Mietwagen in Berlin - Bolt, Uber & Co. bieten Fahrten von "Geister-Firmen" an

Mi 02.10.24 | 06:08 Uhr | Von Jana Göbel und Jan Wiese
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Ein Schrottplatz in Altglienicke am Berliner Stadtrand. (Quelle: rbb/Jan Wiese)
Video: rbb24 Abendschau | 02.10.2024 | Jan Wiese | Bild: rbb/Jan Wiese

Die Berliner Mietwagen-Branche sollte jetzt eigentlich sauber sein, denn im Mai sperrte das Land 1.700 illegale Fahrzeuge. Doch nach rbb-Recherchen sind weiterhin dubiose Firmen in der Hauptstadt unterwegs, deren Fahrten über Plattformen wie Uber oder Freenow vermittelt werden. Von J. Göbel und J. Wiese

  • Mindestens zehn große Mietwagen-Unternehmen ohne nachweisbaren Firmensitz im Berliner Raum aktiv
  • Fahrzeuge teilweise trotz Firmen-Sperrungen unterwegs
  • Berliner SPD-Abgeordneter Tino Schopf spricht von Organisierter Kriminalität
  • Kontrollen offensichtlich nicht ausreichend

Ein Schrottplatz in Altglienicke am Berliner Stadtrand: Hier, zwischen Müllhaufen, Bauschutt und herumflitzenden Ratten, soll die P. GmbH zu finden sein. Das Unternehmen gehört zur Mietwagenbranche und befördert Fahrgäste, die über Plattformen wie Uber, Bolt, Freenow oder Bliq vermittelt werden. 31 Fahrzeuge hat die P. GmbH angemeldet. Voraussetzung für die Zulassung war der Nachweis eines Firmensitzes mit Büro und einem Dispatcher, der die Fahrten verteilt. Außerdem sind ein Pausenraum für die Fahrer und ein Stellplatz für jedes Fahrzeug vorgeschrieben.

In einer Baracke könnte mal ein Büro gewesen sein. Die Tür ist offen, im Eingangsbereich stehen ein paar fleckige Sessel, die Türen dahinter sind verschlossen. Ist das der Firmensitz der P. GmbH? "Das sind Geister-Firmen", sagt ein Mann auf dem Platz. "Das sind Verbrecher - aber nennen sie mich nicht, die zünden mir sonst die Bude an."

Verwaiste Betriebssitze

rbb24 Recherche hat in den vergangenen sechs Wochen die Firmensitze von 15 großen Berliner Mietwagenfirmen überprüft: Davon waren zehn verlassen oder das gesuchte Unternehmen war nie an diesem Ort.

In einem Fall ist die Adresse ein Hotel, in einem anderen ein asiatisches Einkaufszentrum, ein weiterer Firmensitz soll sich in einem vergitterten Keller befinden. Überall das gleiche: keine Mietwagenflotte, keine Fahrer, die auf Aufträge warten. Stellplätze verwaist oder gar nicht vorhanden. Dabei müssten laut Personenbeförderungsgesetz die Fahrzeuge nach jedem Auftrag an den Betriebssitz zurückkehren, sofern sie keinen direkten Folgeauftrag erhalten. Auf Nachfragen bei Nachbarn, Geschäftsleuten oder Arbeitern im Umfeld hieß es meist: Die sind verschwunden, die haben wir schon seit Jahren nicht gesehen, oder: Die waren niemals hier.

Die Masche hinter den "Geister-Firmen"

Fehlende Büros, keine Aufenthaltsräume für Fahrer - das dürfte es eigentlich nicht geben, wenn ein Unternehmen in Berlin Fahrgäste transportieren will. Um eine Genehmigung für die Beförderung von Fahrgästen zu erhalten, müssen die Firmen zuvor Mietverträge für Geschäftsräume beim Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (Labo) vorlegen. Doch die Behörde prüfte in der Vergangenheit oft nur auf dem Papier und selten vor Ort. Nachdem die Genehmigung erstmal erteilt ist, scheinen viele Firmen die Mietverträge wieder zu kündigen, um sich die Kosten von etwa 20.000 bis 30.000 Euro im Jahr zu sparen.

Kenner der Szene berichten rbb24 Recherche, dass für die Vermittlung der Fahraufträge an die Fahrer auch keine Firmenbüros oder Dispatcher notwendig seien, weil die Aufträge automatisiert über eine Software an die Fahrer weitergeleitet werden.

Die P. GmbH scheint solch ein Fall zu sein: Im Netz findet sich ein Handy-Kontakt, aber die Nummer ist tot. rbb24 Recherche verschickt einen Brief per Einschreiben, eine Visitenkarte wird im Briefkasten hinterlassen, der Vermieter des Gewerbehofs kontaktiert - ohne dass eine Kontaktaufnahme gelingt. Kontrolleure des Labo waren nach rbb-Informationen 2022 das letzte Mal in Altglienicke vor Ort.

Fahrzeuge der P. GmbH sind jedoch im September 2024 auf Berlins Straßen unterwegs. rbb24 Recherche liegen aktuelle Fahrtbelege vor.

Briefkästen in Altglienicke am Berliner Stadtrand. (Quelle: rbb/Jan Wiese)Briefkästen in Alt-Glienicke am Berliner Stadtrand.

"Gegründet mit dem Ziel, den Staat zu betrügen"

"Dem Berliner Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten ist die Situation entglitten", meint der SPD-Abgeordnete Tino Schopf. "Selbst die zuständige Kontrollbehörde kann viele Firmen nicht mehr finden."

Der verkehrspolitische Sprecher der Berliner SPD im Abgeordnetenhaus stieß bei einer Akteneinsicht auf mehrere ähnliche Fälle. Dabei handele es sich nicht um ein simples Adressenproblem, erklärt Schopf. Aus den Unterlagen, die er einsehen konnte, geht nach seinen Worten hervor, dass mehrere aktive Firmen zu wenig oder keine Unfallversicherungs- oder Krankenkassenbeiträge zahlten sowie Steuern hinterzogen. Es soll dabei um Summen von bis zu 60.000 Euro gehen. "Diese Unternehmen werden gegründet mit dem Ziel, den Staat zu betrügen. Wir reden hier über organisierte Kriminalität", sagt Schopf im Interview mit dem rbb. Auch beim Labo habe man den Trick mit den "Geister-Firmen" inzwischen erkannt und kämpfe dagegen an, ist Tino Schopf nach der Akteneinsicht überzeugt.

Auf Anfrage erklärte die zuständige Senatsverwaltung für Verkehr, das Labo überprüfe zurzeit die Betriebssitze und Geschäftsführer aller in Berlin zugelassenen Unternehmen, die für Plattformen wie Uber, Bolt, Freenow oder Bliq Fahrgäste befördern. "Diese formale Überprüfung führte inzwischen zu 113 Anhörungen und 25 Widerrufen von Genehmigungen. Sie wird voraussichtlich noch bis zum Ende des Jahres andauern", teilt die Pressestelle schriftlich mit.

Sogar nach Sperrung noch auf der Straße

Wenn das Labo nach der Überprüfung den Unternehmen die Zulassung entzieht und die angemeldeten Fahrzeuge sperrt, werden auch die Plattformen darüber informiert. Uber, Bolt und Co. dürfen dann eigentlich keine Aufträge mehr an die Firmen oder die Fahrer weiterleiten. Doch auch das scheint nicht immer zu funktionieren. rbb24 Recherche hat mehrere Autos ausfindig gemacht, die trotz Unternehmenssperrungen auf Berliner Straßen unterwegs waren. Weitere Beispiele fand der Abgeordnete Tino Schopf bei seiner Akteneinsicht.

Alexander Mönch, Präsident der Plattform Freenow Deutschland bestätigt, dass das ein Problem ist. Für sein Unternehmen garantiert er aber: "Sobald uns das Labo informiert, sperren wir die Fahrzeuge noch am selben Tag." Auch die Plattformen Uber und Bliq teilen rbb24 Recherche mit, dass sie gesperrte Autos sofort nach der Information vom Labo aus der Vermittlung nehmen. Bolt schreibt: "Zu diesem Thema möchten wir derzeit keine Stellungnahme abgeben."

Für die Plattformen wäre es durchaus riskant, weiterhin Aufträge an gesperrte Fahrzeuge herauszugeben. Das LABO hätte die Möglichkeit, ein Verfahren gegen sie einzuleiten, wenn es eine solche unerlaubte Vermittlung entdecken würde - hat es bis dato jedoch nach eigener Aussage noch nicht.

"Krimineller Sumpf"

Aus Sicht des SPD-Abgeordneten Tino Schopf ist die Landesbehörde Labo mitverantwortlich für den, wie er sagt, "kriminellen Sumpf, der in den letzten Jahren in dieser Branche entstanden" sei. Schopf zählt Beispiele auf, die er als behördliches Versagen wertet: In einem Fall sei der Betriebssitz zwei Jahre lang nicht kontrolliert worden. Keiner habe gemerkt, dass die Firma niemals vor Ort existiert hat. In mehreren Fällen seien die Unterlagen zur Betriebsprüfung von Firmen lediglich auf Vollzähligkeit geprüft worden. Für eine inhaltliche Prüfung fehle das Personal, hieß es mehrfach in Aktenvermerken. "Wir wissen alle, dass dieses Geschäftsmodell hier in Berlin aber auch anderswo wirtschaftlich legal nicht zu betreiben ist", sagt Schopf.

Schopf fordert jetzt, dass die Labo-Mitarbeitenden eine fachliche und juristische Beratung von externen Experten erhalten sollen - und falls nötig auch mehr Personal. "Denn das Labo ist Teil des Problems, das muss man in dieser Deutlichkeit sagen."

Sendung: rbb24 Inforadio, 02.10.2024, 08.30 Uhr

Beitrag von Jana Göbel und Jan Wiese

68 Kommentare

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  1. 68.

    Ich bleibe trotz der vielen Uber,Bolt etc lieber bei dem "echten" Taxi..ja vielleicht teurer ,manchmal auch mit ner "Kodderschnauze" aber man muss nicht jeden Trend mitmachen.Und ich möchte nicht,daß irgendwann die eierschalenfarbenden Autos aus dem Stadtbild verschwinden wie die Bvg-Doppeldeckerbusse.

  2. 67.

    Da wir schon beim "Du" sind, Kombi mein Bester, Kombi ... also T-Modell. Der schafft was weg. Zwei Reisedemonstranten inkl. Gepäck - ein Witz.

  3. 66.

    Ssssischer datt... und morgen, liebe Kinder erzähle ich euch ein anderes schönes Märchen.

    Logisch, in deine Mercedes-Benz E-Klasse passt ja auch ein komplettes Demoequipment.

    Geschichten aus dem Paulaner Garten...

    *Hier könnte ihre Werbung stehen*

  4. 65.

    Das die Demoteinehmer nicht Bolt und Co. nutzen ist verständlich. Die wollen ja auch ankommen. Ob sie es glauben oder nicht, es wäre nicht die erste Fuhre vom BER inklusive Demoequipment. Ok, ist 'ne normale Taxe, mit Klimazonen, bequemen Sitzen, immer sauber, folgt stets dem guten Stern, Musik nach Kundenwunsch, Ein- und Ausladeservice u.s.w.

  5. 64.

    Was für ein Quatsch! Einfach ohne zu denken nachgeplappert. Glauben sie wirklich es gäbe "die" Jugend"?

    Und dass Klimaaktivisten mit Bolt zur Demo fahren? Dann glauben sie auch dass Zitronenfalter Zitronen falten.

  6. 63.

    Junge Leute nehmen sich immer das heraus, was für sie am bequemsten ist. Aber andererseits die Bevölkerung mit ihren Klimaschutzgedanken drangsalieren.

  7. 62.

    Eigentlich müsste die Berliner Verkehrsverwaltung verklagt werden, weil sie diese unregulierten Pseudotaxis massenhaft auf die Straße gelassen hat. Mietwagen sind übrigens etwas anderes, die werden auf Zeitbasis gebucht und nicht nach einer konkreten Strecke.

  8. 61.

    Das ist ja das Problem. Die Ortskundeprüfung müsste wieder her. So sitzen in den Mietschüsseln oft Fahrer, die ohne Navi nur im Kreis fahren können und selbst da vertippen die sich noch bei der Zieladresse.

  9. 59.

    Ein schönes Abbild der Berliner Verwaltung. Warum prüft man das erst jetzt? In anderen Städten und Bundesländer ist die Prüfung nach Firmensitz und Geschäftsführer Teil des Genehmigungsprozesses. Aber Berlin setzt je bekanntlich andere Prioritäten :-)

  10. 58.

    alle Fahrdienstler brutalst verknacken, wenn die nochmal die Bushaltestelle Invalidenstraße blockieren.

  11. 57.

    Die "Liberalisierung" des Arbeitsmarkts macht's möglich. Neoliberale Ideen sind nunmal grundweg eng verbunden mit sowohl Nähe zu organisierter Kriminalität als auch Rechtsextremismus. Ersteres sieht man in diesem Fall. Wer überhaupt den 'Ubers' und Co. das Geschäft erlaubt, gehört prozessuiert, nicht die Nutznießenden, die die sich bietende, per se unübersichtliche Lage ausnutzen. 'Uber' und andere Fahrdientsleistermodelle außerhalb von Taxi-Unternehmen funktionieren mehrheitlich nur kriminell. Und mit denen sollen jetzt Taxis noch zusätzlich konkurrieren. Nein, der Fisch beginnt, vom Kopf an zu stinken. Dieses gesamte Modell gehört komplett verboten, da auf allen Ebenen, inkl. Sozialabgaben und Steuern, betrogen wird. Man muss sich gar nicht erst auf ein Katz- und Mausspiel einlassen, Personal zum Überprüfen aufstocken etc. Neoliberale Ideen richten sich grds. gegen den Staat und die Allgemeinheit - das hat zu enden.

    Aber gute investigative Arbeit des rbb, muss man sagen.

  12. 56.

    Taxis sind einfach zu teuer. Junge Leute nehmen Uber und Co.
    Denke sind viele Zusammenhänge unklar und oder nicht wichtig.
    Sie kommen meistens sicher nachhause und müssen nachts nicht durch die Mühle des ÖPNV durch.
    Also Kontrollen hoch. Uber wird teuerer, dann fahren alle wieder die guten verlässlichen Taxis.

  13. 54.

    Die Taxi Lobby ist am arbeiten

    10 min fahrt 30 € dann weis mann nicht wieviel es kosten wird
    Kurze Strecken will keiner Fahren

    quer durch Berlin

    Warum möchten die Fahrgäste mit diese Apps fahren
    das müssten man mal recherchieren

  14. 53.

    Jeder der Uber bolt Fahren kann
    auch taxi fahren
    ist der gleiche schein

  15. 51.

    Das A und O sind Kontrollen. Gesetze gibt es genug. Ich habe seit Mitte der 70er meinen Führerschein und fahre seitdem unfallfrei und zu den unterschiedlichsten Tages-und Nachtzeiten. In Verkehrskontrollen bin ich in der ganzen Zeit höchstens fünf Mal gekommen. Es muss doch behördlich möglich sein, solchen Machenschaften das Handwerk zu legen und mit solchen Strafen zu versehen, dass es sich jeder überlegt, den Staat dermaßen am Ring durch die Manege zu führen.

  16. 50.

    Die gelben Profis befördern Pakete und sind eher langsam unterwegs.

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