Charité-Psychiater zu steigenden Attacken - "Bestimmte Messer zu verbieten, finde ich sehr nachvollziehbar"

Mo 12.08.24 | 08:17 Uhr
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Eine Hand hält ein Messer (Quelle: picture alliance/PYMCA/Photoshot/Oliver Grove)
Video: rbb24 Abendschau | 12.08.2024 | Marie Steffens | Bild: picture alliance/PYMCA/Photoshot/Oliver Grove

In Berlin geraten derzeit Messerattacken in den Fokus der Politik. Der Psychiater Andreas Heinz spricht im Interview darüber, wie sich Messerattacken eindämmen lassen und welche Hilfe die Opfer brauchen.

rbb|24: Herr Heinz, in Berlin gab es ziemlich viele Messerangriffe in letzter Zeit. Was macht das mit dem Sicherheitsempfinden der Menschen?

Andreas Heinz: Ich denke, es kommt darauf an, wie es aufgearbeitet wird und größere Bevölkerungsgruppen reagieren. Wenn sie in die USA gucken, gibt es die Tendenz, dass sich nach jedem Angriff mit Schusswaffen in der Regel noch mehr Menschen bewaffnen. Dort steigt mit der Bewaffnung aber wieder das Risiko, dass die Waffen auch eingesetzt werden.

Zur Person

Prof. Andreas Heinz, Direktor Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Charité
rbb

Professor Andreas Heinz ist Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité. Der Mediziner habilitierte sich in Psychiatrie und in Philosophie. Neben seiner Tätigkeit an der Charité ist Heinz auch in verschiedenen wissenschaftlichen Gesellschaften aktiv. Er war unter anderem Präsident der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Zudem ist er Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen und Herausgeber eines Lehrbuchs zur interkulturellen Psychiatrie und Psychotherapie.

Also eine Gewaltspirale?

Das ist ein schwieriger Vorgang. Da sind Soziologen gefragt. Aber es sinken Hemmschwellen. Mehr Leute tragen Messer mit sich herum. Mehr Leute fürchten, dass etwas passieren könnte. So eine Messerattacke ist auch nicht immer geplant, sondern häufig eine Reaktion. Dann nützt die Bewaffnung weniger, wenn sie in der Bevölkerung breiter wird, sondern führt eher dazu, dass die Waffen eingesetzt werden.

Jetzt fordert die Berliner Innensenatorin Iris Spranger, dass Messer strenger reguliert und etwa Springmesser verboten werden sollen. Wie effektiv ist so etwas?

Bestimmte Messer zu verbieten, finde ich sehr nachvollziehbar. Aber leider können Sie mit jedem Küchenmesser jemanden angreifen. Ein Verbot ist also schwer zu kontrollieren und durchzuführen. Den Ansatz finde ich aber erst einmal richtig.

Was könnte man noch tun, um Messerattacken einzudämmen?

Es gibt meines Wissens nach wenig Gewaltprävention in den Schulen und Aufklärung darüber. Reden über Formen der Auseinandersetzung, Trainings – da gibt es einiges, was man machen könnte. Wir haben zudem ein großes Problem mit der Berliner Forensik, also dem Maßregelvollzug, wo Menschen untergebracht werden, die aus psychischen Problemen heraus Gewalttaten begehen. Das ist unterausgestattet trotz Überbelegung, der Leiter ist zurückgetreten, die Psychiatriebeauftragte ist zurückgetreten.

Kann man denn bei Messerattacken sagen, dass die Täter eher Menschen sind, die psychische Erkrankungen haben?

Nein, da muss man sehr aufpassen. Menschen mit psychischen Erkrankungen machen in der Regel weniger und nicht mehr Gewalttaten als andere, weil sie häufig Angst haben und eher Opfer werden. Aber als Psychiater muss ich sagen: Der Bereich, der mit dem Spektrum von Menschen umgeht, die dann doch mal gewalttätig werden, der ist gerade sehr schlecht in Berlin.

Gibt es eine Möglichkeit, sich vor Messerattacken zu schützen?

Ach Gott, ich glaube, man muss das im Verhältnis sehen: Wir haben in Deutschland eine relativ niedrige Rate an Gewaltkriminalität im Vergleich zu anderen Industrieländern. Allerdings gibt es offenbar ansteigende Gewaltkriminalitätszahlen, gerade mit Messern. Gewaltpräventionskurse oder mehr Aufklärung in Schulen wäre eine Möglichkeit. Ebenso ein Verbot von bestimmten Messern, was dazu führen könnte, dass weniger Menschen die mit sich führen und die in einem Streit zur Hand haben. Das gilt besonders für Männer, denn neun von zehn Gewalttaten werden durch Männer begangen.

Und wir müssen auch daran denken, dass in Deutschland ungefähr die Hälfte aller Gewalttaten unter Alkoholeinfluss verübt wird. Da kann man auch gucken, ob man das besser regulieren könnte. Es gibt jetzt zum Beispiel Ansätze, das Trinkalter wenigstens mit dem begleiteten Trinken nach oben zu schieben.

Gibt es nach Messerattacken bestimmte Reaktionen, dass man sich etwa bewaffnet oder Pfefferspray trägt?

Das ist eigentlich bei Menschen, die Opfer werden, nicht anders als bei allen anderen. Es gibt dann oft eine Tendenz, dass Menschen mehr Waffen mit sich rumtragen, was leider dann auch dazu führen kann, dass insgesamt mehr passiert.

Welche Folgen haben Messerattacken auf der Straße für die Opfer?

Menschen, die individuell angegriffen werden, sind in aller Regel hinterher traumatisiert. Das Erlebte kann wieder auftreten in Erinnerungen oder Albträumen. Das kann auch dazu führen, dass man bestimmte Situationen meidet, weil man große Angst bekommt.

Wie kann man den Opfern dann helfen?

Die brauchen soziale und gesellschaftliche Unterstützung. Je vereinsamter Menschen sind, desto schwieriger ist die Bewältigung. Es gibt dazu direkte Hilfsangebote, etwa im Hedwig-Krankenhaus. Dort können sie nach Gewaltangriffen direkt hingehen und erhalten unkompliziert Sitzungen zum Umgang mit Traumatisierung. Es gibt aber auch andere Gesundheits-Rettungsstellen und Ämter, um nach Hilfe zu fragen.

Warum ist gerade gesellschaftliche Unterstützung wichtig?

Generell ist es so, dass Traumatisierungen desto stärker stattfinden, je individueller die Belastung ist. Wenn Sie eine Naturkatastrophe erleiden – alle sind von einem Tsunami betroffen und viele Menschen ertrinken – dann ist furchtbar. Aber die Gemeinde hält zusammen und die Überlebenden haben wenigstens Unterstützung. Dann sind die Traumatisierungsraten niedriger, als wenn sie individuell Opfer einer Gewalttat werden. Aber natürlich ist es auch abhängig von den einzelnen Personen.

Vielen Dank für das Gespräch.


Das Gespräch führte Marie Steffens für die rbb24 Abendschau.

Sendung: rbb24 Abendschau, 11.08.2024, 19.30 Uhr

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93 Kommentare

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  1. 93.

    Arme SPD! Damit will sie beim Bürger punkten?

  2. 92.

    Ein Herumdoktern, ohne das grundsätzliche Problem anzusprechen. Das wird nichts bringen.
    Ich persönlich hoffe, dass eine derart unfähige Partei nicht mehr gewählt wird.

  3. 91.

    "1990 in Berliner Umland war. Man konnte sich ja kaum dort bewegen, wenn man ein bisschen anders aussah, schrecklich. Eine völlig verrohte Gesellschaft lebte dort damals und die kommt jetzt halt wieder hoch." Es wäre nett, wenn Sie das mal etwas erläutern könnten.

  4. 88.

    "Es ist bereits erwiesen, dass das Strafmaß gar nichts an den Taten ändert." Das ist so nicht korrekt. Wenn ein Täter sich bewusst für eine Straftat entscheidet, dann ist dem tatsächlich so, da der Täter dann explizit davon ausgeht, nicht erwischt zu werden. Bei anderen Straftaten ist es aber so, dass es durchaus abschreckende Momente gibt, insbesondere bei der Überlegung, ob man wirklich in solch eine Situation kommen möchte oder dem nicht besser gleich aus dem Weg geht. Da Messerstraftaten in der Regel spontan sind, weil das Messer halt gerade verfügbar ist, bringt es durchaus etwas, wenn man das Messer eben nicht griffbereit mitführt. Dann kommt der Täter gar nicht erst in Versuchung. Eine harte Mindeststrafe kann da sehr wohl einen erzieherischen Effekt haben, eine höhere Höchststrafe, wie die Politik sie immer wieder fordert, bringt dagegen wenig mehr an Prävention.

  5. 87.

    Leider ist aber bei Meldungen wie dieser aktuellen vom rbb:
    https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2024/08/berlin-neukoelln-34-jaehriger-stirbt-nach-messerangriff.html
    Ja trotz Verhaftung wohl nicht viel über Täter und oft auch Opfer bekannt. So lassen sich sehr schwer bestimmte Gruppen enger abgrenzen oder ermitteln für die Polizei, um dann gezielter Prävention betreiben zu können.

  6. 86.

    Bezahlinhalt und der Autor schreibt auch für rechtsextreme Magazine. Also Inhalt gleich Null.

  7. 85.

    "Wichtiger wäre wohl die Eingrenzung der typischen Täter und präventives Eingreifen bei den betroffenen Gruppen und sei es nur verstärkte Kontrolle dieser ermittelten typischen Gruppen durch die Polizei."

    Es war erwartbar, dass sich AfDler des Themas dankbar annehmen werden. Die Grundlage dieser Verrohung der Gesellschaft aber geht von ihnen aus. Hass und Hetze.

  8. 84.

    Danke. Mir waren neben Elektroschockern noch Wurfsterne in allen Größen aufgefallen. Also nicht hinterher wundern, die Szene ist versorgt.

  9. 83.

    Eigentlich schon veraltet das Interview, da Faeser gerade ein Messerverbot für klingen >6cm einführen will. Verbot bringt verm. nichts, da sich die Täter die ein Messer einsetzen wohl kaum von einem Verbot abschrecken lassen. Als jmd der nichts Böses im Sinn hat, fühlt man sich aber gegängelt, weil man jetzt sein Schweizer Taschenmesser nicht mehr dabei haben darf. Symbolpolitik

  10. 82.

    Im zitierten Jahr 1990 gab es fast an jeder Ecke Waffenläden. Zumindest in Berlin. Im Sinne von Schreckschuss sowie große Auswahl an Messern, Spray, glaube sogar Schlagstöcke und Ringe waren noch erlaubt usw. Gekauft werden konnte ab 18 Jahren ohne Reglementierung.

  11. 81.

    Es ist bereits erwiesen, dass das Strafmaß gar nichts an den Taten ändert. Das ist aber hinreichend bekannt.

    Mein Sohn wurde von einem Rechten mit einer Flasche attackiert und wäre beinahe verblutet, der Täter sollte 500€ zahlen, das war es. Mein Sohn blieb mit den Folgen der Tat allein, physisch und psychisch und der Wiederholungstäter, mittellos, bekam noch einen Sozialarbeiter an seine Seite. Schließlich kann man Menschen resozialisieren, das Opfer ist da schlecht aufgestellt, das muss sich oftmals beim Weißen Ring Hilfe holen. Mein Sohn wollte die 500€ übrigens nicht vom Täter.
    Sie sehen schon, auf einmal härtere Strafen zu fordern, wird ja nichts ändern können. Ändern können wir nur etwas, wenn wir die Menschen resozialisieren und rechtes Gedankengut aus den Köpfen bekommen. Jedenfalls in diesem Fall.

  12. 80.

    Nix da. Um eine Schreckschusswaffe offiziell außerhalb der eigenen Wohnung zu führen, benötigt man mittlerweile den kleinen Waffenschein.

    Es ist total egal, ob Messer mit bestimmter Klingen verboten werden. Was kommt als nächstes? Schraubenzieher länger als 10cm? Verbot von Stahllinealen, Teppich-Cutter, Scheren...? Es ist der völlig falsche Ansatz liebe Politiker. Und außer viel Gewese in den Medien, wird er auch nichts bringen. Denkt noch einmal intensiv nach, wie man das Problem in den Griff bekommt. Ich bin guter Dinge, auch ihr kommt darauf!

  13. 79.

    Ein Waffenladen? Bestimmt meinen Sie einen für Jäger oder Sicherheitskräfte. Da kann aber nicht jeder kaufen. Ansonsten hätte ich gerne mal eine Beleg für diese Behauptung.

  14. 78.

    Verbietet man Messer, nehmen sie Schraubendreher, Scheren usw.

  15. 77.

    Eine völlig verrohte Gesellschaft lebte dort damals und die kommt jetzt halt wieder hoch.


    Selten so einen Blödsinn gelesen.
    Ich war 1990 erstmalig in Hamburg. Das erste was mir auffiel war ein Waffenladen. Da gab es alles was der Killer braucht und ich war schockiert. Inzwischen kauft ja nun jede Hausfrau ihr Gasfläschen und die Männer halt die Schreckschusspistole und die versenkbare Klinge. In der "verrohten" Gesellschaft war sowas bis 1989 verboten. Wodurch wurde der Wandel also vollzogen?

  16. 76.

    Durch die Beschreibung "Elternhaus und Schule" habe ich die Tätergruppe GANZ genau eingegrenzt. Wir sprechen von einem Macho-Paralleluniversum, in den Jungs ALLES dürfen und Mädchen NIX. Wer Kindern keine Grenzen setzt bzw. sie nicht mit den Grenzen der sie umgebenden Gesellschaft (nicht des Paralleluniversums...) bekannt macht, hat den Effekt, dass alles erlaubt ist, was man sich selber erlaubt, was der Cousin gut findet und wo Mutter keenen Schreikrampf bekommt.

    Solange das Ziel des Lebens ist "sich irgendwie zu finanzieren", sind die üblichen Verdächtigen nicht weiter also bei Tagelöhnern am Alexanderplatz ca. 1905.

    Erst wenn klar wird, dass man mit BILDUNG sein Leben FINANZIEREN und ARBEITEN kann, könnte sich was ändern. Ein weiter Weg. War in Deutschland damals nicht anders...

  17. 75.

    Und sie sind ein notwendiges Utensil bei gewissen Sportarten, z.T. sogar ist gesetzlich im Fischereigesetz vor geschrieben, wie ein geangelter Fisch zu töten ist, nämlich nach Betäubung durch einen Schlag auf den Nacken mit einem gezielten Stich ins Herz und dafür eignet sich nun einmal kein Schweizer Taschenmesser, sondern nur eine starke Klinge, die nach dem Öffnen des Messers arretiert wird um beim Stich nicht wieder zuschließen!

  18. 74.

    Oh, jetzt habe ich wohl eine bildungslücke gefüllt? Jewisset Milljö jabs imma. Jeder wußte wo.

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