Theaterkritik | "Der Kaiser von Kalifornien" - "Gehen Sie auf im Äther der Finanzwirtschaft!"
Es wird wieder Theater gespielt in Berlin: Alexander Eisenach hat am Donnerstag in der Volksbühne seine Uraufführung von "Der Kaiser von Kalifornien" nachgeholt. Eine düstere Siedler-und Goldgräbergeschichte - mit einem ausufernden Ende. Von Fabian Wallmeier
Ein Goldfund in Neu-Helvetien, einer Privatkolonie des Schweizers Johann August Sutter in Kalifornien, löste Mitte des 19. Jahrhunderts den großen amerikanischen Goldrausch aus. Alexander Eisenach nimmt das als Ausgangspunkt für "Der Kaiser von Kalifornien", seine erste Arbeit an der Berliner Volksbühne.
Bei der Premiere am Donnerstag ist von Beginn an klar: Einen Rausch im positiven Sinne wird hier niemand finden. "Wenn ich ein Vöglein wär' und auch zwei Flügel hätt', flög' ich zu dir", singt das Ensemble am Anfang noch verhalten hoffnungsvoll. Doch statt einer glücksverheißenden Aufbruchsstimmung ist hier eher ein finsterer Totentanz zu sehen.
In der Mitte der meist nur spärlich beleuchteten Bühne steht ein angedeutetes Fort aus kargem Gestänge und mit einem riesigen Mühlrad im Zentrum, an die Außenwand werden Live-Videoaufnahmen in Schwarz-Weiß projiziert. Da pflanzen die Siedler dürre Bäumchen ins trocken-brockige Erdreich und versuchen ihnen mit beschwörenden Gesten Leben einzuhauchen. Sutter (Johanna Bantzer) beschwört latent aggressiv die Pracht seiner/ihrer Kolonie, während die Gefolgschaft starr im Hintergrund sich an ihren Waffen festhält. Dann setzt ein dumpf vorantreibendes Schlagzeug ein - und es beginnt eine Art militärisch geordneter, dabei aber traurig schleppender Western-Stepptanz.
Ganz anders als Eisenach am Berliner Ensemble
Es sind starke Bilder, die Alexander Eisenach hier am Anfang setzt. Wenn man indes nicht wüsste, dass hier derselbe Autor und Regisseur am Werk ist wie in der vergangenen Spielzeit am Berliner Ensemble, käme man nicht ohne Weiteres darauf: Eisenach hat dort vor einem Jahr aus Thomas Manns "Felix Krull" ein kalauersattes Assoziationsgewitter gemacht, das aber am Ende nicht mehr als eine Fingerübung war. Einige Monate später brachte er dort mit der "Stunde der Hochstapler" einen schmerzhaft überdrehten, wirklich nervenzehrend blöden Abend heraus.
Vielleicht ist es der Aura des Hauses oder vielmehr noch seines derzeitigen Schauspieldirektors Thorleifur Örn Arnarsson geschuldet, eines Freundes archaischer Stoffe und düsteren Überwältigungstheaters, dass Eisenach hier nun größtenteils viel ernstere Töne anschlägt. Nur gelegentlich bricht der Schalk durch, doch die meiste Zeit über ist "Der Kaiser von Kalifornien" eine ausgesprochen finstere Angelegenheit.
Die Verheißungen moderner Investment-Optionen
Auch die langsam heranschleichende Goldgräberstimmung, die das Fort schließlich gegen Sutters Willen überkommt, und allerlei windige Gestalten, die mit ihren Versprechen die Ordnung zu stören trachten, treiben den Abend gut voran. Kopfgeldjäger machen sich auf den Weg und entwickeln Geschäftsmodelle. Eine Bank entsteht, die Verheißungen moderner Investment-Optionen interessieren vor allem die Goldgräbern, die Sutters Land Nuggets im Wert von elf Millionen Dollar abgerungen hat. "Gehen Sie auf im Äther der Finanzwirtschaft", lautet die Devise.
Eisenach behält seine weitschweifenden und sehr grundsätzlichen Überlegungen über das menschliche Zusammenleben unter dem Einfluss des Kapitals über weite Strecken erstaunlich fest im Zaum. Doch im letzten Drittel verliert er den Faden. Nach dem vielleicht stärksten Bild der Inszenierung, in dem das Ensemble den Western-Stepptanz vom Beginn in Infektionsschutzanzügen ins immer Unheimlichere steigert, dreht die Inszenierung völlig frei. Da ist Sutter längst dem Wahnsinn verfallen und spricht mit den Pocahontas-Figuren, für die er im Schnapsregal eine bessere Welt gebaut hat. Ein Bandagierter torkelt nun minutenlang über die Bühne und beschwört eine Art präzivilisatorisches Glück, eine andere singt ein Loblied auf die Herrschaft der Kunst, derweil wird ein aus den Augen blutender Papp-Kopf herab gelassen und ein Fährmann aus dem Jenseits steuert seine Barke über die Bühne.
Corona ist bald vergessen
Am Ende haben alle Waffen und schießen aufeinander - und trotzdem ist der Abend noch nicht vorbei. Spätestens da wird augenscheinlich, dass er mit zweieinhalb Stunden etwas lang geraten ist - und weil Pausen in Zeiten von Corona eine unnötige Verkomplizierung bedeuten würden, zieht er sich zusätzlich. Corona ist es auch geschuldet, dass der Abend erst jetzt gezeigt werden konnte. Eigentlich hätte "Der Kaiser von Kalifornien" schon im April uraufgeführt werden sollen. Nun feierte der Abend, offiziell nicht als Teil der neuen Spielzeit, sondern in einer "Nachspielzeit" der alten, unter neuen Vorzeichen Premiere.
Die Corona-Bestimmungen fügen sich dabei recht geschmeidig ein. Am Anfang noch wird das Thema kurz ganz bewusst gesetzt, als eine Gruppe ihre Schals zu Mund-Nasen-Bedeckungen umfunktioniert, als der Kameramann sie bedrängt und sie zum Näherrücken gezwungen sind. Doch je weiter der Abend voranschreitet, desto weniger fällt auf, dass hier genau auf Distanz geachtet wird. Aber wieso auch sollte man in diesem herrlich großen Bühnenraum ausgerechnet auf die Distanz verzichten wollen?