Interview | Rassismus-Debatte - "Wir sollten Verbrecher aus der Kolonialzeit nicht mehr ehren"
Glinka-, Wissmann-, Lüderitzstraße - trotz der neu entfachten Rassismus-Debatte ehren viele Berliner Orte noch immer Namensgeber des deutschen Kolonialismus. Für eine Umbenennung brauche es Geduld, sagt Afrikanistin Marianne Bechhaus-Gerst.
Der deutsche Kolonialist Carl Peters war so brutal, dass er den Beinamen "Hänge-Peters" erhielt. Auch Hermann von Wissmann soll in deutschen Kolonien Kriegsverbrechen begangen haben. Dennoch erinnert eine Straße an der Berliner Hasenheide an den Kolonialherren. Doch offenbar nicht mehr lange, denn die Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung hat zugestimmt, die Straße umzubenennen. Anwohner können jetzt Namensvorschläge einreichen.
Marianne Bechhaus-Gerst forscht an der Universität Köln zur deutschen Kolonialgeschichte. Im Interview befürwortet sie die Umbenennungen von Straßen, die Carl Peters und Hermann von Wissmann ehren.
rbb: Frau Marianne Bechhaus-Gerst, warum sollten diese Straßen umbenannt werden?
Marianne Bechhaus-Gerst: Diese Straßen sollten umbenannt werden, weil wir nicht mehr länger Kolonialverbrecher ehren sollten. Solche Straßen sind ja Erinnerungsorte. Wir sollten eben darüber nachdenken und auch darüber diskutieren, an wen wir mit solchen Namen erinnern bzw. erinnern sollten. In den Fällen, die Sie genannt haben, ist aus meiner Sicht die Lage relativ deutlich. Es sind Menschen, die während der Kolonialzeit Verbrecher waren. Da sind neue Namen nötig, würde ich sagen.
Gegen diese Umbenennung gibt es von vielen Menschen Widerstand. Wie erklären Sie sich das?
Da gibt es sicher sehr unterschiedliche Gründe. Es gibt zum einen immer noch ein sehr großes Unwissen, was die koloniale Vergangenheit Deutschlands betrifft. Was damit zusammenhängt, dass das lange Zeit gar nicht in den Schulen unterrichtet wurde. Das, was in den Kolonien wirklich passiert ist, ist den Menschen oft gar nicht bewusst. Viele haben noch eine sehr positive Sicht auf die Kolonialzeit, argumentieren: "Wir haben doch Positives da gemacht. Wir haben Schulen, Infrastrukturen usw. eingerichtet." Sie tun sich sehr schwer damit, sich damit auseinanderzusetzen.
Müsste da aus Ihrer Sicht mehr Bildung her?
Auf jeden Fall, da müssten sehr viel mehr Bildungsangebote geschaffen werden.
Viele Gedenkstätten erinnern an die schlimmen Taten der deutschen Geschichte. Die "Topographie des Terrors" zum Beispiel. Könnte man nicht auch einfach zusätzliche Tafeln an den Straßenschildern anbringen, so eine Art kleine Gedenkstätte daraus machen? Das hätte ja auch was von Bildung.
Ich würde sagen, das eine schließt das andere nicht aus. Aber ich finde es auch wichtig, solche Tafeln und Lernorte zu schaffen, was die koloniale Vergangenheit anbelangt. Das würde aber nichts daran ändern, dass diese Namen im öffentlichen Raum weiter existieren und diese Erinnerungsorte auch bestehen bleiben.
Es ist wichtig, die Perspektive auf dieses Kapitel dieser deutschen Geschichte zu ändern, indem wir beispielsweise nicht diesen historischen Kontext ausmerzen und stattdessen irgendwelche beliebigen Straßennamen wählen. Sondern beispielsweise an Personen erinnern, die Widerstand geleistet haben, die Opfer des Kolonialismus geworden sind. Damit bleibt das Kapitel in der Öffentlichkeit, in den Köpfen der Leute, aber es werden nicht mehr die Täter geehrt.
Es gibt auch Beispiele, da ist es nicht so eindeutig: In Berlin wird bei "Onkel Toms Hütte" darüber diskutiert. In Köln wird bei der Mohrenstraße argumentiert, dass der Name einen "Mohren" ehren sollte. Also wie sensibel muss man denn mit dem Prozess der Umbenennung umgehen?
Solche rassistischen und diskriminierenden Bezeichnungen, wie sie zum Beispiel in der M-Straße oder bei Onkel Toms Hütte zu finden sind, sollten auf jeden Fall verschwinden. Zumal sich Menschen durch solche Bezeichnungen verletzt fühlen.
Man sollte das ernst nehmen und dementsprechend auch reagieren. Ganz egal, ob oder wie beispielsweise in Köln die M-Straße ehrend gemeint ist. Es ist ein rassistisches und diskriminierendes Wort und deswegen ist in einem solchen Fall eine Umbenennung absolut nötig aus meiner Sicht.
Stellen Sie in Deutschland einen Bewusstseinswandel bei diesem Thema fest?
Ich hoffe auf einen Bewusstseinswandel. Ich sehe es sehr positiv, dass es in den letzten Wochen vielerorts heftige Diskussionen gegeben hat, dass das Thema in den Medien auf einmal sehr präsent ist. Und das nochmal mehr Menschen aufmerksam werden, dass es diese problematischen Denkmäler und so weiter gibt, dass es diese koloniale Vergangenheit gibt. Wie nachhaltig das letztendlich sein wird, das wird sich noch herausstellen. Da bin ich offen gestanden auch noch etwas skeptisch. Aber ich hoffe, dass es zu einer nachhaltigen Diskussion führt.
Sie haben eingangs gesagt, bei Namen wie Peters, von Wissman und anderen ist das eindeutig, dass das Verbrecher waren. Wer entscheidet denn letzten Endes, wer noch geht und wer nicht?
Das ist sicherlich eine ganz schwierige Frage. Ich finde es grundsätzlich erst einmal wichtig, dass man in den Städten, die koloniale Straßennamen und ähnliches haben, einen Zustandsbericht aufnimmt. Und dann sollte man diese Personen und historischen Ereignisse, die dadurch geehrt werden, ganz genau ansehen.
Und dann sollte man tatsächlich auf Initiativen von People of Colour hören. Und wir sollten uns da vor allem an Menschen orientieren, die von solchen Diskriminierungen betroffen sind. Das ist ja eine grundsätzliche Frage bei uns in der Gesellschaft, wer entscheidet, was rassistisch ist. Da ist es noch sehr stark so, dass weiße Menschen hier das Sagen haben und die Macht haben, zu sagen, "nein, wir meinen das nicht rassistisch, wir haben das immer so gesagt, was soll daran schlimm sein?".
Sendung: Inforadio, 22.07.2020, 09:26 Uhr
Dieses Interview ist eine gekürzte und redigierte Fassung des Gesprächs, das Alexander Schmidt-Hirschfelder für Inforadio geführt hat. Das vollständige Gespräch können Sie oben im Beitrag im Audio hören.
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