Berliner Lagebild - Mehr Deutsche unter mehr Clankriminellen
Die Zahl der Kriminellen aus arabisch-türkischen Clans steigt - ebenso der Anteil deutscher Staatsangehöriger unter ihnen. Abschiebungen werden seltener möglich, ein Aussteigerprogramm ist nicht in Sicht, und Vermögensabschöpfung gelingt kaum. Von Olaf Sundermeyer
Clankriminelle aus Deutschland abschieben – das sei keine umfassende Lösung mehr für dieses über Jahrzehnte gewachsene Kriminalitätsphänomen. Darüber herrscht unter den Fachleuten in Landeskriminalämtern und Staatsanwaltschaften der durch die Clankriminalität besonders betroffenen Bundesländer seit Jahren Einigkeit.
Dafür sei es längst zu spät - einige hätten sich entsprechende politische Initiativen vor zwei bis drei Jahrzehnten gewünscht, als das Thema noch politisch tabuisiert wurde.
Denn annährend die Hälfte der Clankriminellen in Deutschland sind inzwischen deutsche Staatsangehörige - auch in Berlin (2022: 44,7 Prozent), wo der Anteil im Vorjahresvergleich weiter gestiegen ist (2021: 42,5). Das geht aus dem aktuellen "Lagebild Clankriminalität 2022" des Landeskriminalamtes (LKA) in der Hauptstadt hervor.
Insgesamt weist das Lagebild 582 Personen als Clankriminelle aus (2021: 519), und damit um 12 Prozent mehr als im Vorjahr. 872 Straftaten wurden gezählt (2021: 849). Klar wird auch, dass die jahrelangen politischen Forderungen nach einem Ausstieg von Clankriminellen sowie danach, den Clans das kriminell erwirtschaftete Geld wieder abzunehmen, in Berlin kaum erfüllt werden können.
Annähernd die Hälfte der Clankriminellen sind deutsche Staatsbürger
Carsten Szymanski, als Abteilungsleiter beim LKA für Auswertung und Analyse zuständig, geht davon aus, dass der Anteil der deutschen Staatsangehörigen unter den Clankriminellen weiter zunehmen wird. "Vorangegangene Generationen sind eingewandert - oft als Staatenlose. Es sind Kinder geboren worden. Und diese Kinder sind deutsche Staatsangehörige. In Berlin geboren, in Berlin groß geworden, und insofern auch Berliner", sagte er im Gespräch mit dem rbb. Die wiederkehrende pauschale Forderung, öffentlich bekannte Clankriminelle abzuschieben, sei "an dieser Stelle unsinnig".
Dagegen zeigten die wenigen erfolgreichen Abschiebungen von Berliner Clankriminellen, etwa in den Libanon (2022: 14,95 Prozent der Clankriminellen sind libanesische Staatsangehörige), "durchaus Wirkung". Das Land kooperiert seit einigen Jahren beim Umgang mit Clankriminellen in besonderer Weise mit den Berliner Sicherheitsbehörden, anders als beispielsweise die Türkei (2022: 4,81 Prozent der Clankriminellen sind türkische Staatsangehörige).
Das Berliner "Lagebild Clankriminalität" bezieht sich ausschließlich auf Personen aus türkisch-arabischen Großfamilien, anders als beispielsweise in Niedersachsen, wo auch die Kriminalitätsbelastung anderer geschlossener ethnischer Gruppen analysiert und der Clankriminalität zugeordnet werden (für 2022 am Beispiel einer besonders kriminalitätsbelasteten Roma-Großfamilie). In Nordrhein-Westfalen gibt es nach rbb-Informationen einen aktuellen Minister-Erlass, demnach künftig auch originäre Großfamilien aus Syrien im jährlichen Lagebild Clankriminalität analysiert werden sollen.
Berlin rechnet den Clankriminellen 2022 zu 2,06 Prozent Menschen zu, die sich als syrische Staatsbürger ausweisen. Das sind 12 Personen (2021: 2,50 Prozent). Nach rbb-Informationen gibt es in Sicherheitskreisen Nachweise dafür, dass einige der seit langem in Deutschland lebenden Mitglieder polizeibekannter türkisch-arabischer Clans im Zuge der Flüchtlingskrise nach 2015 syrische Pässe vorgelegt haben, und seither als syrische Staatsbürger gelten.
Der aktuelle Vorschlag von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zur Abschiebung von Clankriminellen, die strafrechtlich als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung behandelt werden, kann sich insgesamt also nur auf eine immer kleiner werdende Gruppe der Clankriminellen beziehen. Der Vorschlag gilt als politisch umstritten, zudem juristisch schwierig umsetzbar.
Unter den deutschen Staatsangehörigen sind zahlreiche Straftäter aus polizeibekannten Clans, die sich in den vergangenen Jahren unter den Augen der Hauptstadtöffentlichkeit radikalisiert haben - bis zum Diebstahl der Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum oder dem Einbruch ins Grüne Gewölbe und dem Juwelendiebstahl in Dresden. Auch für den Einbruch in einen Tresorraum in der Fasanenstraße in Charlottenburg im November 2022 macht das LKA mindestens drei Clan-Mitglieder mit deutscher Staatsangehörigkeit verantwortlich. Bei dem Coup haben die Täter eine Beute im Wert von fast 50 Millionen Euro gemacht.
Statistisch bleiben es allerdings Einzeltaten. Am häufigsten wurden Betrugsstraftaten (125) gezählt, Verkehrsstraftaten (122) und Rohheitsdelikte (120). Insgesamt neun Verfahren der Organisierten Kriminalität (OK) mit Clan-Bezug weist das LKA für 2022 auf rbb-Nachfrage aus (201: 15 OK-Verfahren): Im Lagebild sind diese noch nicht offiziell erfasst.
Aussteigerprogramm für Clankriminelle gibt es bis heute nicht
Clankriminalität bleibt ein Berliner Problem, für das der damalige Innensenator Andreas Geisel (SPD) 2018 einen 5-Punkte-Plan entwickelt hatte. Auf diesem Konzept fußt auch das aktuelle Lagebild des LKA: Unter anderem sollte ein Aussteigerprogramm her, das es bis heute nicht gibt. Zum Leidwesen des Berliner LKA, das in seinem Lagebild auf die Notwenigkeit eines Aussteigerprojekts hinweist. Auf Nachfrage erklärte Carsten Szymanski: "Wir hatten schon mal einen Fall, um den wir uns intensiv gekümmert haben. Und da gab es zum Beispiel die Schwierigkeit, einen männlichen jungen Mann unterzubringen. Dafür gibt es keine Unterbringungsmöglichkeit."
Innensenatorin Spranger fordert Beweislastumkehr
Als zweiter wesentlicher Punkt und politische Forderung galt stets, den Clans das kriminelle Vermögen wieder wegzunehmen. Auch das gelingt nur in sehr überschaubarem Maße. LKA-Abteilungsleiter Szymanski berichtet von "Vermögen im oberen fünfstelligen Bereich", das bei den Clankriminellen 2022 erfolgreich eingezogen werden konnte. Auch deshalb stellt das LKA in seinem Lagebild die Forderung nach einer gesetzlichen Beweislastumkehr auf. Im Zuge der Beweislastumkehr müssten Tatverdächtige - und nicht wie bisher die Strafverfolgungsbehörden - den Nachweis erbringen, dass ihre Vermögenswerte legal erworben wurden.
Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) machte daraus in ihrer Bewertung des Lagebildes einen konkreten politischen Vorschlag: Als Vorsitzende der Innenministerkonferenz der Länder fordert sie eine gesetzliche Beweislastumkehr im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität nach dem italienischen Vorbild im Kampf gegen die Mafia. Sie wolle diesen "wichtigen Baustein zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität" mit ihren Amtskollegen voranbringen. Mit dem bisherigen gesetzlichen Instrument zur Vermögensabschöpfung stoße man - so Spranger - bei der Einziehung illegal erlangten Vermögens aus Immobilien oder Luxusautos immer wieder an Grenzen.
Sendung: radioeins, 12.08.2023, 12 Uhr