Interview zur Lage der Baubranche - "Ab Mitte des Jahres werden Firmen beginnen, Mitarbeiter zu entlassen"
Nach jahrelangem Boom steckt die Bauwirtschaft in einer tiefen Krise - auch in Berlin und Brandenburg. Was hat dazu geführt und welche Hürden müssen überwunden werden? Ein Interview über eine Branche kurz vor dem Kollaps.
rbb|24: Herr Herrschelmann, das Baugewerbe steckt nach Einschätzung vieler Verbände tief in der Krise. Was sind die größten Probleme, mit denen Sie zu kämpfen haben?
Thomas Herrschelmann: Wir haben im November eine Umfrage unter unseren Mitgliedern gemacht, und da ist das Thema der überbordenden Bürokratie genannt worden - wie lange man für Genehmigungen braucht. Das zweite Thema ist der Fachkräftemangel, der die Firmen in Berlin und Brandenburg umtreibt.
Drittes Thema sind die zu geringen Aufträge oder Neuaufträge, die 2023 reingekommen sind, sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor. Und natürlich die großen Unsicherheiten, die vor einigen Jahren mit diesen mit diesem Rückgang an Aufträgen verbunden ist. Die großen Unsicherheiten vor allem bei den Bauherren mit Blick auf das Gebäudeenergiegesetz, dessen Umsetzung und die Voraussetzungen, die dafür komplett fehlen.
Und natürlich auch fehlende, langfristige und auch stabile Fördermodelle, die Anreize setzen. So hat die Bundesregierung Anfang 2022 die KfW-Förderung mit einem Federstrich komplett weggestrichen. Diese Förderung hat sehr viel Anreize gesetzt, sowohl im energetischen Neubau als auch eben in der energetischen Sanierung von Gebäuden. Das war auf einmal weg und das sind mehrere Milliarden pro Jahr gewesen.
Mit Bonava in Fürstenwalde (Oder-Spree) entlässt erneut ein Bauunternehmen hunderte Beschäftigte. Werden auch andere Bauunternehmen folgen?
Ich denke, so ab Mitte des Jahres werden wir erleben, dass Firmen dann beginnen, in Größenordnungen ihre Mitarbeiter zu entlassen. Das gibt es jetzt bereits schon, das gab es auch im letzten Quartal 2023, aber noch nicht in dieser Größenordnung.
Da wird auch ganz viel von anderen Firmen, deren Auftragslage besser ist oder die ein längeres Polster haben, aufgenommen werden. Das wird aber ab Mitte des Jahres dann mehr werden, dass Leute einfach entlassen werden. Und natürlich auch keine neuen Arbeitgeber finden, weil dann auch viele Firmen die Tore schließen werden.
Wir haben auch noch das demografische Thema, wie viele andere Branchen auch. Wir haben in unserer Umfrage zum Beispiel auch gefragt, wie denn die die Altersstruktur in den Firmen ist. Etwa 50 Prozent der Firmen haben gesagt, dass mindestens ein Drittel ihrer Mitarbeiter 55 Jahre und älter ist. In der Baubranche beginnt man da schon über den Ruhestand nachzudenken, auch weil das eine körperlich sehr schwere Arbeit ist. Wir werden also in den nächsten Jahren auch noch mal etwa ein Drittel der gewerblichen Mitarbeiter verlieren.
Welche bürokratischen Hürden erschweren die Arbeit der Baubranche?
Das sind in der Regel die überbordenden Verfahren, die wir haben, vor allem die Genehmigungsverfahren. Wir haben nach wie vor relativ lange Bearbeitungsfristen, wenn denn überhaupt Fristen in den Gesetzen drin sind. In der Bauordnung zum Beispiel sind Fristen zwar drin, aber wenn die Denkmalschutzbehörde dazu genommen werden soll, verlängert sich die Frist um einen Monat. Und wenn die oberste Denkmalschutzbehörde dazu Stellung nehmen soll verlängert sich die Frist um einen weiteren Monat. Es ist definitiv nicht erklärbar, warum das so ist.
Ein weiterer Punkt sind die Genehmigungen nach Straßenrecht. Wenn sie eine Baugenehmigung haben, brauchen sie erneut eine Genehmigung, um einen Bauzaun auf dem Fußweg oder auf der Straße aufzustellen, Bei den sogenannten Genehmigung nach Straßenrecht gibt es überhaupt keine Fristen. Das heißt, die Behörden können die abarbeiten, wie sie gerade Zeit haben oder Personalkapazitäten. Und das führt natürlich dazu, dass wir in Berlin, aber auch in Brandenburg inzwischen bei Genehmigungen Wartezeiten von bis zu einem Jahr haben. Und das ist ein Thema, was uns definitiv umtreibt, und das natürlich auch die Baustellen oder die Bauten weiter verteuert.
Sind das regional bedingte Probleme für Berlin und Brandenburg?
Ich glaube, Verwaltungsstau und Fachkräftemangel sind durchaus nicht nur spezifische Probleme für unsere Region, sondern betreffen inzwischen die ganze Bundesrepublik. Dann ist es auch abhängig davon, inwieweit die einzelnen Bundesländer ihre Prozesse bereits digitalisiert haben und inwieweit die Digitalisierung auch ein wahre Hilfe darstellt.
An den Finanzmärkten wird jetzt im Frühsommer die Zinswende erwartet, die Bauzinsen haben die erwartete Entwicklung vorweggenommen und liegen mit 3,4 Prozent relativ tief. Sollte das nicht das Baugewerbe ankurbeln?
Aktuell sehen wir noch keine Besserung. Wir müssen sehen, wie sich das bis zum Sommer entwickelt. Wohnungsbauunternehmen rechnen damit, dass ein Prozent Zinssteigerung zwischen drei und vier Euro auf einem Quadratmeter Kalkulations-Kaltmiete kosten. Das ist natürlich eine ganze Menge. Wir sind definitiv noch nicht wieder auf dem Zinsniveau von vor 2022, werden da auch nicht wieder hinkommen. Das muss sich jetzt erst alles wieder einspielen.
Die Zinsen sind also nach wie vor ein Thema für die Bauherren, weil auch die ganzen anderen Kosten inzwischen so hoch sind, dass sich im Moment der Mietshausbau zu bezahlbaren Mietkonditionen überhaupt nicht lohnt. Wir haben nach wie vor die Signale aus der Wohnungsbauwirtschaft, dass sie von einer zwei Jahre längeren Delle bei den Aufträgen ausgehen als bislang.
Dabei wollte die Bundesregierung jährlich 400.000 neue Wohnungen bauen. Das Ziel wurde 2022 und 2023 verfehlt. Schafft die Bauwirtschaft das in den nächsten zwei Jahren?
Νach dem, was ich bis jetzt aus der Branche von unseren Baufirmen mitbekomme, werden wir dieses Ziel auch 2024 und ebenso 2025 nicht erreichen. Es ist nach wie vor nicht klar, wie tatsächlich die Förderung aussehen wird. Zwar ist jetzt auf Bundesebene eine Milliarde mehr an Förderung für den Wohnungsbau vorgesehen worden, aber das reicht längst nicht an die Anreize aus den alten KfW-Programmen heran.
Ein zweiter Punkt sind die Ge- und Verbote, die seitens der Bundesregierung gekommen sind, wie zum Beispiel, mit der Novelle des Gebäudeenergiegesetz GEG. Die weiß im Moment noch keiner einzukalkulieren.
Die Bauherren sagen, unter den jetzigen Voraussetzungen lohnt sich das für uns überhaupt nicht, Gebäude in irgendeiner Form zu planen. Und dann werden sie auch keine Kredite bekommen, weil die Banken natürlich sagen, wie wollen Sie denn zu den Mietkonditionen, die sie benötigen, die die Wohnung auch vermieten? Natürlich werden die Firmen dann entlassen und im schlimmsten Fall eben vom Markt gehen.
Was für Auswirkungen hätte es auf den Wohnungsmarkt, wenn das Ziel der 400.000 Wohnungen noch weitere zwei oder drei jahre verfehlt werden sollte?
Ich denke, dann wird sich das überall immer mehr in Richtung der Berliner Situation entwickeln. Wir haben in Berlin einen Wohnungsleerstand von unter einem Prozent und das ist absolut nicht gesund. Die Immobilienwirtschaft sagt, dass man in Städten eigentlich von einem Wohnungsleerstand von drei bis vier Prozent ausgehen muss. Dann ist genügend Angebot auch in allen Segmenten da und diejenigen, die eine Wohnung suchen, können auch eine finden.
Wenn nicht gebaut oder entsprechend auch alte, jetzt nicht genutzte Gebäude zu Wohnraum umgebaut oder saniert werden sollten, wird sich die Lage natürlich in den nächsten Jahren weiter verschärfen. Damit wird die Knappheit natürlich heftig und auch die Mieten werden logischerweise weiter steigen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Efthymis Angeloudis, rbb24.
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 08.02.2024, 19:30 Uhr