Interview | Modigliani-Ausstellung im Museum Barberini - "Ein Künstler voller Geheimnisse"

Sa 27.04.24 | 11:33 Uhr
  2
Ein Mann fotografiert am 25.04.2024 mit seinem Smartphone nach der Pressekonferenz zur Ausstellung "Modigliani. Moderne Blicke" im Museum Barberini das Bild "Auf der Seite liegender Frauenakt (2017, Öl auf Leinwand) von Amedeo Modigliani (Quelle: dpa/Soeren Stache)
Audio: Inforadio | 26.04.2024 | Frank Schroeder/Ortrud Westheider | Bild: dpa/Soeren Stache

Skandalöse Aktbilder und Drogenkonsum: Damit wird der Künstler Amedeo Modigliani oftmals assoziiert. Dass dieses Bild zu kurz greift, will eine neue Ausstellung im Museum Barberini zeigen. Ein Gespräch mit der Museumsdirektorin Ortrud Westheider.

rbb: Frau Weistheider, worin liegt die andauernde Begeisterung für Amedeo Modigliani? Es gab schon Bilder, die für 160 Millionen Euro versteigert worden sind.

Ortrud Westheimer: Modigliani ist immer noch ein Künstler voller Geheimnisse. Er ist im Jahr 1920 mit 35 Jahren gestorben. In einem Moment, in dem er schon Ausstellungsbeteiligungen in New York und in London hatte. Alle haben da schon gemerkt: Da ist Potenzial, aus dem wird was. Und dann ist er gestorben. Und diesen Moment, den spürt man auch in den Werken. Außerdem war er ein Vordenker. In seinen Figuren, Bildern und im Porträt nimmt er etwas vorweg. Es ist diese Unausweichlichkeit, dieses existenzielle Moment. Er ist wirklich interessiert an dem Menschen, an dem Individuum, aber ohne jedes Interesse für Milieu, für Stand, für Klasse. Ob das eine Bettlerin ist oder eine Fabrikantengattin, das ist ihm egal. Es ist der Mensch, den ihn interessiert. Ich denke, das macht auch die andauernde Faszination für diesen Künstler aus.

Infos im Netz

Was stört Sie an der bisher gängigen Rezeption von Modigliani?

Wie Modigliani gesehen wird, geht zurück auf eine Lebensbeschreibung von einem Zeitgenossen. André Salmon beschreibt ihn darin als Drogenkonsument und Partygänger. Wir hatten den Wunsch, mit dieser Ausstellung die Bilder sprechen zu lassen. Denn in dieser Biografie taucht die Kunst gar nicht auf – oder sie ist sehr missgünstig beschrieben. Und dass sich dieses Bild so lange gehalten hat, das hat uns einfach gestört. Und wir sind jetzt ausgegangen von dem, was wir im Werk finden.

Welche Entdeckungen haben Sie gemacht?

Wir sind auf Frauen-Porträts gestoßen, die im Ersten Weltkrieg entstanden sind. Und die sind ungewöhnlich. Sie zeigen eine ultra-moderne Frau mit einem männlichen Haarschnitt und Krawatte. Das sind Zeichen für eine Emanzipation. Wir haben die Biografien der Frauen recherchiert und festgestellt, dass Modigliani sehr viele "It-Girls" kannte, zum Beispiel Kiki de Montparnasse oder Nina Hamnet.

Was hat das mit dem Skandal von 1917 zu tun? Damals stellte die Pariser Galerie Berthe Weill Aktgemälde von Modigliani aus, die auf Anordnung der Polizeistation abgehängt wurden…

Wir haben die Akte neu interpretiert, weil wir glauben, dass der Skandal nicht durch das Thema Nacktheit hervorgerufen wurde. Wir glauben, der Grund war die Art, wie die Frauen dargestellt sind. Weil sie eben selbstbewusst waren, weil Modigliani sie nicht wie die Salonkünstler objektifiziert hat, sondern wirklich im Gegenüber gemalt hat. Und das ist die neue These, die wir hier vorstellen wollen.

Elena Povolozky (1917/Öl auf Leinwand, 64,77 x 48,58 cm/ The Phillips Collection, Washington, D.C.) von Amedeo Modigliani (Quelle: akg-images / Album)Elena Povolozky war Malerin und Buchhändlerin

Welche neuen Erkenntnisse gibt es über Modigliani als Menschen?

Man muss sich Modigliani als einen sehr kommunikativen Geist und einen unterhaltsamen Menschen vorstellen. Er war mit ganz vielen Künstlern und Künstlerinnen in der Zeit vernetzt, hat Briefe geschrieben.

Im bisherigen Forschungsbild verengt sich die Ansicht, dass er durch Drogen zur Kunst kam. Das ist auch das, was André Salmon in seiner wirklich missgünstigen Biografie kolportiert hat. Und das kann man wirklich widerlegen.

Im vergangenen Jahr gab es schon eine Modigliani-Ausstellung in Philadelphia, in der man seine Maltechnik untersucht hat. Und die ist sehr präzise, sehr abgewogen, Schicht auf Schicht. Er bereitet alles in Ruhe und mit sehr vielen Zeichnungen vor. Das ist nichts, was man mal so in irgendeinem Drogenrausch auf die Leinwand haut. Und ich denke, allein das spricht Bände. Und hier wirklich die Kunst zu befragen, sich von Bild zu Bild sein Leben vor Augen zu führen: Das leistet diese Ausstellung.

Welches ist Ihr Lieblingsbild der Ausstellung?

Es zeigt Elena Povolozky. Sie war eine Malerin, Buchhändlerin und hat gemeinsam mit ihrem Mann auch Bücher verlegt. Das war das intellektuelle Umfeld von Modigliani. Er hat sie in einem großen Format porträtiert, mit diesen wunderbaren Augen, die einen anschauen, aber auch nach innen schauen. Sie ist gekleidet wie ein Mann und trägt den Kurzhaarschnitt. Sie gehörte zu einer Gruppe von emanzipierten und unkonventionellen Frauen, mit denen sich Modigliani umgab. Diesen Typus von Frau mit Kurzhaarschnitt, mit Matrosenkragen oder mit Krawatte, den sehen wir auf Modiglianis Bildern ganz früh und ganz oft. Und er ist vielleicht der Erste, der dafür ein Auge hatte. Später, in der Malerei der Neuen Sachlichkeit – gerade auch in Deutschland – haben wir das ganz oft. Da sind die Frauen sportlich, dünn, intellektuell und wie ein Mann gekleidet. Aber das beginnt in Paris, und Modigliani ist ganz vorne dabei.

Es gibt aber nicht nur Modigliani-Bilder zu sehen…

Zum allerersten Mal wollen wir Modigliani auch in diesem erweiterten europäischen Kontext zeigen. Und das ist die Arbeit an dem Menschenbild einer jungen Generation von Brücke-Künstlern, Blauer Reiter, aber auch von Künstlern aus der Wiener Moderne. Modigliani hatte zum Beispiel Kontakt zu Ludwig Meidner, er war bekannt mit Hans Arp, hatte dann auch Kontakte zum Züricher Dada Kreis. Und wir wollten das einfach mal aufmachen, denn Modigliani immer nur in der École Paris zu zeigen, verengt die Sicht.

Außerdem zeigen wir Künstlerinnen, die eben auch den nackten Frauenkörper gemalt haben. Und wir sehen, dass da eine ganz ähnliche Auffassung ist, die sehr nüchtern ist, sehr direkt, sehr nahe und eben überhaupt nicht objektifizierend oder sexualisiert.

Vielen Dank für das Gespräch!

Sendung: Inforadio, 26.04.2024, 12:54 Uhr

2 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 2.

    Leider werden Künstlerinnen, die oft nicht unbegabter waren als ihre Männer oder ihre Kollegen verschwiegen oder als Randnotiz geführt..Jeanne Hebuterne, die mit Modigliani liiert war und mit dem 2. Kind von ihm schwanger war, hat selbst beachtliche Kunstwerke geschaffen. Blieb aber immer unbekannt.
    Wer weiß wer von den beiden den anderen wie beeinflusst hat?
    Ich würde auch nicht sagen, dass die Akte Modiglianis kein typischer Männerblick auf Frauen ist. Man stelle sich vor, ein Frau würde in dieser Form Männer malen...das wäre dann schon eine Art von Belästigung, oder?

  2. 1.

    Sehr interessanter Beitrag. Vielen Dank dafür. Wir freuen uns schon auf die Ausstellung.

Nächster Artikel