TuS Makkabi | Einziger jüdischer Sportverein Berlins - Raus aus der Opferrolle
Der TuS Makkabi ist der einzige jüdische Sportverein Berlins. Neben jüngsten sportlichen Erfolgen in der Fußball-Oberliga zeichnet sich der Klub vor allem durch Integrationsarbeit aus. Doch antisemitische Vorfälle verfolgen den Verein seit seiner Gründung. Von Fabian Friedmann
Es ist bitterkalt an diesem Nachmittag im Frühjahr 1983. Der Rasen des Mommsenstadions im Berliner Westend zeigt sich – mal wieder – von seiner schlechtesten Seite. Auf gefrorenem Boden kämpfen zwei Mannschaften verbissen um jeden Zentimeter. Die Gäste wollen sich besser verkaufen als bei der 4:3-Heimniederlage im Hinspiel, für die Heimmannschaft geht es um den Aufstieg in die 2. Liga. Am Ende feiern die Spieler des TuS Makkabi einen Achtungserfolg beim Favoriten Tennis Borussia. Endstand: 0:0.
Als die erschöpften Spieler und durchgefrorenen Vereinsverantwortlichen so schnell wie möglich in die Katakomben des Stadions verschwinden wollen, hört er einen Satz, der Marian Wajselfisz sein restliches Leben im Gedächtnis bleiben wird: "Hätten die Juden mal so gegen Hitler gekämpft wie gegen uns, dann wären ein paar mehr übriggeblieben."
"Wir wollen nicht ständig als Opfer dargestellt werden"
Wajselfisz ist Holocaustüberlebender und Gründungsmitglied der Fußballabteilung von TuS Makkabi. Im November 1970 hatte er den bis heute einzigen jüdischen Verein Berlins zusammen mit Bekannten ins Leben gerufen. Zwölf Jahre später schaffte der Klub überraschend den Aufstieg in die Oberliga Berlin, damals die 3. Liga. Diese antisemitischen "Sprüche", wie Wajselfisz sie heute nennt, habe es bei den Spielen sehr häufig gegeben. Viele Aussagen schockieren ihn, aber er nimmt sie hin, stellt eher selten jemanden zur Rede, denn er will kein Opfer solcher Äußerungen und Klischees mehr sein.
Michael Koblenz will auch raus aus dieser Opferrolle. Der heutige Sportvorstand des TuS Makkabi betont, dass er in 25 Jahren im Verein nur ganz wenige antisemitische Vorfälle selbst miterlebt habe. "Diese Vorfälle gibt es. Ganz klar. Aber das sollte nicht das Attribut des Vereins sein. Wir wollen nicht ständig als das Opfer dargestellt werden." Makkabi sei laut Koblenz auch kein rein jüdischer oder rein religiöser Klub, eher ein Verein der Begegnung. Marian Wajselfisz erklärt seine Intention der Vereinsgründung so: "Was mir am Herzen liegt, ist die Gemeinschaft der Nationen. Ich bin Pazifist durch und durch."
Integrative Vereinsarbeit
Sichtbar wird das vor allem in der 1. Mannschaft des TuS Makkabi. 18 verschiedene Nationalitäten tummeln sich im Oberligakader des Klubs: Brasilianer, Japaner und Senegalesen spielen mit Serben, Türken, Deutsch-Israelis und Deutsch-Iranern zusammen – ein Sammelsurium verschiedenster Glaubensrichtungen, Ethnien und Identitäten.
"Es spielt bei uns keine Rolle, welche Religion man hat", sagt Rechtsverteidiger Ilya Privalov, im Verein von allen nur Alec genannt. Privalov ist so etwas wie die gute Seele der 1. Mannschaft von Makkabi. Vor 13 Jahren wechselte er bewusst an die Harbigstraße. Zum einen aufgrund seiner jüdischen Wurzeln, zum anderen wegen der "sehr guten" sportlichen, aber auch menschlichen Bedingungen. "Wir arbeiten hier sehr integrativ. Dafür steht Makkabi und das ist über viele Jahre gewachsen." Aus seiner Sicht genieße die 1. Mannschaft auch deshalb eine hohe Akzeptanz im Berliner Fußball.
Freundschaftlicher Empfang in der Oberliga
Sein Trainer Wolfgang Sandhowe sieht das genauso. Der 69-Jährige hat viel gesehen in seiner Laufbahn, trainierte in den 90er Jahren den jungen Andreas "Zecke" Neuendorf bei den Reinickendorfer Füchsen, war später Co-Trainer beim 1. FC Nürnberg unter Hermann Gerland und arbeitete für Carl-Zeiss Jena, Eintracht Braunschweig und Babelsberg 03.
Sandhowe ist ein Typ, der sein Herz auf der Zunge trägt, immer direkt, immer geradeaus. Im letzten Jahr ist er mit Makkabi von der Berlin-Liga in die Oberliga aufgestiegen. Ein großer Erfolg für den Verein, weil man nun erstmals auch überregional sichtbar geworden ist, was auch von besonderer Bedeutung für den deutschen Makkabi-Dachverband ist. Momentan belegt man als Aufsteiger den fünften Tabellenplatz.
In seiner dreieinhalbjährigen Amtszeit bei Makkabi könne sich Wolfgang Sandhowe an nichts Negatives erinnern, sagt er. "Ich kann ja nicht lügen. Wir wurden von allen Mannschaften ordentlich empfangen. Ich habe keine Ressentiments mitbekommen." Ganz im Gegenteil: In der Oberliga, etwa bei Dynamo Schwerin oder Optik Rathenow, sei man äußerst freundschaftlich empfangen worden.
Beschimpfungen bei Meteor, Hitlergrüße bei Hertha 06
"Als Spieler hatte ich einige, wenige Situationen, die nicht die Norm waren, etwa, dass ein Gegner mir nach Schlusspfiff nicht die Hand geben wollte", erzählt Ilya Privalov. Solche Dinge würden häufig aus der Emotion heraus geschehen. "Aber mir ist sehr bewusst, dass teilweise in der zweiten, der dritten Mannschaft und im Jugendbereich Vorfälle passieren, die ganz klar als Antisemitismus zu kategorisieren sind." Das müsse man zur Gänze verurteilen.
Vorfälle aus der jüngeren Vergangenheit unterstreichen Privalovs These: Im August 2015 wird das Kreisliga C-Spiel zwischen BFC Meteor III und TuS Makkabi III abgebrochen, ein Meteor-Spieler hatte einen Makkabi-Anhänger getreten und als "Drecksjude" beschimpft. Es folgt ein Tumult mit antisemitischen Sprüchen, Makkabis Spieler müssen sich in der Kabine verschanzen.
Im November 2022 kommt es bei einem U19-Spiel zwischen Hertha 06 und Makkabi zu antisemitischen Ausfällen. Spieler von Hertha 06 zeigen unter anderem den Hitlergruß. Ende Januar 2023 gibt der Präsident von Hertha 06 der ARD-Sportschau ein Interview, in dem er sich antisemitischer Denkweisen bedient. Dieser Fall beschäftigt mittlerweile die Staatsanwaltschaft Berlin, und auch der Berliner Fußballverband (BFV) hat ein Sportgerichtsverfahren gegen den Mann eingeleitet.
Der schmale Grat zwischen Beleidigung und Antisemitismus
Joseph Wilson ist der ehrenamtliche Anti-Diskriminierungsbeauftragte des BFV. Wilson sagt, beim BFV habe man zuletzt in allen Lehrgemeinschaften auch Fort- und Weiterbildungen zum Thema Diskriminierung angeboten. Denn der Grat zwischen Beleidigung und Diskriminierung auf dem Fußballplatz sei schmal, offener Antisemitismus aber selten. Häufig sind es kleine Gesten, hingeworfene, fast beiläufige Sätze oder dunkle Andeutungen. "Die Schiedsrichter:innen müssen das im Zweifel gar nicht entscheiden", so Wilson. "Sondern sie müssen es zunächst einmal dokumentieren, damit dann in einem späteren Verfahren entschieden werden kann."
Der Schiedsrichter bei besagtem U19-Spiel hatte genau das getan. Couragiert notierte der junge Referee die Vorkommnisse und die Namen der Täter, so dass im Anschluss zwei Beschuldigte von Hertha 06 vom Sportgericht für zwei Jahre gesperrt werden konnten. Für Joseph Wilson sei es wichtig, dass manch harte Strafe ausgesprochen werde. Denn es müsse klar sein, "dass wir so etwas nicht dulden". Man sei zwar bemüht seitens des BFV durchzugreifen und für eine Sensibilisierung des Problems bei Schiedsrichtern und Sportgerichten zu sorgen, aber "letztlich passiert das auf den Plätzen der Vereine und die müssen eben auch tätig werden", fordert er. Der BFV bietet seinen Mitgliedern hierbei die entsprechende Unterstützung an.
Antisemitischer Vorfall bei Union Berlin
Das Problem: Manchmal reicht das Fehlverhalten weniger Einzelpersonen aus, um einen ganzen Verein in Misskredit zu bringen – wie im Fall von Union Berlin. Beim Conference League Spiel der Eisernen gegen Maccabi Haifa im Olympiastadion kommt es im Oktober 2021 zu mehreren antisemitischen Übergriffen und Pöbeleien gegen Anhänger des israelischen Meisters. Ein "Fan" soll dabei versucht haben, eine israelische Fahne anzuzünden. Der 1. FC Union Berlin distanziert sich im Anschluss deutlich von den Vorfällen und bemüht sich gemeinsam mit der Polizei, die Zwischenfälle aufzuarbeiten. Ein 38-Jähriger wird im November 2022 schließlich zu einer Geldstrafe verurteilt.
Michael Koblenz, Sportvorstand des TuS Makkabi, war damals vor Ort im Stadion, erfuhr aber erst später von den Vorfällen. "Wir standen vorab in engem Kontakt mit Union, haben gut zusammengearbeitet, bekamen unter anderem 500 Freikarten für unseren Verein. Union hat sich sensationell uns gegenüber verhalten", erzählt Koblenz. "Da macht der Verein so einen guten Job, und die Medien berichten zwei Wochen über nichts anderes, als dass Union ein Antisemitismus-Problem hätte."
"Wir sind für viele Gegner die israelische Vertretung auf dem Platz"
Um dieser komplexen Problematik entgegenzutreten, hat der deutsche Makkabi-Dachverband mit anderen Partnern das Präventionsprojekt "Zusammen1" ins Leben gerufen, auch der BFV ist hier involviert. Dabei sollen Akteure des organisierten Sports im Umgang mit Antisemitismus und anderen Diskriminierungsformen gestärkt und Handlungsstrategien aufgezeigt werden. Das Projekt entwickelt Maßnahmen und Betroffene können Vorfälle über eine Webseite melden. Fairplay solle, so die Initiatoren, konsequent und mit Achtung gelebt werden, denn im Sport offenbare sich alles, was unsere Gesellschaft frei und demokratisch mache.
Ob der TuS Makkabi in Zukunft von Antisemitismus weitestgehend verschont wird, bleibt aber abzuwarten, denn letzten Endes ist Makkabi auch ein Stück weit von der Geopolitik abhängig. "Wir werden sehr schnell mit Israel assoziiert, wir sind dann halt für viele Gegner die israelische Vertretung auf dem Platz", sagt Sportvorstand Koblenz. Sobald der Nahost-Konflikt wieder aufflamme, nähmen auch die Vorfälle bei den Spielen wieder zu. Diese Beobachtung hat auch Joseph Wilson vom BFV gemacht, wobei er den Verein grundsätzlich als Ausdruck "jüdischer Identität außerhalb eines politischen Raumes" betrachtet. Doch viele würden Sport und Politik vermischen.
Begegnung der Kulturen und Religionen als Vereinsziel
Und das passiere, obwohl bei Makkabi Berlin eigentlich die Begegnung der verschiedenen Kulturen und Religionen im Vordergrund steht, ungeachtet dessen, dass die jüdische Identität die Grundlage des Vereins bildet. Aus diesem Grund hat man auch 2007 die Spielstätte des Klubs in Julius-Hirsch-Sportanlage umbenannt.
Hirsch war Jude und deutscher Nationalspieler, gewann 1910 mit dem Karlsruher FV und 1914 mit der SpVgg Fürth die Deutsche Meisterschaft. Im März 1943 wurde er von Nationalsozialisten nach Auschwitz-Birkenau deportiert und ermordet. "Zur Einweihung des Stadions kamen sogar die Nachkommen von Julius Hirsch extra aus Kanada angereist", erinnert sich Makkabis Vereinsgründer Marian Wajselfisz. Es unterstreicht einmal mehr die Verbundenheit und das Netzwerk, das Makkabi weltweit pflegt.
Aktuell kann der Verein aber nicht in seiner geliebten Heimstätte spielen, denn eine Wildschwein-Rotte hatte sich vergangenes Jahr über den Rasen hergemacht. Die Oberliga-Mannschaft muss für ihre Heimspiele derzeit ins Mommsenstadion umziehen. Vertrautes Terrain für Marian Wajselfisz – auch wenn ihm so manche negative Erinnerung und die "Sprüche" von damals für immer im Gedächtnis bleiben werden.
Sendung: rbb24|Inforadio, 14.03.2023, 12:15 Uhr