Andrea Pirlo und Sampdoria beim BFC Dynamo - Dolce Vita in Alt-Hohenschönhausen
Festtag im Sportforum: Der BFC Dynamo empfängt Sampdoria Genua, und damit auch den Fußballstar Andrea Pirlo. Und es geschieht, wie schon zu seinen aktiven Zeiten: Seine Präsenz genügt, um alle zu verzaubern. Von Shea Westhoff
Der BFC Dynamo konnte noch so sehr betonen, dass es gegen Sampdoria Genau ein "Testspiel wie jedes andere" werden würde. Tatsächlich machte der Verein ein großes Sportereignis daraus, nur wegen ihm: Andrea Pirlo, Lichtgestalt im italienischen Fußball.
"Man werde nicht wegen des des Gegners irgendwas anders machen", betonte Trainer Andreas Heraf Tage vor der Partie. Die Begleitumstände der Begegnung verrieten jedoch: Fans und Verantwortliche blickten mit Aufregung auf diesen Samstagabend im Juli.
In der Hauptstadt kündigten Plakate lange im Voraus vom anstehenden Sportereignis, die Ticketpreise lagen für Testspiel-Verhältnisse bei recht strammen 20 Euro, außerdem wurden Sondertrikots (89 Euro) und Tassen (10 Euro) mit den Wappen beider Teams zum Verkauf angeboten.
Eine Brise Leichtigkeit im Sportforum
Die Vorfreude bezog sich auf die Ankunft des ehemaligen Maestros im Mittelfeld, Andrea Pirlo, der sich mit den Azurblauen im Jahr 2006 ausgerechnet in Berlin zum Weltmeister krönte. Der einstige Taktgeber von Juventus Turin und AC Mailand dirigiert seit voriger Saison an der Seitenlinie Sampdoria Genua.
Mit den Ligurieren absolviert der mittlerweile 45-Jährige derzeit ein gut zweiwöchiges Trainingslager im Ernst-Abbe-Sportfeld in Jena. Sein Team testet am 30. Juli gegen Carl-Zeiss-Jena, wenige Tage zuvor gegen den 1. FC Magdeburg (27. Juli). Doch der erste Testspieltermin der Italiener würde der gegen den BFC sein.
Und tatsächlich lässt sich die Ankunft Pirlos schon vor Spielbeginn erspüren. Zwar liegt die schwere Juli-Hitze über dem Berliner Sportforum, doch eine Brise Leichtigkeit durchweht das Gelände. Vor dem BFC-Vereinsheim tummeln sich Kinder in einem aufgebauten Planschbecken, italienische Gassenhauer wabern aus den Lautsprechern, und als die schwungvolle Discoballade "Sarà perché ti amo" erschallt, da unterhaken sich in ihren orangefarbenen Westen zwei Stadion-Ordnerinnen und tanzen miteinander. Dolce Vita in Alt-Hohenschönhausen.
BFC will zurück zum Erfolg
Im Schatten einer Birke sitzt Jörg - rundes, freundliches Gesicht und entsprechend der sengenden Hitze mit kurzer Hose und ärmellosem Shirt gekleidet. Der Mann aus Berlin-Wilhelmshagen besuche bereits seit 1983 die Spiele des BFC Dynamo. Und so kann erkennt er auch eine höhere Bedeutung in der anstehenden Partie gegen Genua: "Sie hält die Erinnerung wach an die großen Zeiten", sagt er.
Ja, es gab diese "großen Zeiten", in denen Teams aus ganz Europa in Ostberlin zu Gast waren, um im europäischen Wettbewerb gegen den BFC Dynamo anzutreten. Es war die Zeit, in der der Verein – auch unter dem langen Flügel des damaligen Stasi-Ministers und BFC-Anhängers Erich Mielke – zum DDR-Abomeister avancierte.
Darüber werden die Fans an diesem Tag vor allem sprechen: über die glorreichen Jahre des Vereins und dass der BFC wieder weg von dieser halb-Profi-halb-Amateur-Regionalliga in Richtung höherer Sphären vorstoßen müsse.
Und genau in dieser Sehnsucht liegt eine erstaunliche Parallele zwischen dem Klub aus Berlin-Hohenschönhausen und dem Gegner von der Mittelmeerküste.
Erstaunliche Parallelen
Während der BFC seine glanzvolle Epoche in den 1980ern erlebte, läutete Sampdoria seine erfolgreiche Zeit im gleichen Jahrzehnt ein. In den 80ern gewann Genua dreimal die Coppa Italia, wurde zudem 1990 Europapokalsieger der Pokalsieger und sicherte sich 1991 die italienische Meisterschaft. Mittlerweile liegen die großen Erfolge lange zurück, bei Sampdoria wie beim BFC.
Auch die Trainer beider Teams trennt nicht viel, genau genommen nur ein Buchstabe – jedenfalls wenn man sich Vornamen anschaut. Der eine heißt Andrea, der andere Andreas (Heraf). Letzterer hat den BFC im Sommer als neuer Trainer übernommen, er soll die Erfolge nach Hohenschönhausen zurückbringen.
Heraf gestand - Testspiel hin oder her - dass es natürlich schon eine "coole Geschichte" sei, wenn man so einen "tollen Trainer" zu Gast habe. Pirlo sei ein Weltklassespieler gewesen, sei Weltmeister geworden. "Er hat also Dinge erlebt, die keiner von uns erlebt hat."
Pirlo als Trainer noch wenig Erfolg
Was Pirlo dann am frühen Samstagabend im Berliner Sportforum erlebt, versinnbildlicht trotz aller feierlichen Begleitumstände den bislang verschlungenen Weg seiner Trainerlaufbahn, der ihn von Juventus Turin, über den Istanbuler Verein Fatih Karagümrük zu Sampdoria brachte.
Der Fußball-Feingeist steht also am Spielfeldrand, seine legendäre Wellen-Mähne durch ein Basecap gebändigt, und sieht, wie ein energischer deutscher Regionalligist seiner Mannschaft den Rang abläuft. Klar, nur ein Testspiel, die Vorbereitung hat für die Genuesen auch gerade erst angefangen, die italienische Spielzeit beginnt erst Mitte August. Wie aussagekräftig kann diese Veranstaltung also sein?
Aber während es in den anderen Topligen gerade die einstigen Mittelfeld-Genies sind, die die Meisterschaften einheimsen – Ancelotti mit Real Madrid, Guardiola mit Manchester City und Alonso mit Bayer Leverkusen – scheiterte der möglicherweise größte von ihnen am Aufstieg in die Serie A. In der kommenden Saison soll es klappen.
Dino erwacht
Und beim BFC? Sehnen sie den Aufstieg ebenfalls herbei. Vor einem Bierstand, im dichten Gedrängel aus weinroten und weißen Trikots, sagt ein BFC-Fan: "Der Verein ist ein schlafender Dino", und wandelt das geläufige Bild des "schlafenden Riesen" damit etwas ab, ohne dass der Vergleich an Bedeutung einbüßt.
Stürmer Rufat Dadashov erweckt den schlafenden Dino an diesem Samstagabend mindestens vorübergehend, indem er den BFC zum überraschenden 1:0-Sieg schießt.
Pirlos Team hingegen bleibt weitgehend blass. Und trotzdem hat Andrea Pirlo, der einstige Mittelfeld-Magier, einmal mehr gewirkt. Für einen Tag verzaubert er das Sportforum.
Sendung: rbb24, 20.07.2024, 20:15 Uhr