Interview | Juristin Cecilia Juretzka - "Kirchenasyl bewirkt, dass eine Abschiebung gestoppt wird"
Kirchen bieten Geflüchteten immer wieder Schutz in ihren Räumen. Doch Kirchenasyl wird längst nicht allen Schutzsuchenden gewährt. Die Juristin Cecilia Juretzka prüft beim Verein Asyl in der Kirche Berlin-Brandenburg, wer die Voraussetzungen erfüllt.
rbb|24: Frau Juretzka, im Jahr 1983 standen Geflüchtete, denen die Abschiebung drohte, vor der Berliner Heilig-Kreuz-Kirche und man gewährte ihnen spontan Schutz. Heute wird vorher geprüft, wem Kirchenasyl etwas bringt. Wie läuft das ab?
Cecilia Juretzka: Zu mir kommen Schutzsuchende, die häufig in einer ganz besonders verzweifelten Situation sind, weil sie schon die Nachricht erhalten haben, dass sie Deutschland verlassen sollen. Und ich prüfe, ob rechtlich noch irgendetwas machbar ist. Oft ist Betroffenen gar nicht klar, dass sie noch Rechtsmittel einlegen können.
Manchmal kommen auch Menschen, die haben eigentlich schon längst einen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel. Das sind dann die einfachsten Fälle.
Ist nichts anderes möglich, schaue ich mir an, wie die Chance des Menschen ist, in Deutschland zu bleiben und ob eventuell eine besondere Härte vorliegt. Und wenn das der Fall ist, dann kann man ein Kirchenasyl erwägen.
Was genau ist denn ein Kirchenasyl? Und was genau leisten die Kirchen in dieser Zeit?
Die Kirchengemeinden übernehmen die Verantwortung für die Betroffenen. Sie bekommen in der Regel keine staatlichen Leistungen mehr. Das Wichtigste ist: Sie werden von den Kirchen untergebracht. Sie wohnen also nicht mehr in ihrer ursprünglichen Gemeinschaftsunterkunft oder in ihrer Wohnung, falls das der Fall war. Sie treten auch finanziell für die Menschen ein.
Die Kirche teilt dann dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit, dass die Person sich in der Kirchengemeinde aufhält und begründet das Kirchenasyl auch. Es wird beschrieben, warum es sich hier um einen Härtefall handelt und warum dieser Fall noch mal geprüft werden müsste.
Welche Menschen kommen denn momentan zu Ihnen und bitten um Schutz?
Das ist ausgesprochen vielfältig. Die wichtigsten Herkunftsländer sind im Moment Syrien, Afghanistan, Iran, Irak, Russland und in letzter Zeit auch die Türkei. Im vergangenen Jahr waren es Menschen aus 38 verschiedenen Nationen.
Mit welchen Fluchtgeschichten kommen Menschen zu ihnen, bei denen schnell klar ist, dass sie ein Kirchenasyl benötigen?
Mir fällt die Situation einer jungen Frau und ihrer zwei Kinder ein. Sie hätte im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Frankreich abgeschoben werden sollen.
... das Dublin-System legt fest, welcher EU-Staat für einen schutzsuchenden Menschen zuständig ist. In der Regel ist es das Land, in dem ein Mensch zuerst registriert wurde, und meistens sind das Staaten an den EU-Außengrenzen.
Und da kann man natürlich erst einmal sagen, Frankreich, wo ist denn das Problem? Aber diese Frau hatte eine ausgesprochen schwierige Geschichte hinter sich. Sie war über Menschenhändler nach Europa gekommen und hatte sich vorgestellt, als Haushaltshilfe arbeiten zu können. Sie wurde dann aber ausgebeutet und sexuell missbraucht. Und das ist alles in Frankreich passiert. Sie war dadurch psychisch sehr angeschlagen. Und da hätte man schon sagen können, möglicherweise reicht das, um eine Abschiebung abzuwenden.
Die Schule hatte Stellung genommen, dass es für das Kindeswohl elementar wichtig sei, endlich ein stabiles Umfeld zu haben. Zu allem Überfluss hat die junge Frau auch noch eine Krebsdiagnose bekommen. Es wurde alles eingereicht und um Aufschub gebeten. Aber die Behörden haben dann gesagt, wir schieben trotzdem ab, und wenn es nötig ist in ärztlicher Begleitung. Und da gab es dann eine Kirchengemeinde, die gesagt hat, also irgendwann ist Schluss. Das ist eine nicht tragbare, nicht mehr mit unseren eigenen Werten vereinbare Situation.
Welche anderen Gründe kann es geben, dass es einem Menschen nicht zuzumuten ist, innerhalb Europas abgeschoben zu werden? In der Regel soll es im Rahmen des Dublin-Verfahrens in jedem teilnehmenden Land die gleichen Standards zur Behandlung von Schutzsuchenden geben.
Es geht aber gerade nicht mit einheitlichen Schutzstandards einher. Richtig ist, diese Staaten sind alle an die Genfer Flüchtlingskonvention gebunden, an die Europäische Menschenrechtskonvention und so weiter. In der Praxis sind diese Regelungen aber auslegungsbedürftig. Das führt dazu, dass Menschen in Staaten abgeschoben werden könnten, in denen sie praktisch keine Chance haben, anerkannt zu werden, es aber nach deutschen Wertevorstellungen und nach dem deutschen Rechtssystem sehr wohl so wäre.
Im Moment beobachten wir leider, dass die Behandlung von Geflüchteten in osteuropäischen Staaten nicht mit unseren menschenrechtlichen Standards vereinbar ist. Das betrifft vor allem Geflüchtete, die über Bulgarien eingereist sind, über Polen, Litauen, Kroatien. Schutzsuchende werden hier systematisch misshandelt. Wenn in Bulgarien Menschen regelmäßig inhaftiert werden, körperlich misshandelt werden, nicht genug zu essen bekommen, verdorbenes Essen bekommen, wenn man Hunde auf sie hetzt - das ist nicht zumutbar, dorthin zurückzukehren.
Sind Geflüchtete erstmal in Deutschland, haben die Behörden sechs Monate Zeit, sie in das EU-Land abzuschieben, in dem sie registriert worden sind. Verstreicht diese Zeit, geht die Zuständigkeit für das Asylverfahren auf Deutschland über. Was bedeutet das für die Menschen im Kirchenasyl in dieser Zeit? Es gibt eine Vereinbarung zwischen den Behörden und den Kirchen, dass Kirchenasyle gemeldet und Härtefälle geschildert werden. Wird das respektiert?
Das ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich und offenbar gerade im Umbruch. Es hat in den letzten Wochen deutschlandweit verschiedene Brüche des Kirchenasyls gegeben. Und es ist noch nicht so ganz klar, was das jetzt bedeutet. Bisher ist diese Vereinbarung in aller Regel respektiert worden. Es gibt immer wieder Berichte aus Bayern zum Beispiel, wo Kirchenasyle häufig von Klöstern gewährt werden. Da kann jeder Arztbesuch zum Problem werden.
In Berlin zum Beispiel sind wir in einer anderen Situation. Hier wird darauf Rücksicht genommen, dass Kirchengemeinden sich viele Gedanken darum machen, wen sie ins Kirchenasyl aufnehmen, dass es um Härtefälle geht. Und es wird in aller Regel abgewartet, bis das Kirchenasyl wieder beendet wird. Also das Kirchenasyl bewirkt nur, dass eine Abschiebung gestoppt wird, falls eine vorgesehen war.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Liane Gruß, rbb24 Inforadio.
Sendung: rbb24 Inforadio, Vis-à-Vis, 30.08.2023, 13:25 Uhr