Bau von neuem Stadtquartier - Schon 300.000 Funde bei archäologischen Grabungen am Molkenmarkt
In der historischen Mitte Berlins soll ein neues Quartier entstehen - zuvor wird der Boden systematisch von Archäologen durchsucht. Dabei wird allerhand gefunden.
Bei den 2019 begonnenen, großangelegten archäologischen Grabungen am Berliner Molkenmarkt, der historischen Mitte Berlins, sind bisher rund 300.000 Objekte gefunden und dokumentiert worden. Es handelt sich um Zeugnisse unterschiedlichster Epochen vom Mittelalter bis zur Neuzeit, wie der Wissenschaftliche Projektleiter Eberhard Völker der Deutschen Presse-Agentur sagte.
"Unser wohl spektakulärster Fund war ein Goldring mit Schmuckstein aus der Zeit um 1400", berichtete der Experte vom Landesdenkmalamt. "Bis dahin war kein Fund eines Ringes aus jener Zeit in Berlin dokumentiert. Wir nennen ihn deswegen auch Berliner Ring."
Zugeschüttetes Kraftwerk wieder freigelegt
In einer großen, vor Hunderten Jahren womöglich als Latrine genutzten Grube entdeckte das Grabungsteam ungewöhnlich viele Alltagsgegenstände aus der Mitte des 15. Jahrhunderts. Dazu zählten ein silberbeschlagener Gürtel, mehr als 1.000 Lederobjekte wie Schuh- und Bekleidungsreste, hochwertige Ofenkacheln, 200 Kilogramm damals sehr teures Fensterglas, Gefäße aller Art, Kämme, Münzen, ein Steinpüppchen, Würfel oder Murmeln.
Direkt neben dem Roten Rathaus wurden die Reste eines 1889 eröffneten Kraftwerkes freigelegt, genannt Centralstation. "Der Komplex zeugt von den Anfängen der Elektrifizierung Berlins", sagte Völker. 30 Jahre lang wurde dort aus Dampf Strom erzeugt, später diente die Anlage als Umformwerk, wandelte also Gleichstrom in Wechselstrom um.
Der Molkenmarkt ist der älteste Platz Berlins und blickt auf rund 800 Jahre Siedlungsgeschichte zurück. Einige urgeschichtliche Befunde legten zudem nahe, dass sich bereits vor 8.000 bis 10.000 Jahren Menschen hier aufhielten.
Die aus dem 18. Jahrhundert stammende Bebauung mit Steinhäusern versank gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in Trümmern. Anschließend wurden weite Teile des zwei Hektar großen Areals zugeschüttet, unter anderem entstand zwischen Rathaus und Stadthaus die heutige Grunerstraße als breite Magistrale.
Grabungen bis 2025 - mit Baggern und den bloßen Händen
Innerhalb eines Jahrzehnts soll auf dem Molkenmarkt nach dem Willen des Berliner Senats ein neues Stadtquartier mit Wohnungen, Gewerbe, Kultur und Erholungsmöglichkeiten entstehen. Zuvor sind die Archäologen am Zug, die das Areal in drei bis fünf Metern Tiefe systematisch und schrittweise untersuchen. Dabei kommt ein Bagger zum Einsatz, es ist aber auch viel Handarbeit mit Schaufeln, Sieben, Spachteln, Besen und anderem Werkzeug nötig.
"Unsere Grabungen werden voraussichtlich bis 2025 dauern", erläuterte Völker. Sein 18-köpfiges Team umfasst unter anderem Archäologen, Grabungstechniker, und -helfer, Fundbearbeiter, Zeichner und Dokumentare. Ihr Aufgabe ist es, die Funde zu bergen, zu fotografieren und dokumentieren und schließlich zu inventarisieren. Anschließend werden sie beim Landesdenkmalamt im Stadthaus direkt am Molkenmarkt oder in Räumlichkeiten in Charlottenburg eingelagert.
Aber auch alte bauliche Strukturen, die nicht geborgen werden und später im Zuge des Neubaus verschwinden, sollen der Nachwelt ein stückweit erhalten bleiben. Eine wichtige Rolle dabei spielt die sogenannte SFM-Dokumentationstechnik, mit deren Hilfe das gesamte Areal für ein virtuelles Abbild dreidimensional erfasst wird.
Blick in die Vergangenheit - Präsentation im nächsten Jahr
Die Aufarbeitung und Analyse des allermeisten gewonnenen Materials wird nach den Worten Völkers erst 2026 beginnen. Bis dahin haben die Grabungen Priorität, die in einem engen Zeitplan stattfinden. "Wir haben es hier mit der größten Stadtkerngrabung in Deutschland zu tun", ordnete Völker die Arbeit ein. "Das ist der Siedlungskern von Berlin, das ist für Stadtgeschichte sehr wichtig. Wir graben quasi den damaligen Alltag aus."
Vor allen Beteiligten vor Ort liegt noch eine große Aufgabe. Der nächste Grabungsabschnitt wird im kommenden Jahr unter der Grunerstraße eröffnet. "Bis zum Ende unserer Untersuchungen rechne ich mit zahlreichen weiteren Fundstücken", schätzt Völker.
Bereits 2024 sei eine erste etwas breitere Präsentation von Funden im dann eröffneten Archäologischen Haus am Petriplatz geplant. Später im neuen Stadtquartier soll die lange urbane Historie des Molkenmarktes in sogenannten archäologischen Fenstern sichtbar werden, in denen Ergebnisse der Ausgrabungen gezeigt werden.
Sendung: rbb 88.8, 12.09.2023, 09:30 Uhr