Interview | Rassismus-Debatte - "Wir sollten Verbrecher aus der Kolonialzeit nicht mehr ehren"

Do 23.07.20 | 08:49 Uhr
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Straßenschild der Lüderitzstraße im Afrikanischen Viertel in Berlin-Wedding (Bild: imago/Schoening)
Audio: Inforadio | 22.07.2020 | Alexander Schmidt-Hirschfelder | Bild: imago/Schoening

Glinka-, Wissmann-, Lüderitzstraße - trotz der neu entfachten Rassismus-Debatte ehren viele Berliner Orte noch immer Namensgeber des deutschen Kolonialismus. Für eine Umbenennung brauche es Geduld, sagt Afrikanistin Marianne Bechhaus-Gerst.

Der deutsche Kolonialist Carl Peters war so brutal, dass er den Beinamen "Hänge-Peters" erhielt. Auch Hermann von Wissmann soll in deutschen Kolonien Kriegsverbrechen begangen haben. Dennoch erinnert eine Straße an der Berliner Hasenheide an den Kolonialherren. Doch offenbar nicht mehr lange, denn die Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung hat zugestimmt, die Straße umzubenennen. Anwohner können jetzt Namensvorschläge einreichen.

Marianne Bechhaus-Gerst forscht an der Universität Köln zur deutschen Kolonialgeschichte. Im Interview befürwortet sie die Umbenennungen von Straßen, die Carl Peters und Hermann von Wissmann ehren.

rbb: Frau Marianne Bechhaus-Gerst, warum sollten diese Straßen umbenannt werden?

Marianne Bechhaus-Gerst: Diese Straßen sollten umbenannt werden, weil wir nicht mehr länger Kolonialverbrecher ehren sollten. Solche Straßen sind ja Erinnerungsorte. Wir sollten eben darüber nachdenken und auch darüber diskutieren, an wen wir mit solchen Namen erinnern bzw. erinnern sollten. In den Fällen, die Sie genannt haben, ist aus meiner Sicht die Lage relativ deutlich. Es sind Menschen, die während der Kolonialzeit Verbrecher waren. Da sind neue Namen nötig, würde ich sagen.

Gegen diese Umbenennung gibt es von vielen Menschen Widerstand. Wie erklären Sie sich das?

Da gibt es sicher sehr unterschiedliche Gründe. Es gibt zum einen immer noch ein sehr großes Unwissen, was die koloniale Vergangenheit Deutschlands betrifft. Was damit zusammenhängt, dass das lange Zeit gar nicht in den Schulen unterrichtet wurde. Das, was in den Kolonien wirklich passiert ist, ist den Menschen oft gar nicht bewusst. Viele haben noch eine sehr positive Sicht auf die Kolonialzeit, argumentieren: "Wir haben doch Positives da gemacht. Wir haben Schulen, Infrastrukturen usw. eingerichtet." Sie tun sich sehr schwer damit, sich damit auseinanderzusetzen.

Afrikanistin Marianne Bechhaus-GerstAfrikanistin Marianne Bechhaus-Gerst, Uni Köln

Müsste da aus Ihrer Sicht mehr Bildung her?

Auf jeden Fall, da müssten sehr viel mehr Bildungsangebote geschaffen werden.

Viele Gedenkstätten erinnern an die schlimmen Taten der deutschen Geschichte. Die "Topographie des Terrors" zum Beispiel. Könnte man nicht auch einfach zusätzliche Tafeln an den Straßenschildern anbringen, so eine Art kleine Gedenkstätte daraus machen? Das hätte ja auch was von Bildung.

Ich würde sagen, das eine schließt das andere nicht aus. Aber ich finde es auch wichtig, solche Tafeln und Lernorte zu schaffen, was die koloniale Vergangenheit anbelangt. Das würde aber nichts daran ändern, dass diese Namen im öffentlichen Raum weiter existieren und diese Erinnerungsorte auch bestehen bleiben.

Es ist wichtig, die Perspektive auf dieses Kapitel dieser deutschen Geschichte zu ändern, indem wir beispielsweise nicht diesen historischen Kontext ausmerzen und stattdessen irgendwelche beliebigen Straßennamen wählen. Sondern beispielsweise an Personen erinnern, die Widerstand geleistet haben, die Opfer des Kolonialismus geworden sind. Damit bleibt das Kapitel in der Öffentlichkeit, in den Köpfen der Leute, aber es werden nicht mehr die Täter geehrt.

Es gibt auch Beispiele, da ist es nicht so eindeutig: In Berlin wird bei "Onkel Toms Hütte" darüber diskutiert. In Köln wird bei der Mohrenstraße argumentiert, dass der Name einen "Mohren" ehren sollte. Also wie sensibel muss man denn mit dem Prozess der Umbenennung umgehen?

Solche rassistischen und diskriminierenden Bezeichnungen, wie sie zum Beispiel in der M-Straße oder bei Onkel Toms Hütte zu finden sind, sollten auf jeden Fall verschwinden. Zumal sich Menschen durch solche Bezeichnungen verletzt fühlen.

Man sollte das ernst nehmen und dementsprechend auch reagieren. Ganz egal, ob oder wie beispielsweise in Köln die M-Straße ehrend gemeint ist. Es ist ein rassistisches und diskriminierendes Wort und deswegen ist in einem solchen Fall eine Umbenennung absolut nötig aus meiner Sicht.

Stellen Sie in Deutschland einen Bewusstseinswandel bei diesem Thema fest?

Ich hoffe auf einen Bewusstseinswandel. Ich sehe es sehr positiv, dass es in den letzten Wochen vielerorts heftige Diskussionen gegeben hat, dass das Thema in den Medien auf einmal sehr präsent ist. Und das nochmal mehr Menschen aufmerksam werden, dass es diese problematischen Denkmäler und so weiter gibt, dass es diese koloniale Vergangenheit gibt. Wie nachhaltig das letztendlich sein wird, das wird sich noch herausstellen. Da bin ich offen gestanden auch noch etwas skeptisch. Aber ich hoffe, dass es zu einer nachhaltigen Diskussion führt.

Sie haben eingangs gesagt, bei Namen wie Peters, von Wissman und anderen ist das eindeutig, dass das Verbrecher waren. Wer entscheidet denn letzten Endes, wer noch geht und wer nicht?

Das ist sicherlich eine ganz schwierige Frage. Ich finde es grundsätzlich erst einmal wichtig, dass man in den Städten, die koloniale Straßennamen und ähnliches haben, einen Zustandsbericht aufnimmt. Und dann sollte man diese Personen und historischen Ereignisse, die dadurch geehrt werden, ganz genau ansehen.

Und dann sollte man tatsächlich auf Initiativen von People of Colour hören. Und wir sollten uns da vor allem an Menschen orientieren, die von solchen Diskriminierungen betroffen sind. Das ist ja eine grundsätzliche Frage bei uns in der Gesellschaft, wer entscheidet, was rassistisch ist. Da ist es noch sehr stark so, dass weiße Menschen hier das Sagen haben und die Macht haben, zu sagen, "nein, wir meinen das nicht rassistisch, wir haben das immer so gesagt, was soll daran schlimm sein?".

Sendung: Inforadio, 22.07.2020, 09:26 Uhr

Dieses Interview ist eine gekürzte und redigierte Fassung des Gesprächs, das Alexander Schmidt-Hirschfelder für Inforadio geführt hat. Das vollständige Gespräch können Sie oben im Beitrag im Audio hören.

 

Kommentarfunktion am 23.07.2020, 16:30 Uhr geschlossen

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23 Kommentare

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  1. 23.

    Seit Jahren findet immer jemand etwas was ihn in Berlin stört.
    Erst das Ampelmännchen / Weibchen , Gebäude , Straßennamen etc.
    Das nächste wird wohl der Berliner Dialekt diskutiert werden.
    Mensch Leute sieht ihr denn alle mit bem Klammerbeutel gepudert ?

  2. 22.

    Einfach tiefer hängen.

    Gewiss gibt es zuweilen immer wieder Menschen, die alles, was den Demokratietest nicht besteht, zu Klump hauen, abreißen möchten und keinesfalls restaurieren. Hier geht es allerdings um Straßennamen, die im Laufe der Jahrhunderte mal so, mal so und mal völlig anders hießen. Das hat mit der Untersagung einer Meinung nichts zu tun, es sei denn, der Kritisierende setzte das alles gleich. Dann aber wäre das psychologisch im gewissem Ausmaß eine Projektion.

  3. 21.

    Straßen sollten am besten nur noch nach Tieren und Pflanzen (aber bitte Fleischfresser meiden)benannt oder besser noch einfach durchnummeriert werden. Wer weiß schon heute, wie in ein paar Jahrzehnten die political correctness ausschaut und was dann aus dem kollektiven Gedächtnis getilgt werden muss.

  4. 20.

    Lüderitz war kein Massenmörder, sondern Kaufmann, das Dorf dort zu eine kleinen Stadt ausbaute in der viele Menschen Arbeit in der Fischerei und in den Diamantenmienen, zu sicherlich , aus heutiger Sicht (!) nicht den besten Bedingungen, Arbeit faden. Er hat dem Stamm dort mit einem Trick etwas zu viel Land abgeluchst. Das ist das negative was man ihm nachsagen kann. Viele der nachfolgenden Generationen arbeiten heute noch in den selben Gewerben, unter für Afrika relativ guten Bedingungen und sind happy und im Gegensatz zu vielen Anderen einen Job zu haben. Ich habe mit dem Besitzer des größten Fischreibetriebs dort gesprochen , einem schwarzen Einheimischen. Er ist den Deutschen dankbar dass sie den Grundstein für die heutige, relativ gute wirtschaftliche Lage gelegt hat.Es wird wird sicherlich auch Einheimische geben, die die Historie kritischer sehen. Er könne das Verstehen und es sind meist alte Menschen . Die sind aber, laut dem Chef eindeutig in der Minderheit.

  5. 19.

    Es ist schon erstaunlich dass zu irgendwelchen Themen auf einmal sogenannte Fachleute und Fachleutinnen auftauchen und denken sie haben die Meinungshoheit und sagen uns was zu verschwinden hat und was nicht. Ich war vor 2 Jahren und Lüderitz in Namibia. Ich habe, wie immer auf meinem Reisen ( und habe wirklich aus beruflichen Gründen die Welt gesehen)mit vielen Einheimischen gesprochen. Die fanden es super toll, dass ich aus Deutschland kam und keiner, hat, nach der deutschen Historie gefragt, Kritik geübt. Das " Schlimmste" was kam war, dass damals vielleicht alles aus heutiger (!) Sicht nicht so toll gelaufen ist, aber die Deutschen hätten viele positive Grundlagen für die Nachkolonialzeit gelegt. "Sonst hätten wir heute keine Strassen, Eisenbahn, Arbeitsplätze in den zurückgelassen Betrieben ". Das war der Tenor. Vielleicht sollte dich die Dame mit dem Doppelnamen mal vor Ort schlau machen. Und wenn Einheimische kein Problem haben, müssen wir und das hier nicht einreden lassen !!!

  6. 18.

    Genau mein Gedanke. In Namibia stört sich niemand an den Namen.

  7. 17.

    „Schreihälse“? Warum sollte man Menschen, denen es nicht egal ist, dass ein Straßennamen an Verbrechern erinnern, so bezeichnen?

  8. 16.

    Ständig wird uns vorgehalten, wir müssen mit unserer Geschichte leben und dürfen nichts vergessen.
    Aber alles, was dran erinnert, soll man ändern?
    Was für ein Blödsinn!
    Zu jedem Namen wird es irgendwann mal jemanden gegeben haben, der nicht gut war.

  9. 15.

    Ich vergaß noch etwas. Selbstverständlich gehen dann bei einer gerichtlich festgestellten Straßenunbenennung sämliche entstehenden Kosten zu Lasten der Klage eingereichten Instutition.

  10. 14.

    Wenn Strassennamen geändert werden, dann sollten darüber Gerichte entscheiden. Aktuell gibt es die Lüderitzstr. 27x in Deutschland. Sollte der Name geändert werden müssen, aus von Gerichten festgestellten Gründen, dann sollte es überall geschehen und nicht nur dort wo die meisten Schreihälse sind.

  11. 13.

    Ich wohnte in einer Straße, die nach einem DDR-Außenminister benannt war. Und schon der war für die oberen Herren zu schlimm, um beibehalten zu werden. Also: weg mit den kolonialen Namen. Es kann nicht sein, dass ein normaler Minister schlimmer gewesen sein soll als koloniale Massenmörder.

  12. 12.

    Ich hab mich schon gewundert, wo das Thema plötzlich hin verschwunden ist, und da ist es wieder, gibt es ein Loch zu füllen, ist die „Diskussionsfreudigkeit“ zu gering.
    Einfach lächerlich. Irgendeiner könnte bei Irgendeinem immer etwas aus seiner Vergangenheit ausgraben.

  13. 11.

    Ich kann mich nur den vielen sachlich denkenden Vorrednern anschließen. Jede Zeit, jedes System hat seine Spuren hinterlassen. Lieber aufklärende Tafeln statt Umbenennung. Und außerdem, ich empfand Straßennamen noch nie als eine Ehrung für irgendwas/ irgendwen. Bei absoluten Schwerverbrechern wäre eine Umbenennung noch einzusehen, aber nur weil jemand oder etwas historisch belastet ist...
    Ich kann auch den einen Kommentar nicht verstehen, es wäre doch nicht so schlimm diese Namensänderung. Doch, ist es. Denken Sie mal an Selbständige, gerade Kleine, die nicht alles digital machen. Und dann haben Sie irgendwo mal nicht aufgepasst, den alten Namen verwendet, dann kommt ein Anwalt der Klagemafia und würgt Ihnen teuer eine Abmahnung rein.
    Schluss mit der Hexenjagt. Bildung und Information statt ausradieren der Vergangenheit.

  14. 10.

    Bezugnehmend auf die Überschrift, möchte ich anmerken, dass nur ein Gericht entscheiden kann wer ein Verbrecher ist.

  15. 9.

    Zukünftig vielleicht Tiernamen? Da gibts genug von.

  16. 8.

    Mensch Wolfgang, ich danke für diesen lustigen Humor :-)! Genau so hätte ichs auch geschrieben.
    Es gibt wahrlich andere Probleme und es werden in naher Zukunft vielleicht noch mehr.
    Stichwort Arbeitslosigkeit und ferner das Corona-Hilfspaket, dem Deutschland vorwiegend beisteuern wird.

    Nächstes Jahr sind ja Wahlen xD. Mal schauen. Wird spannend.

  17. 7.

    Lächerlich. Lüderitz hielt ich für einen Städtenamen. Wie Wolfsburg. Der wäre dann nämlich auch falsch. Und Eisenhüttenstadt. Chemnitz ist ja gottlob rückbenannt. Aber jede Straße der Freiheit (wessen Freiheit in der DDR?) und jede Karl-Marx-Straße (wie viele Todesopfer forderte der Marxismus-Leninismus?)sollten bitte recht rasch umbenannt werden. Diese ganze DDR-Zeit gehört wegen Unfreiheit auch ausradiert. Überall. Auch bei Straßennamen.
    Wer A sagt, muss auch B sagen. Und dann die Ortsnamen, Oranienburg, Dachau - alles weg.

    Ich kann verstehen, dass Menschen mit anderer Hautfarbe sich bei "Mohrenstraße" angesprochen fühlen - ich habe es bis zur Diskussion jetzt niemals mit sog. Farbigen in Verbindung gebracht! Ich hielt es für einen Nachnamen! Hier schreibt immer Johannes Mohren einen Absacker - der ist weizenblond und Rheinländer - aber jetzt werde ich immer an die Straße dabei denken...

  18. 6.

    Sie haben das gut erklärt.
    Ich finde auch, solche Umbenennungen sind Ausläufer einer Ausradierung von Geschichte, die für betroffene Völker oftmals in Einseitigkeit, politischer Unterdrückung und Uniformität endete.
    Menschlichem Freiheitsverlust geht immer der im Denken voraus.
    Wenn sie jemanden ehren wollen, können sie auch Bahnhof- & Marktstraßen umbenennem.
    Ich finde es auch dreist, das manche Gruppen meinen, ihnen stehe das Recht auf diese Umbenennungen zu.
    Gerade Deutschland ist bei Akzeptanz, Förderung und Gleichberechtigung kultureller Minderheiten weltweit ein Vorbild.
    Traurig, dass nur wenige Gruppen dies erkennen und zu würdigen wissen.

  19. 5.

    Ich erwähnte das schon mehrmals bei dieser Thematik.
    Ich bin schockiert,wie sich unsere Gesellschaft und Regierung, von einer offenbar gelangweilten Minderheit treiben lässt.

  20. 4.

    Warum wurde in Namibia die Stadt Lüderitz bis heute nicht umbenannt? Vielleicht kann Frau Bechhaus-Gerst der dortigen Bevölkerung behilflich sein.

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