Fünf Jahre "Fridays for Future" - Die steile Klimalernkurve der Berliner Politik
Klimaschutz, Klimaneutralität, Klimawandel: Gut neunzigmal taucht das Wort „Klima“ im schwarz-roten Koalitionsvertrag auf. Kein anderes Thema ist so präsent in der Berliner Politik. Doch auch der Frust wächst, auf beiden Seiten. Von Sebastian Schöbel
Die AfD wird der Klimabewegung "Fridays for Future" nicht zum fünfjährigen Jubiläum gratulieren. Was die Aktivisten vermutlich auch nicht erwartet haben, schließlich gibt es mit niemandem im politischen Betrieb so unüberbrückbaren Differenzen wie mit der rechtspopulistischen Partei. Das beginnt schon bei grundsätzlichen Fragen. "Das Klima ist ständigem Wandel unterworfen", analysiert der umweltpolitische Sprecher der Berliner AfD-Fraktion, Alexander Bertram. "Aber ich glaube, dass der Einfluss des Menschen da überschätzt wird."
Die Mehrheit der Klimawissenschaftler:innen sieht das anders, und mit ihrer Position steht die AfD auch in der Berliner Politiklandschaft ziemlich isoliert da. Bertram fordert die "Bewahrung der Heimat" mit mehr "klassischem Umweltschutz" für Wälder und Gewässer statt Windräder und Emissionsauflagen für Unternehmen. Die Klimadebatte nennt er "kopflos" und Maßnahmen zur CO2-Reduktion wirtschaftsfeindlich. "Das Klima in der Diskussion um Umweltpolitik wurde vergiftet durch diese fast schon hysterisch geführte Debatte, die auch Fridays for Future herbeigeführt hat."
Die CDU lobt "Fridays for Future" und lernt dazu
Ob hysterisch oder nicht, gewirkt hat die Debatte durchaus: Klimaschutz ist zu einem Eckpfeiler der Berliner Landespolitik geworden. Seit mehr als einem Jahr werden Gesetzesvorlagen des Senats einem Klima-Check unterzogen, ungefähr genauso lange erarbeitet der Klimabürger:innenrat Empfehlungen für die Politik, und dass Berlin im Sinne des Pariser Abkommens klimaneutral werden soll, ist unstrittig – lediglich beim Tempo sind die Ambitionen nicht gleich verteilt. Allerdings atmeten auch viele Grüne insgeheim erleichtert auf, als Anfang des Jahres der Klima-Volksentscheid am Quorum scheiterte: Denn die Klimaziele 15 Jahren früher zu erreichen als bislang geplant, hielten nicht einmal die ehrgeizigsten Umweltpolitiker:innen für machbar.
Bei den Berliner Christdemokraten wird es also kaum jemanden stören, wenn AfD-Politiker Bertram sagt, bei der CDU sei heute "ganz schön viel Fridays for Future drin". Ein grüner Wolf im schwarzen Schafspelz? Danny Freymark lässt der Vorwurf kalt. Er hat für die CDU das Klima-Kapitel im Koalitionsvertrag mit ausgehandelt und ist umweltpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Freymark lobt "Fridays for Future" ausdrücklich. "Das hat mich persönlich sehr beeinflusst, aber auch meine Partei."
Klimaschutz, aber sozial
Streit über Radwege, Parkplätze oder die Autobahnverlängerung sei normal, sagt Freymark. Genauso wie der Wunsch, dass alle Klimaschutzmaßnahmen schneller gehen müssten. Politik müsse eben manchmal Kompromisse machen, so Freymark. Dass es im Wahlkampf auch mal zugespitzt und polemisch zugeht, etwa beim Zank um die Friedrichstraße, gehöre ebenfalls dazu. "Ich glaube, dass wir mehr Gemeinsamkeiten im Umwelt- und Klimabereich mit den Grünen haben, als man in der Öffentlichkeit vermutet", sagt Freymark. "Das Gleiche gilt auch für die Grünen mit uns." Bei der energetischen Gebäudesanierung, dem Ausbau von Solar-Anlagen, der Energieversorgung ohne fossile Quellen und anderen Ideen herrscht längst Konsens. "Wir haben noch nie so viel Geld ausgegeben für Umwelt und Klimapolitik wie in den letzten Jahren", sagt Freymark. Im neuen Doppelhaushalt sollen laut Senatsbeschluss weitere fünf Milliarden Euro im Sondervermögen Klimaschutz dazu kommen, mindestens. "Das hat keiner vor uns gemacht", so Freymark, "und es war immer eine Kernforderung auch der CDU".
Auch Linken-Fraktionschefin Anne Helm ist überzeugt, "dass es auch Fridays for Future zu verdanken ist, dass niemand mehr um das Thema Klimaschutz drumherum kommen kann". Gleichzeitig habe aber auch die Bewegung dazugelernt, sagt Helm. Soziale Aspekte des Klimawandels würden jetzt stärker in den Fokus genommen als früher – wenn es zum Beispiel um die Frage geht, welche Klimaschutzbemühungen man von Menschen mit geringen Einkommen verlangen kann, oder wenn der Abschied von fossilen Energieträgern wie Öl und Kohle Arbeitsplätze gefährdet. "Viele Menschen haben Angst, dass sie bei einem Strukturwandel die Verliererinnen und Verlierer sind", so Helm. Auch der Klimaschutz führe zu Zielkonflikten und sozialen Verwerfungen, das habe "Fridays for Future" inzwischen erkannt.
"Das ist nicht meine Protestform"
Den Druck von der Straße hätte ihre Partei beim Klimaschutz gar nicht gebraucht, sagt Julia Schneider, umweltpolitische Sprecherin der Grünen. "Dass das Thema anschlussfähiger wird, war ja ganz in unserem Sinne." Allerdings hat der Schwung der Mobilisierung nicht gereicht, um die Grünen auch ins Rote Rathaus zu bringen. Stattdessen sitzen sie inzwischen auf der Oppositionsbank und können nur ungeduldig den Senat an seine klimapolitischen Versprechungen erinnern. Schneider ist dennoch zufrieden. "Mir ist es im Endeffekt fast egal, wer die Welt rettet. Hauptsache, es macht jemand."
Mit erhobenem Zeigefinger sollte es allerdings nicht geschehen, sagt Schneider. Wie viel Klimaschutz Menschen leisten können, hänge von ihren Lebensumständen ab. Politik müsse es also allen möglichst einfach machen, ihren Teil zu leisten. So Schneider. Zum Beispiel, indem erst der bessere ÖPNV geschaffen wird, damit dann das eigene Auto stehen bleiben kann - oder gar abgeschafft wird. Nicht umgekehrt. Das sei inzwischen auch der Ansatz von "Fridays for Future".
Dass Klimaschutz die Gesellschaft spaltet, glaube sie nicht, sagt Schneider. Dafür seien Andere verantwortlich. Radikale Methoden, wie sie von der "Letzten Generation" angewendet werden, lehne sie allerdings ab: "Das ist nicht meine Protestform."
Ähnlich wie beim Klimaschutz sind sich auch in diesem Punkt alle Parteien, von CDU bis Linken, einig.