte sich Fiél im Profi-Geschäft deutlich profilieren, indem er mutigen Offensivfußball mit vielen jungen Talenten spielen ließ und so unter anderem Hertha bei beim 3:1-Hinrundensieg überrollte. So hauchte er einem Verein, der in den Jahren zuvor äußerst grauen Zweitligafußball spielte und stets gegen den Abstieg kämpfte, neues Leben ein.
Aus den Nürnberger Mannschaftskreisen heißt es gegenüber rbb|24 allerdings, dass die Mannschaft in der Hinrunde – durch Fiéls Arbeit – deutlich über ihren Möglichkeiten gespielt habe. So kam der Einbruch in der Rückrunde kaum überraschend. Internen Einschätzungen zufolge war vor allem die Kaderplanung Schuld, denn schon früh wurde einigen Profis mitgeteilt, dass sie den Verein verlassen müssen, andere hatten sich schon mit Abnehmern geeinigt. So brach der Teamgeist auseinander, die entscheidenden Prozentpunkte fehlten auf dem Platz – und von der guten Hinrunde blieb wenig übrig. Der Leidtragende: Cristian Fiél, der fachlich wie menschlich überaus geschätzt wurde. Nürnberg rettete sich gerade so vor dem Abstieg – eine, blickt man nur auf die Endtabelle, dürftige Saison.
Fiéls Philosophie könnte zu Hertha passen
Ein weiterer Grund dafür, dass Nürnbergs Stern in der vergangenen Saison nur kurz auf- und umso tiefer unterging, war, dass der Kader nicht auf Fiéls Philosophie abgestimmt war. "Man könnte es darauf runterbrechen, dass ich lieber 4:3 gewinne als 0:0 spiele. Ich bin jemand, der offensiv denkt, weiß aber auch genau, dass du ganz große Probleme kriegst, wenn du defensiv nicht gut arbeitest. Deshalb wollen wir nach Ballverlusten den Ball möglichst schnell wieder haben, um den Gegner vom letzten Drittel fernzuhalten", fasste er seine taktischen Überzeugungen zum Amtsantritt in Nürnberg zusammen. Dafür fehlten beim "Club" nahezu alle Zutaten.
Für seinen dominanten Offensivfußball benötigt der 44-Jährige beispielsweise einen technisch beschlagenen Torhüter und aufbaustarke Innenverteidiger, da das Spiel durch kurze Flachpässe eröffnet wird – etwas, das wiederum zu Hertha-Akteuren wie Tjark Ernst, Marton Dardai oder Pascal Klemens passt. In seinem 4-3-3 legt Fiél großen Wert auf technisch feinen Aufbau durch das Zentrum, der den Gegner lockt, um dann gut geplant die offensiven Flügelspieler für Dribblings oder Flanken in der Tiefe und einen Zielspieler im Sturmzentrum einzubinden – auch hierfür hat Hertha mit Spielern wie Fabian Reese oder Haris Tabakovic passende Puzzleteile, die Fiél in Nürnberg fehlten.
Taktisch kompromisslos - in Nürnberg klappte das nicht
Auch einrückende Außenverteidiger wie Michal Karbownik oder Jeremy Dudziak sind ganz nach Fiéls Geschmack. Beide kamen im vergangenen Sommer unter Sportdirektor Benjamin Weber, der auch mit aktuellen Neuverpflichtungen wie Kevin Sessa beweisen will, dass er und Neu-Trainer Fiél fußballerisch dieselbe Sprache sprechen – etwas, das mit Vorgänger Dardai mitnichten der Fall war. Der Ungar und die Mannschaft fanden fußballerisch-taktisch nur selten zueinander, was zu fehlender Konstanz führte.
Fiél will seine offensive Idee von Fußball unter allen Umständen umsetzen, dafür arbeitet er äußerst akribisch, fast schon besessen. "Jemand aus dem Klub sagte letztens zu mir: 'Hey, du musst mal etwas finden, was nichts mit Fußball zu tun hat.' Und ja, er hat Recht", verriet er vor ein paar Monaten lachend. Ohnehin gilt Fiél als sehr emotionaler Mensch, der seine Spieler nicht nur fachlich sondern auch am Herzen packt. Seine absolute Überzeugung von seinem Fußball kann jedoch auch zu einer gewissen Sturheit führen, sodass manchen Auftritten seiner Teams eine pragmatische Balance fehlt – auch deshalb kassierte Nürnberg in der vergangenen Saison die insgesamt zweitmeisten Gegentore aller Zweitligisten.
Zwischen Skepsis und Hoffnung
Ein nüchterner Blick auf Fiéls bisherige Laufbahn kann verständlicherweise Skepsis hervorrufen. Weder bei Dresden noch bei Nürnberg ist dem 44-Jährigen ein durchschlagender Erfolg gelungen – und für so jemanden zahlt Hertha nun sogar eine Ablösesumme, weshalb? Weil Fiéls klare Ideen vom Fußball schablonenhaft auf die der Berliner Verantwortlichen passen und dessen fachliche Arbeit sowohl bei Dynamo als auch im Frankenland sehr geschätzt wurde. Oft ist ein Trainer auch mehr als die reine Punkteausbeute, die von so vielen Faktoren abhängig ist.
Das von Fiél favorisierte 4-3-3 passt nicht nur bestens zu Herthas Profi-Kader, sondern wird auch von allen Jugendteams im Klub gespielt, sodass eine Einbindung der Eigengewächse möglichst niedrigschwellig gestaltet werden kann. Ohnehin gilt er als ein Trainer, der Jugendspielern großes Vertrauen schenkt und somit zum eingeschlagenen "Berliner Weg" passt. Mit seiner emotionalen Art kann Fiél einen Traditionsverein und dessen Fans mitreißen, mit seinem mutigen Fußball ohnehin.
Skepsis ist aufgrund der noch kurzen Trainervita Fiéls nicht nur erlaubt, sondern auch notwendig. Und doch lässt sich nicht von der Hand weisen, dass die "Alte Dame" hier einen Kandidaten gefunden hat, mit dem aufgrund vieler Faktoren eine gute Symbiose absolut vorstellbar ist. Fiél ist ein Risiko, andere für Hertha erreichbare Trainer wären es aber auch gewesen – und das Festhalten an Pal Dardai ebenso.
Sendung: DER TAG, 05.06.2024, 19:15 Uhr