Kampf gegen Ärztemangel - Neue Medizin-Uni in Cottbus: Zwischen Freude und Herausforderung
Der Ärztemangel in Brandenburg verschärft sich. Während man sich in der Fläche mit neuen Strukturen behilft, setzt die Landesregierung viele Hoffnungen auf die neue Medizin-Universität in Cottbus. Zurecht? Von Markus Woller
Internistin Paulina Zyluk-Gadowska muss sich ihre Arbeitszeit gut einteilen. Im Asklepios-Klinikum Uckermark in Schwedt pendelt sie zwischen der inneren Station des Krankenhauses und einer Arztpraxis, die ebenfalls im Gebäude angesiedelt ist, hin und her. Es ist viel zu tun: "Manchmal bräuchte man vier Hände", erzählt Zyluk-Gadowska.
Das Modell der Facharztpraxen, die direkt an die Krankenhäuser angeschlossen sind, hat man sich hier in Schwedt aus der DDR abgeschaut, wo es in Polykliniken ein ähnliches Konstrukt gegeben hatte. Das alles, weil sich schlicht nicht mehr genug Ärzte finden, um die Facharztpraxen auf dem platten Land aufrecht zu erhalten. "Ärzte haben große Probleme, diese Praxen an einen Nachfolger zu verkaufen. Wir sind in diesen Markt eingestiegen", erzählt der Ärztliche Direktor am Asklepios-Klinikum Uckermark, Rüdiger Heicappell.
Sprich: Das Klinikum hat die Praxen übernommen und bedient sie mit angestellten Ärzten aus dem Krankenhaus. "Mittlerweile haben wir für jede Klinik eine Praxis vorgeschaltet und das hat sich sehr bewährt", sagt Heicapell.
Ministerpräsident sieht Uni als Revolution
Die Politik sucht unterdessen auch nach neuen Wegen, um das Problem des Ärztemangels besser in den Griff zu bekommen. Von einem Projekt erhofft sich die Brandenburger Landesregierung nun merkliche Verbesserungen in der ärztlichen Versorgung auf dem Land. Die neue Medizin-Universität in Cottbus soll langfristig nicht nur neue Ärzte und medizinisches Personal für die Fläche ausbilden, dort soll auch geforscht werden, wie zum Beispiel durch Digitalisierung die Lücken in der Versorgung geschlossen werden könnten.
An Superlativen spart die Landesregierung gerade nicht, wenn es um die neue Uni geht: Nicht weniger als eine "Revolution für die Gesundheitsversorgung" in Brandenburg und ganz Deutschland nannte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) das seit fünf Jahren forcierte und nun durch den Wissenschaftsrat genehmigte Projekt am Donnerstag im Landtag. Ob die neue Einrichtung diesem Anspruch gerecht wird, lässt sich aber aus heutiger Sicht noch nicht seriös abschätzen.
Bis 2038 wollen Bund und Land gemeinsam 3,7 Milliarden Euro investieren. 1300 neue Arbeitsplätze sollen entstehen, 80 Professuren besetzt, 200 Studienplätze geschaffen werden. Die ersten Studenten sollen schon zum Wintersemester 2026/27 starten. Alle Fraktionen im Landtag hoffen auf einen "Klebeeffekt", wenn Studenten nicht nur mitten in Brandenburg studieren, sondern eben auch jahrelang zum ländlichen Raum forschen.
Opposition kritisiert offene Fragen
Die Opposition im Landtag freut sich ebenfalls über die neue Uni, schüttet aber Wasser in den Wein. Sie sorgt sich zum Beispiel darum, was das alles für bestehende Projekte bedeutet. Frühestens in 13 Jahren könnten demnach die ersten fertigen Ärzte die Uni verlassen, prognostiziert die Linke. Sie bemängelt, dass die aktuelle Medizinerausbildung an der Hochschule in Brandenburg derweil unterfinanziert ist und fürchtet Engpässe.
Auch die Auswirkungen auf die Gesundheitseinrichtungen in Orten im Umkreis der Uni seien bislang nicht absehbar. Für die neue Uni sieht die linke Hochschule-Expertin Isabelle Vandre vor allem Risiken in der langfristigen Finanzierung, die nach 2038 ganz allein beim Land liegen werde. "Die Finanzierung muss auf sichere Füße gestellt werden, und zwar über 2038 hinaus", fordert sie. Ein dreistelliger Millionenbetrag pro Jahr steht im Raum.
Die AfD sagt, sie glaube, dass das Konzept der neuen Universität nicht weit genug gedacht sei, weil zum Beispiel Zahnärzte, Rechtsmediziner oder Apotheker dort nicht ausgebildet würden. Auch in diesen Bereichen würden in den kommenden Jahren enorme Engpässe erwartet.
Außerdem verweist Fraktionschef Hans-Christoph Berndt auf das Januar-Gutachten des Wissenschaftsrates, in dem dmr Brandenburger Hochschulsystem "Strategie- und Steuerungsdefizite auf Seiten des Landes und der Hochschulen" attestiert werden. "Der größte Risikofaktor für das Vorhaben ist die Landesregierung", folgert Berndt daraus.
Wissenschaftsrat gibt Hausaufgaben
Es brauche einen Kraftakt, damit die neue Medizin-Uni Brandenburg beim Thema Ärztemangel langfristig auch wirklich weiterhelfen könne, sagt auch Benjamin Raschke von den Grünen. Er verweist auf Anmerkungen des Wissenschaftsrats, wonach noch nachgeschärft werden müsse bei den Themen Kooperation in der Region, auch mit der Stadt Cottbus und der BTU. Auch die geplanten Verwaltungs- und Führungsstrukturen, das Forschungskonzept und das Gesundheitskonzept müssten noch einmal überarbeitet werden. Und die Zeit dränge, so Raschke.
Im Asklepios-Klinikum Uckermark in Schwedt haben sie sich in den vergangenen Jahren nicht allein auf eine staatliche Linderung des Ärztemangels verlassen. Hier bildet man seit zehn Jahren privat junge Ärzte aus, zusammen mit der Universität im polnischen Stettin.
Dass Brandenburg nun als letztes Flächenland Deutschlands eine staatliche Mediziner-Ausbildung bekommt, findet Klinik-Chef Heicappell sehr gut, wie er sagt. Allerdings bräuchte man eigentlich 5.000 Studienplätze deutschlandweit. Da könnte die neue Uni auch nur einen Teil kompensieren. "Es ist mehr als nichts. Aber letzten Endes nur ein Tropfen auf den heißen Stein", so Heicappell.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 25.04.2024, 19:30 Uhr