Joana Mallwitz leitet künftig das Konzerthaus Berlin - "Eine sehr einzigartige Konstellation"
Das Konzerthausorchester Berlin wird künftig von einer Frau geleitet: Die Dirigentin Joana Mallwitz tritt mit Beginn der Spielzeit 2023/24 die Nachfolge von Christoph Eschenbach an. Ein neues, modernes Format hat Mallwitz schon eingeführt.
Mit Beginn der Spielzeit 2023/24 wird Joana Mallwitz die neue Chefdirigentin im Berliner Konzerthaus - diesen überraschenden "Coup" konnte Konzerthaus-Intendant Sebastian Nordmann bereits am 31. August 2021 verkünden. In ihrem Dirigat steckt "eine unglaubliche Kraft und Dynamik", so Nordmann damals. Ihre Begeisterung für die Musikvermittlung habe sie schnell zur "Wunschkandidatin" des Orchesters gemacht.
Kennenlernen mit Schubert
Entstanden ist dieser Wunsch nach einer "festen Bindung" zwischen Dirigentin und Orchester in zwei Projekten, bei denen jeweils ein großes sinfonisches Werk gemeinsam erarbeitet wurde. Zum ersten Mal im November 2020, als man gemeinsam Franz Schuberts "Große" C-Dur-Sinfonie einstudiert hat. Bei den Proben, erzählt Joana Mallwitz, habe sie sofort eine besondere Beziehung zum Orchester entwickelt: "Das war einfach eine ganz wunderbare erste Begegnung, mit einer tollen Energie und einer großen Konzentration".
Harte Probenarbeit
Das Berliner Konzerthausorchester, so Mallwitz, habe bei den Proben ihre Erwartungen voll und ganz erfüllt. "Und das ist etwas, was ich suche, dass man mit einem Orchester die Probenarbeit durchgehen und hart arbeiten kann." Nach der Arbeit sei es dann aber genauso wichtig, dass man "im Moment des Konzertes auch loslassen und das Ganze freilassen kann".
Die erfolgreiche Zusammenarbeit beim "Schubert-Projekt" hat das Konzerthaus seinerzeit im hauseigenen Videokanal dokumentiert. Neben dem Konzertmitschnitt findet sich dort auch ein sehenswerter Film, in dem Joana Mallwitz unter der Überschrift "Reingehört" eine ausführliche Konzerteinführung per Video gibt - ein modernes Format, dass für diese eloquente Dirigentin wie geschaffen ist.
Konzerteinführung per Video
Zu Beginn des etwa 30-minütigen Films lässt Joana Mallwitz das Orchester die gut zwei Minuten dauernde Eröffnung der Sinfonie spielen. Dann unterbricht sie den Vortrag und erzählt den Musikerinnen und Musikern, dass Schubert ein "Mensch voller Widersprüche und Gegensätze" gewesen sei. Und diese Gegensätze seien in Schuberts Musik auch zu hören. "Die Große C-Dur verbindet diese orchestrale Wucht und diese sinfonische Überwältigung mit einer wunderschönen, persönlichen, fast intimen Aura einer menschlichen Innigkeit." Wenn Mallwitz dann das liedhafte Eingangsmotiv der Sinfonie von zwei Hörnern spielen lässt, das Orchester nach und nach einsetzt, Streicher und Bläser die Dynamik bis zum Fortissimo steigern, bekommt man tatsächlich eine Vorstellung von den Widersprüchen, die Franz Schubert in seinem Inneren bewegt haben.
Die Begeisterung, mit der Joana Mallwitz das Werk erklärt und interpretiert, überträgt sich hörbar auf das Orchester - und findet sich dann auch in der Kommentarspalte zu dieser kompetenten Konzerteinführung wieder: "Einfach fantastisch, wie Sie uns diese grossen Werke aufzeigen", schreibt ein Zuschauer, ein anderer deutet an, welche Freude erklärende Sätze auslösen: "Was für eine Bereicherung in dieser verschlossenen Welt der Dirigenten! Bravo Joana!"
Charme und Kompetenz
Mit Charme und Lebensfreude sorgt Joana Mallwitz beim Publikum für Begeisterung, die Musikerinnen und Musiker profitieren darüber hinaus von der künstlerischen und sozialen Kompetenz dieser modernen Kommunikatorin am Dirigentinnenpult.
Der Werdegang der Dirigentin, die an der Musikhochschule Hannover bei Martin Brauß und Eiji Ōue Dirigieren studiert hat, außerdem mit 13 Jahren schon Jungstudentin in der Klavierklasse von Karl-Heinz Kämmerling war, liest sich als beeindruckende Erfolgsgeschichte: jüngste Generalmusikdirektorin Europas in der Spielzeit 2014/15 in Erfurt, seit 2018 Generalmusikdirektorin am Staatstheater Nürnberg, ein Jahr später wird Joana Mallwitz von der Zeitschrift "Opernwelt" zur "Dirigentin des Jahres 2019" gewählt. Eine Auszeichnung, die nicht etwa für Männer und Frauen getrennt vergeben wird: im Jahr nach Joana Mallwitz hat der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker Kirill Petrenko die Wahl für sich entschieden, im Jahr davor der britische Alte-Musik-Spezialist John Eliot Gardiner.
Tradition und Innovation
Mit der 1986 in Hildesheim geborenen Joana Mallwitz kommt eine vergleichsweise junge Chefdirigentin nach Berlin, die am Gendarmenmarkt die langjährige sinfonische Tradition des Hauses weiterführen will, aber auch für programmliche Innovationen sorgen möchte. Wofür das Haus beste Voraussetzungen biete, meint die Dirigentin, die hier auf ein "neugieriges, mutiges Orchester" getroffen sei. Die Musiker, so Mallwitz, würden sich trauen, etwas zu riskieren und auszuprobieren. "Und diese Kombination aus Tradition und Risikobereitschaft reizt mich natürlich sehr. Da können spannende Dinge möglich sein."
Höhenflüge auf dem Bildschirm
Dass Joana Mallwitz mit ihrem neuen Orchester neue Formate entwickelt, hat sich in der Pandemie gewissermaßen ganz nebenbei ergeben. Denn auch das zweite Projekt, für das Mallwitz im März 2021 die Sinfonie Nr. 6 von Peter Tschaikowsky ausgesucht hatte, mündete am Ende in ein reines Streamingkonzert, das im großen Saal ohne Publikum gespielt wurde.
Sieben Kameras haben das Livekonzert damals aufgezeichnet - und in zahlreichen Nahaufnahmen dokumentiert, wie intensiv die Dirigentin mit dem Orchester kommuniziert. Mit ausladenden Armschwüngen und agiler Körperspannung, vor allem aber lässt Joana Mallwitz ihre Musikerinnen und Musiker keine Sekunde aus den Augen. Sie hört dem Orchester intensiv zu, kommuniziert mit den Instrumentengruppen und stimuliert so den gesamten Klangkörper zu sinfonischen Höhenflügen.
Spielzeiteröffnung im Sommer 2023
Im Spätsommer wird sich Joana Mallwitz nun als neue Chefdirigentin im Konzerthaus Berlin vorstellen. Das Konzert zur Spielzeiteröffnung ist für den 31. August terminiert. Bis dahin steht dann auch fest, welche Musik an diesem Abend zu hören sein wird. Sinfonien von Franz Schubert oder Peter Tschaikowsky wären natürlich eine vortreffliche Wahl, vielleicht wagt die neue künstlerische Leiterin am Gendarmenmarkt aber auch einen entschlossenen Schritt in die Moderne.
Das Orchester freut sich in jedem Fall auf die neue Chefin und nach den beeindruckenden Videos kann das Konzerthaus-Publikum die Dirigentin dann endlich zum ersten Mal auch leibhaftig und "in echt" erleben.
Umgekehrt freut sich Joana Mallwitz auf ihren neuen Arbeitsplatz - in einem Gebäude, das für die Künstlerin mehr als nur ein Konzertsaal ist. "Das Konzerthaus ist ein ganz besonderer Ort, es hat eine ganz eigene Magie. Mit all den Sälen und Möglichkeiten, die es bietet, verschiedenes Repertoire abzudecken, verschiedene Konzertformate zu probieren und ganz unterschiedliche Menschen anzusprechen und hier hineinzuholen. Das ist schon eine sehr einzigartige Konstellation."
Sendung: rbb24 Inforadio, 09.01.2023, 09:55 Uhr