30 Jahre nach Abzug der Sowjets - Wo Lenin noch im Wald thront

Di 27.08.24 | 13:32 Uhr | Von Karsten Zummack
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Denkmal in Fürstenberg Havel in Brandenburg. (Quelle: rbb/Karsten Zummack)
Audio: rbb24 Inforadio | 27.08.2024 | Karsten Zummack | Bild: rbb/Karsten Zummack

Im August 1994 wurden die letzten russischen Soldaten in Deutschland verabschiedet. Die Garnisonsstädte erwartete ein gewaltiger Umbruch. In Fürstenberg/Havel sind immer noch Spuren der Vergangenheit zu finden. Von Karsten Zummack

Wer auf der Suche nach alten kommunistischen Ikonen ist, braucht idealerweise festes Schuhwerk und viel Ahnung von der Umgebung. Sabine Hahn hat dies. Als Stadtführerin kennt die 73-Jährige fast jeden Baum, jeden Stein rund um Fürstenberg/Havel (Oberhavel). Gezielt steuert sie in ein unscheinbares, kleines Wäldchen am Stadtrand — kämpft sich über zugewucherte Treppen, durch Gestrüpp.

Vergessenes Monument

Nach etwa einhundert Metern bleibt die rüstige Rentnerin stehen, deutet auf ein Lenin-Monument und eine große Häuserruine, beides eingezäunt. "Das ist ein altes Erholungsheim von vor dem Zweiten Weltkrieg", erklärt sie. Nach 1945 war hier der russische Stab. Die Natur habe sich alles wiedergeholt. "Und den Lenin hat man irgendwie vergessen", scherzt Sabine Hahn. Jeder Waldspaziergang kann hier zur Zeitreise in die Vergangenheit werden.

Wer die Orte kennt, findet in Fürstenberg/Havel vielerorts noch Spuren der Militärzeit: hier ein Sperrschild, dort ein heruntergekommenes Gebäude mit Mosaik, das einen Soldaten mit Gewehr in der Hand zeigt. Auf dem Weg Richtung KZ-Gedenkstätte Ravensbrück steht sogar noch ein grüner Panzer mit Sowjetstern.

Denkmal in Fürstenberg Havel. (Quelle: rbb/Karsten Zummack)
Bild: rbb/Karsten Zummack

Fürstenberger als Minderheit in der eigenen Stadt

Besonders prägnant und sichtbar ist ein Denkmal in Bahnhofsnähe. Ringsherum ruhen sowjetische Soldaten und Offiziere, die im Jahr 1945 gefallen sind. "Das war ein großer Paradeplatz", erinnert sich Stadtführerin Sabine Hahn. Delegationen der DDR-Betriebe legten regelmäßig Kränze nieder. "Und auf der Straße machten die Soldaten große Märsche mit Musik und Stechschritt".

Jahrzehntelang war Fürstenberg/Havel deutlich geprägt von den sowjetischen Streitkräften. Auf 5.000 Einwohner kamen zeitweise 30.000 Militärs. Im Alltag waren sie unübersehbar. Ein Drittel der Stadtfläche wurde militärisch genutzt. Für die Familien aus "Freundesland" gab es eine eigene Schule, eigene Wohngebiete. Ganze Straßen waren für die Einheimischen Tabuzone.

Begegnungen im Schuhladen

Wenn es im örtlichen Handel neue Schuhe gab, standen oft auch die russischen Offiziersfrauen mit an. Das sorgte schon mal für Unmut. Umgekehrt bekamen die Fürstenberger in den Kasernen-Magazinen aber auch mal Obst, das ansonsten im Konsum nicht verfügbar war. Viele Einwohner arbeiteten auch in den Garnisonen. "Man hat sich arrangiert", erinnert sich Sabine Hahn an die damalige Zeit. Private Kontakte seien aber selten und eigentlich auch von keiner Seite wirklich gewollt gewesen.

Um die Absurditäten des Kalten Krieges anschaulich zu machen, zeigt die Stadtführerin Besuchern gern die Gartenstraße. "Die war damals komplett gesperrt", sagt die 73-Jährige. Jetzt stehen hier recht frisch sanierte Ein- und Mehrfamilienhäuser. Für Sabine Hahn ist dieser Stadtteil ein Musterbeispiel gelungener Konversion.

Gut 15 Millionen Euro für die Konversion

Aus der einstigen Garnisonsstadt ist eine Wasserstadt geworden. Spalier steht hier heute niemand mehr. Stattdessen schlendern vor allem im Sommer Touristen durch Fürstenberg/Havel. Nach dem Abzug der russischen Streitkräfte war die Arbeitslosigkeit schnell in die Höhe geschossen. Doch die Stadt mit ihren Seen hat den Strukturwandel geschafft.

"Die Konversion ist perfekt gelungen", bilanziert der parteilose Bürgermeister Robert Philipp. Mehr als 15 Millionen Euro seien in die Umwandlung ehemals militärischer Liegenschaften in zivile oder naturnahe Nutzung geflossen.

Ganz abgeschlossen ist der Prozess noch nicht, aber wer die Vergangenheit Fürstenbergs nicht kennt, wird sie auf den ersten Blick hier auch nicht sehen. Ganz missen möchte Stadtführerin Sabine Hahn die Relikte aus fast vergessenen Zeiten nicht. "Erinnerung oder auch Warnung ist immer wichtig", sagt sie - mit Blick nicht nur auf Lenins Konterfei im Wald.

Sendung: rbb24 Inforadio, 27.08.2024, 10.00 Uhr

Beitrag von Karsten Zummack

9 Kommentare

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  1. 9.

    Danke für guten Beitrag.
    Neustrelitz dito.
    Gute Einschätzung der Situation in den Garnisonsstädten.

  2. 8.

    Ich bin froh und dankbar, dass Sie weg sind . Hoffentlich bleibt es auch so. Habe da manchmal so meine
    Bedenken .

  3. 7.

    Wie Sie vielleicht meinem Kommentar entnehmen können, bin ich mit der Materie soweit vertraut, aufgrund meiner DDR-Biografie, aber auch durch eigene Recherche zum Thema. Es hätte also Ihres Hinweises nicht bedurft. Mein Kritik bezieht sich auf die falsche Bezeichnung "Sowjets" für die russischen Soldaten in der Überschrift dieses RBB-Artikels.

  4. 6.

    "Die unhistorische und falsche Gleichsetzung von Russland und Sowjetunion behindert das Verständnis sowohl der inneren Verhältnisse der Sowjetunion wie auch des Verhältnisses der unabhängig gewordenen Sowjetrepubliken untereinander, nach 1991"

    Da müssen sie sich bei Herrn Putin beschweren. Das heutige Russland sieht sich nunmal in der Tradition der alten Sowjetunion.

  5. 5.

    Sehe ich ähnlich, doch die Stalin-Zitate an den Stelen im Treptower Park sollten jedoch in jedem Fall noch auf zusätzlichen Schildern historisch kommentiert werden.

  6. 4.

    >"Das waren nicht die "Sowjets", sondern Soldaten Russlands. Die Sowjetunion gab es zu diesem Zeitpunkt schon seit über zwei Jahren nicht mehr"
    Jein... Diese Lost Places mit ehemaligen Relikten stammen noch aus der Sowjetzeit. Nach dem Zusammenbruch des Sowjetreiches und dann nur noch Russland ab 1992 wurden keine neuen Denkmale im Sinne der ruhmreichen Sowjetarmee mehr errichtet durch die dann nur "Russen". Diese Hinterlassenschaften dort in der Nähe von Fürstenberg stammen 100% noch von den vereinigten Sowjets vor dem Zusammenbruch, auch wenn diese Areale ab 1992 nur noch durch die Russische Armee genutzt wurden.

  7. 3.

    Das waren nicht die "Sowjets", sondern Soldaten Russlands. Die Sowjetunion gab es zu diesem Zeitpunkt schon seit über zwei Jahren nicht mehr und die Soldaten aus den anderen, nun unabhängigen ehemaligen Sowjetrepubliken (Ukraine, Belarus, Georgien, usw.) waren bereits 1991 aus Deutschland in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Die unhistorische und falsche Gleichsetzung von Russland und Sowjetunion behindert das Verständnis sowohl der inneren Verhältnisse der Sowjetunion wie auch des Verhältnisses der unabhängig gewordenen Sowjetrepubliken untereinander, nach 1991. Im Übrigen bedeutet das Wort Sowjet "Rat" (Sowjetunion = "Union der Räte"). Die Bezeichnung "Sowjets" für die Soldaten macht also erst recht keinen Sinn, offenbart aber, m. E., eine unreflektierte Übernahme des Jargons des Kalten Krieges.

  8. 2.

    letztendlich ein Diktator und Verbrecher. Ungeachtet dessen ist es gut , dass Denkmäler nicht geschleift werden . Erinnerung an gute und schlechte Dinge braucht eben immer auch die Zeugen der Zeit, und wenn es nur vermeintlich überflüssige Statuen sind.

  9. 1.

    Danke für den schönen Bericht. Letzten Sonntag war ich dort und mir hat das "neue" Fürstenberg sehr gut gefallen, das Gefühl, dass innerstädtisch Brachen mit Lost Places aus Sowjetzeiten sind, kommt nirgends auf.

    Was auffällt: ringsum und bis zum nächsten Ort (möchte man nicht tot überm Zaun hängen) ist es öd. Was wird aus den ehem. TÜPl Flächen? Gerne Infos dazu nachreichen :-)

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