Begleitet von Protesten gegen Bundespolitik - Neues Bahnwerk Cottbus mit Kanzler Scholz eröffnet
Es ist das erste sichtbare, milliardenschwere Leuchtturmprojekt im Lausitzer Strukturwandel: Die erste Halle des neuen Bahnwerkes in Cottbus ist fertig. Nun wurde sie eröffnet - mit Kanzler Scholz und Protesten.
Die erste Halle des neuen Bahninstandhaltungswerks in Cottbus ist am Donnerstag offiziell in Betrieb genommen worden. Es ist das bisher größte Lausitzer Industrieprojekt im Strukturwandel und soll einen Teil der Jobs ersetzen, die durch den Kohleausstieg wegfallen.
Rund 400 Mitarbeiter werden in der ersten Halle ICE-Züge warten. Insgesamt sollen bis 2026 laut Bahn 1.200 neue Arbeits- und Ausbildungsplätze entstehen. Bund und Bahn investieren hier über eine Milliarde Euro.
Rund 500 Protestteilnehmer
Zur Eröffnungszeremonie waren Bahnchef Richard Lutz, der Brandenburger Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sowie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gekommen. Deshalb wurde Cottbus an diesem Tag auch das Zentrum der Proteste von Landwirten gegen die Bundespolitik. Die Polizei spricht von rund 500 Teilnehmern. Ihnen ging es laut Organisator Bernd Starick Kreisbauernverband Spree-Neiße nicht nur um die Rücknahme der Subventionskürzungen beim Agrardiesel, sondern auch um "die Unzufriedenheit der Landwirtschaft mit all dem, was uns in den letzten Jahren als Last auferlegt wurde."
Während sich Scholz am Vormittag innen die Halle anschaute und mit Mitarbeitern sprach, war von draußen Hupen zu hören. Nach der Eröffnung traf sich der Kanzler mit dem Brandenburger Landesbauernpräsident Henrik Wendorff und Ministerpräsident Woidke. Über Inhalte des Gesprächs ist noch nichts bekannt.
Woidke stellte sich zudem den protestierenden Bauern. Auf der Bühne sagte er, er habe dem Bauernverband vorgeschlagen, dass sich Landesregierung und Verband am 18. Januar zusammensetzen und schauen, was in Brandenburg getan werden könne.
Scholz: "Wirtschaftswachstum hat fast chinesische Dimensionen"
Bei seiner Rede zur Werkseröffnung lobte Scholz den Strukturwandel in Brandenburg. Mit dem Werk würden Maßstäbe für andere Projekte in Deutschland gesetzt, so der Kanzler. Es sei auch ein Beispiel für die wirtschaftliche Innovationskraft Brandenburgs. "Es gibt hier ein großes Tempo und ein großes Wachstum, hier entstehen Arbeitsplätze, die gute Jobs mit sich bringen."
Scholz betonte außerdem nochmal, dass Brandenburg im ersten Halbjahr 2023 das "mit Abstand größte Wirtschaftswachstum im Vergleich aller Länder" gehabt habe. Das habe "fast chinesische Dimensionen", so der Kanzler.
Arbeiten im Zeitplan
Gut anderthalb Jahre hat der Bau der zweigleisigen Halle auf dem Gelände zwischen dem Cottbuser Hauptbahnhof und dem alten Bahnwerk gedauert. Die Deutsche Bahn spricht von einem "Neubau in Rekordzeit".
Das lag laut Projektleiter Marc Herrmann an der "partnerschaftlichen Projektallianz", mit der für Cottbus gearbeitet wird, hieß es im Mai 2023, rund ein Jahr nach dem ersten Spatenstich. Die Partner hätten "relativ frühzeitig" Material und andere Ressourcen sichern können, so Herrmann. "Das Vertragsmodell hat sichergestellt, dass wir zu allen Zeiten, in denen es in anderen Projekten vielleicht zu Lieferengpässen kam, nicht in diese Falle gelaufen sind."
Zweite Halle bis 2026
Das neue Bahnwerk besteht aus zwei Teilen. Die Bauarbeiten für die zweite, fünfgleisige Halle haben 2023 begonnen. Sie wird größer, länger und höher als die erste Halle und soll bis zum Jahr 2026 fertig werden. Eines der Gleise wird eine Lackierstraße sein.
Die ICE-Züge passen in kompletter Länge in die Hallen, das ist einmalig in Deutschland. Außerdem können die Arbeiten an Unterbau, im Inneren und auf dem Dach parallel durchgeführt werden. Das halbiert die Wartungszeiten. Nach knapp zwei Wochen sollen die ICE dann wieder fit sein. Laut Bahn werden bereits in der ersten, nun fertigen Halle, "Wartungs- und Revisionsarbeiten an Türen, Scheibenwaschanlagen, Kupplungen, Lauf- und Triebdrehgestellen, Stromabnehmern, Zugbeeinflussungssystem, Radsätzen und Bremsen" durchgeführt.
Nach Bahn-Angaben wird die Anlage das modernste Instandhaltungswerk für ihre ICE-4-Flotte, die jüngste Baureihe der Hochgeschwindigkeitszüge. Sie umfasst zurzeit 137 Züge.
Bauweise mit weniger CO2-Ausstoß
Das neue Bahnwerk soll dank "grünem Beton" auch besonders umweltfreundlich gebaut sein. Im Vergleich zu herkömmlichem Beton gibt es laut Bahn in der Herstellung einen erheblichen Unterschied. Mithilfe eines Ultraschallverfahrens wird anteilig Quarzsand anstatt Kalkstein in die Materialmasse gemischt. Der stoße im Ergebnis 30 Prozent weniger CO2 aus, hieß es bei der Vorstellung vom Cottbuser Start-up-Unternehmen Sonocrete, das den Beton entwickelt hat. Dieser wurde laut Bahn für "wichtige Fertigteile" wie die Stützen und Teile der Dachkonstruktion verwendet.
Kleingärten mussten umgesiedelt werden
Für das neue Bahnwerk mussten über 100 Kleingärten verschwinden. Ein empörter Aufschrei unter den Kleingärtnern ist allerdings ausgeblieben. Zum ersten Mal sorgt die Bahn bei so einem Großprojekt in Berlin und Brandenburg für eine Wiedergutmachung. Die Gärtner erhalten nicht nur Entschädigungen, sondern werden auch umgesiedelt, wenn sie es wollen. Sie bekommen vollständig neu hergerichtete Parzellen mit einer Laube. Die Ersatzfläche ist einige hundert Meter von der ursprünglichen Anlage entfernt.
Der Weg zum neuen Bahn-Instandhaltungswerk Cottbus
Auf der Suche nach Mitarbeitern
Bei der Ausbildung von Mitarbeitern arbeitet die Deutsche Bahn auch mit dem Energiekonzern Leag und der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus-Senftenberg zusammen.
Im Mai 2022 war die Kooperationsvereinbarung mit der BTU unterschrieben worden, nach der Studierende, die den praktischen Anteil ihrer Ausbildung im Cottbuser Bahnwerk absolvieren, zukünftig in der nahegelegenen Universität ihre theoretische Ausbildung bekommen sollen.
Im Sommer 2022 haben Bahn und Leag beschlossen, dass die beiden Unternehmen die Ausbildungsstätte am Leag-Kraftwerk in Jänschwalde gemeinsam nutzen werden. Die Bahn lässt bis 2025 einen Teil ihres Nachwuchses unter Federführung der Leag ausbilden. Danach wird die Bahn diese Einrichtung übernehmen, um eigenen Nachwuchs sowie der Leag und von Drittunternehmen beruflich fitzumachen.
Auch wenn die Arbeitsplätze im neuen Bahnwerk Jobs ersetzen sollen, die im Zuge des Kohleausstiegs wegfallen, werden dort nicht nur ehemalige Kumpel arbeiten. Die Bahn sucht Mitarbeiter auch in bereits bestehenden Betrieben in der Region, hatten rbb-Recherchen im Oktober 2023 gezeigt. Weil vor allem technisch ausgebildete Fachkräfte auch in der Lausitz heiß begehrt sind, haben kleinere Firmen oft das Nachsehen. Ihnen werden demnach die Mitarbeiter regelrecht abgeworben, zum Teil mit hohen Prämien. Betriebe klagen über den Verlust von Fachkräften.
Standort mit wechselhafter Geschichte
Das Bahnwerk in Cottbus hat eine 150-jährige Geschichte. 1872 wurden nach Informationen der "Städtischen Sammlungen Cottbus" die Eisenbahnwerkstätten gegründet, seit 1874 wurden Dampflokomotiven und Wagen ausgebessert. 1885 folgte die Übernahme der Hauptwerkstatt in das Werkstätten-Wesen der Preußischen Staatsbahn unter dem Titel "Königliche Hauptwerkstätte Kottbus".
1968 wurde schließlich laut Cottbuser Stadtmuseum die erste Diesellokomotive in dem Werk repariert, dass inzwischen Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) hieß.
Nachdem der Reparaturbedarf von Dieselloks gesunken war und die Auftragszahlen zurückgingen, wurde 2018 beschlossen, dass das Bahnwerk deutlich verkleinert werden soll. Allerdings sei eine befürchtete Werkschließung vom Tisch. Außerdem sollte trotz Verkleinerung in die Umrüstung von Dieselloks mit Elektromotor investiert werden.
Im Herbst 2019 wurde schließlich bekannt, dass die Wartung von ICE-Zügen die Zukunft des Werks sichern soll. Im Sommer 2020 meldete rbb24, dass die Bahn das Instandhaltungswerk kräftig ausbauen will. Nach der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat über Finanzhilfen für Kohleregionen sehe Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke gute Perspektiven für die Lausitzer, sagte er damals. Zum ersten Mal sprach er von 1.200 zusätzlichen Arbeitsplätzen im Bahnwerk. Davor hatte schon Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) entsprechende Pläne angedeutet.
Kein ICE-Anschluss für Cottbus
Trotz des neuem Instandhaltungswerks für ICE-Züge werden in Cottbus auf absehbare Zeit keine ICE für Fahrgäste halten. Das hatten im November 2023 rbb-Recherchen ergeben. Für die Bahn ist ein Anschluss an das ICE-Netz demnach nicht realistisch. Zudem hätten Bahnreisende durch so einen Anschluss in Cottbus keine Vorteile. Das örtliche Schienennetz lasse derzeit keine Höchstgeschwindigkeit zu. Die Fahrtzeiten würden sich deshalb nicht verkürzen, hieß es.
Sowohl die Stadt als auch die Landesregierung hatten sich mehrfach für einen ICE-Halt in Cottbus ausgesprochen. Schon im letzten Jahr hatte die Bahn aber der Forderung nach einer ICE-Verbindung Cottbus-Berlin eine Absage erteilt. Die Bahn hatte damals erklärt, eine solche Verbindung würde sich nicht rechnen.
Die ICE, die in Cottbus gewartet werden, werden ohne Fahrgäste dorthin fahren. Dabei handele es sich um nächtliche Betriebsfahrten, außerhalb des regulären Fahrplans.
Sendung: rbb24 Inforadio, 11.01.2024, 7 Uhr
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