Fußball-Europameisterschaft - Wie Polen die komplizierte EM-Gruppe D überstehen will
Fünf Teams spielen in der EM-Vorrunde in Berlin. Mit dabei ist Polen - allerdings in der schweren Gruppe D. Hoffnung machen ein neuer Trainer und eine neue Breite hinter Robert Lewandowski. Ein Teamcheck mit Ex-Herthaner Artur Wichniarek.
Die Ausgangslage
Als sich die polnische Nationalmannschaft Ende März für die diesjährige Fußball-Europameisterschaft qualifizierte, wusste sie bereits, was sie in der Vorrunde erwartet: Frankreich, die Niederlande und Österreich.
Die Gruppe D ist zweifelsfrei eine der schwersten bei der EM 2024. Alle ihre vier Mannschaften haben mindestens den Anspruch, sich als einer der vier besten Gruppendritten für das Achtelfinale zu qualifizieren. "Unsere Gruppe ist nicht gerade die einfachste", sagt Artur Wichniarek im Gespräch mit dem rbb. "Wir müssen fußballerisch überzeugen und dürfen nicht auf unser Glück warten. Wir müssen es erzwingen."
Wichniarek kennt sich mit der polnischen Nationalmannschaft gut aus: 18 Spiele absolvierte er einst selbst für sie. Auf Vereinsebene machte er sich einst in Bielefeld einen Namen und spielte dann zwischen 2003 und 2010 insgesamt vier Saisons für Hertha BSC. "Wir haben dieses Jahr tatsächlich große Qualität im Kader", sagt der 47-Jährige, "und mit den gewonnenen Relegationsspielen gegen Estland und Wales hat sich ein neuer Teamspirit entwickelt."
Die Schlüsselfiguren
Am neuen Teamspirit maßgeblich beteiligt ist Polens Cheftrainer Michal Probierz. Im September letzten Jahres übernahm der 51-Jährige die in EM-Sorgen geratene Mannschaft. Deren Bilanz seitdem: sechs Spiele, zwei Unentschieden, vier Siege, eine erfolgreiche EM-Qualifikation. "Man hört, dass er einen sehr guten Draht zu den Spielern hat. Es wirkt, als wisse er als ehemaliger Profi, ob Spieler ein Gespräch brauchen, einen Trainer, der nett zu ihnen ist oder eher was anders." Auch außerhalb des Platzes soll die Stimmung deutlich besser sein als in früheren Jahren und unter anderen Trainern.
Auf dem Platz wird für Polen diesen Sommer einmal mehr viel von Robert Lewandowskis Stimmung abhängen. Der Stürmer, der einst die Bundesliga dominiert hat, schoss vergangene Saison immerhin 19 Tore in 35 Spielen für den FC Barcelona. Lange war er quasi Polens Alleinunterhalter in der Manege des internationalen Fußballs. "Bei so einem Spieler musst du wissen, wie du eine Mannschaft um ihn herum aufbaust", sagt Wichniarek, "dieses Jahr sind alle dabei und wir breit aufgestellt."
Und das von vorne bis hinten: Das polnische Tor wird von Wojciech Szczesny gehütet, der vergangene Saison mit Juventus Turin in 35 Spielen nur 30 Gegentore kassierte und 15-mal zu null spielte. "In der Verteidigung haben wir Jakub Kiwior, der bei Arsenal eine wichtige Rolle spielt", sagt Wichniarek, "und dazu im Mittelfeld Piotr Zielinski." Der 30-Jährige steht kurz vor einem Wechsel von der SSC Neapel zu Inter Mailand, ist ein "kluger Kopf", wie Wichniarek es ausdrückt, "ein Spielmacher, der deine Offensive organisieren kann." Hinzu kommen weitere Akteure, die auf Vereinsebene in großen Ligen für gute Klubs spielen.
Die Aussichten
Nur wie viel werden die in den kommenden Wochen gegen die Niederlande (16.06. in Hamburg), gegen Österreich (21.06. in Berlin), und Frankreich (25.06. in Dortmund) ausrichten können? Realistisch gesehen wäre bereits ein Weiterkommen als Gruppendritter ein Erfolg für die polnische Mannschaft. "Ich glaube, gegen die Niederlande ist zum EM-Auftakt alles möglich", sagt Wichniarek, "da stimmen Taktik und Stammelf noch nicht zu einhundert Prozent, das müssen wir nutzen."
Auch insgesamt versprüht der Ex-Herthaner Optimismus: "Vor Österreich beispielsweise müssen wir uns nicht in die Hose machen", sagt er. Stattdessen gelte es, sich an die vergangenen zwei Spiele und Siege gegen die Mannschaft von Trainer Ralf Rangnick zu erinnern. Und überhaupt: "Mit vier Punkten kann es schon weitergehen." Damit hätte Polen das Achtelfinale erreicht, alles Weitere wäre Zuschlag.
Die Berlin-Connection
Artur Wichniarek wird die polnische Mannschaft in den kommenden Wochen auf ihrem EM-Weg begleiten. 13 Jahre nach seinem Karriereende arbeitet der Familienvater nicht nur als Berater für eine Bäckereikette sowie Investor und im Möbel- und Immobilienbereich, sondern auch als Fußball-Experte für das polnische Fernsehen. Dabei wollte er nach seiner Zeit bei Hertha zunächst möglichst wenig mit dem Profi-Fußball zu tun haben.
Mit der Empfehlung von zwölf Bundesligatoren in der Vorsaison und dem Spitznamen "König Artur" war der Pole im Sommer 2003 erstmals zu Hertha BSC nach Berlin gekommen. Dort lief es anschließend von Beginn an unrund: Wichniarek spielte wenig und stritt viel mit Geschäftsführer Dieter Hoeneß. "Die Fans haben das leider als einen Kampf gegen Hertha wahrgenommen", sagt Wichniarek heute. Nach zweieinhalb schwierigen Jahren wechselte er zurück nach Bielefeld.
Wichniarek überzeugte erneut, schoss wieder Tore und wurde 2009 erneut nach Berlin gelockt – diesmal von Michael Preetz und ermutigt durch den Abschied von Hoeneß. "Ich dachte, dass es nicht schlimmer werden kann als beim ersten Mal." Wichniarek täuschte sich. "Wenn du als Spieler ins eigene Stadion kommst und ausgepfiffen wirst, bekommst du eine Gänsehaut", sagt er. Dennoch blieb er nach seinem Karriereende mit seiner Familie in der Region.
"Seit 2009 wohnen wir in Kleinmachnow", erzählt Wichniarek dem rbb. Berlin sei mittlerweile seine zweite Heimat. Zu Union gehe er beruflich als Experte gelegentlich, zu Hertha auch privat. "Meine beiden Töchter sind Hertha-Fans geworden", sagt Wichniarek, "sie sind das letzte halbe Jahr bei fast jedem Heimspiel gewesen. Von daher ist Hertha für uns geblieben."
Sendung: rbb24 Inforadio, 04.06.2024, 16:15 Uhr