Klagen über Missstände in Berliner Bahnhofsmission - "Ich finde das absolut würdelos"

Mo 03.04.23 | 07:57 Uhr | Von Thomas Klatt
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Personen stehen in der Schlange der Essenausgabe an der Bahnhofsmission am Zoo. (Quelle: dpa/Fabian Sommer)
Audio: rbb24 Inforadio | 03.04.2023 | Thomas Klatt | Bild: dpa/Fabian Sommer

Ein offener Brief ehrenamtlicher Mitarbeiter weist auf gravierende Missstände bei der Bahnhofsmission am Zoo hin. Von unwürdigen Verhältnissen ist die Rede. Auf den neuen Leiter kommt jetzt offensichtlich viel Arbeit zu. Von Thomas Klatt

Sie ist nicht erst seit Christiane F. und dem Buch "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" eine feste Größe in der City West: Die Bahnhofsmission der Berliner Stadtmission am Bahnhof Zoologischer Garten in der Jebensstraße 5 - oder kurz: "Bami" am Zoo. Über Jahrzehnte fanden hier Bedürftige Einlass und konnten sich zumindest stundenweise aufwärmen.

Nun aber gibt es Unmut unter den dort ehrenamtlich Tätigen. Von würdelosen Verhältnissen ist die Rede. Zwei von ihnen haben jetzt einen offenen Protestbrief geschrieben.

Auf der offiziellen Webseite [berliner-stadtmission] hingegen ist die Welt - so scheint es - noch die alte. Auf einem dort gezeigten Foto ist Michael Müller noch Regierender Bürgermeister, Hermann Gröhe Bundesgesundheitsminister und in der Mitte lacht der Leiter der Bahnhofsmission am Zoo, Dieter Puhl. Tatsächlich aber ist Puhl - wie die anderen Herren auf dem Foto - nicht mehr im Amt.

Zu Puhls Zeiten halfen meist mehr als 150 Ehrenamtler rund um die Uhr in der Bahnhofsmission. Er suchte die Nähe zur Presse. Puhl sei ein "Menschenfänger" gewesen, sagt begeistert der Rentner Jürgen Küpper, der seit elf Jahren in der "Bami" aktiv ist - als einer von gerade noch rund 50 Ehrenamtlern, die versuchen, in der Berliner Jebensstraße den Betrieb irgendwie am Laufen zu halten.

"Es fühlt sich an wie eine Futterzeit für Tiere"

Denn vieles ist anders geworden. Seit Dieter Puhl in den Ruhestand gegangen ist, fehlt der Bahnhofsmission eine kontinuierliche Leitung. Wie früher stehen auch jetzt täglich Bedürftige vor der "Bami" in der Jebensstraße und warten auf die Ausgabe. Hinein dürfen sie aber jetzt nicht mehr, um wie früher in Ruhe zu essen, zu trinken oder zu reden, oder um passende neue Kleidung für sich suchen und anprobieren zu können. "Ich finde das absolut würdelos, wie da Essen und Getränke herausgereicht wird", sagt Jürgen Küpper. "Es fühlt sich an wie eine Futterzeit für Tiere."

Die zuständige Pressesprecherin der Berliner Stadtmission, Barbara Breuer, sieht darin aber kein Problem: "Unserer Meinung nach läuft alles rund", sagte sie dem rbb und betont: "Wir versorgen dort täglich mehr als 600 Menschen. Die meisten davon sind obdachlos, einige auch bedürftig. Der Standort wurde erweitert. Zusätzlich zur Bahnhofsmission haben wir dort auch das Zentrum am Zoo."

Stadtmission argumentiert mit baurechtlichen Fragen

Küpper aber hat zusammen mit seiner Mit-Ehrenamtlerin Julia Wächter aus Protest einen offenen Brief geschrieben. Darin heißt es: "Der Einlass der Gäste in die Räume der Bahnhofsmission war während der Pandemiezeit nicht gestattet. Im Notprogramm versorgten wir unsere Gäste und reichten Lebensmittel und Getränke übers Fenster nach draußen. Das ist ein dem Menschen unwürdiger Zustand, der unbedingt schnell geändert werden muss! Soweit bekannt, ist die Bami am Zoo die letzte dieser Einrichtungen, die einen vorübergehenden Aufenthalt der Gäste in unseren Räumen nicht zulässt."

Pressesprecherin Barbara Breuer hingegen verweist darauf, dass die Türen aus baurechtlichen Gründen weiterhin verschlossen blieben. "Die Filteranlagen sind nicht so, dass wir da viele Menschen auf einmal hereinlassen können", sagt sie. "Es gibt keinen zweiten Fluchtweg. Also es gibt Auflagen, die wir erfüllen müssen und die uns daran hindern, den Betrieb so aufzunehmen, wie es davor war."

Streit um Fluchtwege

Ehrenamtler Jürgen Küpper - von Beruf Architekt - sieht das anders. Nach seinen Angaben sind mehrere Fluchtwege vorhanden. Neben dem Haupteingang gebe es auch Fenster zur Straße. "Da stell ich mir einen Stuhl hin und bin aus dem Fenster raus." Zu den laut Pressesprecherin Breuer fehlenden Lüftungsanlagen sagt Architekt Jürgen Küpper nur: "Sie muss ja nur die Fenster aufmachen. Räume, die Fenster haben, brauchen keine Lüftung."

Auch das letzte Argument der Pressesprecherin, dass es ja nun auf der anderen Seite des Bahnhofsgebäudes das neue helle und lichte Besuchszentrum der Berliner Stadtmission gebe, lässt Ehrenamtler Küpper nicht gelten: "Das ist ja unabhängig von uns. In dem Zentrum sind Psychologen und Sozialarbeiter, und die Gäste können dahin kommen und sich beraten lassen. Wir betreuen die Gäste mit Essen und Getränke und Kleidung. Die tieferen psychologischen Geschichten machen die dann auf der anderen Seite."

Neuer Leiter soll am Montag starten

Doch es bleibt nicht alles beim Alten in der Bahnhofsmission: Am 3. April übernimmt Philipp Spitczok von Brisinski die vakante Leitung der Bahnhofsmission am Zoo, wie die Berliner Stadtmission mitteilte. Der diplomierte Sozialarbeiter verfüge über langjährige Erfahrung in diesem Bereich, hieß es, und habe in der Vergangenheit die Bahnhofsmission in Freiburg erfolgreich gemanagt. Nun liegt es an dem neuen Leiter, Spitczok von Brisinski, den Problem-Knoten zu lösen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 03.04.2023, 6:50 Uhr

Beitrag von Thomas Klatt

11 Kommentare

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  1. 11.
    Antwort auf [pückler] vom 03.04.2023 um 22:41

    Ihre klassistische Verachtung armer Menschen können Sie sich sonstwohin stecken. Es geht bei der Arbeit der Bahnhofsmission um Versorgung von meist Wohnungslosen. Um diese hat sicher der jeweilige Bezirk laut ASOG zu kümmern. Die Frage stellt sich überhaupt nicht in einem dem Sozialstaatsprinzip verpflichteten Land, ob man hilft. Die Frage ist das Wie - und nicht zuletzt Inhalt des Artikels und des offenen Briefs, was Sie schnell ignorierten, da Ihnen die Entwürdigung von Armen wichtiger war.

    Das jetzige Konzept der Bahnhofsmission ist noch pandemiegeprägt - und sollte demnach geändert werden. Die Versorgung mit einfachsten Lebensmitteln sowie Kleidung sollte wieder wie vor Corona-Zeiten ermöglicht werden.

  2. 10.

    Ja , wir haben einen Rechtsstaat, aber, wo kein Kläger da kein Richter.
    Das gilt für die Einhaltung der Gesetze, und erst recht für die Einhaltung vom GG.

  3. 8.

    Wir haben ein Grundgesetz und Minister des Bundestages schwören einen Eid auf genau dieses Grundgesetz.
    Also kann es gar nicht sein , das es Würdeloses in unserer Republik gibt.
    Immerhin haben wir einen Rechtsstaat, der würde so etwas gar nicht zulassen.

  4. 7.

    Hoffen auf Besserung.

    Als ich vor Jahren mal zufällig da unten entlang ging...
    Schmiererein, Müll, WC-Papier und Personen live beim Freiluft-Defäkieren - traurig : (
    Und das Personal hatte sich bestimmt schon Mühe gegeben.

    Hoffen auf Besserung

  5. 6.

    Ich hatte mal gelesen, dass die "Bahnhofsmission" am Zoo zunehmend ein Kristallisationspunkt osteuropäischer Wanderarbeiter geworden ist. Allerdings dazu fand ich bisher keine glaubwürdige Daten.

  6. 5.

    Genauso ist es ! Aber das Berliner Klima ist ja wichtiger als die Menschen . Da pflastert man lieber die ganze Stadt mit sinnlosen Plakaten voll die man dann ein paar tage später wieder abbaut , anstatt das Geld für was sinnvolles zu spenden.

  7. 4.

    Zugegebenermaßen: ich weiß gerade nicht, wie viele Fenster welcher Größe es dort gibt. Jedoch kennt jeder, der den hinteren Bereich des Bahnhof Zoo bei Öffnung der BaMi schon gesehen hat, wie viele Menschen dort warten, teils sogar mit Kinderwagen. Bei einem Brand in diesem Raumgefüge ist sich jeder selbst der Nächste. Wenn dann um die dreißig Menschen gleichzeitig versuchen, auch durch Fenster zu fliehen, vor die man offenbar auch noch einen Stuhl stellen muss, um überhaupt hinauszukommen, muss auch dem Protestierenden klar sein, dass das ganz schnell in einer Katastrophe enden würde.

  8. 3.

    Oder:

    - Stuttgart 21 10 Milliarden

    - BER 5,9 Milliarden

    Soviel zu: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."

    Ich lese daraus mittlerweile: Die Macht des Kapitals ist unantastbar.

  9. 2.

    Es ist wohl so, dass sich mit dem Ausscheiden von Herrn Puhl die Situation weiter verschlechtert hat. Allerdings sind Brandschutz und Fluchtwege keine neuen Themen.

  10. 1.

    1,2 Millionen für eine Klima-VE.
    0 Cent davon für Tafel/Arche. Und keine Lobby dafür

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