Jede vierte Stelle nicht besetzt - Neue Bundesbehörden in Ostdeutschland finden zu wenig Personal

Fr 08.12.23 | 07:49 Uhr | Von Jana Göbel, rbb24 Recherche
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Archivbild:Blick auf das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten (BfAA) am 06.09.2021.(Quelle:picture alliance/dpa/J.Carstensen)
Video: rbb24 Brandenburg Aktuell | 08.12.2023 | Jana Göbel | Bild: picture alliance/dpa/J.Carstensen)

Der Osten Deutschlands hat mehr als 30 Bundesbehörden bekommen. Doch das Regierungsprogramm zur Angleichung der Lebensverhältnisse stockt. Denn auch attraktive Arbeitgeber wie der Bund finden zu wenig qualifiziertes Personal. Von Jana Göbel

Der Kanzler war schon da, der Brandenburgische Ministerpräsident, die Außenministerin. Das neue Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten (BfAA) in Brandenburg an der Havel sollte ein Aushängeschild ostdeutscher Ansiedlungspolitik werden. In der neuen Service-Einrichtung werden Visaangelegenheiten bearbeitet, zum Beispiel für Fachkräfte, die ins Land kommen oder von deutschen Unternehmen im Ausland eingesetzt werden.

Doch in der fast dreijährigen Aufbauzeit ist es nicht gelungen, das erforderliche Personal zu finden. Und so begann das Vorzeigeprojekt Anfang 2023 mit einem Fehlstart.

Urteil der Wirtschaft: "Was für ein Saftladen"

Bei Verwaltungsvorgängen, die nur ein bis zwei Tage dauern sollten, kam es zu monatelangen Wartezeiten, gesteht der Präsident des BfAA Georg Birgelen gegenüber rbb24 Recherche. Das sei misslich gewesen und wahrscheinlich geschäftsschädigend: "Wir sind diejenigen, die den Service hätten bieten müssen. Wir konnten es nicht. Insofern ist klar, dass die Wirtschaft sagt: Was ist denn das für ein Saftladen!"

Viele der neuen Bundeseinrichtungen in Ostdeutschland haben Personalsorgen. Nur wenigen gelingt es, hundert Prozent der Sollstärke der Belegschaft aufzubauen.

Jede vierte Stelle in den neuen Ostbehörden nicht besetzt

Das Bundesinnenministerium, zuständig für Personal, erklärt, von den 8.570 geplanten Stellen im Osten seien 6.340 besetzt worden. Demnach fehlt in den neu geschaffenen Bundesinstitutionen in Ostdeutschland ein Viertel der Belegschaft.

Der Ostbeauftragte Carsten Schneider kennt das Personalproblem. Viel zu lange seien die Menschen aus dem Osten fortgegangen, um Arbeit zu finden, sagt er im Interview mit rbb24 Recherche: "Von daher wäre es klug gewesen, früher noch mehr solcher Bundesbehörden anzusiedeln. Insofern ist das jetzt eine Korrektur, die spät kommt, aber ich hoffe nicht zu spät."

Überstunden bei BfAA-Mitarbeitern

Im Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten in Brandenburg an der Havel versuchen die bereits eingestellten Beschäftigten, die Arbeit so gut es geht zu bewältigen. 40 von 360 Mitarbeitenden fehlen. Die Personalrätin Marion Loidl-Tillmann berichtet von Überstunden und "Priorisierungen". "Die Personalvertretung würde sich wünschen, dass es mehr Personal gibt, damit alle Aufgaben geregelt abgearbeitet werden können", erklärt Loidl-Tillmann.

Immerhin ist es inzwischen gelungen, den Service zu verbessern und die Wartezeiten deutlich zu reduzieren. Der Behördenleiter Georg Birgelen stellt fest, die Mitarbeiter seien hochmotiviert und verspricht: "Wir versuchen unser Bestes."

Bundesbehörde zieht Fachkräfte ab

Das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten lockt mit unbefristeten und gut bezahlten Stellen und mit einer Aufbauzulage. Außerdem sind für viele Mitarbeitende 80 Prozent Homeoffice möglich.

Zahlreiche Fachkräfte aus Ämtern und Betrieben der Region wechselten deshalb aus ihren bisherigen Jobs zur Bundesbehörde. "Wir haben viel rekrutiert in der Region", berichtet Personalrätin Marion-Loidl-Tillmann, "Kollegen von der Stadt Brandenburg, vom Land Brandenburg, vom Stahlwerk, von der Hochschule und von vielen anderen kleineren Arbeitgebern."

Dort fehlen sie. Schon jetzt sind 400 Verwaltungsstellen in und um Brandenburg an der Havel nicht besetzt.

Es gebe einen Kampf um die klügsten Köpfe, beschreibt der Ostbeauftragte Carsten Schneider die Situation, nicht nur zwischen Städten, sondern auch zwischen Ländern. Die Bevölkerung müsse offen sein. "Wenn die nationalistische Karte gespielt wird, geht da keiner hin, da bin ich ganz sicher." Wenn Menschen ihren Lebensmittelpunkt verändern, würden sie sehr genau gucken, ob sie willkommen sind, sagt Schneider. "Und wenn die Signale dafür nicht positiv sind, dann wird die Stelle nicht besetzt."

96 Kommentare

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  1. 95.

    Hab mich die Tage noch im Ö.DIENST beworben. Wollte mich bei 3 Stellen im Ö.dienst bewerben. Nach der der 1. Stelle hatte ich durch den extreme umständlich gemachten Bewerbungsprozess keine Lust mehr.
    Und ich Wette, diese umständlichkeit hält am Ende auch andere davon ab.

  2. 94.

    Das Amt ist kein Wellness-Paradies. Der Alltag ist knochenhart, da macht man sich falsche Vorstellungen. Ich weiss, wovon ich schreibe.

  3. 93.

    Arbeitsgericht, Brandenburgisches Oberlandesgericht, Staatliches Schulamt, ein Wasser- und Schifffartsamt, ein Archäologisches Landesmuseum und jetzt das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten - so stiefmütterlich ist es dann doch nicht bestellt. Brandenburg/Havel ist eine schöne Stadt, sicher ginge da mehr, auch mit der verhältnismäßig guten Bahnanbindung.

  4. 92.

    Komisch - Jahrzehntelang wurde jede Behörde nach Frankfurt(Oder) und nach Cottbus/Lausitz verlagert - das war Alles in Ordnung.
    Jetzt soll endlich mal Brandenburg an der Havel und Westbrandenburg mit neuen Arbeitsplätzen und Behörden dran sein, schon gibt es Empörung und Miesmacherei !!!
    Dann sollte mal auch langsam hinterfragt werden, wie viele MILLIARDEN die anderen Brandenburger Regionen schon bekommen haben/ Strukturwandel/Strukturhilfen/Fördermittel ???
    Man gönnt der Westhälfte von Brandenburg, Nicht den Dr..ck unter den Fingernägeln - das ist das einzigste Problem im Osten: BER und Umfeld Verschwendung in Milliardenhöhe, Lausitz mit immer neuen Milliarden Forderungen und die gesamte polnische Grenzregion, die auch nur gefördert werden will und Westbrandenburg soll am Besten, überhaupt Nichts bekommen.

  5. 91.

    „Verschlimmbesserung ist für mich das Wort, das Dtl. aktuell am treffendsten beschreibt“
    Was halten Sie von: Land der Feststeller und man lässt...machen?

  6. 90.

    Damals war's....ach nee, gestern ist uns schlagartig aufgefallen, dass es keine Leute für nicht ausgeschriebene Stellen gibt. Mensch, da sitzen wohl im Referat Personal bloß Quereinsteiger rum, aus dem Dorfkonsum und sagen: " Leute?Nee, ham wa nich."
    Was wurde denn eigentlich aus dem lauthals von Herrn Heil angekündigten Qualifizierungsprogramm, das Bürgergeldempfänger in Arbeit bringen sollte? Still ruht der See, eingefroren oder was? Nach nun fast einem Jahr wäre man bei rechtzeitigem Start doch zumindest Anfang 2025 mit Verwaltungstheorie und -praktika ein ganzes Stück weiter. Nur die Finanzämter haben es kapiert und suchen Personal, das sie ausbilden wollen, alle anderen warten auf ein Wunder. Leute, das Licht am Ende des Tunnes ist eine Fata Morgana. Alles duster!

  7. 89.

    Nunja, die katastrophal schlechte Arbeitsmoral, die fehlende Effizienz und Effektivität der gemächlich arbeitenden Bundesministerien und Bundesbehörden ist wahrlich eine Schande für Deutschland.

  8. 88.

    Gar nicht. Ich hatte angeboten, mich nachträglich zu qualifizieren. Es gibt einen verkürzten Verwaltungsfachangestellten-Kurs, wo man wenn man im ÖD, 1-2x die Woche hingehen kann. Aber möchte alles fix und fertig. Ist aber nur in Brandenburg so, in anderen Bundesländern so, hat mit der AfD nichts zutun.

  9. 87.

    Der Besuch einer Fachschule ist jetzt auch keine Gewähr für Fachkräfte. Wie in jedem Beruf gibts dann den netten Mitarbeiter oder die geschulte Fachkraft. Anstelle Quersteiger als indiskutabel hinzustellen, sollten Sie eher sich dafür einsetzen, daß man für diese Gruppe Gewillter Ausbildung ermöglicht.

  10. 86.

    Genau das ist das Problem. Ich führe sehr oft als Sachgebietsleiter Bewerbungsgespräche mit Quereinsteigern durch. Vielen fehlem jegliche Erfahrung und Kenntnisse in der Verwaltung. Kein MA hat Zeit, jemanden einzuarbeiten. Lebenserfahrung nutzen nichts.

    Es ist besser, wenn Quereinsteiger für 3 Jahre die Fachhochschule besuchen und dann als Fachkraft anfangen.

    Ich habe nie einen Quereinsteiger erlebt, der einen guten Job auf dem gleichen Niveau von Fachkräften gemacht hat.

  11. 85.

    Ja, aber suchen sie nun "händeringend" oder nicht? Von Ringen ist nichts zu merken. Die Bewerber bewegen sich schon und würden sich nachqualifizieren, wo bewegen sich die Bürokraten?

  12. 84.

    Und das soll Bewerber anziehen? "Es gibt aber genug (auch studierte) Mitarbeiter bei der ZfA, welche seit 20 Jahren keine Aufstiegschancen bekommen haben und in der E6 festhängen."
    Nee, dann doch nicht.

  13. 83.

    Ich darf mal grundsätzlich darauf hinweisen, dass der ÖD Tarifverträge anwendet, die zwischen den Tarifvertragsparteien so verhandelt und geschlossen wurden. Daraus ergeben sich eben auch gewisse Einstellungsvoraussetzungen, die nicht einfach mal ausgehebelt werden können.

  14. 82.

    Da habe ich mich mal auf ne Stelle beworben, kaufmännisch, Mittel-Bearbeitung. Normaler Job also. Fragt die: und, welche Ausbildung haben Sie? Icke: Industriekauffrau. Sie: ah, 3 Jahre? Icke: ne, 2, ich habe ja Abi und verkürzt. Sie: ok, dann können wir Sie leider nicht einstellen. Eine dreijährige Berufsausbildung ist leider Voraussetzung! Sie bekämen ja auch weniger Geld mit einer kürzeren Ausbildung... Icke: *~* ja ok, dann nicht...

  15. 81.

    @rbb24 Vielleicht fragen sie in Brandenburg mal nach, wo die ganzen Stellenausschreibungen für Brandenburg/H. sind?

  16. 80.

    Im Gegensatz zur Wirtschaft hält sich die Verwaltung an Gesetze. Ihr Vorschlag zeigt nur, dass Sie keine Ahnung haben.

  17. 78.

    Hinderlich bei den Stellenausschreibungen sind die Anforderungen bezüglich des Schul-bzw. Studienabschlusses. Es zählt weder Berufserfahrung noch Lebenserfahrung. In der Regel gibt es Probezeit, in welcher fehlende Qualifikationen nachgeholt werden können. Die Einarbeitung erfolgt durch Bestandsmitarbeiter, welche keine extra Bezahlung bekommen. 9c in Brandenburg a. d. H. ist schon super. Bei der anderen Bundesbehörde (ZfA) ist bei der 9a Schluss. Es sei denn, man ist angepasst und hat die Chance über eine Superbeurteilung der Vorgesetzten aufzusteigen. Es gibt aber genug (auch studierte) Mitarbeiter bei der ZfA, welche seit 20 Jahren keine Aufstiegschancen bekommen haben und in der E6 festhängen.

  18. 77.

    Ja, was erwarten sie. Es ist eine Behörde. Oft schwerfällig und zu oft an Dienstanweisungen gebunden. Die von Ihnen genannten Probleme könnten mit einem unkontentionellen "Behördenjob-Tinder" gelöst werden. Ein "Match" - ein Job.

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