Geplantes Flüchtlingsheim in Welsickendorf - "Das ist eine Nummer zu groß für uns"
Was passiert mit einem 190-Einwohner-Dorf, wenn plötzlich 72 Geflüchtete in ein Mehrfamilienhaus einziehen? Diese Frage stellen sich gerade die Welsickendorfer im Landkreis Teltow-Fläming. Von Alexander Goligowski
Etwa 15 Welsickendorfer stehen vor dem Haus, das vielleicht bald ein Flüchtlingsheim sein wird – weißer Putz, rotes Dach, zwei Stockwerke, mehrere Eingänge. Das Gebäude wurde dem Landkreis vom Eigentümer angeboten. Aktuell prüft die Kreisverwaltung dieses Angebot, unterschrieben sei noch nichts. Seit einigen Tagen wird aber schon gewerkelt in dem Haus, das seit 30 Jahren leersteht, berichten einige Welsickendorfer. "Da sind doch neue Küchenschränke drin und die Bäder sind neu gefliest", werden Stimmen aus der Gruppe laut.
Und tatsächlich scheint der Eigentümer auch ohne Verträge bereits zu investieren. Werden die Welsickendorfer vor vollendete Tatsachen gestellt? Für Nancy Goedecke liegt der Verdacht nahe: "Ich bin echt geschockt. Wer steckt denn da Geld rein, wenn noch nix in trockenen Tüchern ist?"
Tatsächlich dürften die Chancen nicht schlecht stehen, dass sich die Investition für den Hausbesitzer auszahlt. Teltow-Fläming sucht verzweifelt Unterkünfte für Geflüchtete. 1.200 Menschen müssen noch bis zum Ende des Jahres aufgenommen werden, um die Aufnahmequote zu erfüllen, die das Landesaufnahmegesetz vorgibt. Der Landkreis selbst hat keine Liegenschaften und ist über jedes Angebot froh, denn niemand will wie im Jahr 2015 wieder Geflüchtete in Turnhallen unterbringen. Trotzdem fragen sich alle hier, ob es der richtige Weg ist, 72 Geflüchtete in einen Ort mit nur 190 Einwohnern zu stecken.
Sorge um das Dorfleben
In Welsickendorf ist die Dorfgemeinschaft stark, darauf ist man hier stolz. Gemeinsam halten Nancy Goedecke und ihre Mitstreiter vom Dorfverein das Dorfleben am Laufen. Das müssen sie auch, denn im Ort gibt es nicht viel. Der Ort hat eine Bushaltestelle - nur zweimal am Tag fährt dort ein Bus. Es gibt keinen Konsum, keine Kneipe und auch keine Kita. Der nächste größere Ort ist Jüterbog und zehn Kilometer weg. Wer hier wohnt, hat sich bewusst für dieses Dorfleben entschieden. Für die Geflüchteten gilt das nicht, findet Nancy Goedecke: "Die 72 Flüchtlinge, die hierherkommen sollen, werden hier wie Kartons abgestellt. Das ist denen gegenüber nicht fair und uns gegenüber auch nicht."
"Wir können das nicht auffangen, was an Unterstützung für die Flüchtlinge fehlen wird. Man kennt das ja", findet Sarina Libera. Die Welsickendorferin glaubt, dass ein paar Familien gut integriert werden könnten. "Aber was man so hört, werden es wohl eher 72 junge Männer sein. Das ist eine Nummer zu groß für uns." Ihr Nachbar Karsten Bebert sieht diese Aussicht besonders kritisch: "Die 72 jungen Männer könnten auch deutscher Herkunft sein. Es wäre das Gleiche. Wir sind hier der Arsch der Welt. Was sollen die hier tun? Sie kommen hier auch nicht weg. Vielleicht sind es auch ganz unterschiedliche Nationalitäten und machen sich dann gegenseitig das Leben schwer. Das ist ganz normal, dass sich dann Frust aufbaut und der wird dann in unserem Dorf rausgelassen."
Kommunen an der Belastungsgrenze
Teltow-Flämings Landrätin Kornelia Wehlan kennt diese Ängste, die sich ihrer Meinung nach in der Regel nicht bewahrheiten. "Wir haben schon in anderen Dörfern noch mehr Geflüchtete erfolgreich aufgenommen und wir werden alles tun, damit es auch hier gelingt", versichert sie den versammelten Welsickendorfern. Noch einmal bekräftigt sie, dass noch keine Verträge unterschrieben sind. Fakt ist aber auch, dass das Amt Dahme – zu dem die Gemeinde Niederer Fläming gehört, zu der wiederum Welsickendorf gehört – sein Kontingent bei der Flüchtlingsaufnahme noch nicht erfüllt.
"Es liegt jetzt auch in der Verantwortung des Amtes, uns Alternativen vorzuschlagen", sagt Wehlan und fügt an, dass sie aber durchaus Verständnis für zurückhaltende Bürgermeister und Amtsdirektoren habe. Sie kritisiert die mangelhafte finanzielle Unterstützung der Kommunen durch Bund und Land generell und bei der Flüchtlingspolitik im Speziellen. Die Städte, Gemeinden und Landkreise müssten immer mehr Aufgaben übernehmen und könnten das finanziell gar nicht mehr stemmen. Überall braucht es Schul- und Kitaplätze. Auch die Mobilität auf dem Land verlangt nach Investitionen, wenn die Verkehrswende gelingen soll. Das Geld reicht kaum für die Daseinsvorsorge. Zuletzt ist sogar der Industriestandort Ludwigsfelde in die Haushaltssicherung gerutscht, weil die Stadt einen Kredit für den Bau von drei neuen Schulen aufnehmen musste. Obendrauf kommt noch die Aufnahme von Geflüchteten.
Kornelia Wehlan sieht die Kommunen vor dem finanziellen Kollaps. "Die Bordmittel, die uns durch Bund und Land für die Aufnahme zugewiesen werden, reichen gerade für die Unterbringung. Alles andere – habe ich den Eindruck – ist unser Ding. Wenn es um die notwendigen Strukturen vor Ort geht, die aufgebaut werden müssen, dann kommt das große Armeheben. Aber hier bezahlen wir das auch nicht aus der Portokasse", so Wehlan. Wenn sich daran nichts ändert, so die Landrätin, dann wird es immer schwieriger Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zu finden, die bereitwillig die immer größer werdende Herausforderung der Flüchtlingsaufnahme angehen.
Die Welsickendorfer wollen sich nicht ganz verschließen, sie hoffen auf eine vernünftige Lösung für alle Seiten – für sich, für den Landkreis und für die Menschen, die es auf der Flucht vor den Zuständen in ihren Heimatländern in ein kleines Brandenburger Dorf mit nur 190 Einwohnern verschlagen wird.