Parlamentswahl am 15. Oktober - Antideutsche Töne im polnischen Wahlkampf

Sa 30.09.23 | 08:13 Uhr | Von Agnieszka Hreczuk
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Jarosław Kaczyński am 20.09.2023 in Breslau (Quelle: dpa/Krzysztof Zatycki)
Bild: Video: Brandenburg Aktuell | 27.09.2023 | J.Paczkowski/M. Dercz

Am 15. Oktober wählt Polen ein neues Parlament. Die Regierungspartei PiS bemüht immer wieder das Bild von den "bösen" Deutschen, um ihre Wählerschaft zu mobilisieren. Ob sie mit dieser Rhetorik Erfolg haben wird, ist ungewiss. Von Agnieszka Hreczuk

Vergangenen Samstag in der Sporthalle einer Gorzower Grundschule, nur 80 Kilometer von Frankfurt (Oder) entfernt: Ein kleiner runder Mann mit verschmitztem Lächeln wird auf der Bühne von seinen Anhängern gefeiert. Jarosław Kaczyński, der Vorsitzende der regierenden Partei PiS, ist gekommen. Seit Wochen ist er auf Wahlkampftour in Polen unterwegs. Wer denkt, er würde dabei über hohe Inflation, Wohnungsmangel und fehlende Fachkräfte sprechen, der irrt. Sein Hauptthema ist Deutschland, die Deutschen und diejenigen, die seiner Meinung nach für die Deutschen arbeiten - die Opposition.

Sein Kontrahent von der Bürgerkoalition, Donald Tusk, wolle in Polen "die deutsche Ordnung“ einführen, erklärt Kaczyński seinen begeisterten Zuhörern. "Was soll das heißen?" fragt Kaczyński in die Menge und gibt gleich selbst die Antwort. "Früher hieß es die Teilung Polens, Germanisierung und dann der Zweite Weltkrieg".

Bis die PiS 2005 zum ersten Mal an die Macht gekommen sei, habe eigentlich Deutschland in Polen regiert, so Kaczyński weiter. Aber ihre Glanzzeit hätten die Deutschen vor allem unter der Amtszeit von Donald Tusk erreicht. "Acht Jahre deutsche Ordnung war es. Sogar das Rentenalter in Polen musste bei Frau Merkel angefragt werden“, behauptet Kaczyński unter Applaus des Publikums. „Die Bürgerkoalition ist keine polnische Partei, sie ist aus Deutschland! Er soll lieber nach Berlin und dort direkt für sie arbeiten".

Antideutsche Kampagne auf höchster Ebene

Steile Thesen, die PiS-Politiker nicht nur jetzt auf Wahlkamptour äußern. Auch der staatliche Rundfunk und andere regierungsnahe Medien wiederholen sie immer wieder. In einem aktuellen Wahlspot sagt Ministerpräsident Mateusz Morawiecki über Donald Tusk: "Der gefärbte Fuchs ist aus Brüssel zurückgekommen, um die Anweisungen von Merkel und Weber auszuführen".

Justizminister Zbigniew Ziobro vergleicht Agnieszka Holland mit den Propagandisten des Dritten Reiches. Die international erfolgreiche polnische Regisseurin hatte einen Film über die Situation der Flüchtlinge an der polnisch-belarussischen Grenze gedreht hat. "Während des Dritten Reichs produzierten die Deutschen Propagandafilme, in denen Polen als Banditen und Mörder dargestellt wurden. Heute haben sie Agnieszka Holland, die das für sie tut…", schreibt der Minister aus seinem X-Konto.

Soziologe Krzsztof Wojciechowski (Collegium-Polonicum) (Quelle: rbb)Soziologe Krzysztof Wojciechowski (Collegium-Polonicum)

Der zahme Elefant hinter der Grenze

Für Krzysztof Wojciechowski sind solche Vorstellungen über Deutschland absurd. "Aber Populisten denken nicht, sondern tun einfach." 30 Jahre lang hat sich der promovierte Soziologe und ehemalige Direktor des Collegium Polonicum in Słubice mit dem Verhältnis von Polen und Deutschen auseinandergesetzt. Sein Resümee ist einleuchtend: „Stellen Sie sich einen Elefanten vor, einen zahmen Elefanten, den sie lieben und der sie liebt."Sie legen sich mit diesem Elefanten ins Bett. Können Sie ruhig schlafen? Nein, ein Teil von Ihrer Natur sagt: Pass auf, er kann dich erdrücken. Und das ist in uns allen verankert - etwas Angst vor etwas Großem, was hinter der Grenze ist."

Dazu kommt, dass die PiS ihr Repertoire für neue Wahlversprechen ausgeschöpft hat. Hetze gegen LGBT trägt nicht mehr, das Kindergeld sowie die 13. und 14. Rente sind schon da. Weitere Sozialversprechen kann die PiS angesichts des Haushaltslochs nicht machen. Das Thema Migration bleibt aktuell, ist aber wegen der aktuellen Affäre über tausende angeblich von polnischen Beamten nach Asien und Afrika verkaufte Visa schwierig. Außer kostenlose Medikamente für Rentner und Kinder bleibt nur das kostenneutrale Thema "Deutschland will uns knechten".

Polen mögen die Deutschen mehr als Deutsche die Polen

In den aktuellen Studien des Deutschen Poleninstituts in Darmstadt zeigt die Hetze gegen Deutschland bisher keine Auswirkung. Die Einstellung der Polen zu Deutschland ist seit Jahren stabil. 50 Prozent der Polen halten Deutsche für freundlich, nur 15 Prozent lehnen sie klar ab. Im Vergleich dazu mögen 43 Prozent der Deutschen die Polen und 14 Prozent lehnen sie ab.

Vor allem in Westpolen scheint die antideutsche Rhetorik weniger zu fruchten. In den grenznahen Städten Gorzów Wielkopolski und in Słubice hat vor vier Jahren die Bürgerkoalition gewonnen. "Die Spots von Kaczyński sind die dümmste Sache in der Welt", sagt der 67-jährige Remigiusz, ein gebürtiger Słubicer. "Will er uns zu Feinden machen?" Edward sieht es genauso. Der Taxifahrer ist regelmäßig auf beiden Seiten der Oder unterwegs. "Wir leben hier seit Jahren miteinander. Ich weiß, dass viele Deutsche zu uns kommen, um einzukaufen oder zum Frisör zu gehen – und nicht um uns zu unterwerfen."

In Deutschland schaut man gelassen auf die antideutschen Parolen im polnischen Wahlkampf. Timm Beichelt, Professor für Europa-Studien an der Universität Viadrina, sieht aber auch die Gefahr, dass sie den deutschen Blick auf Polen verschlechtern. "Es gibt in Deutschland kleine Communities, die sich professional mit Polen auseinandersetzten, die sehen es differenziert... Aber viele Deutsche, die sich nicht mit Polen auskennen, werden durch solche Sprüche in ihren Vorurteilen bestärkt: mit Polen kann man nicht reden, sie sind fremdenfeindlich. Man muss leider auch sagen: Der Großteil der Deutschen steht Polen gleichgültig gegenüber. Die meisten beschäftigen sich nicht damit, was die Politiker in Polen über sie sagen."

Sendung: team Kowalski, Polen Update 18.09.2023

Beitrag von Agnieszka Hreczuk

34 Kommentare

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  1. 34.

    " Angriffe auf das Verfassungsgericht oder die unabhängige Justiz würde ich auch nicht bestreiten, doch wenn es einem schlecht geht, verblassen solche Vorhaltungen."

    Ob das die Menschen in Deutschland 1933 auch gedacht haben? Die PiS ist nicht nur eine EU feindliche Partei obwohl Nutznießer, sie ist auch ein Feind der Demokratie.

    Ihre behauptete Unbeliebtheit halte ich für vorgeschoben, das Tusk ein überzeugter Europäer ist.

    https://www.tagesschau.de/ausland/europa/polen-demonstration-tusk-100.html

  2. 33.

    Sie unterstellen der Journalistin Agnieszka Hreczuk nicht nur, diesen Artikel im Sinne einer "vordergründig moralische Außenpolitik" Deutschlands geschrieben zu haben, sondern auch dem rbb, dass er mit der Veröffentlichung des Beitrags dieser "politischen Journalistin" mw. oder gar ws. gegen die journalistische Neutralität verstoßen hat?! Dieses schmale Brett, auf dem Sie wandeln, hat nicht mal die Maße eines Zahnstochers, Björn.

    Hreczuk berichtet von dem, was ist. Und wenn die PiS im Wahlkampf mit völlig haltlosen antideutschen Tönen, die nicht selten die Grenze zu Verschwörungsmythen überschreiten, die Opposition zu diffamieren versucht, wird man darüber in einem dt., ja auch ÖRR Medium doch wohl berichten dürfen. Meinen Sie nicht auch, Björn?

  3. 32.

    Die hiesige Berichterstattung trifft nicht den Kern. Tusk ist bei vielen Polen nicht sonderlich beliebt. Er wird als Erfüllungsgehilfe deutscher Hegemonialbestrebungen betrachtet. Die Millionen von Wählerinnen und Wählern der PiS, insbesondere Menschen aus der Arbeiterklasse und Unternehmer, die außerhalb der großen Städten leben, assoziieren nichts Gutes mit Tusk und seiner Partei. Viele erinnern sich, dass unter seiner Regierung Arbeitsverträge massiv durch »Schrottverträge« ersetzt wurden, die den Menschen grundlegende soziale Rechte vorenthielten, und dass Löhne von 5 bis 6 Zloty pro Stunde (20 bis 30 Eurocent) keine Seltenheit waren. Die PiS, die den Mindestlohn mehrmals erhöhte, Kinder- und Alterszulagen einführte und Personen unter 26 von der Steuer befreite, bleibt für diese Menschen ein sozialer Garant. Angriffe auf das Verfassungsgericht oder die unabhängige Justiz würde ich auch nicht bestreiten, doch wenn es einem schlecht geht, verblassen solche Vorhaltungen.

  4. 31.

    Machen Sie sich keine Sorgen um das "PiS-Männchen", PIS steht in Umfragen auf dem ersten Platz.

  5. 30.

    Das PiS-Männchen macht wirklich von sich reden, dass man als deutscher Staatsbürger, der sein Leben in der sog. Grenzregion Viadrina/Spree-Neiße-Bober verbracht hat, nur besorgt in das große Nachbarland sieht. Ich hoffe vor allem auf die junge Bevölkerung, die sich von den mir gelegentl. erscheinenden Hasstiraden wirklich abwendet. "Oder kieken" ist in meinem kl. Freundeskreis eine kleine Leidenschaft, man geht über Brücken und kann sich freuen. Die Oderufer, aber auch die Landschaft ist auf beiden Seiten schön. Auch in Wielkopolskie! Es ist sehr schön, auf hilfsbereite u. freundliche Menschen zu treffen u. gelegentl. zusammenzusitzen und "Gott u. die Welt" von deutsch-polnischem Erfahrungsschatz zu beleuchten.
    Nur muss man sich schon ein bisschen mit der Geschichte befassen. 1984 wurde ich im Nachtzug nach Krakow noch als 'Nazi' beschimpft, als 20jährig.! Das hat sich zum Glück geändert u. ich hoffe, dass es nicht/nie mehr passiert. Na zdrowie!

  6. 29.

    Ja, deshalb ja "auch in Deutschland". Einen noch dickeren Zaunpfahl hatte ich nicht. :-)
    Das ganze populistische Gelaber bringt uns nicht nach vorn, eher muss man aufpassen, dass es kein Rückschritt wird. Der EU-Beitritt ist immer auch ein Kompromiss für die EU und das Beitrittsland, dennoch ist die EU eine Gemeinschaft und sollte auch als solche handeln. Zu sagen, wir brauchen Polen nicht, aber Polen braucht die EU, ist nicht nur angesichts der Probleme in Europa, sondern auch geografisch, wirtschaftlich und strategisch falsch.

  7. 27.

    "Die wurde bisher aber von Faeser und Baerbock blockiert." So ist es. Faeser und Baerbock sitzen im Bremserhäuschen, die illegale Zuwanderung geht schwungvoll weiter, dafür sorgen Faeser und Baerbock. Diese Übergriffigkeit wollen die Polen nicht, sie geht zunehmend nicht nur hierzulande den Leuten auf den Senkel. Die eine oder andere Reaktion aus Polen mag überpointiert sein. Glücklicherweise wird ja Faeser in Kürze die Rechnung von der Wahlbevölkerung in Hessen präsentiert.

  8. 26.

    Also, Deutschland war auch nach 1945 kein besonders guter Nachbar, weder zu Polen, noch zu Tschechen, dies hat man insbesondere den einflußreichen Verbänden der Vertriebenen zu verdanken gehabt, die nun zum Glück öffentlich verstummt sind, aber die hiesige.tief verwurzelte Geringerschätzung des slawischen Nachbarn, insbesondere der Polen, die ist immer noch weit verbreitet.

    Übrigens, es ist nicht nur die PIS, die Deutschland kritisiert.

  9. 25.

    Wir Deutschen sollten nicht auf diese polnischen Scharfmacher reinfallen. Deutsche und Polen leben seit Jahrzehnten friedlich zusammen und so soll es auch in Zukunft bleiben. Was war in der gemeinsamen Geschichte ist nicht zu ändern, wir können es aber besser machen als unsere Vorfahren! Noch ist Polen nicht verloren!

  10. 24.

    "Hier ist eindeutig eine EU-umfassende Strategie gefragt" Die wurde bisher aber von Faeser und Baerbock blockiert.

  11. 23.

    Die Autorin, welcher der rbb hier eine Platform bietet scheint eher eine politische Journalistin zu sein:
    https://ostpol.de/autoren/41-Agnieszka-Hreczuk
    Ist das vereinbar mit dem Auftrag zu unparteiischer Berichterstattung im ÖRR?

  12. 22.

    Einfach mal die Grenzen Richtung Polen dicht machen und alle EU Gelder einfrieren.
    Wir brauchen Polen nicht, aber Polen braucht die EU.

  13. 21.

    Wer ist Agnieszka Hreczuk, die hier im rbb diesen Beitrag veröffentlichen darf? Man sollte da vorsichtig sein, nicht für eine Seite vom Ausland aus Partei zu ergreifen, da man das als Einmischung in die inneren Angelegenheiten auslegen kann. Zu viel vordergründig moralische Außenpolitik hat oft eher zu Problemen als zu Lösungen geführt.

  14. 20.

    Da mag sein. Aber Polen war für seine Nachbarn im Osten in der Zwischenkriegszeit auch kein wirklich guter Nachbar. Wenn das immer wieder alles hervorgezaubert wird, sind wir in Europa bald wieder genau da, wo wir vor rund 100 Jahren schon einmal waren und Geschichte würde sich mehr oder minder doch wiederholen. Ganz schlechte Strategie n.m.M.

  15. 18.

    Hoppla, wenn die Zweifel über Tusk berechtigt sind, weil er sagt, Polen müsse die Kontrolle über sein Land und die Grenzen zurückgewinnen, dann kann es gut möglich sein, dass er im Kleinen versucht, was die EU im Großen nicht kann. Hier ist eindeutig eine EU-umfassende Strategie gefragt, die mehr beinhalten muss als einen Besuch von Frau von der Leyen auf Lampedusa nach einem Notruf von Frau Meloni. Wenn die EU-Kommission von rechten Problemen mit Polen, Ungarn und Italien spricht, möge sie bitteschön dafür sorgen, dass die EU-Außengrenzen geschützt werden und die EU die Kontrolle über Europa behält - auch in Deutschland.

  16. 17.

    Die EU geht meines Erachtens viel zu lasch mit den Nationalisten Orban und Kackzinski um.

  17. 16.

    Durch die geschichten Erfahrungen. Bis 1945 waren wir kein guter Nachbar. Das Gleiche gilt für die Russen. Ich denke, die Angst ist groß, auf polnischer Seite, immer wieder zwischen diesen beiden Seiten zerdrückt bzw in Abhängigkeit zu geraten. Mit dieser Angst spielt die konservative Politik in Polen.

  18. 15.

    Dann müssen Sie ihren Hinweis aber auch auf Guben/Gubin erweitern. Auch da heißt das wofür Brücken notwendig sind Neiße und nicht Oder.

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