Interview | Ostbeauftragter - "Viele Bundesmittel wurden bereitgestellt. Jetzt müssen die Menschen kommen"

Fr 08.12.23 | 06:03 Uhr
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Carsten Schneider, Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland, am 02.12.2023.(Quelle:picture alliance/dpa/M.Reichel)
Video: rbb24 Brandenburg Aktuell | 08.12.2023 | J. Göbel | Bild: picture alliance/dpa/M.Reichel

Viele neu geschaffene Stellen in Bundeseinrichtungen im Osten können nicht besetzt werden. Nach jahrzehntelangem Wegzug fordert der Ostbeauftragte der Bundesregierung Carsten Schneider, deshalb eine Willkommenskultur im Osten.

Rbb|24: Herr Schneider, 31 neue Bundesinstitutionen wurden seit 2019 in Ostdeutschland angesiedelt oder dorthin verlegt. Ziel ist es, die Regionen voranzubringen. Würden Sie sagen, das wurde in den fünf Jahren erreicht?

Carsten Schneider: Das hat auf jeden Fall eine Dynamik in die Region gebracht. Wir brauchen gut bezahlte, tariflich organisierte Angestelltenverhältnisse, davon gibt es nicht so viele in Ostdeutschland. Ob das geklappt hat, hängt immer vom Ort ab und von der Art der Ausschreibungen: Sind das sehr gesuchte Stellen? Und ist die Region, die Stadt attraktiv? Viel hängt auch davon ab, wie die, die neu kommen, aufgenommen werden.

Kann man einen solchen Fortschritt denn überhaupt messen?

Carsten Schneider: Das ist noch zu früh. Wir sind noch dabei, überhaupt die Stellen zu besetzen. Da konkurriert man nicht nur mit dem privaten Arbeitsmarkt, sondern auch noch mit anderen Städten und Regionen.

zur person

Carsten Schneider (SPD)

... ist seit 2021 Staatsminister beim Bundeskanzler und Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland.

Wir sind bei unseren Recherchen auf 3.000 besetzte Arbeitsplätze in ostdeutschen Bundeseinrichtungen gekommen. 4.500 sollten es eigentlich sein. Was läuft schief?

Carsten Schneider: Eigentlich läuft gar nichts schief. Man muss die Leute finden, und sie müssen auch dahin gehen wollen. Wir haben einen Arbeitskräftemangel.

War die Abwanderung aus Ostdeutschland zu stark?

Carsten Schneider: Da sind Millionen weggegangen, um Arbeit zu haben. Das prägt das Bewusstsein. Und jetzt ist das eine komplett andere Situation. Wenn ich einen Informatiker aus München loseisen will oder aus Köln oder vielleicht sogar aus Indien, dann muss er sich in der Stadt wohlfühlen. Das bedeutet, die Bevölkerung dort muss auch offen sein. Wenn die nationalistische Karte gespielt wird, geht da keiner hin, da bin ich ganz sicher. Die Leute gucken sehr genau, wenn sie ihren Lebensmittelpunkt verändern. Bin ich dort willkommen? Und wenn die Signale dafür nicht positiv sind, dann wird die Stelle nicht besetzt.

Was hilft?

Carsten Schneider: Es hilft sicherlich, wenn man eine soziale Infrastruktur hat, also vielleicht ein Café oder ein Theater wie etwa in Cottbus. Gerade stellt der Bund sehr viele Mittel für den Strukturwandel bereit. Jetzt müssen nur noch die Menschen kommen. Der Bewusstseinswandel muss sich noch durchsetzen.

Kommen diese Ansiedlungsversuche nicht eigentlich viel zu spät - mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung?

Carsten Schneider: Es wäre klug gewesen, früher noch mehr solche Bundesbehörden anzusiedeln. Das ist jetzt eine Korrektur, die spät kommt. Aber ich hoffe nicht zu spät.

In einigen der neuen Institutionen in Ostdeutschland führt der Personalmangel dazu, dass die Aufgaben nicht gut erledigt werden können.Beim BffA, dem Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten in Brandenburg an der Havel, kam es zu langen Wartezeiten bei Visa-Angelegenheiten. Beim Bundesamt für Wirtschaft in Weißwasser gab es Verzögerungen bei Fördermittel-Bewilligungen. Hat man sich nicht genug Zeit für den Personalaufbau genommen?

Carsten Schneider: Es war eine sehr bewusste Entscheidung, das Amt für Auswärtige Angelegenheiten nach Brandenburg an der Havel zu setzen. Die Behörde ist im Aufbau. Ich glaube, dass dieser Personalmangel, den wir dort haben, behoben wird. Bei der BAFA in Weißwasser ist mir auch adressiert worden, dass es dort Akquise-Probleme gibt. Man muss eben Leute, die woanders ihren Lebensmittelpunkt haben, abwerben. Das ist schwer.

In und um Brandenburg an der Havel werden 400 Verwaltungsfachkräfte gesucht. Das BfAA soll auf 1.000 Mitarbeiter aufgestockt werden. Wo sollen die denn herkommen?

Carsten Schneider: Beim Auswärtigen Amt bin ich mir sicher, dass das gelingen wird, weil es ein sehr attraktiver Arbeitgeber ist. Wir treten jetzt ein in den Wettkampf der besten Köpfe. Es wird sicher eine Binnenwanderung in Deutschland geben. Und Leute in Brandenburg, die jetzt vielleicht im Mindestlohn arbeiten, können dort jetzt einen Job bekommen, der ihrer Qualifikation entspricht. Das hoffe ich zumindest.

Die Stadtverwaltungen Potsdam und Brandenburg suchen händeringend Verwaltungspersonal, aber die Bundesbehörden zahlen besser. Ist das nicht eher schädigend für die Region, wenn Personal abgeworben wird?

Carsten Schneider: Sowohl die Stadt Brandenburg als auch Potsdam haben mit Nachdruck im Bundestag darum gekämpft, dass die Bundesbehörde nach Brandenburg an der Havel kommt. Jetzt ist sie da. Das ist ein Wettbewerb, dem muss sich jeder stellen, auch die Behörden auf lokaler Ebene, die ebenfalls ihre Vorzüge haben.

Viele dieser Büroplätze sind leer in Brandenburg an der Havel. Die Leute pendeln dorthin oder bleiben gleich im Homeoffice. Ist es denn das Ziel, dass die Menschen dort tatsächlich irgendwann leben?

Carsten Schneider: Brandenburg ist eine wunderschöne und mittlerweile auch dynamische Stadt. Ich bin mir sicher, dass es attraktiver ist, in Brandenburg an der Havel zu wohnen, anstatt in Berlin zu horrenden Mietpreisen, mit überfüllten Schulen und dann noch zu pendeln. Ich wünsche mir sehr, dass es zum Zuzug kommt, damit Leute mit einer guten Bezahlung und mit einem sicheren Arbeitsplatz auch in Brandenburg leben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Mit Carsten Schneider sprach Jana Göbel, rbb24 Recherche. Das Interview ist eine gekürzte und redigierte Fassung. Das Gespräch in voller Länge können Sie mit Klick auf das Audio-Symbol im Headerfoto nachhören.

Sendung: rbb24 Inforadio, 08.12.2023, 07:05 Uhr

23 Kommentare

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  1. 23.

    Die Ampel forstet doch auf, was Schwarz-Gelb-Rot niedergebracht und entrissen haben.

  2. 22.

    Doch, sicher. Und viele wollen und würden gern. Und scheitern an den Bürokratenvorgaben. Bsp.: Vor Jahren im Radio "Notruf", Verzweiflung der KSK McPom gehört, Lehrermangel. Sie lockten mit Verbeamtung und Einstiegshilfe. War bereit und rief an. Fazit: Oh, dann wären Sie nach dem Einstieg ja 2 Monate nach der Frist fertig. Dann "können" wir es leider nicht machen.
    So schrecklich war die Notlage. So beweglich die Struktur. Statt zu schauen, wie können wir es machen, wären Sie bereit zu Intensiv-Zeit, um die 2 Monate zusätzlich reinzubringen und die Bürokratie-Frist zu gewährleisten?

    Sage nur: PISA. Bitteschön, dankeschön.

  3. 21.

    „Niemand ist insolvent, die arbeiten nur nicht mehr“ - sagt Wirtschaftsexperte Habeck. Ja, Unternehmen wandern auch ab und nach der Treuhand treibt nun die Ampelregierung ihr Unwesen im Osten

  4. 20.

    Alles richtig und wurde/wird auch nicht negiert. Meine Aussage bezüglich Bürgergeldempfänger bezieht sich ausdrücklich auf die aktuelle Situation. Und aus Erfahrungen in der Familie mit dem Arbeitsamt sehe ich von Seiten dieser Behörde kaum Initiativen zur Zustandsänderung in den betroffenen Behörden.
    Also nochmal gefragt. Gibt es kein Potential bei den Alg1-und Bürgergeldempfängern?
    Beiträge 14/15/16 haben meine Zustimung.

  5. 19.

    Was haben Insolvenzen mit der Ampelregierung zu tun. Wer in der Lage ist, kann in destatis die Anzahl Insolvenzen über einen langen Zeitraum nachlesen. Man wird erstaunt sein, wie viel Existenzen bereits vernichtet wurden. Am meisten im Bauhandwerk, da es Unterehmen gibt, die sich darauf spezialisiert haben , Handwerksbetriebe einfach nicht zu bezahlen.

  6. 18.

    Wenn ich mir die neuesten Nachrichten über die politischen Entwicklung in den östlichen Bundesländern anschaue, verstehe ich vollkommen, dass da keiner hinwill! Auch Leute aus Indien etc, die evtl nicht darüber informiert sind, werden schnell wieder gehen.

  7. 17.

    Ob SPD Schneider jemand zuhört? In Sachsen könnte die SPD an der 5 % Hürde scheitern.

    https://www.tagesspiegel.de/politik/miserable-umfragewerte-die-spd-kann-an-der-funf-prozent-hurde-scheitern-10895578.html

  8. 16.

    Ich verstehe nicht ganz. Ist nicht Ziel der Ansiedlung der Behörden gewesen die Arbeitsmarktsituation und Perspektive für Menschen der Region zu verbessern? Wieso geht es hier um den Ingenieur aus München oder gar Indien? Entweder ich bin zu naiv was das Fachkräftepotenzial der Gegend betrifft oder aber, was ich hoffe, der Text wurde ungünstig gekürzt. Denn so klingt es, als würden alte Fehler wiederholt und für gut ausgestattete Arbeitsplätze aus dem Westen rekrutiert. Und das kann eben je nach Ausmaß koloniale Züge tragen. Dennoch wünsche ich dem Vorhaben, so wie meines Wissens intendiert, gutes Gelingen.

  9. 15.

    Für wen spricht eigentlich dieser Herr Schneider von der SPD? Für die Bevölkerung in den neuen Bundesländern wohl nicht, denn dort gewinnt nach aktuellen Erhebungen seine SPD keinen einzigen Wahlkreis. Die Reaktion der SPD: Vor dem Parteitag sagte Parteichef Klingbeil, er sei zufrieden mit dem, was die Regierung auf den Weg gebracht habe. Die Bürger waren mit Olaf Scholz (SPD) im Deutschlandtrend noch nie so unzufrieden wie jetzt. Dass der Kanzler seinem Amt gewachsen sei, findet nur etwas mehr als ein Viertel der Deutschen.

  10. 14.

    Er hat es nicht verstanden. „Mittel bereitgestellt“ und „nun müssen sie kommen“. Genauso denken Leute, die nicht wissen was Chancengleichheit, Bildungsabschlüsse, Beförderungsmöglichkeiten, Arbeitszeiten, Pensionen und Rentenpunkte sind und wie das alles entstehen muss. Dabei ist es völlig egal, welcher Ethnie man angehört. Es wollen alle das Gleiche: Essen, Wohnen,Kultur, Urlaub, ein Auto usw. Gerade die Ostdeutschen spüren es genau: Wenn man strukturell so benachteiligt wird und andere sogar bevorzugt werden.

  11. 13.

    Er hat es nicht verstanden. „Mittel bereitgestellt“ und „nun müssen sie kommen“. Genauso denken Leute, die nicht wissen was Chancengleichheit, Bildungsabschlüsse, Beförderungsmöglichkeiten, Arbeitszeiten, Pensionen und Rentenpunkte sind und wie das alles entstehen muss. Dabei ist es völlig egal, welcher Ethnie man angehört. Es wollen alle das Gleiche: Essen, Wohnen,Kultur, Urlaub, ein Auto usw. Gerade die Ostdeutschen spüren es genau: Wenn man strukturell so benachteiligt wird und andere sogar bevorzugt werden.

  12. 12.

    Wieviel Insolvenzen gab es seit der Ampelregierung und was schließt bald mit Ankündigungen oder politisch verursacht? Wer bleibt dann übrig um etwas abzurufen?
    Die Ampelregierung hat 179 Großprojekte benannt von denen 0 in Ostdeutschland waren. Am Ende nur „Worte“ und taten gegen unsere Region (Stahlwerk/Kohle/PCK/LNG Rügen/Reifenwerk/Kraftwerke usw)

  13. 11.

    auch dieser Herr lebt in seiner eigenen Blase. Auswärtiges Amt ist ein sehr guter Arbeitgeber. Alles unglaublich

  14. 10.

    Der Sozialstaat unter Schwarz-Rot schaufelte das eigene Grab: "Vermittlungsvorrang" in H4. Heißt: So schnell wie nur möglich "irgendwas" annehmen müssen, auch "Maßnahme, um aus der Statistik zu fallen" oder Regale einräumen, auch für gut ausgebildete Leute in der "strukturschwachen" Region.
    Also: Leute, die man 1A hätte weiterqualifizieren können oder einfach von vornherein eine zur Qualifikation passende Stelle suchen können, wurden gezwungen, pardon, ihnen wurde "angeboten" (ein Angebot, das sie ohne Kürzung/Sanktion nicht ablehnen konnten) unterqualifizierte Irgendwas-Arbeit zu machen, bestenfalls zum Mindestlohn, um dort festzustecken und zu altern. – zu: Wieviel Empfänger von Bürgergeld wären denn für eine Tätigkeit in dolch Behörden eventuell geeignet?
    Vermittlungsvorrang von H4 entfiel erst mit Wandel zu Bürgergeld. Sagt man den Menschen nun, soorry, zu lange draußen aus entsprechender Berufspraxis, keine Umschulung zur Verwaltungsirgendwas für Sie? Wir setzen auf Migration?

  15. 9.

    Ich brauch' nen Brecheimer, schnell! "Und Leute in Brandenburg, die jetzt vielleicht im Mindestlohn arbeiten, können dort jetzt einen Job bekommen, der ihrer Qualifikation entspricht. Das hoffe ich zumindest."

  16. 8.

    Sie gehen davon aus das ein Stadtbewohner auch auf dem Land das haben will was er in der Stadt hat.

  17. 7.

    Verstehe nicht: Erst den Osten enteignen und an West-"Investoren" verschachern, die Jungen weg, die Alten als Unterbezahlte (größter "Niedriglohnsektor") harren aus, und nun sollen sie Fremde auf der Überholspur "willkommen" heißen, die vor ihren Augen gutbezahlte Stellen erhalten und ganz anders leben können, als sie selbst?

    "Da sind Millionen weggegangen, um Arbeit zu haben. Das prägt das Bewusstsein. Und jetzt ist das eine komplett andere Situation. Wir brauchen gut bezahlte, tariflich organisierte Angestelltenverhältnisse, davon gibt es nicht so viele in Ostdeutschland.
    Wenn ich einen Informatiker aus München loseisen will oder aus Köln oder vielleicht sogar aus Indien, dann muss er sich in der Stadt wohlfühlen. Das bedeutet, die Bevölkerung dort muss auch offen sein."

  18. 6.

    Im "Westen" geht mitnichten eine Stadt in die andere über. Außer im Ruhrgebiet und Rhein/Main. Verlassen Sie mal den Osten und fahren Sie mal nach Schleswig-Holstein, z.B. Dithmarschen. Oder in die Lüneburger Heide. Oder in den Pfälzer Wald. Oder in eine der anderen sehr ländlichen Gegenden, die es auch außerhalb Ostdeutschlands zahlreich gibt. Selbst in Bayern gibt es extrem ländliche Ecken, wo die nächste größere Stadt meilenweit weg ist. Da grenzt nicht überall eine Metropole direkt neben die andere.

  19. 5.

    Hochinteressant und vor allem so lösungsorientiert. Damit wird es im Osten auf jeden Fall besser, weiter so. Und noch was: Vertrieben wurde Sie bestimmt nicht.

  20. 4.

    Leider ist es im Osten des Landes immer noch so das sich das Leben in den wenigen großen Städten abspielt.Auf dem Land ist es zwar schön aber der Hund begraben und die Füchse gleich neben an. Kaum ein Laden,wenig Gastro vor 17 Uhr,wenn überhaupt, notwendige Ärzte Mangelware.
    Im Westen dagegen,geht zumeist eine Stadt in die andere über und selbst im dörflichen Bereich ist es meist nicht Weit.Es sei denn man wohnt wirklich in abgelegenen Lagen,Sauland,Eifel,etc
    Ich fahre gern im Osten meiner Wahlheimat über Land und genieße die Ruhe,leider auch die Raser,aber wohne in der Hauptstadt mit ihren Annehmlichkeiten,wie im Westen.

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