Modestandort Berlin - "Was man hier in den Clubs trägt, das wird auch Mode auf der Straße"

Mo 01.07.24 | 08:18 Uhr
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Archivbild: Show von Danny Reinke am 07.02.2024. (Quelle: dpa/Simone Kuhlmey)
dpa/Simone Kuhlmey
Video: rbb|24 | 02.07.2024 | Linh Tran | Bild: dpa/Simone Kuhlmey

Die am Montag startende Fashion Week ist ein wichtiges Event der Berliner Modeszene. Doch Berlin fehle international gesehen der Glanz, sagt Nina Hein. Die Modeexpertin über lässige Styles, Kleidung zum Ausleihen und den Charme großer Shows.

rbb|24: Frau Hein, ist Berlin mittlerweile ein international angesehener Modestandort? Und wenn ja: Was macht Berlin besonders in dieser Hinsicht?

Nina Hein: Berlin ist ein Modestandort, aber die die Wichtigkeit von Berlin als Modestandort kann man in Frage stellen. Leider. Es wird vor allem nicht besser, es wird eher schlechter. Die Premium-Messe hat geschlossen, hat letztes Jahr ihren letzten Auftritt gehabt. Das war schon ein Zeichen, finde ich, dass man nicht genügend Fachleute an den Modestandort Berlin bekommt, dass sie nicht anreisen. Was könnte Berlin besonders machen? Das ist ganz klar die Szene der jungen Designer:innen. Das sind progressive Menschen, die innovative, experimentelle Mode machen. Die müssen wir noch mehr fördern, dann würde das dem Modestandort Berlin meiner Meinung nach guttun.

Am Montag beginnt die Berliner Fashion Week. Braucht Berlin diese Show, oder macht sich die Stadt damit gewissermaßen lächerlich, weil sie doch nicht mithalten kann mit anderen Städten?

Ich finde, Berlin braucht diese Show. Wir sollten daran festhalten, denn das, was da stattfindet ist qualitativ hochwertig. Damit können wir uns absolut sehen lassen. Und wenn da noch ein bisschen mehr Geld reinginge, könnte das auch ein echter Booster nach vorne sein.

Publikumsmagneten sind ganz klar die Shows und die ganze Atmosphäre drum herum. Und wenn da noch mehr Designer dahingehend gefördert würden, dass sie sich das leisten können, das wäre wichtig. Es wäre natürlich auch interessant, wenn wir wieder mehr Designer:innen zeigen könnten, die einen Namen haben, der international zieht.

Was begeistert Sie so sehr an so einer Modenschau?

Ich bin seit über 30 Jahren in diesem Business. Und wenn man dann da sitzt und wartet, dass es losgeht, dann ist es jedes Mal so ein total aufgeregtes kribbeliges Gefühl. Dann gehen die Lichter an, die Models kommen raus und das ist einfach toll. Und das kann man nur live erleben, das geht nicht online. Das ist jedes Mal ein ganz besonderer Moment.

Zur Person

Nina Hein (Quelle: privat)
privat

Nina Hein (53 Jahre) ist Professorin für Mode an der Mediadesign Hochschule in Berlin. Ihre Schwerpunkte sind unter anderem Modedesign und -geschichte.

Sind große Shows noch zeitgemäß oder entwickeln sich Veranstaltungen in der Modebranche zunehmend zu exklusiven Events mit ausgewählten Influencer:innen und die Welt bekommt Haute Couture über ihre Kanäle zu Gesicht?

Ich finde diesen Demokratisierungseffekt gut, dass alle Teil an so einer Show haben können, wenn das über die digitalen Kanäle in die Welt geschossen wird. Das war früher nicht so. Ob die Events an sich so exklusiv sein müssen, weiß ich nicht. Je berühmter die Marke, desto exklusiver wird es. Es ist natürlich für Leute, die für Mode brennen frustrierend, wenn sie da nicht rein dürfen. Ich denke, das macht aber auch ein bisschen den Reiz aus und glaube, dass es deshalb auch weiterhin so sein wird.

In Berlin gibt es in Mode-Bereich sehr viele Ausbildungsmöglichkeiten. Sie sind als Dozentin Teil davon. Wie erwartbar ist es eigentlich für die Studierenden nach dem Studium in der Branche Fuß zu fassen?

In den den Jahrzehnten, in denen ich in der Modebranche bin, habe ich immer wieder erlebt, dass die jungen Designer:innen irgendwann an einen kritischen Punkt kommen, an dem sie Geld bräuchten, um eine Stufe weiter zu kommen. Diese Investitionen finden aber nicht statt. Da könnte man schon mal drüber nachdenken, ob nicht die Politik Verantwortung übernehmen könnte für bessere Fördermöglichkeiten wie zum Beispiel Kreditmöglichkeiten. Denn sonst sterben diese Brands und sind eben wieder verloren.

Was macht diese jungen Brands so wertvoll?

Nachhaltigkeit ist gegeben. Es gibt keine jungen Brands, die nicht nachhaltig arbeiten wollen, weil dieser Generation klar ist, dass wir das tun müssen. Und sie sind mutiger. Mutiger in den Designs, und sie sind natürlich auch näher an einer Jugendkultur. Sie wissen, welche Themen wichtig sind: Zum Beispiel Gender Fluid Fashion, also Mode, die nicht mehr Geschlechterbezogen ist. Das konnte nur aus einer ganz jungen Generation kommen.

Wofür ist Berliner Mode in Paris berühmt? Jogginghosen?

Ich glaube, Berlin ist immer für seinen sehr lässigen, vielleicht sogar nachlässigen Look bekannt. Was man hier in den Clubs trägt, das wird auch Mode auf der Straße. Das ist oft provokanter und freizügiger als in anderen europäischen Metropolen und auch ein bisschen roher und aggressiver.

Ich glaube, dass Kurzhaarfrisuren für weiblich gelesene Menschen der nächste Trend sind. Kurze, nach hinten gegelte Haare. Scheitellos.

Nina Hein, Modeprofessorin

Ich habe neulich am Tempelhofer Feld jemanden joggen gesehen, der war bis auf einen Tanga nackt und die ganze Haut silbern angemalt. Natürlich hat ihn trotzdem niemand besonders beachtet. Ist es immer noch typisch für Berlin, dass hier modemäßig einfach alles geht?

Ich erlebe das durchgängig so. Ich sehe das auch an meinen Student:innen. Die kommen aus allen Teilen Deutschlands und auch aus der Welt und dann beobachte ich, wie die sich langsam verändern, wenn sie in Berlin sind nach ein paar Semestern. Wenn sie ankommen, sehen sie oft noch so ganz brav aus. Dann sind irgendwann die Haare anders und die Klamotten sind meistens mutiger als sie es vorher waren.

Machen Sie doch bitte eine kurze Stylebeschreibung aus Ihrem Hörsaal. Was ist diesen Sommer angesagt?

Angesagt sind nach wie vor sehr weite Baggy-Jeans. Bauchfrei ist weiterhin angesagt und generell viel nackte Haut. Schmuck für alle Geschlechter, zum Beispiel Perlenketten. Und ich mache hier mal eine Vorhersage: Ich glaube, dass Kurzhaarfrisuren für weiblich gelesene Menschen der nächste Trend sind.

Wie kurz?

Richtig kurz. Kurze, nach hinten gegelte Haare. Scheitellos. Ich habe eine Studentin, die sieht jetzt schon so aus. Ich glaube, das wird sich durchsetzen.

Sie sagten vorhin Nachhaltigkeit ist allen wichtig. Um welche Aspekte geht es da momentan vor allem?

Produktionsstätten bleiben ein Problem. Während des Studiums sagen alle, sie wollen in Europa produzieren. Und dann treffen sie nach der Ausbildung auf die harte Realität. Aber das ist schon ein Bestreben, auf jeden Fall. Dann geht es ganz viel um Materialien. Am besten Material nutzen, was schon da ist. Beim Zuschneiden schon darauf achtet, dass kein Abfall entsteht.

Außerdem ist der Gedanke des Besitzens in dieser Generation endlich nicht mehr so wichtig. Sie lernen das Teilen schon über Autos zum Beispiel und sind dafür sehr viel offener. Es gibt mittlerweile Läden hier in Berlin, in denen man Kleidung einfach ausleihen kann und dann gibt man die zurück. Das finden viele gut.

Egal, wie nachhaltig Mode ist, es geht immer auch um Konsum. Welche Rolle spielt Minimalismus im eigenen Kleiderschrank momentan?

Der Trend in diesem kleinen exklusiven Kreis von Menschen, die sich mit Nachhaltigkeit bezogen auf Mode beschäftigen, geht ganz sicher dahin, weniger zu konsumieren. Aber trotzdem beobachten wir natürlich in der Masse immer noch die Menschen mit zehn Primark-Tüten in der Hand.

Was werden Sie zur Fashion Week anziehen? Kaufen oder leihen Sie sich etwas dafür oder tragen Sie etwas aus Ihrem Schrank?

Ich mache das immer spontan. Ich gucke nach, was ich habe und versuche das neu zu kombinieren. Und wenn ich merke, man braucht aktuell einen bestimmten T-Shirt-Schnitt, dann würde ich mir das auch noch dazu kaufen. Viel Secondhand, manchmal auch Basics in neu - aber niemals Online.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Anna Bordel, rbb|24.

Sendung: rbbInforadio, 01.07.2024, 08:10 Uhr

32 Kommentare

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  1. 32.

    So ein ähnliches Teil, wie auf dem Foto hab ich auch! Allerdings in grün. Trage ich aber nur selten (Kitkat) oder im Sommer abends draußen. Luftig sexy.

  2. 31.

    You are welcome in der wirklich tragbaren Modewelt. Die Mode sollte die Aufgabe haben die Ausstrahlung des Trägers hervorzuheben. Die Modetrends bieten dazu eine Auswahl an, wo nicht jeder was finden kann, um sich wohl zu fühlen. Kaufen, weil es der andere trägt, endet oft mit Unwohlsein und die Ware liegt ungetragen im Schrank. Dabei wird gedacht- das bin nicht ich! Bin skeptisch der Aussage gegenüber: “Was man hier in den Clubs trägt, das wird auch Mode auf der Straße“ Zitat. Clubs bestimmen den Trend auf der Straße? Eine bestimmende Stadt - Aussage, die nicht jeder annehmen kann und wird.

  3. 30.

    Hallo und danke!, perfekt beschrieben. Genauso ist es. Mode macht Spaß und kreativ. Gestern spät Film über Coco Chanel gesehen. Kreativ musst sein. Und erkennen was Frau/Mann liebt. Schönen Tag allen.

  4. 29.

    Nein, wirklich nicht. Ich kenne sehr viel Menschen die so sind. Es mag sein, das der Mainstream dem nicht folgt, aber es ist vorhanden. Es ist nach wie vo4 ein Spiegel der Zeit. Mode Ansicht ist halt Evolution.

  5. 28.

    "Kurze, nach hinten gegelte Haare. Scheitellos."
    Sieht das nicht aus als ob gerade die 50m im Freistil durchpflügt hat? Kurz und frech ok - aber so'n Schlabberpapp in die Haare schmieren - ich weiss nicht.

  6. 27.

    Ja, und? Nur weil irgendwo eine Messe stattfindet, heisst das ja nicht, dass alle Bewohner dieses Ortes
    sich der Messe anpassen. Na, Hauptsache, Sie gefallen sich:))

  7. 26.

    Freiberufliche Modemacher und Modemacherin, die oft nur einen gewissen Zeitvertrag in Firmen bekommen haben es auch nicht einfach. Wird ihr Modeentwurf, die Schnitttechnik vom Einzelhändler bei Firmen-Modeschauen nicht gut angenommen, dann droht das AUS für sie in der Firma. Wer ein Kleidungsstück kauft, denkt kaum einer daran, wie hart das Leben in der Modebranche ist. Die Konkurrenz aus China, Taiwan und bis zum letzten Zipfel der Imitaten von der globalen Welt ist hart. Eine Fashion-Weeks zeigt die neuen Trends mit Modell-Schönheiten auf den Laufsteg, die auf der Straße nicht mehr zu sehen sind. Früher gab es den Sommer und Wintertrend, die Produktionsfirmen sind seitdem im Stress. Viele haben schon drei, vier Saisonen im Jahr zu bewältigen und sie sind schon ein Jahr zuvor damit beschäftigt, teilweise mit dem gleichen Stammpersonal. Jetzt wird entworfen , was wir im Sommer 2025 tragen sollen.

  8. 25.

    Robben und Wintjes haben als Carsharing Unternehmen über Jahrzehnte funktioniert. Übrigens gab es damals auch sehr weit verbreitet Mitfahrzentralen ...Secondhand Shops, Antiquariate...und damals besser als heute die BAHN. Schön, dass die Jugend das jetzt wieder diesem Einweg- Mainstream entgegen setzt und als das neu"In" propagiert!!!

  9. 24.

    Eine Fashion -Show stellt eine Mode dar, die eher auf dem roten Teppich der Promis, für VIP- Leute passend ist. Die normale Mode im Alltag bleibt eher klassisch, konservativ. Natürlich ist die heutige Mode qualitativ hochwertiger geworden, die Köpfe der Modemacher sind voll von Entwurfs- Fantasien. Leider kann nicht jeder den ganzen Schrank ausräumen bei jeder Modesaison um alles mit neuer teurer Mode belegen. Alte und neue Mode vermischt sich je nach Geldbeutel. Ich bin überzeugt die Jugend trägt ihre alte Mode der Elastik- Leggings und Jeans weiterhin. Menschen begeistern sich bei den Fashion Weeks über die Modetrends, wenn er in normale Läden geht, was bekommt er an tragbarer Qualität? Die lässigen Styles werden weiter überwiegen, schon mal aus Bequemlichkeit. Der Trend hautfarbige enge Damenhosen finde ich ein NO GO bei der neuen Mode. „Die Mode-Welt der Fantasie kennt keine Grenzen mehr? Die Kreationen der Modemacher sind fantastisch, sie ist jedoch Geschmacksache.

  10. 23.

    Jede Generation macht sich ihre Mode, wie es ihr gefällt. In der Mode wiederholt sich so vieles wieder aus früheren Zeiten. Zum Bsp. die Hängekleider, die Schachtelkleider, die Rüschenblusen, die weiten geraden Hosen, alles trugen die älteren Leute schon mal. Kleine Details-Veränderungen, moderne Stoffe (oft mit Öl-Fasern gemischt), bedeutet neue Mode für die Jugend. Bei einer Modeschau wird viel Klimbim gezeigt, nicht jeder kann, will sich das Original kaufen und auf der Straße tragen. Die Produktion für den normalen Käufer schaut meistens im Design anders aus, verändert vom Modemacher- Team in der Firma. Was sich in der Mode immer verändert, dass sind die Farben, mal uni, mal bunt, mal schrill bedruckt, die die Weite, die Länge usw.

  11. 21.

    ..na , ab und zu sehe ich auch noch Damen im verstaubten kostümchen Look. Das sieht so außerhalb der Zeit aus:) aber jeder wie er möchte.

  12. 19.

    Ich glaube, die sogenannte Toleranz bedeutet doch eher eine gewisse Gleichgültigkeit, was um einen herum passiert, hauptsache man wird in Ruhe gelassen. Und dass die Modebranche ein riesiger weltweiter Wirtschaftszweig ist, ist doch nicht neu. Ausbeuten und ausgebeutet werden in seiner reinsten Form, und sehr viele machen da mit, vom Arbeitgeber bis zum Kunden.

  13. 17.

    Gerade auch in der Modewelt wird auf Umweltschutz und Nachhaltigkeit vermehrt geachtet. Ganz super, welche kreativen Geister es in der Modewelt gibt. Aber wahrscheinlich interessiert es sie garn nicht, tragen ein tshirt von primark.

  14. 16.

    Nun ja, Berlin eben...Style und Geschmack--Kleidung betreffend...einfach miserabel,Hamburg und München wesentlich besser.

  15. 15.

    Also, ich bewege mich nicht in Hörsälen sondern auf der Straße oder in Öffis ,und da kann von Modestadt- Berlin wahrlich keine Rede sein, leider.
    Modeerlebnis auf der Straße, das war mal, die Zeiten sind vorbei. Am ehesten findet man es noch im München.übrigens, auch in Seide gehüllte vollverschleierte Frauen, und keiner dreht sich um.

  16. 14.

    Lustig

    Stasi oder woher wollen sie wissen wo ich unterwegs bin?
    Ich bin nicht auf Youtube! Wenn man Google nutzt, kommen solche Vorschläge. Und Google muss man leider nutzen, wenn man recherchieren will. Der Konzern hat im übrigen Tochterfirmen. Nur falls sie mir etwas vorschlagen möchten :-)

  17. 13.

    die teuren Autos , Fußball etc. Empfinde i h eher fragwürdig :) Mode schafft auch Arbeitsplätze. Ein Kulturgut.

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