Homosexualität im Fußball - Gruppen-Coming-out für Freitag angekündigt

Do 16.05.24 | 12:05 Uhr | Von Jakob Lobach
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Symbolbild:Die Vereinsflagge des Fußball-Bundesligisten Hertha BSC und eine Fahne in Regenbogen-Farben sind an einem Balkon befestigt.(Quelle:picture alliance/dpa/S.Stache))
Audio: rbb24 Inforadio | 15.05.2024 | Marcel Fehr | Bild: picture alliance/dpa/S.Stache)

Die Kampagne "Sports Free" hat für Freitag ein Gruppen-Coming-out homosexueller Fußballer geplant. In der LGBTIQ+-Community löst das gemischte Gefühle aus. Die Idee sei gut, baue Hürden für schwule Profis aber kaum ab. Von Jakob Lobach

  • Kampagne "Sports Free" will homosexuellen Fußballern das Coming-out erleichtern.
  • Am Freitag soll es ein Gruppen-Coming-out geben. So soll der Fokus vom Einzelnen genommen und die Last auf mehrere Schultern verteilt werden.
  • Wie viele Fußballer sich daran beteiligen und ob auch Profis unter ihnen sind, ist unklar.
  • Vorhaben trifft auch auf Kritik, weil es nichts an den Strukturen im Profifußball ändern würde und die Probleme vernachlässige.

Das Datum war bewusst gewählt und könnte dementsprechend besser nicht passen: Der kommende Freitag, 17. Mai, ist der Internationale Tag gegen Homophobie sowie Bi-, Inter- und Transphobie. Er soll den Anlass für ein Gruppen-Coming-out im Profi-Fußball bieten.

Zehn Jahre, nachdem Thomas Hitzlsperger als erster deutscher Fußballprofi seine Homosexualität öffentlich gemacht hat, will die Kampagne "Sports Free" anderen Fußballern den gleichen Schritt auf diesem Wege erleichtern. Inwiefern, in welchem Ausmaß und von wem dieses Angebot am Freitag tatsächlich genutzt werden wird, ist dabei aktuell noch völlig unklar.

Urban: Große Vorsicht auf Spielerseite

Hintergrund dieses Mysteriums sind die gleichen Gründe, die homosexuellen Profis ein Coming-out seit jeher denkbar schwer machen. So berichtet auch Marcus Urban, ehemaliger Jugendnationalspieler und Initiator des geplanten Gruppen-Coming-outs, jüngst von einer großen Vorsicht auf Spielerseite. Er dämpft gar die öffentlich zusehends gewachsenen Erwartungen an den 17. Mai.

Ganz allgemein wird die Aktion von anderen Akteuren der LGBTIQ+-Community mindestens mit gemischten Gefühlen betrachtet. Einerseits schaffe die Kampagne – besonders wegen ihres Gruppencharakters – einen neuen Rahmen für Fußballer, die nach einem Weg zu ihrem Coming-out suchen. Andererseits ändere auch sie wenig bis gar nichts an den Strukturen und Gründen, die dazu führen, dass sich bislang so wenige Fußball-Profis trauten, diesen Schritt zu gehen.

"Angst im Stich gelassen zu werden"

Über besagte Gründe dafür, dass Fußballer, allen voran solche im Profibereich, ihre Homosexualität nur höchst selten öffentlich machen, wurde in den vergangenen Jahren viel geschrieben und diskutiert. "Offensichtlich haben sie Angst, im Stich gelassen zu werden", sagt Marcus Urban, "von den Mitspielern, von den Vereinen, vielleicht auch von den Sponsoren".

Hinzu kommt, dass auch die homofeindliche Diskriminierung in den Fan-Szenen und auf den Tribünen der Stadien in den vergangenen Jahren zwar abgenommen hat, aber weiterhin klar ein Thema ist. "Es gibt Mechanismen, die verhindern, dass Spieler zu sich selbst stehen können", fasst Urban zusammen und ergänzt: "Dieser Zustand ist nicht tragbar und muss beendet werden."

So weit, so klar. Auch die Idee eines organisierten Coming-outs in der Gruppe statt als einzelner klingt logisch, stößt an vielen Stellen in der LGBTIQ+-Community an sich auch auf Zustimmung – unter anderem bei Alice Drouin. Beim Lesben- und Schwulenverband Berlin- Brandenburg (LSVD) ist sie hauptverantwortlich für den Bereich Sport.

Der spiele im LSVD Berlin-Brandenburg bereits seit rund 20 Jahren eine wichtige Rolle, sagt Drouin. "Wir wollen dabei helfen, den Sport queer-freundlicher aufzustellen, und können dabei auch das sagen, was andere nicht sagen können oder wollen." So wird es bei der Europameisterschaft im Sommer etwa ein vom LSVD organisiertes "Pride House" im Berliner Poststadion geben, einen "Anlaufpunkt für queere Menschen und deren Verbündete".

Gemischte Gefühle zum geplanten Gruppen-Coming-out

Aber zurück zum geplanten Gruppen-Coming-out am Freitag: In den vergangenen Jahren wurde gespannt, sehr erwartungsvoll und auf eine sicherlich oft kontraproduktive Art und Weise auf den "ersten echten schwulen Fußball-Profi" gewartet. Thomas Hitzlsperger sei dies schließlich nicht, weil er seine Karriere zum Zeitpunkt seines Coming-outs ja bereits beendet hatte – so zumindest der nicht nur aus Alice Drouins Sicht sehr kritikwürdige Konsens in Öffentlichkeit und Medien.

Die Kampagne von Marcus Urban hat laut Drouin nun das Potenzial, diese zweifelsfrei schwere Last auf mehrere Schultern zu verteilen. "Statt einem Einzigen würde die Gruppe an sich in den Fokus rücken", sagt Drouin. Generell unterstütze sie es, "wenn Menschen mit eigener Lebenserfahrung für sich sprechen", sagt sie.

Das dürften am Freitag – Profis hin oder her – definitiv einige Menschen aus dem Fußball tun. Sie werden einen Dialog zum Thema Homosexualität auch im Profi-Fußball bereichern, der weiterhin allen voran von Menschen mit einer anderen Lebensrealität geführt wird.

Den ersten Schritt medienwirksam vor dem zweiten gemacht

An besagtem Dialog kritisieren Institutionen wie der LSVD Berlin-Brandenburg oder die "Kompetenzgruppe für Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit" (Kofas) allen voran dreierlei: Erstens das Abwerten bereits geouteter Profi-Fußballer wie des Tschechen Jakub Jankto oder des Engländer Jake Daniels. Zweitens das oft gezeichnete Bild des schon jetzt inklusiven und für alle offenen Sports. Und drittens das Abwälzen der Hauptverantwortung für Homofeindlichkeit und -phobie auf Einzelne und die Fans.

"Dabei muss der Impuls zur Veränderung ganz klar von den Verbänden, den Vereinen und deren Strukturen ausgehen", sagt Alice Drouin.

Womit wir beim ersten Kritikpunkt mit Blick auf die "Sports Free"-Kampagne sind. Schließlich stellt die einmal mehr die homosexuellen Profis selbst in den Vordergrund und lädt ihnen eine Art Bringschuld auf. Es scheint gut vorstellbar, dass der Fokus in erster Linie auf dem angeblich fehlenden Mut der Profis und nicht auf besagten Strukturen liegen wird, sollte sich am Freitag kein Profi für ein Coming-out entscheiden.

Hinzu kommt, dass die Kampagne eine Art Alleingang von Marcus Urban und seinem Team ist. Verschiedene Institutionen, wie auch der LSVD, hätten sich einen Austausch, das Bündeln von Kräften und Kontakten für die Kampagne gewünscht.

In diesem Zuge ebenfalls Teil der Kritik: Die Tatsache, dass im ersten Schritt medienwirksam der Termin für das Gruppen-Coming-out kommuniziert wurde, ehe im erst zweiten Schritt – möglicherweise vergeblich – nach Profis gesucht wurde, die an diesem teilnehmen wollen.

Ein Banner des Fanklubs 'Hertha Junxx' im Berliner Olympiastadion (Bild: IMAGO/Matthias Koch)Ein Banner des Fanklubs 'Hertha Junxx' im Berliner Olympiastadion. | Bild: IMAGO/Matthias Koch

Präventive Arbeit und Solidarität

Unabhängig davon, ob und wie viele Profi-Fußballer am Freitag ihre Homosexualität öffentlich machen, werden die strukturellen Herausforderungen, die ihnen und anderen Fußballern gegenüberstehen, bleiben. Die mitunter diskriminierende Sprache in den Kabinen von Jugendteams, das Gleichsetzen vom Schwulsein mit Schwäche, vorm Coming-out warnende Berater, wenig divers geführte Verbände, beleidigende Banner in ausgewählten Fankurven – man könnte die Liste noch lange weiterführen.

Alice Drouin wünscht sich deshalb unter anderem "ernsthafte und präventive Arbeit in den Vereinen und Verbänden", dazu mehr sportliche Anlaufstellen für queere Menschen und nicht zuletzt "mehr Solidarität und eine klare Positionierung von Mitspielenden, Trainerinnen und Trainern sowie Fans".

Insbesondere Letzteres wünscht sich auch Annika vom Fanklub Hertha-Junxx. Seit 2019 ist sie Mitglied im einst ersten schwul-lesbischen Fanklub Deutschlands. Den Fußball und besonders das Stadion bezeichnet sie als "Brennglas der Gesellschaft". In der sei in vergangenen Jahren für queere Menschen vieles besser geworden, aber eben noch lange, lange nicht alles gut.

Dabei liege es an jedem und jeder Einzelnen, dies zu ändern, sagt sie weiter. "Auch im Stadion sind wir verantwortlich für die Stimmung. Es ist an uns, die Stimme zu erheben, wenn da queer-feindliche Sprüche kommen."

Schließlich träfen die nicht nur die Spieler oder Schiedsrichter auf dem Feld, "sondern vor allem die Menschen drumherum, die dadurch vielleicht auf ihrem Weg zum Coming-out zurückgeworfen werden." Ganz egal, ob diese Menschen Profi-Fußballer sind, Amateur-Kicker oder weder das eine noch das andere.

Sendung: rbb24 Inforadio, 17.05.2024, 14:15 Uhr

Beitrag von Jakob Lobach

43 Kommentare

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  1. 43.

    Und, wo sind sie ?

  2. 42.

    Und was haben die Mitmenschen mit den von ihnen geschilderten privaten Sorgen&Nöte zu tun?

  3. 41.

    Warum verwenden sie solch eine merkwürdige Sprache.
    Das Wort " man " ist neutral und nicht verboten.

  4. 40.

    Ich meine, dass hier sehr viel Wind um Normalität gemacht wird. Homosexualität ist genauso normal wie Hetero- oder Bisexualität. Das hat mit quer eigentlich nichts gemein, sondern nur mit alten dummen Vorurteilen. Die Welt ist bekanntlich bunt. Homo und hetero sind nur Grundfarben. Dazwischen gibt es viele Farbmischungen der Natur bzw. der Natürlichkeit. Das ist bei den Fußballspielern sicher genauso wie beim Publikum der Sportveranstaltungen.

  5. 39.

    Es braucht positive Vorbilder von selbstbewussten Homosexuellen Menschen, denn ein Outing ist für diejenigen die heute ihr Coming Out haben wichtig. Es ist leider ein Dauerthema, denn viele junge Menschrn die merken das sie "anders" sind, sind zunächst einmal tief verunsichert und müssen erst ein Selbstbewusstsein als homosexueller Mensch bilden. Viele erleben dies als Krise bis hin zu Suizid und Suizidversuchen. Leider auch noch in 2024. Es geht nicht um das heraus kehren des "anders seins" und Spaß macht so etwas noch lange nicht. Die Kommentare hier belegen ja gerade das es eben noch viel Aufklärung bedarf.

  6. 38.

    Leider ja, aber ob die Anfeindungen mit solchen Aktionen bei den Hatern geschürt oder gebremst werden, kann man auch diskutieren. Doof bleibt doof

  7. 37.

    Wer meint, dass es solche Aktionen nicht mehr brauchen würde, weil wir ja schon 2024 haben, muss nur mal hier in die Kommentarspalte schauen...

  8. 36.

    Sieht Mensch die Szenen nach ein gewonnene Spiel könnte Mensch meinen: Fans und Spieler lieben einander!

  9. 35.

    Leider vergisst du, das lesbische Liebe eher geduldet war, als die schwule. Wieviel Männer geilen sich sogar daran auf? Aber schwul hieß ja gleichzeitig Männlichkeit verlieren. Und in einer patriachialischen Welt wäre das Entmännlichung. Und davor hatten die Männer nunmal Angst. "Ich bin nicht vom anderen Ufer!" Hast du das von Frauen schon gehört? Aber ich von vielen Männern.
    Dein Gedanke ist sehr schön, aber noch nicht umsetzbar!

  10. 34.

    Och man ey, laßt sie doch so Handel, wie sie wollen. Ihr könnt Euern Senf dazu geben, aber denen nicht Eure Meinung oktroyieren.

  11. 33.

    Ja die Frauen gehen da lockerer mit um und ist da nicht so das Thema. Glaube wenn einer oder einige erstmal sich outen werden andere sich auch trauen

  12. 31.

    Wer meint, dass es solche Aktionen nicht mehr brauchen würde, weil wir ja schon 2024 haben, hat keine Ahnung von der Lebensrealität von homosexuellen Menschen.

    Anfeindungen und Diskriminierung sind noch sehr verbreitet.

  13. 30.

    Klar, wenn diese Leute es so wollen. Geht Sie doch nichts an.

  14. 29.

    Wieso "....sogar bei den eisernen Männern."???
    Das sind doch keine (moralisch) besonderen Spezies, die durch eine längere "eiserne" Schule gegangen sind.
    Nach im Schnitt 28 Monaten Zwischenaufenthalt sind sie wieder "uneisern". Viel zu wenig Zeit für eine besondere Spezifikation. Erstrecht, wenn man von den 28 Monaten x Monate Eingewöhnungszeit und dann noch y Monate abzieht, wo sich mit dem neuen Verein beschäftigt wird.
    Ansonsten stimme ich mit Ihrem Grundtenor überein.
    Plakative Aktionen bringen nichts! Widerstand gegen "Dummheit und Hass" (Hannes Wader) gehört in die "Kurven"!

  15. 28.

    Haben Sie es nicht bemerkt? Grundsätzlich geht es in unserer Gesellschaft um Minderheiten und deren Schutz. Kann nerven, ich weiß. Die Mehrheit hat dafür andere Probleme. Meistens wirtschaftlicher Natur. Ich kann es nachvollziehen, dass es für Minderheiten wichtig ist, wahrgenommen und geschützt zu werden. Es schadet mir nicht, wenn sich jemand outet. Vermutlich hat es etwas mit Empathie zu tun. Den Ansatz, Minderheiten würden strukturell benachteiligt kann ich aber in der heutigen Zeit nicht mehr nachvollziehen.

  16. 27.

    "Ich liebe euch doch alle!"

    Sieht Mensch die Fußballer beim jubeln im Pulk nach gewonnene Spiele, denkt Mensch das alle alle lieben.

    Gut so!

  17. 26.

    Was hat denn das vereinzelte Gleichsetzen von Schwulsein mit Schwäche mit struktureller Herausforderung zu tun? Oder werden in unseren Sportverbänden gezielt homophobe Lehren gelehrt? Oder brauchen homosexuellen Spieler oder Spielerinnen andere Dinge, als die anderen Sportler? Ich glaube kaum.
    Ich verstehe zwar nicht, warum man ein öffentliches Outing heutzutage noch braucht, da unsere Gesellschaft einfach nur bunt in jeglicher Form ist( Sorry, mich nervt dieses Ständige "Ich bin anders und ich möchte Aufmerksamkeit!" - egal bei welchem Grund), wünsche Euch trotzdem viel Spaß dabei!



  18. 25.

    Nur weil etwas selbstverständlich ist, muss es doch nicht beständig öffentlich präsentiert werden. Sofern kein Gesetzesverstoß vorliegt interessiert es mich nicht, wer welche Neigungen hat. Das gehört nun einmal in den persönlichen Intimbereich und nicht an die Öffentlichkeit.

  19. 24.

    Tja, die Mädels haben da weniger Probleme mit. Die zeigen ihre Partnerinnen einfach, ohne, dass sie vorher irgendein Outing durchlaufen. Wäre eine schöne Variante für die Männer. Einfach tun.

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