Interview | Hungerstreik im Invalidenpark - "Ein gewisses Heldentum mag da eine Rolle spielen"

Mi 05.06.24 | 10:01 Uhr
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Klimaaktivist Wolfgang Metzeler-Kick, 49, befindet sich im Hungerstreik und in Lebensgefahr. Hier markiert er auf einer Tafel mit einem Pinselstrich den 85. Tag der Aktion, andere Mitstreiter hatten ihren Hungerstreik schon vorher abgebrochen. (Quelle: dpa/Wolfgang Maria Weber)
Audio: rbb 88,8 | 03.06.2024 | Ingo Hoppe | Bild: dpa/Wolfgang Maria Weber

Mit der Forderung nach einer neuen Klimapolitik hungern sich Menschen im Berliner Invalidenpark in Lebensgefahr. Warum tun sie das? Ein Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Dieter Rucht über extreme Protestformen.

rbb: Herr Rucht, ein Teilnehmer des Hungerstreiks im Invalidenpark musste ins Krankenhaus, ist versorgt worden - und ist jetzt wieder zurück in seinem Camp und hungert weiter. Wie beurteilen Sie das?

Dieter Rucht: Es sieht ganz danach aus, als sei er zum Äußersten entschlossen. Da können auch noch welche dazukommen. Und wir sprechen darüber. Das heißt, es ist auch ein öffentliches Thema.

Das ist ja im Grunde auch sein Ziel. Und das der anderen Streikenden. Was glauben Sie, wie er sich fühlt? Fühlt er sich als Märtyrer? Ist er zufrieden, dass es Medienöffentlichkeit gibt? Hat er Angst?

Ich glaube von all dem, was Sie jetzt aufgezählt haben, ein Stück weit. Aber besser fragen sie ihn direkt. Ich weiß nicht, ob er Auskunft gibt auf solche Fragen. Aber ich glaube all das, was sie eben in Stichworten andeuteten, dass das auch zutrifft.

Protestforscher Dieter Rucht. (Quelle: dpa/Sophia Kembowski)
dpa/Sophia Kembowski

Zur Person - Dieter Rucht

Dieter Rucht ist Politikwissenschaftler, Soziologe und Protestforscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Bis zu seiner Emeritierung im Juni 2011 war er Ko-Leiter der Forschungsgruppe Zivilgesellschaft, Citizenship und politische Mobilisierung in Europa am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und der Freien Universität Berlin.

Ich habe schon mal mit jemandem, der im Hungerstreik war, vor der Wahl geredet und habe gefragt: Du gibst dein Leben doch in andere Hände, entweder du hörst auf zu hungern, dann verlierst du dein Gesicht, oder du verlierst dein Leben. Und der hatte wirklich das Gefühl, dass die Last der Welt auf seinen Schultern lastet. Müssen wir das glauben, damit wir so etwas tun können?

Die Motivlage ist immer schwer zu entwirren. Da mag auch ein gewisses Heldentum, also ein Alleinstellungsmerkmal, das man haben möchte, eine Rolle spielen. Man wird dann bekannt, der Name für wird überall berichtet. Man kommt in den Medien vor, aber ich will das nicht zu stark psychologisieren. Es ist eine Möglichkeit, ein Motiv, dass solche Leute auch antreibt. Man fühlt sich dann vielleicht auch einen Teil einer Avantgarde, die die Wahrheiten ausspricht oder vielleicht sogar gepachtet hat, wenn ich es jetzt kritisch formulieren würde.

Aber dann kommen auch sicher ehrenwerte Motive dazu. Das heißt, die Leute sehen die Dramatik des Umweltschutzes, des Klimaschutzes. Sie glauben, dass die Mehrheit - und da haben sie wohl recht - davon noch zu wenig berührt wird. Sie glauben, dass die Politik zu langsam ist, zu zögerlich, zu wenig tut. Und aus diesem Syndrom von mehreren Motiven heraus entsteht dann die Stärke dieser Aktion, die ja bis zum Äußersten gehen kann.

Ist das aus Sicht eines Protestforschers sinnvoller Protest?

Auch da tue ich mich mit einer Antwort schwer, denn wir können das am Ende erst hinterher beurteilen: Hat es was gebracht, oder hat es nichts gebracht? Generell würde ich aber jetzt mit Blick auf die konkreten Fälle von diesen Tagen sagen, da gibt es ein Missverhältnis zwischen der Forderung und der Dramatik, der Drastik dieser Aktion.

Die Forderung besteht im Kern darin, ein Statement, eine Art Regierungserklärung von Kanzler Scholz zu bekommen. Das ist ja etwas, was erstmal eine rein verbale Angelegenheit ist. Also gibt es eine Diskrepanz zwischen dieser doch moderaten und zurückhaltenden Forderung und der Aktion, die ja ein Leben kosten kann oder mehrere Leben kosten kann.

Und das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, sagen Sie damit: 'Mensch, Kanzler, das ist doch jetzt nicht zu viel verlangt, mach mal!'

Wenn der Bundeskanzler einfach sagen würde: 'Okay, ich gebe die Erklärung ab, das kostet mich nicht viel', dann würde er dann natürlich auch in der Folge noch mal daran gemessen werden - inwieweit er auch bereit ist, etwas umzusetzen und auch innerhalb der Regierung Druck zu entfalten.

Aber Scholz würde zumindest hypothetisch auch daran gemessen, ob er bei den nächsten Hungerstreikenden dasselbe Spiel mitmachen wird. Und die nächsten Hungerstreikenden mögen ja für ganz andere Anliegen eintreten, die politisch hochproblematisch sind. Dann wäre die Frage, ob er sich dann wieder zu einer Entscheidung drängen lässt, die eigentlich nicht seine genuine Entscheidung ist.

Wenn ich der Bundeskanzler wäre, würde ich sagen: 'Ich verstehe dich. Ich bedauere das.' Vielleicht würde ich psychologische Betreuung dorthin schicken. Aber ich würde mich nicht diesem Druck beugen. Dann kommt nächstes Mal jemand anderes, und ich bin ständig Marionette. Also hat der Kanzler recht, das nicht zu tun?

Im Prinzip ja. Aber es gebe dennoch die Möglichkeit eines Entgegenkommens unter Ausschluss der Öffentlichkeit und sich mit diesem Hungerstreikenden zu treffen. Er könnte im Gespräch noch mal eruieren, was sie genau wollen und auch die Gründe deutlich machen, die ihn zurückhalten, diese verlangte öffentliche Erklärung abzugeben.

Meinen Sie, das hätte einen Effekt?

Also zumindest würde es erst mal die Situation auf beiden Seiten entspannen, weil man sich dann jeweils in den anderen stärker hineinversetzen kann. Das heißt noch nicht, dass man gemeinsam zu einer Lösung kommt. Aber das heißt zunächst mal, dass man die andere Seite überhaupt sieht und anerkennt in mit ihren Begründungen. Die muss man nicht akzeptieren, aber es sollte sie erst einmal genau kennenlernen.

Jetzt gibt es Leute, die sagen 'Nein, das würde bedeuten, der Erpressung nachzugeben'.

Ich würde nicht von Erpressung sprechen, denn der Vorgang der Erpressung setzt eigentlich voraus, dass die Erpresser den Erpressten in der Hand hat, weil dieser selbst einen hohen persönlichen Schaden hat, wenn er nicht auf die Forderungen eingeht. Diese Dramatik der Situation ist jetzt bezogen auf Scholz nicht gegeben. Er kann einen politischen, kleineren oder mittleren Reputationsverlust bezogen auf diese Sache erleiden. Aber es ist nicht so, dass er komplett erpressbar wäre und dieser Forderung nachgeben müsste.

Ich habe schon gesagt, wenn ich der Kanzler wäre, würde ich versuchen, mit diesen Menschen psychologisch zu reden. Meine These ist, dass sie glauben, das Wohl der Welt laste auf ihnen. Könnte so etwas klappen?

Auch schwierig zu sagen. Das setzt erstmal das Einverständnis der Angesprochenen voraus, dass die das überhaupt wollen. Zum Zweiten steckt da möglicherweise auch ein gewisser Paternalismus drin, zu sagen, das sind hilfsbedürftige Menschen, die brauchen einen ärztlichen oder psychologischen Rat. Das könnte sein, dass die das auch aus diesem Grunde gar nicht wollen und sagen: 'Ich brauche keine Fürsprache, braucht keine Beratung. Ich weiß exakt, was ich tue und warum ich das tue.'

Aber sie nehmen natürlich auch medizinische Hilfe und eine ganze Menge Organisationen und Hilfe rundherum in Anspruch.

Richtig. Insoweit wäre es konsequent, wenn sie sich so einem Gespräch mit einem Psychologen und eine Psychologin nicht verweigern würden. Auch das kostet sie eigentlich wenig, dieses Gespräch zu führen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Ingo Hoppe für rbb 88,8.

Sendung: rbb 88,8, 03.06.2024, 18:00 Uhr

73 Kommentare

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  1. 73.

    Das " Großzügige" wird sich auch noch ändern. Die Deutschen machen schon immer alles nach, was die Amerikaner vormachen. Die Amerikaner haben nebenbei gesagt, diese Gießkannen- Sozial - Praktiken auch schon reklamiert, und an die Verteidigung erinnert !

  2. 72.

    Nach Ihrer Deutung fügen Sie gleichsam Schaden zu, sobald Sie eine Arztpraxis betreten, die diagnostizierte Erkrankung einen Krankenhausaufenthalt indiziert, sich daraus sodann subventionierte Dauermedikation sowie eine teure Reha-Maßnahme ergibt. Meiner Meinung nach ein ganz verkehrter Denkansatz.

  3. 71.

    .....und wie viel Schaden entsteht der Allgemeinheit durch andere Menschen, die ihr Leben anders leben könnten, es nicht tun und deswegen ärztliche Hilfe oder sogar einen Krankenhausaufenthalt in Anspruch nehmen müssen? Wollen Sie jetzt wirklich mit solch einem Argument kommen? Dann zahlt das eben die Allgemeinheit mit, wie bei allen anderen Menschen auch. So funktioniert eben das Gesundheitssystem in Deutschland, zum Glück. Oder wollen Sie es lieber so wie in den USA haben?

  4. 70.

    Wollen Sie jetzt wirklich mit so einem Argument kommen? Dann müsste man das bei allen Menschen anführen, die ihr Leben nicht besonders gesund leben und deswegen ärztliche Behandlung brauchen oder ins Krankenhaus kommen. Finden Sie das angemessen?

  5. 69.

    Wollen Sie jetzt wirklich mit so einem Argument kommen? Dann muss man das bei allen Menschen anführen, die ihr Leben nicht besonders gesund leben und deswegen ärztliche Behandlung brauchen oder ins Krankenhaus kommen. Finden Sie das angemessen?

  6. 67.

    Guten Abend rbb24-Freund. Danke erstmal, daß Sie kritische Antworten von mir ,,absegnen''. Aber hab grad gemerkt, daß Sie meine Antworten auch verändern, korrigieren, ohne mich vorher zu fragen!? Das ist nicht fair! Bitte um Unterlassung!

  7. 66.

    Nein, es ist wichtig auf jedes Wort in sozialen Medien zu achten, wie in Ihrem Fall ,,Erpressung''. Auch die AfD-Sprache versucht immer mit Wortverdrehungen und kleinen Wortänderungen, den Sachverhalt völlig zu verfälschen...Guten Abend.

  8. 65.

    Stimmt leider NICHT! Denn der Schaden entsteht evtl. durch SEIN Verhalten der Allgemeinheit. Warum? Irgendwann wird er einen Arzt brauchen...evtl. muss er im Krankenhaus behandelt werden. Sorry, ist mir zu kurz und nicht zuende gedacht.

  9. 62.

    Es ist keine Erpressung im juristischen Sinne. Leib und Leben des Kanzlers sind/werden nicht bedroht.
    Die Aktion appelliert an die Moral, ein 'schlechtes Gewissen machen'. Die Hungerstreikenden fügen niemand anderem außer sich selbst Schaden zu.

  10. 61.

    Selbstverständlich ist das Erpressung: ich werde sterben, wenn DU nicht mit mir redest. Was soll es sonst sein?

  11. 60.

    Es hungern Millionen Kinder und Erwachsene auf der Welt weil sie nichts zu essen haben und diese Menschen nutzen dies um ihre sinnlose Ideologie um den BK zu erpressen. Hoffentlich bleibt er bei seiner bisherigen Meinung. Der Staat sollte sich nicht erpressen lassen

  12. 59.

    Was ist denn das für eine schlechte InterviewFührung?! Insbesondere die Frage, ... Also wenn ich Bundeskanzler wäre ... tendenziös, schlechter journalistischer Stil. Und zeugt zudem von nicht gerafe politischer Versiertheit, die Einstellung ist in der Tat paternalistisch. Auch die Auswahl der Überschrift ist aus dem Verhältnis. Hier stirbt vllt ein Mensch und der Artikel ist einfach nur altklug.

  13. 58.

    Antwort auf "OMG" vom Mittwoch, 05.06.2024 | 19:07 Uhr
    "Zum hundertsten Mal auch für Dich: ,,das ist KEINE Erpressung, weil er im Gegensatz zur Regierung keine Macht hat, um zu erpressen.'' Geschnallt?" Und selbst, wenn Sie leibhaftig "OMG" wären, verbitte ich mir Duzerei und so einen Ton. Kommen Sie mal auf den Teppich zurück mit Ihrer Wortklauberei!

  14. 57.

    Zum hundertsten Mal auch für Dich: ,,das ist KEINE Erpressung, weil er im Gegensatz zur Regierung keine Macht hat, um zu erpressen.'' Geschnallt?

  15. 56.

    Sie haben sich verzettelt. Logo, klar verändert sich das Klima und wird sich immer weiter drastisch verändern, so daß ihre Kinder sich in unsere Zeit zurück träumen werden, als die Sommer noch nicht im Schnitt 45 Grad Celsius hatten...

  16. 55.

    Antwort auf "Lothar Lehmann" vom Mittwoch, 05.06.2024 | 15:34 Uhr
    "als krebskranker kann ich es gar nicht verstehen wie man so mit seinem Leben umgehen kann.........." So wird jeder denken, der jeden Tag um den nächsten kämpft; wie viele wurden wohl gern das Leben haben, das dieser Mann so sinnlos wegwirft.
    Alles Gute für Sie!

  17. 54.

    Gesetzt den Fall, Scholz gibt das Statement ab, doch das Klima wandelt sich weiter, weil eben in dieser Hinsicht nicht global(!) an einem Strang gezogen wird - was erzählen wir dann unseren Kindern?

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