Welt-Aids-Tag - "Ich bin nicht krank, sondern ich bin mit HIV infiziert"
Isabell weiß seit fünf Jahren von ihrer HIV-Infektion, belastet fühlt sie sich dadurch in ihrem Alltag kaum. Das war noch nicht immer so. Herauszufinden, was sie krank gemacht hat und zu lernen, mit der Diagnose zu leben, war nicht leicht. Von Anna Bordel
Isabell verlässt vor etwa fünf Jahren eine Arztpraxis und sagt zu ihrer Freundin einen albernen Spruch. Welcher genau, daran erinnert sie sich heute nicht mehr. Vielleicht dieser: "Jetzt hat der Zahnarzt immerhin mehr Angst vor mir als ich vor ihm". Oder irgendein anderer. Sie weiß damals seit wenigen Minuten, dass sie HIV-positiv ist. Sie weiß da schon, dass dieses Virus ihren Körper nie mehr verlassen wird. Wie nebensächlich es einmal werden wird, ahnt sie da noch nicht.
Mit ihrer Freundin Witze zu machen, hilft ihr, den ärgsten Schockmoment durchzustehen. Kurz davor weint sie im Arztzimmer, hat das Gefühl, ihrer eigenen Hinrichtung beizuwohnen. Danach folgen schwierige Monate. Eine Zeit, in der sie sich immer wieder zwingen muss, nicht in Angst, Selbstmitleid und Trauer zu versinken - und es schafft.
Neuinfektionen nehmen ab
Isabell ist laut Schätzungen des Robert Koch-Instituts (RKI) eine von 12.800 in Berlin lebenden HIV-positiven Menschen. In Brandenburg leben demnach derzeit 320 und in ganz Deutschland 90.800 Infizierte. Die Zahl der Neuinfektionen sinkt dem RKI zufolge in Deutschland seit einigen Jahren, die Zahl derer, die HIV-positiv sind, steigt hingegen. "Das ist ein gutes Zeichen", erklärt Holger Wicht, Sprecher der Deutschen Aidshilfe. "Menschen sterben heutzutage dank der Medikamente kaum noch an HIV, deshalb werden es immer mehr", so Wicht.
"Ich bin nicht krank, sondern ich bin mit HIV infiziert", stellt Isabell als erstes klar, als sie sich im Schneidersitz entspannt auf eine Stoffcouch in einem Raum im Systemischen Institut für Achtsamkeit in Neukölln setzt. Hier macht die Anfang 30-Jährige eine Ausbildung zu Systemischen Therapeutin. Ansonsten arbeitet sie im Bereich der Sozialen Arbeit mit Jugendlichen. "Eigentlich ist meine HIV-Infektion stinklangweilig. Ich nehme ein Mal am Tag eine Tablette und das wars. Ich habe Freunde mit kaputtem Knie, die mehr damit zu kämpfen haben als ich mit meiner Infektion“, erzählt sie.
HIV im Alltag nicht ansteckend
Das HI-Virus lässt sich mittlerweile sehr gut durch entsprechende Medikamente therapieren. Es verschwindet dadurch zwar nicht aus dem Körper, aber ist laut Deutscher Aidshilfe bei erfolgreicher Therapie nicht mehr nachweisbar. Solche gut medikamentös eingestellten Menschen können das Virus sexuell nicht mehr übertragen. Nicht-therapierte Menschen können das Virus der Aidshilfe zufolge beim Geschlechtsverkehr oder durch Weitergabe von benutzen Spritzennadeln weitergegeben "Im Alltag ist das Virus nicht übertragbar. Nicht auf dem Klo, nicht in der Sauna, nicht beim Sport. So einfach ist das", so Wicht.
Dass es Isabell so gut mit ihrer Infektion geht, war nicht immer so. Vor ihrer Diagnose war sie jahrelang krank, wurde immer kränker und kein:e Ärzt:in konnte ihr helfen, niemand kam auf die Idee, sie auf HIV zu testen. "Ich war gerade nach Berlin gezogen und es ging mir einfach immer schlechter. Da habe ich mit einem Freund gemeinsam überlegt, welche Krankheiten das Immunsystem schwächen, so dass man immer wieder krank wird, und da ist uns HIV eingefallen", erzählt sie.
Mit den Medikamenten geht es ihr schnell besser
Sex ohne Kondom hatte Isabell mit einem Mann vor ihrer Zeit in Berlin. Sie dachte, es würde etwas Ernstes werden, wurde es dann nicht. Sicher ist es nicht, dass sie sich bei ihm angesteckt hat. Zugegeben hat er seine eigene Infektion auch im Nachhinein nie. Ein Kapitel ihrer Infektion, dass Isabell bis jetzt nicht abschließen kann und über das sie deshalb auch nicht im Detail sprechen möchte.
Als sie schließlich einen HIV-Test macht, sind zweieinhalb Jahre seit dem Kontakt mit diesem Mann vergangen. "In dieser Zeit war ich schon im fortschreitenden HIV-Stadium und bin auf Aids zumaschiert", erzählt Isabell. Wer HIV-positiv ist, hat nicht automatisch Aids. Aids tritt laut der Deutschen Aidshilfe erst dann auf, wenn das HI-Virus den Körper ungehindert über längere Zeit immer weiter schwächt. Menschen mit Aids erkranken demzufolge häufig an lebensbedrohlichen Krankheiten.
Isabell hatte rechtzeitig die richtige Eingebung und lässt sich testen. Viel wusste sie über HIV noch nicht. Als sie weinend mit einer Freundin im Arztzimmer sitzt, erklärt ihr eine Krankenschwester, dass sie mit HIV lange und gut leben, dass sie sogar Kinder bekommen kann, wenn sie möchte. Für diesen Trost ist sie noch heute dankbar. Nachdem sie beginnt, Medikamente zu nehmen, geht es ihr schnell besser. "Ich bin in den Monaten danach aufgeblüht wie eine Blume", erinnert sie sich.
Keine Medikamente für Menschen ohne Krankenversicherung
Doch zunächst muss sie sich auch mit Vergangenem beschäftigen. Nicht nur mit ihrer eigenen Ansteckung, sondern auch mit der Frage, ob sie jemanden angesteckt hat. "Das war mit eine meiner größten Sorgen", erzählt sie. Sofort ruft sie alle Männer an, die sie in der Zeit zwischen ihrer vermutlichen Ansteckung und der Diagnose gedatet hat. Manche reagieren entspannt, andere eher ängstlich. "Angesteckt habe ich niemanden, das war schon mal gut. Das wäre mir auch sehr schwer gefallen", erzählt Isabell.
Dass Isabell zu den privilegierten Infizierten zählt, weiß sie. Ihre Medikamente wirken gut, sie ist ansonsten fit und vor allem: Sie hat eine Krankenversicherung, die ihr die teure Therapie zahlt. "Für manche Menschen ist es fast unmöglich, an Medikamente zu kommen, dazu zählen Menschen ohne Aufenthaltspapiere", so Wicht von der Aidshilfe. Ein weiterer problematischer Bereich, der häufig unbeachtet bliebe, seien Haftanstalten: Dort verbreite sich das Virus erheblich schneller als im Rest der Gesellschaft, so Wicht. "Für sie müsste es vor allem mehr saubere Spritzen geben". Die sollten auch mehr in drogenkonsumierenden Communities angeboten werden, genauso wie mehr Testmöglichkeiten.
Viele HIV-positive Menschen werden beim Arzt diskriminiert
Während Isabell das Medizinische bereits kurz nach der Diagnose geregelt hat, dauert das Emotionale etwas länger. Dafür kann ihr niemand ein Rezept geben. Isabell muss sich erst daran gewöhnen, dass sie trotz der Infektion für andere nicht gefährlich ist. "Ich hatte Nasenbluten und habe zu meiner Freundin gesagt, sie müsste sofort aus dem Zimmer gehen, weil ich sie sonst anstecken könnte", erzählt sie. Ihre Freunde waren ohnehin stets für sie da. Sie haben am Anfang mit ihr getrauert, sie aber nie ausgegrenzt, weil sie HIV hat.
Diskriminiert werden, sei für heutige Infizierte mit das größte Problem, so Wicht. Am stärksten zeige sich dies im Gesundheitswesen. "Eigentlich überraschend, weil die Menschen dort besonders aufgeklärt sein sollten", aber häufig würden Menschen mit HIV herabwürdigend behandelt, bekämen beispielsweise den letzten Termin am Tag oder die Akte würde sichtbar markiert. "Dabei ist HIV bei Einhaltung der Hygieneregeln genauso wenig ein Problem wie andere virale Infekte", so Wicht.
Auch Isabell kennt eine Geschichte: Bei ihrer zweiten Corona-Impfung behandelt sie die junge Impfärztin, als wäre sie hochansteckend, zieht sich doppelt Plastikhandschuhe an und bemerkt, in diesem Fall besonders vorsichtig sein zu müssen. "Die hat mich behandelt, als wäre ich eine Bombe, die jederzeit hochgehen könnte", sagt Isabell, es ist vielleicht der einzige Moment im Gespräch, in dem Wut und Frust mitschwingt, bei dem, was sie erzählt.
Isabell sagt an einer Stelle noch diesen Satz: "Ich bin ja mehr als ein Virus." Mehr als von ihrem heutigen Selbstbewusstsein erzählt dieser Satz davon, dass es Momente gab, in denen das nicht klar war. In denen sie daran gezweifelt hat, wie viel Raum in ihrem Leben sie der Infektion geben muss. Heute hat sie sich entschieden: Nur so viel wie nötig.
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