Resolution zum Schutz jüdischen Lebens | Kontra - "Die Autonomie von Wissenschaft und Kunst ist unbedingt zu erhalten"
Seit dem Hamas-Angriff auf Israel hat sich auch in der Region der Antisemitismus verstärkt. Eine Resolution sieht vor, dass Projekte mit antisemitischen Inhalten künftig keine öffentlichen Gelder mehr erhalten. Der Jurist Matthias Goldmann wendet sich gegen den Entwurf.
Die Ereignisse am 7. Oktober 2023 haben auch in der Region die Debatte zur Nahostproblematik zugespitzt. In Brandenburg und Berlin wurden seit dem Angriff auf Israel deutlich mehr antisemitische Straftaten registriert. Auch an einigen Berliner Hochschulen kam es zu heftigen Auseinandersetzungen, im Kulturbetrieb wird darüber gestritten, ob die Kritik an der israelischen Kriegsführung antisemitisch ist.
Seit dem Sommer wird nun der Entwurf einer geplanten Bundestagsresolution zum "Schutz jüdischen Lebens in Deutschland" heftig in der Öffentlichkeit diskutiert. SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU wollen eine fraktionsübergreifende Resolution im Bundestag verabschieden — als Antwort auf den Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 und den zunehmenden Antisemitismus in Deutschland. Der Entwurf, der dem rbb vorliegt, fordert die Bundesregierung sowie Länder und Kommunen unter anderem auf, Fördergelder in Kunst und Wissenschaft nur noch nach vorheriger Prüfung auf antisemitische Narrative freizugeben. Ein ähnliches Vorhaben, die sogenannte "Antisemitismusklausel" des Berliner Kultursenators Joe Chialo, ist gescheitert. Und auch die Bundestagsresolution ist noch nicht beschlossen. Es gibt offene Briefe und Appelle für und gegen den Entwurf. Der rbb hat mit einem Gegner und einem Befürworter der Resolution gesprochen.
Der Jurist Matthias Goldmann spricht sich gegen den Entwurf aus. Er gehört zu den 21 Unterzeichnern eines Offenen Briefes von Jurist:innen an die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP, in dem diese verfassungsrechtliche Bedenken äußern gegen den Text.
rbb: Herr Goldmann, die geplante Bundestagsresolution hat ein wichtiges Ziel: jüdisches Leben in Deutschland zu schützen. Warum haben Sie öffentlich dagegen Stellung bezogen?
Matthias Goldmann: Zunächst mal: Wir – die Verfasser dieses offenen Briefes - finden es gut, dass eine solche Resolution zum Schutz jüdischen Lebens kommen soll. Ich denke, dass da viele Teile drinstehen, die eigentlich unstreitig sind, und die man aus ganzem Herzen unterstützen kann. Aber es gibt dann auch doch einige problematische Passagen, und wir haben Bedenken, ob diese Passagen mit der Verfassung in Einklang stehen. Wir fragen uns, ob dadurch nicht eine unbotmäßige Beschränkung von Meinungs-, Wissenschafts- und Kunstfreiheit durch die Verwaltung in Gang gesetzt werden könnte.
Was an dem Entwurf finden Sie konkret problematisch?
Der jetzige Entwurf fordert auf, dass haushaltsrechtliche Regeln geschaffen werden sollen, um Gelder im Fall von Antisemitismus zu entziehen. Und so sehr man grundsätzlich die Logik dahinter nachvollziehen kann, so sehr stellen sich auch einige Fragen. Erstens: Was ist Antisemitismus? Zweitens: Wer entscheidet darüber? Drittens: In welchem Verfahren wird darüber entschieden?
Warum sollen pauschaler Israelhass und Antisemitismus nicht von vornherein von der Mittelvergabe in Kunst und Wissenschaft ausgeschlossen werden?
Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, wie Sie das beurteilen möchten, solange Sie das Projekt noch gar nicht in seinen Zusammenhängen sehen. Zum Beispiel können Sie antisemitische Bildersprache erst erkennen, wenn Sie die Bilder sehen. Es wäre nun aber einfach nicht möglich, jemanden, der zum Beispiel eine Ausstellung finanziert haben möchte, abzuverlangen, dass die ganze Ausstellung schon produziert und vorgelegt wird, bevor überhaupt der Antrag auf Förderung ergeht. Damit würde eine solche Förderung unmöglich.
Also müssen solche Ereignisse wie der Antisemitismus-Skandal auf der Documenta 2022, wo antisemitische Symbolik und Bilder gezeigt wurden, also immer erst passieren, ehe wir dagegen vorgehen können? Auch die documenta wird ja mit öffentlichen Geldern finanziert.
Ich wage zu bezweifeln, dass der Skandal um die Documenta durch die Mittel des Haushaltsrechts hätte verhindert werden können. Ich denke, das ist vor allem eine Frage der Entscheidungsträger bei einer solchen Ausstellung. Die müssen gut geschult sein, die müssen gut sensibilisiert sein. Dafür braucht es Bildungsarbeit. Dafür braucht es Auseinandersetzung und Dialog.
Welchen Stellenwert hat für Sie als Verfassungsrechtler die Kunstfreiheit?
Die Staatsferne der Kunst ist ein hohes Gut. Und wenn man da sozusagen einen Dammbruch über das Haushaltsrecht einführt, dann könnte das ziemlich nach hinten losgehen. Wir wissen nicht, wie unsere politische Lage sich in den nächsten Jahren entwickelt. Deshalb denke ich, die Autonomie von Wissenschaft und Kunst ist unbedingt zu erhalten. Aber das entpflichtet natürlich nicht die Wissenschaft und die Kunst, selbst auf die Vermeidung antisemitischer Narrative hinzuwirken. Das bedeutet nicht anything goes!
Besteht Ihrer Meinung nach eine Gefahr, für die Kunst-, Wissenschafts- und Redefreiheit in Deutschland, sollte der Resolutionstext so verabschiedet werden.
Wenn der Text verabschiedet wird, wie er im Entwurf vorliegt, besteht definitiv eine Gefahr für die Kunstfreiheit, die freie Rede und für die Wissenschaftsfreiheit. Es besteht die Gefahr, dass dann die Mittelvergabe an Kriterien oder an Verfahren geknüpft wird, die sich hinterher als unhaltbar herausstellen. Ich sehe definitiv die Gefahr, dass dann, ohne dass diese Resolution verbindlich wäre, ihr in der administrativen Praxis Relevanz verliehen würde — also, dass sie befolgt wird.
Viele Jüdinnen und Juden – gerade im akademischen Bereich, Hochschullehrende und StudentInnen – beklagen, dass sie sich an Universitäten nicht mehr sicher fühlen. Was kann der Staat juristisch tun, um Jüdinnen und Juden zu schützen?
Als Mitglied einer Universität bedrückt es mich enorm, dass Jüdinnen und Juden sich nicht sicher fühlen. Und natürlich muss man etwas dagegen tun. Das ist aber etwas anderes als die Präventivkontrolle von wissenschaftlichen Projekten oder auch von Projekten im Bereich der politischen Bildung, die vielleicht die Chance hätten, Leute in Dialog zu bringen, die derzeit sich eigentlich eher auf Demonstrationen gegenseitig anschreien.
Müssen wir im Strafrecht nachbessern?
Nein, wir müssen nicht im Strafrecht nachbessern. Das bestehende Strafrecht enthält bereits eine gute Abwägung zwischen Meinungs-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit einerseits und dem Schutz der Menschenwürde andererseits. Zurecht ist daher ein entsprechender Vorstoß letztes Jahr im Bundestag gescheitert. [Gemeint ist ein Gesetzentwurf von CDU/CSU im Bundestag vom 14.11.23, der das Strafrecht speziell um antisemitische Straftaten erweitern wollte, und von allen anderen Fraktionen abgelehnt wurde. Anm.d.Red.]
Was erwarten Sie nun von einer solchen Resolution?
Ich bin dafür, dass der Bundestag eine Resolution zum Schutz jüdischen Lebens beschließt. Ich bin gleichzeitig dafür, dass eine solche Resolution uns nicht auf den Weg zu einer verfassungswidrigen Praxis bringt. Denn Kultur und Wissenschaft sind dafür da, - unter Beachtung der Menschenwürde - über kritische und streitige Fragen zu diskutieren. Denn nur dann kann man auch so etwas wie einen Fortschritt, einen Erkenntnisgewinn erwarten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Mit Matthias Goldmann sprach Ulf Kalkreuth für ttt – Titel, Thesen, Temperamente.
Sendung: ttt – Titel, Thesen, Temperamente | 22.09.2024 | 18:50 Uhr