Unterbringung Geflüchteter in Berlin - "Wir sind nicht am Limit, aber wir müssen uns besser organisieren"
Berlin und Brandenburg rechnen auch dieses Jahr mit zehntausenden Flüchtlingen. Die, die hierbleiben, werden Wohnungen, Kita- und Schulplätze brauchen. Doch all das ist knapp. Bürger und Politiker fragen sich: Ist das noch zu schaffen oder sind wir am Limit? Von Sylvia Tiegs
- 2022 hat das Berliner Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) 95.000 Geflüchtete erfasst und erstversorgt – so viele wie niemals zuvor
- Ende vergangenen Jahres gab es 30.000 Unterkunftsplätze für Geflüchtete in Berlin – auch das ein Rekord
- Brandenburg hat 2022 fast 39.000 Flüchtlinge aufgenommen und rechnet für dieses Jahr mit rund 26.000 Geflüchteten
Früher checkten im Hotel "Adrema" in Berlin-Moabit Touristen ein. Heute sind es Flüchtlinge. In der großen Eingangshalle befindet sich immer noch die Rezeption, hier werden Neuankömmlinge registriert und bekommen dann Handtücher, Bettwäsche und Hygieneartikel. Damit sie starten können in der "Erstunterkunft".
Rund 300 Menschen leben aktuell im "Adrema", die meisten stammen aus dem arabischen Raum, dem Iran und der Republik Moldau. Anwohner aus dem Moabiter Kiez haben für sie gespendet, vor allem Kleidung und Spielzeug. An Nächstenliebe mangele es nicht, sagt Einrichtungsleiter Clemens Müller: "Die Leute haben ein großes Bedürfnis zu helfen, wenn sie können. Das merken wir immer wieder, und das ist sehr schön."
Lange Verfahren erschweren Prozess
Schön fand man beim Unionhilfswerk auch, dass man das frühere Hotel mit seinen 130 voll möblierten Zimmern überhaupt bekam. Die Verwalterin - die OfficeFirst Real Estate aus Frankfurt/Main - überließ es dem Sozialträger mietfrei, bis 31. Juli. Ein Glücksfall, erinnert sich Kathrin Weidemeier, Geschäftsführerin beim Unionhilfswerk und für die Moabiter Unterkunft mit zuständig.
Kein Glücksfall war aus ihrer Sicht das Tempo, mit dem das Gebäude belegt werden konnte: Im März 2022 habe man das Hotel dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) angeboten. Doch erst "nach einem Verwaltungsakt sondergleichen", so Weidemeier, habe der erste Bewohner einziehen können. Das war Ende Oktober, volle sieben Monate später: "Da ist noch deutlich Luft nach oben".
Die derzeitige Leiterin des LAF, Staatssekretärin Wenke Christoph (Linke), weist die Kritik zurück. Zwar gebe es an der Stelle einen Flaschenhals, aber dieser habe nichts mit den Entscheidungsstrukturen des LAF zu tun. Vielmehr damit, dass konkrete Anmietungsvorlagen in den Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses müssten: "Das Parlament will mitentscheiden, welche Objekte das Land Berlin anmietet", so Christoph im Interview mit dem rbb. Trotzdem schaue man sich im LAF die Prozesse derzeit nochmal an, um mit den Trägern gut zusammenzuarbeiten.
Engpässe bei Wohnung und Bildung
Eine flottere Verwaltung – das wünscht sich auch Holger Spöhr vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin für die Flüchtlingsarbeit. Einen der größten Engpässe sieht der Referent für Migration aber noch woanders: im Mangel an bezahlbarem Wohnraum. "Ein Großteil der geflüchteten Menschen dürfte längst in Wohnungen wohnen, findet aber keine". Dadurch würden die Erstunterkünfte nicht frei. Der Flaschenhals sei hier der Wohnungsmarkt, und nicht der Mangel an Unterkünften.
Ein weiteres Limit sieht Migrationsreferent Spöhr auch bei Kita- und Schulplätzen in Berlin: "Seit Jahren wissen wir, dass wir für die ganze Stadt zu wenige Lehrkräfte und Erzieher:innen haben. Durch die vielen Flüchtlinge sehen wir das Problem jetzt wie durch ein Brennglas."
Tatsächlich suchen aktuell allein rund 1.600 Kinder von Migranten einen Schulplatz in der Hauptstadt. Bezirke und Senat streiten allerdings darum, wie hier schnell Abhilfe zu schaffen ist.
Forderung nach besserer Organisation
Wäre es da nicht besser zu sagen: in der jetzigen Lage ist Berlin am Limit, mehr Flüchtlinge aufnehmen geht erstmal nicht? Migrationsreferent Spöhr vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin meint: nein. Seine Begründung: Alle Studien besagten, Deutschland brauche Zuwanderung. "Je schneller die Menschen hier arbeiten und partizipieren dürfen, desto besser ist es für alle."
Berlin komme ohnehin nicht daran vorbei, seine Verwaltung zu verbessern und viel mehr Wohnungen zu bauen, mehr Schul- und Kitaplätze zu schaffen. Das sei für alle Berliner und Berlinerinnen wichtig, nicht nur – aber auch – für die Flüchtlinge: "Wir sind nicht am Limit, aber wir müssen uns besser organisieren", lautet das Fazit des Migrationsfachmanns.
Unionhilfswerk-Geschäftsführerin Weidemeier dagegen macht vor allem der Mangel an Bildungsangeboten mittlerweile echte Sorgen. Der allgemeine Run von Berliner Eltern auf Plätze in Kindertagesstätten sei auch bei ihrem Träger inzwischen so groß, dass sie sich frage, wo da zusätzlich noch die Kinder von Geflüchteten unterkommen sollen: "Wie soll da Integration gelingen?" Eine Antwort auf diese Frage hat sie derzeit nicht.
Sendung: Wir müssen reden, 28.02.2023, 20:15 Uhr