Paris-Roubaix - In der "Hölle des Nordens" will Romy Kasper den inneren Schweinehund besiegen
Mit dem Eintagesrennen Paris-Roubaix wartet am Samstag ein Meilenstein auf Romy Kasper. Die größte Herausforderung ist dann der Kampf mit sich selbst. Bei der Gleichbehandlung mit Männern sieht die Lausitzerin Fortschritte. Von Thomas Juschus
Im Wohnzimmer von Romy Kasper hängt ein großes Poster. Es erinnert die in Forst geborene 34-Jährige immer wieder an ihre sportliche "Hassliebe". Und einen großen Tag für den Profi-Frauenradsport. Kasper liegt auf dem Bild bäuchlings im Innenraum des alt-ehrwürdigen Radstadions von Roubaix. Sie streckt alle Gliedmaßen erschöpft von sich und vergräbt ihr verschmutztes Gesicht im Rasen.
Das Foto der völlig verausgabten Radsportlerin ging nach seiner Aufnahme im Oktober 2021 viral, weil es sinnbildlich wie kaum ein anderes Motiv für die Strapazen beim härtesten Eintagesrennen der Welt steht: Paris-Roubaix. "Dass es Paris-Roubaix doch noch vor meinem Karriereende in den Rennkalender geschafft hat, ist natürlich ein Traum. Aber es hat wirklich lange gedauert", sagt Romy Kasper. Am Samstag (8. April) geht der Kopfsteinklassiker durch die "Hölle des Nordens" wieder über die Bühne – bei den Frauen allerdings erst zum dritten Mal.
Seit 1896 wird Paris-Roubaix bei den Männern ausgefahren, unzählige Dramen und Anekdoten ranken sich seitdem um die "Königin der Klassiker", die spektakulär auf einer Radrennbahn endet. Im Oktober 2021 stand das Rennen erstmals im Kalender der Women’s World Tour. Romy Kasper, damals im gelb-schwarzen Trikot der niederländischen Mannschaft Jumbo-Visma, kam mit 4:41 Minuten Rückstand auf die Siegerin auf Platz 18 ins Ziel. Und war trotzdem froh und glücklich. Denn mit der Premiere gelang den Frauen wieder ein markanter Schritt auf dem Weg zur Gleichbehandlung im Profi-Radsport.
Seit 2008 als Profi im Peloton
Romy Kasper gehört seit ihrem Debüt bei der Equipe Nürnberger 2008 zum Peloton, bestreitet inzwischen ihre 16. Saison als Profi-Fahrerin. Seit dem Beginn ihrer Karriere begleitet sie das Thema Gleichberechtigung. "Ich habe mich nach meinem Einstieg damals ziemlich schnell gefragt: Warum gibt es Paris-Roubaix eigentlich nicht für Frauen?", erinnert sie sich. Die Unterschiede zwischen Frauen und Männern seien damals riesig gewesen, nicht nur, was die Rennen betrifft.
"Als ich angefangen habe, habe ich als Profi 250 Euro im Monat bekommen. Ohne die Unterstützung meiner Eltern zu Beginn meiner Karriere oder später durch die Bundeswehr wäre ich nicht mehr im Radsport – das ist sicher", sagt Kasper. Auch medial hätten die Frauen immer deutlich hintenangestanden. "Es gibt nirgends eine Begründung dafür, warum wir als Frauen im Radsport so benachteiligt werden", kritisiert die studierte Sport-Wissenschaftlerin.
Seit zwei Jahren Mindestgehalt
Umso erfreulicher bewertet Kasper die Entwicklung im Frauen-Radsports in den vergangenen Jahren. Bei Equal Pay, Rennen oder Berichterstattung habe es deutliche Verbesserungen gegeben. Das Mindestgehalt für eine World-Tour-Fahrerin liegt seit 2020 für angestellte Fahrerinnen bei 32.102 Euro und wird in den nächsten Jahren weiter steigen. "Das Mindestgehalt gibt es seit zwei Jahren. Es ist natürlich noch weit, weit weg vom Mindestgehalt der Männer (Anm. d. Red.: 40.045 Euro), aber es ist ein richtiger Schritt in Richtung Gleichberechtigung", sagt Kasper, wohl wissend, dass Top-Stars wie der zweimalige Tour-de-France-Sieger Tadej Pogacar aus Slowenien sogar Millionen-Beträge verdienen.
"Arbeiterinnen haben die Arschkarte"
Immerhin hat Kasper, die seit ihrem Master-Studium auch viel Zeit in Leipzig verbringt, auch seit vielen Jahren ihr Auskommen als Rad-Profi. Zwar war die 34-Jährige in ihrer langen Karriere nie eine Siegfahrerin, hat sich aber vor allem mit ihren kämpferischen Qualitäten sowie ihrer stetig wachsenden Rennübersicht großen Respekt und ein Standing innerhalb des Pelotons erarbeitet.
Viele Top-Teams stehen in ihrer Vita, was sie ihren Leistungen und ihrer Zuverlässigkeit zu verdanken habe. "Trotzdem gibt es auch hier noch immer ein Unterschied zum Männer-Radsport: Da nehmen die Kapitäne bei einem Teamwechsel meistens ihre Helfer einfach mit. Im Frauen-Radsport ist sich immer noch jeder selbst der nächste. Und als Arbeiterin hat man ein bisschen die Arschkarte und muss sehen, wo man unterkommt", sagt Kasper.
Nach Stationen bei Boels-Dolmans, Alé Cipollini, Parkhotel Valkenburg und Jumbo-Visma steht Kasper seit Saisonbeginn bei der neuen Mannschaft "AG Insurance – Soudal Quick Step" unter Vertrag. "Romy hat die Erfahrung und die Fähigkeiten, immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Ich bin sicher, dass sie mit ihrem Wissen und ihrer Stärke dem Team mehr Tiefe verleihen wird", sagte ihre Sportliche Leiterin Jolien D’Hoore bei der Vorstellung. Als sogenannter Road-Captain ist Kasper ein bisschen der verlängerte Arm der Sportlichen Leitung auf dem Rad, gibt im Rennen wichtige Tipps an die jungen, aufstrebenden Fahrerinnen.
Kasper will dieses Jahr weit vorne landen
Der riesige Erfahrungsschatz Kaspers, die von Mario Vonhof trainiert wird, ist vor allem auch am nächsten Samstag wieder gefragt, wenn es zur dritten Auflage von Paris-Roubaix bei den Frauen kommen wird. "Ich hatte es nicht mehr unbedingt erwartet, dort tatsächlich zu fahren. Es war ziemlich lange im Gespräch, bis es 2021 endlich losging", sagt Kasper. Über 145,4 Kilometer geht es diesmal von Denain ins Ziel nach Roubaix, über Kopfsteinpflasterpassagen und schlechte Straßen, meistens bei Regen und viel Wind.
Paris-Roubaix ist eine der eher seltenen Gelegenheiten in der Saison, bei denen die Lausitzerin selbst auf Ergebnis fahren darf. "Ja, ich werde eine von den Kapitäninnen sein. Bei diesem Rennen kann so viel passieren, da ist es immer gut, wenn man mit mehreren Karten spielen kann", sagt Kasper.
"Genial wäre das Podium"
Nach Platz 18 im Jahr 2021 und Rang 19 im Jahr darauf als beste Deutsche soll es diesmal für Kasper weiter nach vorn gehen. "Paris-Roubaix ist ein Rennen, das mir zu 100 Prozent liegt. Das Rennen ist wirklich erst an der Ziellinie zu Ende. Man muss mit Stürzen rechnen, man muss mit Defekten rechnen. Die kämpferische Komponente ist noch mehr gefragt als sonst - man muss permanent seinen inneren Schweinehund besiegen", so Kasper, die am Mittwoch nochmals mit ihrer Mannschaft zu Luftdruck-Tests auf die Strecke geht – nichts soll dem Zufall überlassen bleiben. Ziel ist diesmal eine Top-10-Platzierung.
"Genial wäre natürlich das Podium und einen Pflasterstein mit nach Hause zu nehmen", so Kasper. Den gibt es für die Besten als Ehrenpreis. Und der Pflasterstein würde ganz sicher einen Ehrenplatz in Romy Kaspers Wohnzimmer ganz in der Nähe des Posters finden.
Sendung: rbb24 Inforadio, 08.04.2023, 11:15 Uhr