Schadenersatz nach "Artemis"-Razzia - Auch Bordellbetreiber haben "Recht auf guten Ruf"

Di 20.12.22 | 20:13 Uhr | Von Ulf Morling
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Archivbild: Einsatzkräfte von Polizei, Staatsanwaltschaft, Steuerfahndung und Zoll durchsuchen am 13.04.2016 ein Groß-Bordell in der Nähe des Funkturms in Berlin Charlottenburg. (Quelle: dpa/P. Zinken)
Video: rbb24 Abendschau | 20.12.2022 | Nachrichten | Bild: dpa/P. Zinken

900 Beamte hatten 2016 das Bordell "Artemis" in Halensee durchsucht, weil angeblich Prostituierte wie Sklavinnen gehalten wurden. Wegen haltloser Vorwürfe muss nun das Land Schmerzensgeld an die Betreiber zahlen. Von Ulf Morling

Das Kammergericht spricht ein hartes Urteil über die Berliner Staatsanwaltschaft und den damals leitenden Oberstaatsanwalt Berlins, Andreas Behm, der inzwischen Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg ist.

Der 9. Senat des Kammergerichts spricht in seinem Urteil am Dienstag von "vorverurteilenden, reißerischen Äußerungen", "amtspflichtverletzenden Informationen an die Öffentlichkeit, die in unzutreffender Weise reißerisch formuliert waren und von "falschen unzutreffenden Aussagen über angebliche Gewalt und ausgebeutete Prostituierte" in dem Großbordell "Artemis" der beiden Brüder S.

Die Brüder waren wegen der am 14. April 2016 getätigten Äußerungen der Ermittler in einer Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft vor Gericht gezogen, ihnen wurde jetzt "eine Geldentschädigung" zugesprochen.

Berlin muss nach Razzia in "Artemis" Schadenersatz zahlen

Die Feststellungen des Kammergerichts im jetzigen Urteil sind seit langer Zeit rechtskräftig von Gerichten anerkannt worden. Wegen vorverurteilender und grundrechtsverletzender Äußerungen der Staatsanwaltschaft in der Presskonferenz einen Tag nach der Razzia, die die beiden Betreiber S. unter anderem in die Nähe organisierter Kriminalität rückten, muss deshalb das Land Berlin 100.000 Euro Schadenersatz an die beiden Brüder leisten.

Zuletzt hatte sich Justizsenatorin Lena Kreck (Die Linke) einem gütlichen Vergleich verweigert, obwohl das Gericht lange versuchte, eine Einigung herbeizuführen. Im Urteil wurde von der Verletzung des Artikel 2 des Grundgesetzes gesprochen (Verletzung der Persönlichkeitsrechte) und der Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention durch die Berliner Staatsanwaltschaft. Einige Male erwähnte die vorsitzende Richterin konkret den damals "leitenden Oberstaatanwalt" Berlins, ohne den Namen Andreas Behm zu nennen.

Uns ging es nie um Geld

"Artemis"-Betreiber

Beide Eigentümer des "Artemis" waren zur Urteilsverkündung nicht im Kammergericht erschienen, ebenso nicht die Vertreter des Landes Berlin. Das Gericht hatte dem Land Berlin zuvor 25.000 Euro als gütlichen Vergleich vorgeschlagen. Das Geld wollten die beiden Kläger einem gemeinnützigen Projekt für Kind spenden und nicht als Schadenersatz behalten. Berlin hatte das Angebot trotz eindeutiger Worte des Gerichtes abgelehnt. "Uns ging es nie um Geld", ließen die beiden Eigentümer des "Artemis" nach dem Urteil über ihren Anwalt gegenüber der Presse erklären.

Sie hätten gewollt, "dass jemand anerkennt, dass das, was uns durch das unzulässige Vorgehen von Polizei und Ermittlungsbehörden widerfahren ist, nicht rechtens war".

Richterin: Bordellbetreiber haben "Recht auf guten Ruf"

Die Vorsitzende Richterin stellte im Urteil fest, dass selbst im späteren Zivilprozess noch die Ehre und die Persönlichkeitsrechte der beiden Brüder und Geschäftsführer des "Artemis" dadurch verletzt worden seien, weil ihnen ihr guter Ruf abgesprochen wurde. Doch die beiden Bordellbetreiber seien schon lange gänzlich frei von jedem Verdacht, deshalb genössen sie das Recht auf einen guten Ruf, wie jeder andere Bürger, hieß es im Urteil. Auch wenn sie - ohne sich etwas zu Schulden kommen zu lassen - ein Bordell führten.

Die polizeilichen Erkenntnisse durch die Razzia seien vor der vorverurteilenden Pressekonferenz noch nicht einmal ausgewertet gewesen durch die Ermittler, stellte die Richterin im Urteil fest und qualifiziert das Verhalten einiger Staatsanwälte auf der Pressekonferenz mehrfach als grundgesetzwidrig und Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention. Durch den Staat selbst sei damals die Unschuldsvermutung missachtet worden, das wiege besonders schwer, führte sie aus.

Alle Vorwürfe inzwischen als haltlos erwiesen

Ende September 2005 hatte der "FKK-Sauna-Club Artemis" in Halensee eröffnet. Lange im Voraus hatten die Brüder S. Kontakt mit den Behörden bis zum Landeskriminalamt und den Steuerbehörden gesucht, so einer ihrer Rechtsanwälte, Silvin Bruns. Selbst die bei der Razzia 2016 federführende Staatsanwältin sei bei einer "Hausversammlung" im "Artemis" anwesend gewesen, bei der über die Belange des Hauses von den als Selbstständige tätigen Prostituierten diskutiert worden sei.

Bis heute sei ihm nicht klar, warum die fälschlich erhobenen Vorwürfe der engen Kontakte zur Organisierten Kriminalität, wie den Hells Angels und angeblich sklavenähnlichen Bedingungen für die Prostituierten, erhoben worden seien, zu der Razzia und falschen Vorwürfen bis zur millionenschweren Steuer- und Abgabenhinterziehung führten. Alle Vorwürfe haben sich inzwischen rechtskräftig als haltlos erwiesen.

Anwalt spricht von "extremem Tiefschlag für die Rechtsstaatlichkeit der Verwaltung"

Das gesamte Verfahren durch die Ermittler und Staatsanwaltschaft habe "rechtsstaatlichen Prinzipien absolut widersprochen", sagt Rechtsanwalt Bruns. Das zeige sich an der öffentlichen Vorverurteilung damals, der Razzia 2016 mit bis rund 900 Beamten und großem Presseaufgebot. Nicht tragbar sei auch die Berliner Verwaltung, die sich nicht nur nicht entschuldigt habe für "ihre Fehler, die die Gerichte rechtskräftig festgestellt haben, sondern auch immer wieder nachgetreten und behauptet hat, es gäbe noch Verdachtsmomente". Das sei "ein extremer Tiefschlag für die Rechtsstaatlichkeit der Verwaltung, aber nicht der Gerichte", wie Bruns im Gespräch mit dem rbb ausdrücklich betonte.

Das Urteil hat noch keine Rechtskraft. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Sendung: rbb24 Abendschau, 20.12.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Ulf Morling

17 Kommentare

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  1. 17.

    Und wieder mal hat sich RRG lächerlich gemacht !!!

    Diese Regierung ist nicht nur für Berlin NICHT mehr tragbar, denn sie sind IMMER der Meinung sich über Recht und Gesetz hinwegsetzen zu können, werden dann aber Ständig von Gerichten zurückgepfiffen, RRG, RGR, oder wie immer es heißen mag ist der Untergang Deutschlands !!!

  2. 16.

    .“ Ich hoffe die Betreiber spenden jetzt die 100k, dann sehe ich über die Steuerverschwendung (Der Linken) auch ein bissel hinweg...“

    Warum sollte er spenden? Pustekuchen.

    Das Land Berlin geht ja selbst nicht mit gutem Beispiel voran, es hätte ja spenden können.

    Ich würde mir eine Rolex kaufen, staatsfinanziert durch die Linke.

  3. 15.

    Toll, ein staatlich finanzierter Puff.

  4. 14.

    diese justizsenatorin ist ein segen für unsere stadt, nicht mit gold aufzuwiegen.

  5. 13.

    Dieses "blödsinnige Gewerbe" dürfte das älteste der Menschheit sein...

  6. 12.

    "dann sehe ich über die Steuerverschwendung (Der Linken) auch ein bissel hinweg..."

    das sollen Sie aber gar nicht. Und schon gar nicht über die Rechtsbrüche. Die kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Alle sind vor dem Gesetz gleich- und eigene politische, moralische, religiöse oder sonstigen Befindlichkeiten haben außen vor zu bleiben. Heute trifft es Bordellbetreiber, morgen Aktivisten, die einem nicht gefallen, übermorgen Minderheiten, und überübermorgen Sie oder mich oder einen anderen der Leser.

    Ich hoffe, Herr Baum hat ein Fünkchen Ehre behalten und tritt nach dieser schallenden Ohrfeige zurück- so jemanden möchte ich nicht an der Spitze der Staatsanwaltschaft haben- das macht mir Angst!

  7. 11.

    Der eigentliche Brüller daran ist aber, dass das die aktuelle Justizsenatorin und „Juraprofessorin“ Lena Kreck verbockt hat, denn das Gericht hatte zuvor einen Vergleich vorgeschlagen, und Kreck hat das – allzuweit scheint es mit der juristischen Erfahrung nicht her zu sein – einfach nicht eingesehen.

  8. 10.

    "...Durch den Staat selbst sei damals die Unschuldsvermutung missachtet worden..." - Genau die soll jetzt nach dem Willen der Faeser umgekehrt werden. Wehred den Anfängen....

  9. 9.

    Das sind die Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts.
    Bordellbetreiber sind auch Steuerzahler und Eltern.

    Unsere Staatsbediensteten müssen lernen die Sprache des 21. Jh. zu sprechen. Man schaue in die USA oder nach Skandinavien.
    Die Zeit, wo die Bauern mit Händen in den Tasche ihre dicken Kartoffeln bestaunt haben, ist vorbei.

    Wir brauchen Intelligenz auf multiplen Ebenen, auch die Linke muss das lernen.

  10. 8.

    Es ist ein Lichtblick, dass für Jedermann geltendes Recht hier nun letztlich durch das Gericht durchgesetzt wurde! Eine gewisse Häme über die nun deutlich höhere Strafzahlung kann ich nicht verhehlen...
    Schade nur, dass diese Strafe nicht die Behördenvertreter zahlen müssen.

  11. 7.

    Solche "Beamte" sollten schadensersatzpflichtig gemacht werden. Aber das passt zu diesem dilettantischen Senat.

  12. 6.

    Ach die Nummer, wo der Herr Henkel unbedingt den Großstadt-Sheriff spielen wollte und dann noch die Wahl.
    Das ging mächtig nach hinten los und da er nicht mal Mut hatte zurückzutreten, wurde er zum Hinterbänkler und der "energiepolitischer Sprecher" der CDU - sprich er hatte so richtig nichts mehr zu sagen in der Fraktion.

  13. 5.

    Sie verstehen das Gewerbe nicht, kommentieren aber trotzdem. Warum eigentlich?

    Und nein, mit ihrem kleinen Sohn können sie nicht da rein, nur sie alleine.

  14. 4.

    Unglaublich wie hier Recht gebeugt wurde. Hat das irgendwelche Konsequenzen ?

  15. 3.

    Es gibt auch Hotels "Nur für Erwachsene" sowie Swingerclubs, Nachtbars etc. Für jeden das Seine, man muß nicht alles verstehen und gut heißen. Das aber eine Behörde & Verwaltung über fast ein Jahrzehnt Ihre Fehler im Umgang mit Unternehmern die ein legales Gewerbe betreiben und steuern zahlen bockig bis hartnäckig, trotz wiederholten richterlichen Hinweisen, beibeahlten läßt tief über den Geist in der Verwaltung blicken! Es geht garantiert weiter abwärts bis die Karre Metertief im Schlamm fest sitzt.

  16. 2.

    „kann ich da auch mit meinem kleinem Sohn vorbeikommen?“
    Das können Sie nicht einmal mehr in einer normalen Sauna oder am FKK-Strand. Warum? Weil immer mehr sich da „tummeln“ die der Meinung sind, dass es sie nicht stört, wenn andere sich ausziehen. Warum wird in einem Land mit hoher Toleranz geduldet, dass man sich nicht einmal mehr zu Hause wohl fühlen kann? Warum lässt man das zu?

  17. 1.

    "FKK-Sauna-Club Artemis", aha, klingt für mich wie eine Sauna Landschaft, kann ich da auch mit meinem kleinem Sohn vorbeikommen? Aber wie dem auch sei, ich verstehe so ein blödsinniges Gewerbe nicht, aber die Kläger haben hier recht. Das wird mit Sicherheit Geschäftsschädigend gewesen sein, von daher ist das Urteil auch OK. Ich hoffe die Betreiber spenden jetzt die 100k, dann sehe ich über die Steuerverschwendung (Der Linken) auch ein bissel hinweg...

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