Kritik des Bundesrechnungshofs - Schiffshebewerk Niederfinow kostete womöglich 100 Millionen Euro zu viel

Mi 01.03.23 | 06:18 Uhr | Von Torsten Mandalka und René Althammer, rbb 24 Recherche
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Das alte (l) und das neue Schiffshebewerk am 03.01.2023.(Quelle:dpa/P.Pleul)
Video: rbb24 | 01.03.2023 | Nachrichten | Bild: dpa/P.Pleul

Der Bundesrechnungshof hat die Kosten für den Neubau des Schiffshebewerks Niederfinow geprüft. Ergebnis: Die Ministerien für Verkehr und Finanzen haben Nachzahlungen genehmigt, die weder sachlich noch rechtlich begründet waren. Von Torsten Mandalka und René Althammer

  • Das Bundesverkehrsministerium hat mit dem für den Neubau verantwortlichen Baukonsortium einen Vergleich über die Nachzahlung von höheren Baukosten abgeschlossen.
  • Der Bundesrechnungshof bemängelt, dass mit falschen Zahlen gerechnet gerechnet wurde.
  • Die Gesamtkosten beliefen sich auf 391,6 Millionen Euro; ursprünglich sollte der Neubau 208,6 Millionen Euro kosten.

Das Schiffshebewerk Niederfinow (Barnim) ist ein historischer Ort in Brandenburg. An schönen Tagen bewundern Touristen das Bauwerk, zahlreiche Motorräder knattern an dem Koloss aus Stahlstreben vorbei, der fast ein ganzes Jahrhundert lang die Schiffe über den Höhenunterschied von 36 Metern gehievt hat.

Neben dem Industriedenkmal steht seit 2020 ein neuer Koloss, diesmal aus Stahlbeton: das Schiffshebewerk Niederfinow Nord. In Betrieb genommen wurde es Anfang Oktober 2022. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) persönlich schnitt seinerzeit das Band durch. Seitdem gab es allerdings schon zwei Pannen am neuen Technik-Wunderwerk, es stand mehrere Wochen lang still. Der größte Unfall aber ist wohl die Kostenexplosion für das Bauwerk, wie der Bundesrechnungshof (BRH) jetzt feststellte. Und die könnte auf zwei FDP-Minister im Ampel-Kabinett zurückfallen - auf Verkehrsminister Volker Wissing und Finanzminister Christian Lindner.

Böse Zungen reden vom BER der Wasserstraßen

Nach Informationen, die der Redaktion rbb24-Recherche exklusiv vorliegen, hat das Bundesverkehrsministerium im März 2022 mit dem für den Neubau verantwortlichen Baukonsortium (ARGE) einen Vergleich über die Nachzahlung von höheren Baukosten im Umfang von 65 Millionen Euro abgeschlossen. Die Endabrechnungssumme betrug damit 391,6 Millionen Euro. Nach Auffassung des BRH habe das Bundesverkehrsministerium dabei jedoch "durchgängig mit falschen Zahlen gerechnet".

Der Bundesrechnungshof kommt deshalb zu der Überzeugung, dass die Vergleichssumme bei einer korrekten Berechnung bei 107,4 Millionen Euro liegen würde. Doch diese Nachzahlung Forderungen entbehrt nach der Bewertung des Rechnungshofs jeder Grundlage: Wissings Ministerium habe beim Abschluss des Vergleichs womöglich Recht und Gesetz außen vorgelassen.

Jedenfalls habe das Ministerium nicht belegt, dass der Abschluss des Vergleichs wirtschaftlich und zweckmäßig war. Ursprünglich sollte der Neubau 208,6 Millionen Euro kosten. Durch den Vergleich kostet der Bau den Bund jetzt rund 90 Prozent mehr. Das Ministerium hätte deshalb nach Einschätzung des BRH Leistungen zwischenzeitlich womöglich neu ausschreiben müssen. Das alles geht aus dem vorläufigen Prüfungsergebnis des Bundesrechnungshofes hervor, das erst "offiziell" wird, wenn eine weitere Stellungnahme des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) eingearbeitet ist.

Ministerium wollte Baustillstand vermeiden

rbb24-Recherche gegenüber äußert sich das Bundesministerium "aus verfahrensrechtlichen Gründen" nur ganz allgemein zu den detaillierten Fragen. Man habe dem Rechnungshof gegenüber dezidiert Stellung genommen: "Insbesondere hat das BMDV dem Bundesrechnungshof die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit des Vergleichsabschlusses dargelegt." Der Bau des neuen Schiffshebewerks Niederfinow sei von Beginn an von Streitigkeiten zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer geprägt gewesen.

"Kurz vor der Fertigstellung", so ein Sprecher des Ministeriums weiter, "drohten die Streitigkeiten zu einem Baustillstand (…) zu führen. Ein vollständiges Scheitern des Bauprojektes war ein konkretes Szenario. Jahrelange Rechtsstreitigkeiten mit ungewissem Ausgang wären die Folge gewesen." Am Ende seien die Streitigkeiten dann mit dem Vergleich beigelegt worden.

Bauzeit mehr als verdoppelt

Zum Hintergrund: Im Mai 2008 hat das Wasserstraßen-Neubauamt Berlin (eine dem Bundesverkehrsministerium nachgeordnete Behörde) die Errichtung des neuen Schiffshebewerks in Auftrag gegeben. Das alte Hebewerk war inzwischen zu klein, konnte moderne, größer gewordene Binnenschiffe nicht mehr transportieren. Außerdem war das alte Hebewerk dann doch in die Jahre gekommen, fiel häufiger wegen notwendiger Instandsetzungsarbeiten aus. In Niederfinow hatte sich ein Engpass auf einer wichtigen transeuropäischen Ost-West-Wasserstraße gebildet. Das neue Hebewerk Niederfinow-Nord sollte bis 2013 fertig gestellt werden.

Schnell stellte sich heraus, dass dieser Termin nicht zu halten war. Am Ende wurden aus fünf Jahren zwölf Jahre Bauzeit – und die Kosten verdoppelten sich beinahe. Die Ursachen sind nach Informationen des rbb in Insolvenzen von Sub-Unternehmen, gestiegenen Materialkosten und im Fachkräftemangel zu suchen. Auch der Brandschutz hat – wie beim BER – mal wieder eine Rolle gespielt.

Vom alten zum neuen Schiffshebewerk Niederfinow

Explodierende Kosten

Über die Jahre gingen mehr und mehr Rechnungen bei der federführenden Behörde, der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS) ein, die dem Verkehrsministerium untersteht. Dort soll nach Erkenntnissen des Rechnungshofs genau ein Mitarbeiter für die Plausibilitätsprüfung der Rechnungen zuständig gewesen sein: "Ein Vier-Augen-Prinzip oder ein sonstiges Qualitätsmanagement gab es nicht."

Im Ergebnis kommen die Prüfer zu dem Schluss, dass nur einem Teil dieser Rechnungen berechtigte Ansprüche zugrunde lagen. Ein Gutachter sei noch vor Abschluss der Vergleichsverhandlungen zu dem Ergebnis gekommen, dass allein die Baufirmen für die höheren Kosten durch die Verzögerungen beim Bau verantwortlich seien. Sie hätten deswegen keinen nennenswerten Anspruch auf Nachzahlungen. Daraufhin sollen die Baufirmen mit einem lange dauernden Gerichtsverfahren gedroht haben. Es folgten Verhandlungen bis auf Staatssekretärsebene - bis es im März 2022 zu dem teuren Vergleich kam, dem auch das Bundesfinanzministerium zuvor zugestimmt hatte.

Auf rbb24-Recherche Anfrage hieß es dazu aus dem Finanzministerium, vom Bundesverkehrsministerium sei "die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit des Vergleichs plausibel dargelegt" worden. Das Ganze sei wie üblich auf Referatsebene entschieden, Minister Lindner sei weder eingebunden noch informiert worden.

Ein Vergleich ohne Grundlage

Das alles hätte so nicht passieren dürfen, bemängelt der Bundesrechnungshof in seinem Bericht, der die Stellungnahmen der Ministerien noch nicht berücksichtigt. Die Rechnungssumme, die dem Vergleich zugrunde lagen, seien "willkürlich" festgelegt worden, sie beruhten auf "unbelegten Annahmen", die die Fachebene "in allen wesentlichen Belangen bezweifelt" habe.

Das Ergebnis sei "beliebig und mithin völlig ungeeignet, als Basis für einen Vergleich zu dienen". Für die Vergleichsverhandlungen hätten außerdem die rechtlichen Grundlagen gefehlt. Denn das Risiko, einen Prozess über die Nachforderungen zu verlieren, sei sogar nach Auffassung der juristischen Berater der Ministerien verhältnismäßig gering gewesen. Das Prozessrisiko aber habe das Verkehrsministerium gar nicht geprüft.

Ein Thema für die Staatsanwaltschaft

Der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Stefan Gelbhaar, der sich schon 2021 in einer parlamentarischen Anfrage für die Kostenexplosion beim Schiffshebewerk interessierte, stellt heute zu den Vorgängen fest: "Das geht gar nicht!"

Es gebe einen großen Aufklärungsbedarf. Und: "Das Thema wird natürlich auch die Staatsanwaltschaft interessieren, wenn es einen so großen Schaden gibt und die Gründe dafür unklar sind."

Sendung: rbb24 Inforadio, 01.03.2023, 08:40 Uhr

Beitrag von Torsten Mandalka und René Althammer, rbb 24 Recherche

20 Kommentare

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  1. 20.

    Woher bitte sollen führende Mitarbeiter der Verwaltung Fachwissen her haben? Diese werden doch nicht nach Qualifikation sondern nach Parteizugehörigkeit eingestellt. Da sind nur"Jasager" gewünscht und keine Querdenker, die jahrelange Berufserfahrung haben. Schauen Sie sich nur mal die Stellenausschreibungen vom ÖD an.

  2. 19.

    Na, da hat sich Leistung doch endlich mal wieder gelohnt!

  3. 18.

    Ist doch toll wie der Finanzrahmen wieder mal eingehalten wurde wie immer wenn der Staat baut da spielt Geld keine Rolle

  4. 17.

    Aber wehe du klaust aus einer Abfalltonne nen Brötchen.
    Da schlägt der sogenannte Rechtsstaat erbarmungslos zu.

  5. 16.

    Die zwei Sätze sind aber gut und da schadet es dann auch nicht, wenn man sich verzählt. Wie viele Vorgesetztenköpfe, angefangen beim unwissenden Minister bis hinunter zu der zuständigen Behörde / Abteilungsleiter müssten hier ausgetauscht werden, weil das 4-Augenprinzip nicht beachtet wurde? Hatten die alle keine Lust am Arbeiten?

  6. 14.

    Ich muss nun durch das neue Hebewerk fahren. Wie lange es dauert bevor die moderne Technik sich Bewegung setzt nach dem einfahren, ist wirklich ein schlechter Witz.
    Das neue Hebewerk ist für Schubverbände immer noch zu klein. Auf dieser Wasserstraße sind sehr viele Schubverbände unterwegs. Kurz gesagt, dieses Bauwerk entspricht nicht mehr, den tatsächlichen Schiffsverkehr und durch die langen Wartezeiten, der modernen Technik, ist keine Verbesserung zum alten Hebewerk.

    MfG

  7. 13.

    Nur ein Mitarbeiter für die Rechnungsprüfung bei einem 400-Millionen-Projekt? Unglaublich.

  8. 12.

    Sie widersprechen sich selbst im letzten Satz. Fehlt da ein Wort?

    Auch hört es sich hier so an, als wäre ein Generalbauunternehmen beauftragt worden. Das Generalbauunternehmen hat aber kurz vor Ende den Staat erpresst und mit Baustopp und Klage gedroht, wenn nicht mehr gezahlt wird.

    Wieso der Rechnungshof noch moniert, dass die Vergleichzahlung mit über 100 Mio noch höher hätte sein müssen als die 65 Mio Euro, erschließt sich mir endgültig nicht. Aber man kommt so auch generell nicht auf die Endsumme.

    Eigentlich müsste es heißen, Staat zahlt schon 107,4 Mio extra Vergleichsumme (wäre laut BuRehof als Vergleich ok) zahlt aber nochmal ohne jede Grundlage 65 Mio extra. Ob man überhaupt einen Vergleich eingehen müsste wäre fraglich, also die gut 170 Mio. Juristen sagen, geringes Prozessrisiko, die Fachbeamten im Ministerium haben eben nicht überzahlt, sondern der Minister. Vielleicht muss man auch mal einen Prozess führen!

  9. 11.

    Also man legt nochmal einen riesen Batzen Geld auf den Tisch kurz vor Ende der Baumaßnahmen. Was soll denn in dem halben Jahr noch fertig gebaut worden sein bis zur Inbetriebnahme? Das waren ja eigentlich wahrscheinlich nur noch Dokumentation und Prüfungen.

    Hatte man in den Verträgen mit den Baufirmen keine Termingerechte Fertigstellung mit Strafen vereinbart?

  10. 10.

    es heißt doch immer - fordern und fördern - so wurde und wird es gemacht.
    Von den Bürgern wurden die Mio. gefordert, die Wirtschaft wurde gefördert, die zuständigen Beamten werden hoch/weg-befördert, die Forderung nach Ausbau der Wasserstraßen (obwohl strasse) also der Wasserwege wird gefördert, Rücktritte werden gefordert aber nicht gefördert ....

  11. 9.

    Am besten, alle Unterlagen verbrennen und dann aussitzen, wie in Meckpom bei der Nordstream-Stiftung.

  12. 8.

    .. warum wird der Bundesrechnungshof nicht von vorn herein involviert. Im Nachhinein scheint es doch immer zu spät zu sein und die Verantwortlichen sind nicht mehr greifbar. Da scheinen doch offensichtlich die Fachleute zu sitzen .

  13. 7.

    .. wenn dem so ist, dann müssten schleunigst ein paar Zellen in den JVA's der Gegend frei gemacht werden. Gerade die bayerischen Verkehrminister haben dem Land mehr als alle anderen Unfähigen geschadet. Die jetzigen FDP Minister reihen sich offensichtlich nahtlos in diese Riege ein. Für Minister ist eben keine Qualifikation notwendig. Es genügt das richtige Parteibuch.

  14. 6.

    Naja aber jetzt wo es fertig ist, hat man ja ein Grund die anderen Stellen nachzubessern. Anders rum war das schwer zu Argumentieren. Man kann ja schlecht sagen wir bauen mal ne Brücke neu, damit große Schiffe durchpassen "falls" dann mal ein Schiffshebewert gebaut wird. Man fängt immer mit der größten Position an und macht dann den Rest. Völlig normal. Der Steuerzahler regelt das schon ;-)

  15. 5.

    Ist immer problematisch, wenn eine Behörde als Generalunternehmer für Bauprojekte agiert. Die Leuts dort haben keine Ahnung von Bauwesen. Normalerweise sucht sich der Bauherr bei solch großen Projekten einen Generalunternehmer als ausführendes Unternehmen. Der organisiert dann alles inkl. der vielen Firmen, Angebote und hat das Budget fest im Blick samt Rechnungskontrolle. Mal so grob umschrieben... Die Wirtschaft macht das so, um nicht zuviel Geld auszugeben. Irgendwie kommen deutsche Ministerien und Behörden nicht von los, große Bauvorhaben an Generalunternehmer zu übertragen.

  16. 3.

    Was funktioniert in diesem Land überhaupt noch?
    Ich frage mich immer, woher das ganze Geld kommt. Vor Jahren war kaum Geld da, um in Berlin die Springbrunnen laufen zu lassen. Was könnte Deutschland für ein tolles Land sein, wenn nicht so rumgeschludert würde.

  17. 2.

    Wie beim BER wussten wohl auch hier die bauausführenden Unternehmen sehr gut, wie sie den Staat ausnehmen können. Hinzu kommt offensichtlicher Mangel an Fachwissen und fehlende Rechnungsprüfungen bei den zuständigen Behörden. getreu dem Motto: ist ja nicht mein Geld, zahlt ja der Staat bzw. das Bundesland.

  18. 1.

    Wer sich mit dem Schiffshebewerk einmal genauer befasst, wird feststellen, dass es extra für sogenannte Europaschiffe errichtet wurde. Den ursprünglichen Zweck kann es aber überhaupt nicht erfüllen, da Herr Minister Dobrindt es erfolgreich verhindert hatte die Wasserstraßen im Osten für Europaschiffe zu Ertüchtigung. Dieses Schiffshebewerk sieht gut aus, nur könnnen es keine Europaschiffe Nutzen, da die Brücken und Schleusen auf dem Weg zum Hebewerk nicht die entsprechende Größe und Höhe haben.

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