Debatte über Sozialleistungen - Keine Belege für mangelnde Arbeitsanreize für Ukrainer durch Bürgergeld
Ukrainern die Sozialleistungen kürzen, um sie zur Arbeit zu motivieren - diese Idee äußerte Brandenburgs Innenminister Stübgen (CDU). Der Brandenburger Linken-Fraktionschef fordert für diese Aussagen nun seinen Rücktritt. Von Julian von Bülow
Im Vorfeld der Innenminister-Konferenz von Mittwoch bis Freitag bekommt die Debatte um die Sozialleistungen für ukrainische Geflüchtete neuen Schwung. Der Vorsitzende der Konferenz, Brandenburgs Innenminister, Michael Stübgen (CDU), sagte am Sonntag: "Es passt nicht zusammen, davon zu reden, die Ukraine bestmöglich zu unterstützen und im gleichen Atemzug fahnenflüchtige Ukrainer zu alimentieren." Die Beschäftigungsquote von Ukrainern sei verschwindend gering, weil das Bürgergeld zum Bremsschuh für die Arbeitsaufnahme geworden sei, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Bundesregierung müsse daher zwingend über einen Kurswechsel nachdenken.
Hintergrund der Aussage dürften mehrere Faktoren sein, darunter die angespannte Bundeshaushaltslage, der Abnutzungskrieg in der Ukraine, die Europa- und Brandenburger Kommunalwahlergebnisse sowie der Umstand, dass die arbeitslosen Geflüchteten aus der Ukraine Bürgergeld erhalten, während Geflüchtete aus anderen Staaten dem Asylbewerberleistungsgesetz unterliegen. Das sieht rund 100 Euro weniger Geld vor und reguliert den Zugang zum Arbeitsmarkt strikter.
Faktencheck: Zu viel Geld für Leute, die nicht hier sein sollten?
Bricht man Stübgens Aussagen auseinander, stecken darin zwei Vorwürfe: Erstens, dass die Ukrainer, die der Wehrpflicht unterliegen, in Deutschland Geld erhalten, während Deutschland die Ukraine gleichzeitig bei der Verteidigung unterstütze. Zweitens, dass das Bürgergeld für die Ukrainer generell falsch sei und dazu beitrage, dass die Ukrainer in Deutschland seltener eine Arbeit aufnähmen.
Zu den Fakten: In der Ukraine gilt eine Wehrpflicht für alle 18- bis 60-jährigen Männer. Sie dürfen das Land nicht verlassen. In Deutschland leben laut Bundesregierung derzeit rund 1,3 Millionen Menschen mit ukrainischer Staatsbürgerschaft. Rund 260.000 ukrainische Männer davon seien zwischen 18 und 60 Jahren. Wie viele davon etwa wegen Krankheit oder Behinderung nicht wehrfähig sind, sei nicht bekannt, so ein Sprecher des Bundesinnenministeriums.
Rund 1,17 Millionen ukrainische Kriegsflüchtlinge erhalten laut Bundesregierung Bürgergeld. Das sind für alleinstehende Erwachsene derzeit 563 Euro pro Monat, für Menschen in Partnerschaft sowie Kinder gibt es weniger. Zudem zahlt der Staat Geld für Wohnkosten, Krankenversicherung, Einrichtung und Schulbedarf. Die Zahlungen gemäß Asylbewerberleistungsgesetz liegen im Schnitt 100 Euro darunter. Ukrainer haben unter den Geflüchteten einen Sonderstatus, weil die EU dies nach dem Angriff auf die Ukraine so festgelegt hat - so bleiben Einzelfallprüfungen aus.
Circa ein Viertel arbeitet in sozialversicherungspflichtigen Jobs
Wieviele wehrpflichtige Ukrainer derzeit Bürgergeld beziehen, lässt sich nicht genau beziffern. In Brandenburg liegt die Quote wonach Ukrainer Leistungen nach Sozialgesetzbuch II beziehen bei 55,9 Prozent. Dazu zählt auch das Bürgergeld. In Berlin liegt die Quote bei 44,4 Prozent - das geht aus Zahlen der Bundesagentur für Arbeit vom Februar 2024 hervor.
Im November 2023 war in Brandenburg etwa ein Fünftel der Ukrainerinnen und Ukrainer in einem sozialversicherungspflichtigen Job, in Berlin etwa jeder Vierte. Laut den neusten Zahlen des Instituts für Arbeitsmarktforschung (IAB) liege die Quote für ganz Deutschland bei 27 Prozent im ersten Quartal 2024, die Quote steige mit der Aufenthaltsdauer, so das IAB.
Warum arbeiten so wenige Ukrainer?
Die relativ geringe Quote liege am Mangel von Sprachkenntnissen, sozialen Netzwerken und Information, sagt Yuliya Kosyakova vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung. "Viele werden jetzt Sprachkurse beenden, damit können wir schon die erhöhten Übergänge in den Arbeitsmarkt sehen", sagt sie. Die Ukrainerinnen und Ukrainer seien fachlich qualifiziert, doch für Berufe, etwa im Bildungs- oder Gesundheitssektor bräuchten die Geflüchteten bessere Deutschkenntnisse, als jene, die man in einem Integrationskurs erlernen könne.
Dafür, dass das Bürgergeld eine hemmende Wirkung auf die Arbeitsbereitschaft der Geflüchteten habe, gebe es keine Beweise, sagt Forscherin Kosyakova. Erst ab dem Sommer 2022 hätten die Geflüchteten Zugang zu Leistungen nach Sozialgesetzbuch II. "Da haben wir nicht plötzlich erhöhte Zuzüge gesehen." Auch als das Bürgergeld im Januar 2023 eingeführt wurde, habe es keine Auffälligkeiten gegeben. "Die Mehrheit der ukrainischen Geflüchteten ist vor dem Sommer 2022 nach Deutschland gekommen", so Kosyakova.
In anderen Ländern mehr Beschäftigung bei geringeren Sozialleistungen
Der Soziologe Dietrich Thränhardt macht Sprachkenntnisse und komplizierte Prozesse bei der Arbeitsaufnahme verantwortlich für die geringe Beschäftigungsquote von ukrainischen Geflüchteten in Deutschland.
Thränhardt hielt schon 2023 für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung fest, dass die Höhe der Sozialleistungen bei der Entscheidung für die Flucht nachrangig sei. Denn in Tschechien, Polen, Estland, Lettland, Litauen, Bulgarien seien prozentual am meisten Ukrainer untergekommen. "Im Vergleich zu Deutschland bieten die sechs Magnetländer wesentlich weniger Sozialleistungen und niedrigere Löhne. Das spricht gegen die These von den Sozialleistungen als Hauptanziehungsmoment und für den Arbeitswillen der Flüchtlinge", schreibt Thränhardt.
Das tschechische Innenministerium meldete im Februar sogar, dass die ukrainischen Geflüchteten mehr Abgaben und Steuern in den Haushalt einbracht hätten, als der Staat für humanitäre Hilfe ausgegeben habe. 2023 hatte das Land eine Beschäftigtenquote von 66 Prozent der geflüchteten Ukrainer.
Auf die Frage, auf welche Daten sich Innenminister Michael Stübgen bei seiner Beurteilung des Arbeitswillens von ukrainischen Geflüchteten stützte, erhielt rbb|24 bis Erscheinen des Artikels keine Antwort.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 17.06.2024, 19:30 Uhr
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