Show-Kritik | "A Simple Space" im Chamäleon -
Am Mittwochabend gab es im Berliner Chamäleon-Theater den offiziellen Startschuss für die sechswöchige Gastspielreihe "Play". Das Festival will die Vielfalt internationaler zeitgenössischer Zirkuskunst auf die Bühne am Hackeschen Markt holen.
Eröffnet hat die australische Kompanie "Gravity & Other Myths", die die vergangenen vier Monate schon als Gastkompanie am Haus war, mit ihrem Erstlingswerk: "A Simple Space". Damit war sie schon weltweit unterwegs. Jetzt wurde es am Chamäleon-Theater zum 1000. Mal gespielt – endlich auch in Berlin.
"Männliche" Wettkampfspiele auf freundliche Art
Der "Simple Space" ist ein einfacher, quadratischer Bühnenraum, mit schwarzen Matten ausgelegt, ein wenig wie beim Bodenturnen. Die Bühne reicht in den Zuschauerraum hinein - das Publikum sitzt also ganz nah an den sieben Akrobat:innen.
Die machen in unterschiedlichen Konstellationen, scheinbar spontan, alle möglichen Wettkampfspielchen miteinander. Ein Percussionist treibt das Ganze rhythmisch an, ist immer wieder aber auch Teil der Wettspiele. Dabei sind die männlichen Akrobaten in der Überzahl, sie sind fünf. Es sind auch zum großen Teil sehr männliche Wettkämpfe: Wer kann länger, höher weiter?
Das Ganze aber sehr sympathisch, freundlich: Man hilft sich, passt auf, dass niemand sich wehtut. Und die zwei Artistinnen bringen eine gewisse weibliche Leichtigkeit ins Spiel, da sie sich auch am häufigsten in der Luft bewegen, ohne aber je ins Püppchenhafte zu rutschen.
Man weiß nie, was kommt
Die Wettkämpfe der Artist:innen sind ganz unterschiedlich: Man weiß nie, was kommt, und witzige, alberne Ideen wechseln sich mit hochakrobatischen ab. Es bleibt damit durchgehend überraschend und steigert sich auch innerhalb des Stückes.
Es geht zum Wettstreit beim Seilspringen: Wer springt am längsten und schnellsten? Drei Männer nehmen am Wettkampf teil, und wer von ihnen mit dem Fuß hängen bleibt, muss sich eines Kleidungsstücks entledigen. Sehr charmant werden sie immer schamvoller.
Ein anderes Spiel: Ein Großteil der Gruppe hält die Luft an, die anderen stellen sich in den Handstand. Wer hält wohl länger durch? Oder wer bläst am schnellsten einen langen Luftballon auf und knotet daraus, mit den Händen hinterm Rücken, einen Hund?
Das Publikum: emotional dabei
Jeder liebt Wettkämpfe, feuert gern an und fiebert mit. So ist das Publikum im Chamäleon auch vollkommen von den Spielen auf der Bühne gefangen. Weil die Akrobat:innen auf der Bühne so nett miteinander umgehen, ist auch die Stimmung im Publikum sehr freundlich zugewandt. Es sind viele "Ohs" zu hören, wenn einer der Akrobaten den letzten Salto nicht mehr schafft.
Immer wieder hört man auch anerkennendes Raunen, wenn eine der Artistinnen sich in schwindelerregender Höhe bewegt. Bei einem Wettspiel verteilt die Kompanie leichte Plastikbälle im Publikum, bevor sich die Akrobat:innen im Kreis in den Handstand stellen. Und alle im Publikum, vor allem an den vorderen Tischen, bewerfen sie mit diesen Bällen, bis jeder umgefallen ist. Es hat jedoch nichts Brutales, denn die Bälle sind leicht und überall im Raum verteilt. Das Spiel hat dabei auch etwas sehr Buntes, Lustiges.
Live-Percussion heizt an und brilliert
Unterstützt werden diese Bühnenspiele von der Live-Percussion: Sie untermalt die Bewegungen, treibt sie und heizt sie an. Dabei sind Rhythmen und Bewegungen kunstvoll verwoben.
Es gibt auch Momente ganz ohne Percussion, in denen nur die Artist:innen zu hören sind, wie sie schwer atmen, sich etwas zurufen oder einfach ganz natürlich auf der Bühne lachen und scherzen. Und wie jeder der Truppe hat auch der Percussionist einen Soloauftritt, darf allein im Rampenlicht stehen, zeigen, was er draufhat.
Da legt er dann eine Body-Percussion-Nummer vom Feinsten hin: mit Schnipsen, Klatschen, Trampeln und auf den Oberkörper Klatschen, bis der ganz rot wird. Am Anfang und am Ende dieser Solonummer darf das Publikum mitschnipsen und -klatschen, dazwischen wird es einfach abgehängt.
Energiegeladen, kunstvoll und kein bisschen "macho"
"A Simple Space" ist unglaublich kraftvoll, mit sprühender Energie, die sich in den Zuschauerraum überträgt. Es wird sehr ausgefeilte Körperkunst geboten, aber ganz leicht und unprätentiös. Auch wenn der Wettkampfgedanke tendenziell etwas männlich dominiert ist, die männlichen Artisten auch mehr Auftritte haben, ist es kein bisschen machomäßig. Denn die Wettkämpfe sind sehr freundschaftlich: Helfen, Unterstützen und Lachen ist wichtiger als Siegen – das ist die Message des Stückes, die wie nebenbei vermittelt wird.
Und es gibt eine Spannungschoreografie im Stück: Die Bewegungen werden zunehmend kunstvoller, akrobatisch ausgefeilter und immer luftiger. Am Ende fliegen die zwei Akrobatinnen so schwindelerregend in immer tolleren Figuren zwischen den Armen ihrer Partner, dass der "Space" endlos zu werden scheint und man nicht mehr weiß: Schwingen sie noch oder fliegen sie schon?
Sendung: kulturradio, 05.01.2023, 7:45 Uhr