Gerichtsakten veröffentlicht -
Wegen der Veröffentlichung von Dokumenten aus einem laufenden Ermittlungsverfahren gegen die Klimaschutzgruppe "Letzte Generation" hat die Berliner Staatsanwaltschaft Anklage gegen einen Aktivisten und Journalisten erhoben.
Der Chefredakteur der Transparenz- und Rechercheplattform "FragDenStaat", Arne Semsrott, soll bewusst drei Beschlüsse des Amtsgerichts München im Wortlaut im Netz veröffentlicht haben. Damit hätte er gegen das Verbot der wortgetreuen Veröffentlichung von Ermittlungsakten und Gerichtsentscheidungen aus laufenden Ermittlungsverfahren verstoßen.
Der 35-Jährige soll gegen das Gesetz verstoßen haben, um auf diesem Weg die Gesetzeslage grundsätzlich von Bundesgerichten klären zu lassen. Das teilte die Berliner Staatsanwaltschaft am Dienstag mit. Zuvor hatte das Rechtsmagazin "Legal Tribune Online" berichtet.
Semsrott moniert Beschränkung der Pressefreiheit
Semsrott hatte im August 2023 drei Gerichtsbeschlüsse, die zum Teil geschwärzt waren, in einem Artikel bei "FragDenStaat" veröffentlicht. Das Münchner Gerichtsverfahren befasste sich mit Durchsuchungen bei der "Letzten Generation" und der Überwachung des Berliner Pressetelefons der Aktivisten durch das bayerische Landeskriminalamt.
Nun teilte Semsrott der Nachrichtenagentur DPA mit, dass der Fall für ihn eine Rechtsfrage darstellt: "Es kann nicht sein, dass die Pressefreiheit durch das Veröffentlichungsverbot derart eingeschränkt wird. Der Gesetzgeber muss die Norm endlich streichen. Ich hoffe, dass der Fall zu einer grundsätzlichen Klärung führt."
Der entsprechende Paragraf des Strafgesetzbuches sei "Ausdruck einer veralteten Vorstellung von Medienöffentlichkeit", erklärte Semsrott laut einer Mitteilung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die den Journalisten unterstützt. "Es ist ein Skandal, dass der Gesetzgeber noch immer nicht die Norm gestrichen hat oder wenigstens eine Ausnahme zugunsten der Pressefreiheit eingeführt hat."
Semsrotts Anwalt Lukas Theune betonte im Magazin "Legal Tribune Online": "In Zeiten von Fake News muss das Interesse an wahrheitsgetreuer und akkurater Berichterstattung besonders groß sein. Strafrecht, das kritische Berichterstattung zu Ermittlungsverfahren verhindert, ist ein Fremdkörper." Der Paragraf gehöre abgeschafft.
Semsrott: Strafnorm veraltet
Der Fall rückt Paragraf 353d des Strafgesetzbuchs in den Fokus. Der schreibt vor, dass die Anklageschrift oder andere amtliche Dokumenten eines laufenden Strafverfahrens nicht veröffentlicht werden dürfen. Laut Wissenschaftlichem Dienst des Deutschen Bundestags [bundestag.de] greift das Gesetz, wenn die Veröffentlichung stattfindet, bevor über entsprechende Dokumente öffentlich verhandelt wird oder das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist. Als Strafmaß ist eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe festgelegt .
Die Staatsanwaltschaft erhob ihre Anklage nicht beim eigentlich zuständigen Amtsgericht, sondern gleich eine Stufe weiter oben beim Landgericht Berlin. Die Rechtsfragen hätten eine besondere Bedeutung im Hinblick auf die Pressefreiheit, erklärte ein Behördensprecher. Anklage wurde bereits am 25. Januar erhoben, die Generalstaatsanwaltschaft gab sie erst jetzt bekannt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 20.02.2024, 16:00 Uhr