Stickstoffdioxid-Problem - Berlin will Tempo 30 auf 85 Straßenabschnitten einführen
Berlins Umwelt- und Verkehrssenatorin will eine Vielzahl neuer Tempo-30-Abschnitte einführen - stadtweit auf insgesamt mehr als zehn Kilometern Länge. Außerdem sollen auf neun Straßen Fahrverbote für Lkw und viele Dieselautos kommen. Von Dominik Wurnig
Berlins Umwelt- und Verkehrssenatorin Regine Günther plant, auf 36 Straßen in der Hauptstadt Tempo 30 einzuführen. Das geht aus dem neuen Luftreinhalteplan hervor, den die parteilose Senatorin (für Grüne) am Montag offiziell vorstellte. Aneinander gereiht, würden die Zonen eine Länge von mehr als zehn Kilometern ergeben. Da manche Straßen mehrfach betroffen sind, geht es insgesamt um 85 Straßenabschnitte mit gedrosseltem Tempo.
Durchfahrverbote für Diesel und Lkw
Außerdem sollen an neun Straßen auf insgesamt 2,4 Kilometern Länge Durchfahrverbote für Lkw und Diesel-Pkw bis zur Abgasklasse Euro-Norm 5 kommen. Vorgesehen sind die Fahrverbote an folgenden Straßen:
- Leipziger Straße
- Brückenstraße
- Reinhardstraße
- Alt-Moabit
- Stromstraße
- Hermannstraße
- Silbersteinstraße
- Spandauer Damm
- Friedrichstraße
Insgesamt ergibt sich eine Streckenlänge von 2,4 Kilometern. Obwohl das im Vergleich mit der Gesamtlänge des Berliner Straßennetzes (5.400 Kilometer) nur sehr wenig ist, glaubt die Verkehrssenatorin, dass die Fahrverbote in Kombination mit den anderen Instrumenten Wirkung zeigen werden: "Wir haben Modellierrechnungen gemacht, womit wir genau zeigen, was wir mit unseren Maßnahmen erreichen", sagte die Verkehrssenatorin am Montag der Abendschau. "Wenn die Menschen sich dran halten, werden wir dadurch die Grenzwerte natürlich einhalten", so Günther.
Maxime des Senats sei es, die Grenzwerte schnellstmöglich zu erreichen und "damit die Gesundheit der Berlinerinnen und Berliner zu schützen", so Günther. Sowohl Tempo 30 als auch die Fahrverbote sollen Anfang Juli überall umgesetzt sein.
Anlieger sind grundsätzlich ausgenommen
Im nun startetenden Beteiligungsverfahren sind aber noch Änderungen möglich. Insbesondere an den letzten beiden Straßen ist das Durchfahrverbot noch nicht fix. Ausgenommen vom Durchfahrverbot sind laut Umweltsenatsverwaltung alle Anlieger. Das sind beispielweise Anwohner und deren Gäste, Handwerker, Lieferverkehr, Pflegedienste sowie Personen, die ihren Arbeitsplatz an dieser Strecke haben.
Wenn die Polizei Dieselfahrer in der Durchfahrverbotszone erwischt, wird ein Bußgeld fällig. Bei Lkw kostet dies 75 Euro, für Fahrzeuge bis 3,5 Tonnen mit Anhänger 25 Euro, für normale Autos 20 Euro.
Bürgerinnen und Bürger können sich bis Ende Mai mit Einwendungen und Anregungen einbringen. Voraussichtlich Ende Mai soll dann die überarbeitete Version des Luftreinhalteplans im Senat und im Rat der Bürgermeister diskutiert werden.
Geplant: Durchfahrverbot für Lkw und Diesel-Pkw bis Euro5
Quelle: Luftreinhalteplan-Entwurf/ Sen UVK
Doch kein Fahrverbot an Kapweg und Leonorenstraße
Seit 2010 wurde der Stickstoffdioxid-Grenzwert im Jahresmittel an vielen Stellen in Berlin immer wieder überschritten. Das Verwaltungsgericht hatte deshalb im Oktober die Landesregierung zum Handeln gezwungen und eine Überarbeitung des Luftreinhalteplans angeordnet.
Das Verwaltungsgericht hatte Berlin auch aufgetragen, am Reinickendorfer Kapweg sowie der Lankwitzer Leonorenstraße Durchfahrverbote einzuführen. Umweltsenatorin Günther setzt sich nun aber über das Urteil hinweg und wird an beiden Straßen weiterhin Diesel-Autos die Durchfahrt gestatten. Die Begründung laut den Presseunterlagen: Am Kapweg würden keine Anwohner leben und somit würde ein Durchfahrverbot Ausweichverkehre in Wohngebiete verursachen. In der Leonorenstraße würden die Werte auch ohne Durchfahrverbot erreicht werden.
Man dürfe nicht nicht vergessen, dass Dieselkäufer und -käuferinnen von den Autounternehmen "betrogen" wurden, sagte Senatorin Günther am Montag. "Deshalb werden wir nur solche Maßnahmen einführen, die zwingend notwendig sind". Grundsätzlich gehe es darum, "die Nutzung des Autos auch weiterhin zu ermöglichen".
Weitere zehn Kilometer Tempo 30
Schon in den vergangenen zwölf Monaten hatte die Senatsverwaltung an einigen Hauptverkehrsachsen Tempo 30 eingeführt: Leipziger Straße, Potsdamer Straße, Hauptstraße, Tempelhofer Damm und Kantstraße. Nun soll auf insgesamt 36 Straßen mit 10,5 Kilometer Länge Tempo 30 kommen. Dadurch sollen sich besonders schadstoffintensive Beschleunigungsvorgänge deutlich verringern. Die Verwaltung rechnet durch die Geschwindigkeitsbeschränkung mit einer Reduktion der NO2-Belastung um fünf Mikrogramm im Jahresmittel.
Ob die Tempodrosselung aber wirklich so viel bringt, ist in Fachkreisen umstritten. Eine Evaluierung von Tempo 30 in der Leipziger Straße ist für April 2019 geplant.
Karte: Hier soll ab Juli nur noch Tempo 30 erlaubt sein
Quelle: Luftreinhalteplan-Entwurf/Senat UVK
Mehr Parkraumbewirtschaftung
Neben Durchfahrverboten und Tempo 30 setzt die Senatsverwaltung bei der Verbesserung der Luftqualität auch auf die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung. Je nach Straßenabschnitt soll so die Belastung um bis zu zwei Mikrogramm Stickstoffdioxid sinken. Sie gehe davon aus, "dass weniger Verkehr in diese Zone einfährt", sagte Umweltsenatorin Günther dem rbb. Dadurch würden mehr Parkplätze für die Anwohner und Anwohnerinnen zur Verfügung stehen, die dann weniger fahren müssen, um einen Parkplatz zu suchen. "Damit werden die Emissionen gesenkt."
Bekanntermaßen sollen außerdem Linienbusse und Kommunalfahrzeuge mit NO2-Filtern nachgerüstet werden bzw. ausgestauscht werden. Bis Ende 2019 sollen alle älteren BVG-Busse mit Stickoxidminderungssystemen ausgerüstet werden.
Gericht verurteilte Berlin zu Fahrverboten
Im Oktober 2018 hatte das Berliner Verwaltungsgericht die Landesregierung zur Anordnung von Fahrverboten für Diesel-Fahrzeuge an acht Straßen verurteilt. Die NGO Deutsche Umwelthilfe hatte das Land geklagt, da seit Jahren die Stickstoffdioxidbelastung an vielen Stellen in Berlin über dem Grenzwert von 40 Mikrogramm im Jahresmittel liegt. In Folge hatte der Senat auf die Berufung verzichtet, da Umweltsenatorin Günther ein noch strengeres Urteil befürchtete. Auch im Jahr 2018 lag die NO2-Belastung an sechs von 16 Messstellen über dem Grenzwert.