Ein Bericht und seine Folgen - Wie geht es weiter mit der Potsdamer Rabbiner-Ausbildung?
Seit Monaten werden das Institut für Jüdische Theologie und das Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam von einem Skandal erschüttert. Nach dem Bericht einer Untersuchungskommission fallen die Reaktionen sehr unterschiedlich aus. Von Carsten Dippel
Wie es weitergeht, ist auch nach der Veröffentlichung des Untersuchungsberichts der Universität Potsdam offen. Die Kommission war Vorwürfen von Machtmissbrauch und Übergriffigkeit im Bereich der Jüdischen Theologie nachgegangen. Ja, alle Aussagen Betroffener sprächen dafür, dass Universitätsprofessor und derzeit beurlaubter Kollegleiter Walter Homolka zuviel Macht gehabt und sie auch missbraucht habe, stellt der Bericht fest - durch Ämterhäufung, durch problematische Studien- und Arbeitsverhältnisse.
Die Rede ist von Einschüchterung, Drohungen und Karriereeingriffen. Die Duldung sexueller Übergriffe durch einen ehemaligen Dozenten des Kollegs sah die Kommission hingegen "nicht nachweislich bestätigt", wie es wörtlich heißt - eine vorsichtige Formulierung, kein deutlicher Freispruch. Disziplinar- oder gar strafrechtliche Konsequenzen fordert die Kommission nicht.
Rabbiner Homolka, der seine zahlreichen Ämter derzeit ruhen lässt, ist seit dem 1. Oktober wieder im universitären Dienst. Rabbiner Netanel Olhoeft, Dozent an der School of Jewish Theology, dem Institut für Jüdische Theologie der Uni Potsdam, hält den Bericht an entscheidenden Stellen für vage und widersprüchlich. Er glaube schon, dass der Bericht einiges verändern könne. Allerdings beschäftige er sich eher mit juristischen, weniger mit jüdisch-ethischen oder moralischen Fragen, die aber gerade bei der Rabbinerausbildung sehr wichtig seien, sagte er in einem Interview.
Hohe Wellen
Es war zu erwarten, dass die Ergebnisse der Kommission große Aufmerksamkeit erfahren würden. Inzwischen mehren sich kritische Stimmen. Das hat wohl auch mit einem Interview zu tun, das Rabbiner Homolka in dieser Woche der "Zeit" [Bezahlschranke] gab. Darin weist er vehement alle Anschuldigungen zurück. Er spricht von einer Rufmordkampagne und von einer Attacke konservativer Kreise im Zentralrat. Homolka geht seit Monaten auch juristisch gegen die Medienberichterstattung vor. In der "Zeit" erklärt er, er "lasse das verbieten". Das wird angesichts der Feststellungen des Berichts in Zukunft schwieriger werden.
Die Allgemeine Rabbinerkonferenz (ARK), in der alle liberalen Rabbiner und Rabbinerinnen zusammenkommen, sprang ihm in einer Pressemitteilung bei. Der ARK-Vorstand sieht Homolka durch den Uni-Bericht entlastet. Rabbiner Olhoeft, der Mitglied in der ARK ist, hat kein Verständnis für diese Stellungnahme. "Ich halte es für unklug, eine so einseitige Pressemitteilung rauszuschicken, wo einfach nur die entlastenden Teile des Uni-Berichts betont werden und die Homolka belastenden Teile einfach ignoriert werden", sagt Olhoeft.
Klare Distanzierung jüdischer Wissenschaftler
Auf deutliche Distanz zu Homolka geht der wissenschaftliche Beirat des jüdischen Begabtenförderungswerkes Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (Eles). Es wurde einst von Homolka ins Leben gerufen. Eine deutliche Mehrheit des Beirats, dem 30 jüdische Wissenschaftler angehören, fordert nun die Abberufung von Homolka als Vorsitzendem und seine Entfernung aus allen Führungspositionen. Der Untersuchungsbericht der Universität Potsdam zeige gravierendes wissenschaftliches Fehlverhalten durch Homolka auf, was diesen für seine Arbeit im Rahmen des Studienwerks disqualifiziere, erklärte der Eles-Beirat.
Wie sehr dieser weit über Potsdam hinaus wirkende Skandal die jüdische Welt erschüttert, war vergangenen Sonntag zu spüren, als in einer feierlichen Zeremonie im Audimax der Universität zwei Rabbinerinnen und ein Rabbiner ordiniert wurden. Irene Muzas Calpe, Ann Gaëlle Attias und Andrès Bruckner haben ihre Ausbildung am konservativen Zacharias Frankel College erhalten, das ebenfalls zu der von Rabbiner Homolka einstmals gegründeten GmbH gehört.
Das Frankel College, dessen geistliche Aufsicht ein unabhängiges Gremium, nämlich der Ziegler School in Los Angeles obliegt, gehört - unter einem Dach mit dem Abraham Geiger Kolleg und der School of Jewish Theology - zum jüdischen Campus in Potsdam.
Keine gewöhnliche Rabbinerordination
Dass dies keine gewöhnliche Ordination war, wurde in den Festreden deutlich, die von Sorge um die Zukunft der liberalen und konservativen Rabbinerausbildung in Deutschland getragen waren. Trotzdem: Im voll besetzten Audimax der Universität herrschte am vergangenen Sonntagnachmittag eine festlich-fröhliche Stimmung. So viele Rabbiner und Anwärter auf das geistlich-jüdische Amt hatte die Universität noch nicht gesehen. Es war die erste Ordination im Land Brandenburg überhaupt. Die Gäste kamen aus der ganzen Welt. Masorti Olami, der Weltverband des konservativen Judentums, war stark vertreten.
"Für das Frankel College war es wahnsinnig wichtig, diese Ordination in Potsdam zu feiern", sagt Sandra Anusiewicz-Baer, "um klar zu machen: Die Ausbildung hier und die Arbeit, die wir machen, die ist erfolgreich." Die Leiterin des College betont dies vor dem Hintergrund des Skandals, der die Arbeit erschwere und für Studierende wie Mitarbeiter des gesamten Kollegs eine große Belastung sei.
Bekenntnis zum Standort Potsdam und ein leerer Stuhl
Oliver Günther, der Präsident der Universität Potsdam, bekannte sich bei der Ordinationsfeier zwar zu den beiden Ausbildungskollegs und zur Jüdischen Theologie auf dem Campus am Neuen Palais. Wie die liberale und konservative Rabbinerausbildung, zu der auch noch eine Kantorenschule zählt, neu aufgestellt werden kann, diese Frage konnte er jedoch nicht beantworten.
Wie geht es weiter? Rabbiner Olhoeft fordert, dass die Entscheidung über die Zukunft der liberalen Rabbinerausbildung nicht hinter verschlossenen Türen fällt. Er schlägt vor, dass sich ein breit aufgestelltes Gremium jüdischer Gelehrter in Zusammenarbeit mit den Gemeinden berät.
Abzuwarten bleibt der Bericht der vom Zentralrat der Juden in Deutschland beauftragten Rechtsanwaltskanzlei Gercke & Wollschläger. Er soll Anfang kommenden Jahres vorliegen. Die drei Absolventen des Zacharias Frankel College werden ihre Arbeit als Rabbinerin und Rabbiner für jüdische Gemeinden in Barcelona, Toulouse und Bochum übernehmen. Ihre Ordinationsfeier war die erste des Kollegs ohne Geschäftsführer und Rektor Walter Homolka. Dessen Stuhl blieb leer.
Sendung: rbb24, 26.10.2022, 21:45 Uhr