Schüler auf Klassenfahrt angegriffen - Polizei in Cuxhaven weist Vorwürfe von Kreuzberger Schule zurück
Nach einem Angriff auf einen 16-jähriger Berliner Schüler in Cuxhaven kritisiert seine Berlin-Kreuzberger Schule, die Polizei sei unpassend mit der Situation umgegangen - doch die kann kein Fehlverhalten erkennen. Die Schulleiterin nennt derweil weitere Details.
- 16-Jähriger aus Berlin erleidet bei Angriff in Cuxhaven doppelten Kieferbruch
- Schulleiterin erhebt Vorwürfe auch gegen Polizei und fordert "lückenlose Aufklärung"
- Polizei Cuxhaven weist Vorwurf der "Täter-Opfer-Umkehr" zurück
Die Polizei in Cuxhaven weist Vorwürfe einer Schule aus Berlin-Kreuzberg zurück, sie habe nach dem Angriff auf einen 16-jährigen Schüler durch einen Cuxhavener eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben.
Bereits am 12. Juni war ein Schüler, der mit seiner achten Klasse auf Klassenfahrt in der niedersächsischen Stadt war, von einem 62-Jährigen mit einem Motoradhelm niedergeschlagen und verletzt worden. Der Erwachsene habe den Jugendlichen und seine Mitschüler verdächtigt, einen E-Roller und ein daran befestigtes Handy stehlen zu wollen, hieß es von der Polizei.
Von der Schule hingegen hieß es in einer Mitteilung [externer Link], die Polizei habe zunächst nur wegen "einfacher Körperverletzung" ermitteln wollen, obwohl der Verlauf schon auf schwerwiegendere Vergehen hingedeutet habe. Auch seien Daten eines mutmaßlichen Mittäters erst nicht aufgenommen worden. Gegenüber dem rbb führte die Schulleiterin am Mittwoch aus, alarmierte Beamte hätten sich auch nicht ausreichend um den Verletzten gekümmert.
Die Polizei Cuxhaven hingegen nannte den Vorwurf der Täter-Opfer-Umkehr am Mittwoch "falsch" und "unzutreffend", er werde "in aller Schärfe zurückgewiesen". Man habe sich strikt an die Strafprozessordnung gehalten, deren Details den Verantwortlichen der Schule "offenbar nicht bekannt" seien.
"Anhaltspunkt für Straftat lag vor"
Die Polizei müsse Strafanzeigen aufnehmen, "solange zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen. Aus den Reihen der erwachsenen Beteiligten kam die konkrete Anzeige, die Schüler/-innen hätten versucht, entweder das gesamte Segway oder zumindest das Handy zu entwenden. Dieser Vorwurf ist zumindest nicht völlig fernliegend, so dass zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vorlagen, die Anzeige wegen des Verdachts des Diebstahls (eine Tat, die im Versuch strafbar ist), nicht nur gerechtfertigt, sondern gesetzlich geboten war", heißt es in der Antwort der Polizei. Die Beamten hätten also keinen anderen Spielraum gehabt; von einer Täter-Opfer-Umkehr könne also keine Rede sein.
Die Polizei teilte aber auch mit, eine eingeleitete Dienstaufsichtsbeschwerde werde nun intern geprüft. Die am Einsatz beteiligten Beamtinnen und Beamten würden befragt sowie vorhandenen Aussagen und Akteninhalte ausgewertet. "Soweit Defizite oder Optimierungsmöglichkeiten festgestellt werden, werden diese im Rahmen der internen Einsatznachbereitung aufgearbeitet."
Schüler erlitt doppelten Kieferbruch
Nach Schilderungen der Schulleiterin der Kreuzberger Ferdinand-Freiligrath-Schule, Anke Schmidt, war die Schulklasse gerade in der Stadt angekommen, als es zu dem Zwischenfall kam. "Letztendlich war es so, dass die Klasse gerade in Cuxhaven angekommen war, kurz eine Stunde Zeit hatte, bevor der Bus in die Jugendherberge weiterfuhr", berichtete sie am Mittwoch dem rbb.
Nach ihrer Kenntnis seien vier Schüler gemeinsam unterwegs gewesen und an einem Motorroller vorbeigekommen. "Dann sind zwei Männer auf sie zugelaufen. Die Schüler haben Angst bekommen, sind weggelaufen. Und dann kam es dazu, dass einer der Männer, der Ältere, sich einen Schüler gegriffen hat und ihm mit dem Motorradhelm ins Gesicht geschlagen hat", so die Schulleiterin.
Der 16-Jährige habe dadurch einen doppelten Kieferbruch erlitten, wie sich bei einer Untersuchung im Berliner Virchow-Klinikum ergeben habe. "Hier ist er dann operiert worden. Er hat jetzt mehrere Platten und Schrauben im Kiefer", so Schneider. Die anderen Schüler, die Zeugen der Tat wurden, seien psychologisch betreut worden.
"Zuerst wurde nur den erwachsenen Tätern zugehört"
Vorwürfe gegen Polizeibeamte in Cuxhaven wiederholte die Schulleiterin im Gespräch mit dem rbb: "Die Lehrkräfte schildern, dass die Polizisten dort den Schülern erstmal nicht zugehört haben, dass dem Jungen, der blutend am Boden saß, keine Unterstützung zuteil wurde, und dass die Schüler nicht aussprechen konnten, nicht sagen konnten, was passiert ist, sondern dass zuerst nur den erwachsenen Tätern zugehört wurde."
Die Klasse sei nach dem Vorfall nicht nach Berlin zurückgefahren, sondern habe wie geplant die Klassenreise erst drei Tage später beendet. "Es wurde tatsächlich auch am ersten Tag kurzzeitig überlegt, ob man das abbrechen soll. Es wurde sich dann dafür entschieden, dass die Klasse doch vor Ort bleibt, weil die Gegend einfach wunderschön ist und die Schüler sich lange auf diese Klassenfahrt gefreut haben. Wir haben uns dann dafür entschieden, vor Ort zu bleiben, damit nicht dieses Trauma mitgenommen wird nach Berlin. Und das war eine gute Entscheidung."
Sie erwarte nun aber eine lückenlose Aufklärung in Cuxhaven und auch Unterstützung der Stadt, so die Schulleiterin. Über die Vorwürfe hatte zunächst der Tagesspiegel [Bezahlinhalt] berichtet.
Anzeigen von beiden Seiten
Die Polizei hatte in einer Mitteilung vom Dienstag mitgeteilt, ein 62-jährigen Cuxhavener und sein Sohn hätten zunächst die Beamte alarmiert. Eine Gruppe Jugendlicher habe versucht, einen E-Roller zu stehlen, so der Vorwurf des 62-Jährigen. Daher habe man Verdacht auf "versuchten Diebstahl" in die Akten genommen.
Kurz danach habe einer der Jugendlichen "eine Körperverletzung zum Nachteil seines Freundes" angezeigt, heißt es in der entsprechenden Polizeimeldung. Den Angaben zufolge habe ein Mann den Freund mit einem Motorradhelm niedergeschlagen. Vor Ort seien die Beamten dann auf Jugendliche einer Schulklasse aus Berlin-Kreuzberg sowie die zwei Lehrkräfte getroffen. "Ein 16-jähriger Jugendlicher hatte hier Verletzungen und blutete aus dem Mund. Er wurde im Anschluss durch eine Rettungswagenbesatzung behandelt und in ein Krankenhaus gebracht." In diesem Fall sei der Verdacht auf "gefährliche Körperverletzung" aufgenommen worden.
Dienstaufsichtsbeschwerde durch Lehrerin
Außerdem habe sich am Tag darauf eine Lehrerin über den Umgang der Polizei mit dem verletzten 16-Jährigen beschwert. Daraufhin sei eine Dienstaufsichtsbeschwerde-Verfahren eingeleitet worden, hieß es. Diese umfasse "unter anderem ein von der Lehrerin vorgetragenes Fehlverhalten der eingesetzten Beamten als auch Äußerungen, die getätigt worden sein sollen", heißt es in der Pressemitteilung. Um welche Art von Äußerungen es sich dabei handelte, wird darin nicht erwähnt.
Die Polizei Cuxhaven geht nach eigenen Angaben nicht davon aus, dass es für das Ereignis einen politisch motivierten Hintergrund oder andere Motive gibt.
Sendung: rbb24 Abendschau, 21.06.2022, 19.30 Uhr