Grüne Woche startet - Berliner Agrar-Davos oder Bühne für Bauern-Wut?
Eigentlich ist die Grüne Woche purer Spaß: Tiere streicheln, Häppchen futtern, Trecker gucken. Doch dieses Jahr ist alles anders: Die Bauernproteste haben die Probleme der Branche ans Licht gezerrt. Die Grüne Woche bekommt das zu spüren. Von S. Schöbel
Er habe mit seinen Kindern extra nochmal nachgeschaut, wann er das erste Mal auf der Grünen Woche war, sagt Mario Tobias. "Da gab es noch keine Smartphones, Anfang der 2000er." In Erinnerung sei die Streichelhalle mit den Tieren geblieben. Mehr als zwei Jahrzehnte später eröffnet Tobias nun erstmals als Chef der Messe Berlin die Grüne Woche. Tiere streicheln kann man hier immer noch. Aber die Stimmung ist deutlich weniger kuschelig als früher.
Die wütenden Proteste der Landwirte haben aus der fröhlichen Lebensmittel-Schau unter dem Funkturm eine politische Arena gemacht. Messe-Chef Tobias weiß das auch: Er bewirbt zwar fleißig die blumengeschmückten Hallen, das leckere Essen und clevere Agar-Innovationen, doch im Mittelpunkt steht die angespannte Lage der gesamten Branche.
Man werde die Debatten von der Straße in die Messehallen holen, sagt Tobias diplomatisch, "in einen guten Rahmen". Bauernpräsident Joachim Rukwied klingt zum Auftakt der Grünen Woche allerdings deutlich düsterer. Falls die Bundesregierung die Subvention des Agradiesels wirklich streicht, werde es weitere Proteste geben. Was bisher zu erleben war, sei nur "ein Vorbeben" gewesen, so Rukwied. Es drohe eine "Eruption".
Agrardiesel als Symbol für Gesamtsituation
Deutsche Bauern, die zu wenig Geld mit ihrem Produkten verdienen, gleichzeitig aber immer strengere Klimaschutzauflagen erfüllen müssen, während der Lebensmittelmarkt von großen Konzernen und hohen Renditeerwartungen dominiert wird: Vom Agrardiesel oder der Kfz-Steuer auf Traktoren sprechen vor der Grünen Woche fast alle Branchenvertreter nur als Tropfen, der das Fass zu Überlaufen gebracht habe.
"In diesem Fass sind viel mehr Kröten, die sich angesammelt haben", sagt Hans Foldenhauer. Der Vorstandssprecher des Bundesverbandes Deutscher Milchviehalter (BDM) sagt, die Probleme seiner Milchbauern reichten zurück bis in die 90er Jahre. Damals sei dem Wettbewerb auf dem Agrarmarkt Tür und Tor geöffnet worden, die Branche reagierte auf sinkende Preise mit immer mehr Wachstum: Die Politik habe die Märkte geöffnet, so Foldenhauer, und die Bauern hätten liefern müssen.
Probleme gehen Jahrzehnte zurück
Das Ergebnis zeigt der BDM auf einer aktuellen Statistik: Seit 2003 habe sich die Zahl der Milchbauern halbiert, auf inzwischen nur noch rund 50.000. Im gleichen Zeitraum hat sich die durchschnittliche Zahl der Kühe pro Hof verdoppelt. Kleine Höfe werden immer seltener, große Höfe wachsen weiter. Gleichzeitig arbeiten viele Bauern schon lange nicht mehr kostendeckend, weil vor allem die großen Molkereien weniger für den Liter Milch zahlen, als die Bauern für dessen Produktion ausgeben müssen. Dieses Missverhältnis habe man bei der Politik schon Regierungen vor der Ampel beklagt, sagt Foldenhauer. Auch der letzten Bundeslandwirtschaftsministern wie Julia Klöckner von der CDU. "Die hat immer nur gesagt: Macht ihr das in der Branche."
Die aber regelt es offenbar nicht: Bei der Preisgestaltung ihrer Produkte haben die Bauern so gut wie kein Mitspracherecht, beklagen ihre Verbandsvertreter vor der Grünen Woche. Meistens diktiere der Handel, was Fleisch, Gemüse und Molkereiprodukte kosten. Allerdings geht es nicht allen Betrieben schlecht. "Wir haben über die letzten zehn Jahre absolut stabile Wertschöpfungsketten geschaffen", sagt Heinrich Rülfing, Vorsitzender der Deutschen Bio-Schweinehaltervereinigung. "Wir haben Erträge erzielen können, die auskömmlich sind."
Probleme gebe es dennoch viele, zum Beispiel die überbordende Bürokratie, immer strenger werdende Auflagen, fehlende Verlässlichkeit bei Fördermaßnahmen und das Ungleichgewicht im Markt zwischen Handel und Erzeuger. Deswegen der Protest: "Es ging einfach darum, ein Signal zu setzen, dass sich etwas tun muss."
Keine einheitliche Bauern-Front
Mit dem großen Bauernverband und seinem harten Konfrontationskurs gegen die Ampel fremdelt Rülfing, der nach 30 Jahren in der CDU zu den Grünen gewechselt ist. Mit der Ampel zufrieden ist er trotzdem nicht. Seiner eigenen Partei, den Grünen, wirft Rülfing nun vor, unterschätzt zu haben, wie herausfordernd die Transformation der Landwirtschaft hin zu mehr Klima-, Umwelt- und Tierschutz für die Bauern ist. "Veränderung macht Angst. Manchen geht es zu schnell."
Ganz so vereint wie bei den Bauernprotesten präsentieren sich die Landwirtschaftsverbände auf der Grünen Woche jedenfalls nicht. So will zum Beispiel der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft keine Gentechnik auf den Äckern und fordert, dass entsprechende EU-Pläne verhindert werden. Der Bauernverband sieht es genau andersherum. Auch die geplante Tierwohlabgabe, bei der Verbraucher mehr für Fleischprodukte zahlen sollen, um Bauern zu unterstützen, kommt bei Landwirten gut an, nicht aber bei den Molkereien, die unter anderem Einbußen beim Exportgeschäft fürchten.
Rukwied: Grüne Woche ist "agrarpolitisches Davos"
Spätestens da wird klar: Die Äcker und Ställe sind letztlich auch nur die Grundlage eines deutlich größeren Geschäfts. Christoph Minhoff, Chef-Lobbyist der deutschen Lebensmittelindustrie, bringt es recht unverblümt auf den Punkt. Gefragt, wie sich die Interessen der konventionellen und der Bio-Landwirtschaft in Einklang bringen lassen, sagt Minhoff: Entscheidend sei, was sich "an den Supermarktkassen und an der amerikanischen Börse" abspiele. Heißt auch: So lange Billig-Fleisch die Renditeerwartungen der Branche erfüllt, bleibt es bei hartem Preiswettbewerb.
Wenn dann Bauern-Präsident Rukwied von der Grünen Woche als "agrarpolitischem Davos" spricht, in Anlehnung an das alpine Treffen von Politik- und Wirtschaftselite, könnte das manchen protestierenden Landwirt auf dem am Brandenburger Tor geparkten Traktor ins Grübeln bringen.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 19.01.2024, 19:30 Uhr