Interview zu Bauernprotesten - "Es wäre problematisch, wenn die Regierung jetzt noch weiter zurückrudern würde"

Di 23.01.24 | 06:04 Uhr
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Traktoren fahren am 15.01.2024 zu einer Protestdemonstration am Brandenburger Tor Richtung Innenstadt. (Quelle: dpa/Sebastian Gollnow)
Bild: dpa/Sebastian Gollnow

Der Agrarökonom Achim Spiller wirft der Agrarlobby eine Blockadehaltung vor. Im Interview spricht er über eine Neuausrichtung der Landwirtschaft für mehr Nachhaltigkeit statt weiterer Zugeständnisse bei Subventionen.

rbb|24: Herr Spiller, wie blicken Sie auf die Proteste der Landwirte?

Achim Spiller: Sie haben viel Unzufriedenheit auf mehreren Gebieten gezeigt. Es ist deutlich geworden, dass es nicht nur um Agrardiesel geht. Jetzt ist die Frage, wie man das nach vorn bringt, um Zukunftsfähigkeit für die Landwirtschaft zu erreichen. Es ist eher nicht absehbar, dass die Regierung beim Diesel nachgeben wird. Umso wichtiger wäre es jetzt, Weichen für eine zukunftsfähige Agrarpolitik zu stellen.

Anlass der Proteste waren die Kürzungen beim Agrardiesel und das Ende der Kfz-Steuerbefreiung. Stehen die Proteste im Verhältnis zu den Kürzungen?

Die Regierung hat bereits einen Teil der Kürzungen zurückgenommen. Wenn der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, die Beibehaltung der Agrardieselsubvention zur Bedingung für Gespräche über andere Themen macht, halte ich das für strategisch nicht besonders geschickt. Das kann zu Verhärtungen führen. Ich will nicht hoffen, dass wir ein Gelbwesten-Phänomen wie in Frankreich bekommen.

Lobbygruppen wie der Bauernverband haben sehr viel Einfluss auf die Agrarpolitik in Brüssel oder Berlin. Wurde da in der Vergangenheit vor allem Politik für die großen Betriebe gemacht?

Zumindest wurde keine Politik speziell für die Betriebe gemacht, die Subventionen nötiger hätten. Große Betriebe verdienen mehr, weil sie niedrigere Kosten haben. Beim Agrardiesel zum Beispiel gab es früher eine Deckelung. Für große Betriebe fiel die Steuerbefreiung ab einer gewissen Höhe weg. Das wurde abgeschafft und ist ein Beispiel dafür, dass Subventionen sehr flächendeckend ausgeschüttet wurden und nicht zielgerichtet kleine Betriebe damit gefördert wurden.

Zur Person

Prof. Dr. Achim Spiller. (Quelle: Marco Bühl)
Marco Bühl

Achim Spiller ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbrauchschutz. Zudem ist er Mitglied der Zukunftskommission Landwirtschaft und Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen.

Sehen Sie auch eine Verantwortung bei den Agrarverbänden für die Situation, dass Subventionen einen wichtigen Teil der Einnahmen von Landwirten ausmachen?

In den Verbänden gab es in der Vergangenheit immer wieder größere Phasen von Blockadepolitik. Nehmen wir das Düngen. In Deutschland wurde zu viel gedüngt, was eindeutig nicht EU-rechtskonform war und ein Umweltproblem. Trotzdem sind vernünftige Gesetzesvorschläge immer wieder an Blockaden der landwirtschaftlichen Verbände gescheitert. Als die EU Strafzahlungen gegen Deutschland verhängt hat, hat die Vorgängerregierung hastig ein Gesetz gemacht, das nicht gut durchdacht war. Da regen sich die Landwirte zu Recht über zu viel Bürokratie auf. Aber die Ursache dafür ist auch ihre eigene Lobbyarbeit gegen Umweltschutzziele.

Sind die geplanten Kürzungen denn wirklich ein Wettbewerbsnachteil oder schmälern sie eher den Profit?

Der Ackerbau in Deutschland ist dank unseres Klimas sehr wettbewerbsfähig. Da geht es eher um Profiteinbußen. Anders sieht es bei der Tierhaltung aus. Die steht europaweit in einem harten Wettbewerb. Mit Blick auf das Tierwohl bräuchte es eine europäische Lösung, damit die Tierhaltung nicht dorthin abwandert, wo die Standards niedriger sind.

Es gibt sehr unterschiedliche Darstellungen davon, was in der Landwirtschaft verdient wird. Woran liegt das?

Der Staat erhebt nur das, was der landwirtschaftliche Betrieb im engeren Sinn erwirtschaftet. Einkommen etwa von Ehefrauen oder -männern werden nicht erfasst. Oder zum Beispiel Einkünfte aus Biogasanlagen, Windrädern oder Solaranlagen, die teilweise sehr hoch sind. Das macht es schwer zu erkennen, wer Subventionen braucht und wer eigentlich hervorragend verdient.

Ist der Einfluss der Agrarlobby zu groß?

Das kann man so einfach nicht sagen. Allerdings sind die landwirtschaftlichen Interessensverbände in der Tat sehr gut organisiert. Und sie haben zumindest in den letzten zwei Jahrzehnten eine Agrarpolitik, die auf mehr Nachhaltigkeit zielt, immer wieder verhindert. Das hat zu einem Flickenteppich an politischen Maßnahmen geführt, der nicht zukunftsorientiert ist. Wenn die Proteste etwas Gutes bewirken könnten, dann vielleicht einen Konsens über die Umsetzung der Vorschläge aus der Zukunftskommission Landwirtschaft, Schritt für Schritt in den nächsten 15 Jahren. Sie sind im Konsens entstanden zwischen Landwirtschaft, Umweltverbänden und Wissenschaft.

Sie sind selbst Teil der 2020 einberufenen Kommission. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Warum werden sie nicht umgesetzt?

Die letzte Regierung hat die Vorschläge erstmal auf EU-Recht und auf Finanzierbarkeit geprüft. Dann war die Legislaturperiode um. Die neue Regierung hat sie leider nicht in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen. Die zentrale Empfehlung war, dass wir eine nachhaltige Landwirtschaft haben wollen und dass wir als Bürgerinnen und Bürger ein bisschen mehr Geld dafür ausgeben müssen. Das ist dann auch an Finanzminister Christian Lindner gescheitert.

Im Moment sieht es nicht so aus, als würde sich die Bundesregierung oder die Regierungsfraktionen so von den Protesten beeindrucken lassen. Ist das eine Zeitenwende, dass die Politik nicht vor den Agrarverbänden einknickt?

Die Politik hat ja ein ganzes Stück nachgegeben. Sie hat die Hälfte der Kürzungen zurückgenommen und die andere Hälfte zeitlich gestreckt. Es wäre problematisch, wenn die Regierung jetzt noch weiter zurückrudern würde. Was würde das für ein Signal senden an andere Lobbygruppen? Wichtiger wäre es, jetzt die Weichen für eine bessere, unbürokratischere Agrarpolitik zu stellen. Davon hätte auch die Landwirtschaft mehr als von einem günstigeren Agrardiesel.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Hanno Christ.

Sendung: rbb24 Abendschau, 22.01.2024, 19:30 Uhr

50 Kommentare

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  1. 50.

    " Vom RBB würde ich mir.....
    Ich wünsche mir bei Antworten - das man sich über sachliche Kommentare, das "lustig machen" sich verkneift.
    Nobody, ist ein Experte der alles besser machen kann.

  2. 49.

    Die Mitglieder der Zukunftskommission Landwirtschaft sind keine Bauernfeinde. Ziel muss doch sein eine wettbewerbsfähige, ökologisch sinnvoll handelnde Landwirtschaft aufzubauen, bei der man auch ohne große Subventionen ordentlich verdient.
    Feind der kleine Ökobauern ist doch der Bauernverband selbst mit seiner Blockadehaltung. Wenn Subventionen nur nach Fläche und Größe gezahlt werden, dann geht das Bauernsterben munter weiter.
    Problem der Agrarminister der letzten Jahrzehnte ist, dass man sich dann mit den Lobbyverbänden des Einzelhandels, der Agrarindustrie, den Düngemittel-, Pflanzenschutz- und Tiermedizinherstellern anlegen muss, die sich alle in dieser Subventionspolitik eingerichtet haben.

  3. 48.

    Warum lassen wir Landwirtschaft in Deutschland nicht ganz bleiben? Windräder, PV, wo's geht, sonst besser als Bauland ausweisen. Landwirtschaft ist in anderen Ländern produktiver und billiger-wir Endkunden kaufen im Zweifel ohnehin das günstigste Produkt.

  4. 47.

    Vielleicht versuchen Sie es mal mit traditioneller chinesischer Medizin, wenn Ihnen Landwirtschaft nicht so liegt.

  5. 46.

    "Der Ackerbau in Deutschland ist dank unseres Klimas sehr wettbewerbsfähig." Wird uns nicht seit Jahren vermittelt, dass das Wetter (dramatisch auch "Klima" genannt)sich extrem ändert? Überschwemmungen, Extrem-Wettelagen, Stürme, Hitze und zum Schluss noch die Erderhitzung, zum Problem wird? Wovon redet also der Mann? Umsonst auf die Straßen geklebt? Umsonst Schule geschwenzt und auf der Stelle gesprungen? Umsonst der gefallenen schwedischen Säulenheiligen gefolgt?
    Dann noch "Sie hat die Hälfte der Kürzungen zurückgenommen ..." wovon spricht der Mann

  6. 45.

    Es geht schon lange nicht mehr nur um den Diesel und es geht auch nicht mehr "nur" um einen "Bauernaufstand" - falls das noch nicht so angekommen sein sollte. Es geht auch nicht um die Beschwörung "gelbwestenähnlicher Zustände", gar "Umsturzgedanken" oder kruden rechten Phantasien. Das Gesamtpaket ist für Bauern, Spediteure, Handwerksunternehmen schlicht ein Schlag ins Kontor und auch ins Gesicht. So etwas lässt sich keine Gruppe der Gesellschaft gefallen - oder doch? Vom RBB würde ich mir jedenfalls eine ausgewogenere Berichterstattung wünschen.

  7. 44.

    rbb, warum räumt ihr nicht mal den Bauern soviel Raum zur Stellungnahme ein wie deren Gegnern?
    Vielleicht wissen eure Antibauernexperten scheinbar nicht dass mit gutem Boden rein gar nichts gewonnen ist. Neben Polen blockieren gerade einige Länder den Getreideimport aus der Ukraine in die EU, weill die billigen Preise den Markt zerstören. Denn dort sind die Lohnkosten exorbitant niedriger.. deswegen kommen die Ukrainer seit Jahren hier her zum ernten. Unser schöner Spargel oder Deutsche Erdbeeren laufen ja nicht alleine in die Märkte. Wo kramt ihr nur immer solche "Experten" aus?
    Zudem drängt die EU seit Jahren zur Stillegung von schönen fruchtbaren Ackerflächen.
    Außerdem sind die Steuererhöhungen nur der Tropfen, der das Fass zum überlaufen gebracht hat. Der Experte sollte vielleicht mal Nachrichten lesen?!

  8. 43.

    Jeder, der halbwegs Betriebs- und Volkswirtschaftlich denken kann, wird bestätigen dass es so mit der Landwirtschaft nicht weitergehen kann.
    Es gibt z.B. Vorschläge der Borchert Kommission seit vielen Jahren, wie man die Situation der kleinen und mittleren Bauern helfen kann. Das hat weder Frau Klöckner noch der Herr Özdemir aufgegriffen, aus Angst vor den Lobbyverbänden.

  9. 42.

    Nun ja, wenn man bei anderen Themen ne nicht konforme Meinung hat, wird Einem kurioserweise die mögliche DDR-Vergangenheit immer „um die Ohren gehauen“…….mmmhhhhh.

  10. 41.

    "Na dann benennen Sie doch mal, wer heutzutage überhaupt noch als neutraler und damit offenbar als hörenswerter Gesprächspartner zu irgendeinem Thema genehm ist." Ich habe nicht das Interview kritisiert und der rbb weist ja auch deutlich in dem Kasten zur Person auf die Tätigkeit hin. Die Lösung ist, einfach nicht nur einer Person zuzuhören, sondern eine breite Meinungsvielfalt einzuholen von verschiedenen Experten. In dem Sinne ist diese Interview durchaus richtig und wichtig. Jetzt müssen noch andere Expertenstimmen dazu folgen mit anderen beruflichen Arbeitskontexten/Auftraggebern.

  11. 40.

    Es ist doch bekannt, dass Großindustrielle sich besser auf Staatskosten bereichern können.
    Als DBV-Präsident sieht man ihn sozusagen in der Elitelobby, wie die Großkonzerne ebenfalls.
    Für die kleinen Bauern wird klein-klein investiert. Im Verband kann Rukwied leicht für die Bauern sprechen, wenn er seine eigenen Schäfchen im Trockenen hat.

  12. 39.

    Gespart werden muss nun mal - siehe BVerfG. Bei den Kleinbauern gibt’s eh nichts zu mähen. Warum nicht dort, wo aus Steuererleichterungen lediglich der Profit, ohne Anreiz für strukturelle Änderungen in Richtung ökologischer Landwirtschaft, finanziert wird? Siehe Rukwied, der DBV-Präsi, der sich als großindustrieller Landwirt auf Staatskosten bereichert.
    „Im Jahr 2019 bewirtschafte Rukwied gut 350 Hektar Land und erhielt dafür knapp 100.000 Euro Agrarsubventionen von der EU. Laut der Zeitschrift Capital erhielt er für den Acker- und Weinbau auf 360 Hektar Fläche im Jahr 2022 rund 109.000 Euro EU-Subventionen.“

  13. 38.

    Blödsinn! Ein Wissenschaftlicher Beirat hat das jeweilige Ministerium nach wissenschaftlichen Erkenntnissen und Forschungsergebnissen zu beraten und nicht umgekehrt. Und der hat auch nicht die Interessen der Agrarlobby-/Bauernverbände zu vertreten.

  14. 37.

    Gespart werden muss nun mal - siehe BVerfG. Bei den Kleinbauern gibt’s eh nichts zu mähen. Warum nicht dort, wo aus Steuererleichterungen lediglich der Profit, ohne Anreiz für strukturelle Änderungen in Richtung ökologischer Landwirtschaft, finanziert wird? Siehe Rukwied, der DBV-Präsi, der sich als großindustrieller Landwirt auf Staatskosten bereichert.
    „Im Jahr 2019 bewirtschafte Rukwied gut 350 Hektar Land und erhielt dafür knapp 100.000 Euro Agrarsubventionen von der EU. Laut der Zeitschrift Capital erhielt er für den Acker- und Weinbau auf 360 Hektar Fläche im Jahr 2022 rund 109.000 Euro EU-Subventionen.“

  15. 36.

    Herr Spiller hat trotzdem recht! Diese Subventionspolitik muss grundsätzlich überarbeitet werden, weil sie ökologisch und wirtschaftlich arbeitende Bauern bestraft und Umweltzerstörer belohnt.
    Diese Subventionskürzungen sind zu kritisieren, weil diese ohne Konzept aus der Not heraus beschlossen wurden. Trotzdem darf sich diese Erpressungsnummer nicht lohnen, weil dann noch ganz andere Lobbyverbände auf der Matte stehen.

  16. 35.

    Die Bauern streiken aus dem Grund da die Regierung nicht in der Lage war, die jahrelangen Probleme zu verändern.
    Daher muss erstmal alles zurückgenommen werden und die anstehenden Probleme bearbeitet werden und dann kann mit dem begonnen werden was verändert werden soll.
    Sichtlich in allen Bereichen ist die Verunsicherung groß, nicht nur bei den Bauern.
    Jede der drei Parteien sehen nur Ihre Ziele und vergessen die Bevölkerung. Eigentlich sollten sie die Interessen der Wählerschaft vertreten.
    Eine vertrauensvolle Wertschätzung bekommen Bauern und wir Bürger leider nicht vermittelt.
    Ziele zu verwirklichen die eine Mehrheit der Bevölkerung anspricht ist auch ein Kreuz bei den nächsten Wahlen.
    Hinterher ist das jammern groß.
    Bevormundung und einseitige Durchsetzung erzeugt Unwohlsein. Mitgenommen werden hingegen beflügelt und ist Wohlfühlen.

  17. 34.

    Ich frage mich, warum Großagrarier Zuschüsse benöten.
    Warum erhält die Energiewirtschaft, nichts anderes ist ja der Mais, der in der Biogasanlage landet, Subventionen, die der Nahrungsmittelsicherheit dienen?
    Warum profitieren reine Lohnbetriebe von Subventionen, die ausschließlich Nahrungsmittel erzeugenden Landwirten zustehen sollten?
    Wie kann es sein, dass Brachland finanziell vergütet wird?
    Die Landwirte, vor allem die kleinen unter ihnen und der Mittelstand, sollten aufpassen, für wen sie demonstrieren.

  18. 33.

    Es ist eine nachträgliche Steuerrückzahlung, die Berechtigte beim Zoll beantragen und die im Nachhinein rückgezahlt wird.
    Die Bauern zahlen beim Tanken zunächst den normalen Preis.

  19. 32.

    Vergessen Sie die Obrigkeiten der früheren DDR, Vergleiche zu ziehen, im Jahr 2024 nach soviel Jahrzehnten?
    Die DDR ist Vergangenheit, wir leben in der Gegenwart, wo die Politik anders denkt, die Bürger anders denken müssen.
    Hatte die DDR diese Krisen, die Europa und Deutschland jetzt hat?

  20. 31.

    Wer mit dem Trecker von BW nach Berlin fährt wird sich wohl kaum über Äcker fortbewegt haben. Jedenfalls dürften Straßenblockaden mit Treckern nicht zu den Tätigkeiten gehören, für die es eine Steuerbefreiung beim Diesel gibt.

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