Interview zur Lage der Baubranche - "Ab Mitte des Jahres werden Firmen beginnen, Mitarbeiter zu entlassen"

Fr 09.02.24 | 17:43 Uhr
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Symbolbild: Die Baustelle für ein Hochhaus in Berlin. (Quelle: dpa/Wolfram Steinberg)
dpa/Wolfram Steinberg
Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 08.02.2024 | Markus Reher | Bild: dpa/Wolfram Steinberg

Nach jahrelangem Boom steckt die Bauwirtschaft in einer tiefen Krise - auch in Berlin und Brandenburg. Was hat dazu geführt und welche Hürden müssen überwunden werden? Ein Interview über eine Branche kurz vor dem Kollaps.

rbb|24: Herr Herrschelmann, das Baugewerbe steckt nach Einschätzung vieler Verbände tief in der Krise. Was sind die größten Probleme, mit denen Sie zu kämpfen haben?

Thomas Herrschelmann: Wir haben im November eine Umfrage unter unseren Mitgliedern gemacht, und da ist das Thema der überbordenden Bürokratie genannt worden - wie lange man für Genehmigungen braucht. Das zweite Thema ist der Fachkräftemangel, der die Firmen in Berlin und Brandenburg umtreibt.

Drittes Thema sind die zu geringen Aufträge oder Neuaufträge, die 2023 reingekommen sind, sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor. Und natürlich die großen Unsicherheiten, die vor einigen Jahren mit diesen mit diesem Rückgang an Aufträgen verbunden ist. Die großen Unsicherheiten vor allem bei den Bauherren mit Blick auf das Gebäudeenergiegesetz, dessen Umsetzung und die Voraussetzungen, die dafür komplett fehlen.

Und natürlich auch fehlende, langfristige und auch stabile Fördermodelle, die Anreize setzen. So hat die Bundesregierung Anfang 2022 die KfW-Förderung mit einem Federstrich komplett weggestrichen. Diese Förderung hat sehr viel Anreize gesetzt, sowohl im energetischen Neubau als auch eben in der energetischen Sanierung von Gebäuden. Das war auf einmal weg und das sind mehrere Milliarden pro Jahr gewesen.

Zur Person

Thomas Herrschelmann (Quelle: Fachgemeinschaft Bau)
Fachgemeinschaft Bau

Thomas Herrschelmann Referatsleiter Politik und Pressesprecher der Fachgemeinschaft Bau Berlin und Brandenburg e.V.

Der Bauverband vertritt 900 kleine und mittelständische Baubetriebe in Berlin und Brandenburg.

Mit Bonava in Fürstenwalde (Oder-Spree) entlässt erneut ein Bauunternehmen hunderte Beschäftigte. Werden auch andere Bauunternehmen folgen?

Ich denke, so ab Mitte des Jahres werden wir erleben, dass Firmen dann beginnen, in Größenordnungen ihre Mitarbeiter zu entlassen. Das gibt es jetzt bereits schon, das gab es auch im letzten Quartal 2023, aber noch nicht in dieser Größenordnung.

Da wird auch ganz viel von anderen Firmen, deren Auftragslage besser ist oder die ein längeres Polster haben, aufgenommen werden. Das wird aber ab Mitte des Jahres dann mehr werden, dass Leute einfach entlassen werden. Und natürlich auch keine neuen Arbeitgeber finden, weil dann auch viele Firmen die Tore schließen werden.

Wir haben auch noch das demografische Thema, wie viele andere Branchen auch. Wir haben in unserer Umfrage zum Beispiel auch gefragt, wie denn die die Altersstruktur in den Firmen ist. Etwa 50 Prozent der Firmen haben gesagt, dass mindestens ein Drittel ihrer Mitarbeiter 55 Jahre und älter ist. In der Baubranche beginnt man da schon über den Ruhestand nachzudenken, auch weil das eine körperlich sehr schwere Arbeit ist. Wir werden also in den nächsten Jahren auch noch mal etwa ein Drittel der gewerblichen Mitarbeiter verlieren.

Welche bürokratischen Hürden erschweren die Arbeit der Baubranche?

Das sind in der Regel die überbordenden Verfahren, die wir haben, vor allem die Genehmigungsverfahren. Wir haben nach wie vor relativ lange Bearbeitungsfristen, wenn denn überhaupt Fristen in den Gesetzen drin sind. In der Bauordnung zum Beispiel sind Fristen zwar drin, aber wenn die Denkmalschutzbehörde dazu genommen werden soll, verlängert sich die Frist um einen Monat. Und wenn die oberste Denkmalschutzbehörde dazu Stellung nehmen soll verlängert sich die Frist um einen weiteren Monat. Es ist definitiv nicht erklärbar, warum das so ist.

Ein weiterer Punkt sind die Genehmigungen nach Straßenrecht. Wenn sie eine Baugenehmigung haben, brauchen sie erneut eine Genehmigung, um einen Bauzaun auf dem Fußweg oder auf der Straße aufzustellen, Bei den sogenannten Genehmigung nach Straßenrecht gibt es überhaupt keine Fristen. Das heißt, die Behörden können die abarbeiten, wie sie gerade Zeit haben oder Personalkapazitäten. Und das führt natürlich dazu, dass wir in Berlin, aber auch in Brandenburg inzwischen bei Genehmigungen Wartezeiten von bis zu einem Jahr haben. Und das ist ein Thema, was uns definitiv umtreibt, und das natürlich auch die Baustellen oder die Bauten weiter verteuert.

Sind das regional bedingte Probleme für Berlin und Brandenburg?

Ich glaube, Verwaltungsstau und Fachkräftemangel sind durchaus nicht nur spezifische Probleme für unsere Region, sondern betreffen inzwischen die ganze Bundesrepublik. Dann ist es auch abhängig davon, inwieweit die einzelnen Bundesländer ihre Prozesse bereits digitalisiert haben und inwieweit die Digitalisierung auch ein wahre Hilfe darstellt.

An den Finanzmärkten wird jetzt im Frühsommer die Zinswende erwartet, die Bauzinsen haben die erwartete Entwicklung vorweggenommen und liegen mit 3,4 Prozent relativ tief. Sollte das nicht das Baugewerbe ankurbeln?

Aktuell sehen wir noch keine Besserung. Wir müssen sehen, wie sich das bis zum Sommer entwickelt. Wohnungsbauunternehmen rechnen damit, dass ein Prozent Zinssteigerung zwischen drei und vier Euro auf einem Quadratmeter Kalkulations-Kaltmiete kosten. Das ist natürlich eine ganze Menge. Wir sind definitiv noch nicht wieder auf dem Zinsniveau von vor 2022, werden da auch nicht wieder hinkommen. Das muss sich jetzt erst alles wieder einspielen.

Die Zinsen sind also nach wie vor ein Thema für die Bauherren, weil auch die ganzen anderen Kosten inzwischen so hoch sind, dass sich im Moment der Mietshausbau zu bezahlbaren Mietkonditionen überhaupt nicht lohnt. Wir haben nach wie vor die Signale aus der Wohnungsbauwirtschaft, dass sie von einer zwei Jahre längeren Delle bei den Aufträgen ausgehen als bislang.

Dabei wollte die Bundesregierung jährlich 400.000 neue Wohnungen bauen. Das Ziel wurde 2022 und 2023 verfehlt. Schafft die Bauwirtschaft das in den nächsten zwei Jahren?

Νach dem, was ich bis jetzt aus der Branche von unseren Baufirmen mitbekomme, werden wir dieses Ziel auch 2024 und ebenso 2025 nicht erreichen. Es ist nach wie vor nicht klar, wie tatsächlich die Förderung aussehen wird. Zwar ist jetzt auf Bundesebene eine Milliarde mehr an Förderung für den Wohnungsbau vorgesehen worden, aber das reicht längst nicht an die Anreize aus den alten KfW-Programmen heran.

Ein zweiter Punkt sind die Ge- und Verbote, die seitens der Bundesregierung gekommen sind, wie zum Beispiel, mit der Novelle des Gebäudeenergiegesetz GEG. Die weiß im Moment noch keiner einzukalkulieren.

Die Bauherren sagen, unter den jetzigen Voraussetzungen lohnt sich das für uns überhaupt nicht, Gebäude in irgendeiner Form zu planen. Und dann werden sie auch keine Kredite bekommen, weil die Banken natürlich sagen, wie wollen Sie denn zu den Mietkonditionen, die sie benötigen, die die Wohnung auch vermieten? Natürlich werden die Firmen dann entlassen und im schlimmsten Fall eben vom Markt gehen.

Was für Auswirkungen hätte es auf den Wohnungsmarkt, wenn das Ziel der 400.000 Wohnungen noch weitere zwei oder drei jahre verfehlt werden sollte?

Ich denke, dann wird sich das überall immer mehr in Richtung der Berliner Situation entwickeln. Wir haben in Berlin einen Wohnungsleerstand von unter einem Prozent und das ist absolut nicht gesund. Die Immobilienwirtschaft sagt, dass man in Städten eigentlich von einem Wohnungsleerstand von drei bis vier Prozent ausgehen muss. Dann ist genügend Angebot auch in allen Segmenten da und diejenigen, die eine Wohnung suchen, können auch eine finden.

Wenn nicht gebaut oder entsprechend auch alte, jetzt nicht genutzte Gebäude zu Wohnraum umgebaut oder saniert werden sollten, wird sich die Lage natürlich in den nächsten Jahren weiter verschärfen. Damit wird die Knappheit natürlich heftig und auch die Mieten werden logischerweise weiter steigen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Efthymis Angeloudis, rbb24.

Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 08.02.2024, 19:30 Uhr

17 Kommentare

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  1. 17.

    Was ist daran rassistisch, unsere Regierung hat doch gesagt es sei‘en unteranderen Fachkräfte. Ich verstehe das nicht alle Ärzte und Anwälte sein können und das die Integration schwierig ist mit dem erlernen unserer Muttersprache. Aber wer auf dem (Roh)Bau gearbeitet hat, weiß das die Sprache da eher eine unter geordnete Rolle spielt und deutsch eher die Fremdsprache ist… also so verkehrt ist die inhaltliche Aussage nicht!

  2. 15.

    Seit 2015 sind Millionen neue Fachkräfte ins Land gekommen. Ich frage mich daher, wer soviele neue Arbeitsplätze schafft, dass der Arbeitskräftemangel trotz dieser Millionenschar an Fachkräften immer größer wird.

  3. 14.

    "Es war nunmal Rot/Rot. Die CDU hätte sicherlich "Alles" verkauft. Aber Sie spielen auf den Bankenskandal an."

    Die cDU unter Diepgen hatte bereits 1984 mit der FDP begonnen die Stadt auszuverkaufen. Aber nach der Milliardenpleite, der Weigerung des Bundes und dem Gerichtsbeschluss des BVerfG war Berlin gezwungen zu verkaufen, was natürlich auch Auswirkung auf die Verhandlungsposition hatte. Man mußte verramschen, koste was wolle.

    Dresden war ein komplett anderer Fall, der nicht mit Berlin vergleichbar ist. Da war der Ausverkauf "freiwilliger", unter einem FDP Bürgermeister btw.

    "Man hätte es wissen müssen was passiert, es gab genug Leute die davor gewarnt haben. " Ja, die PDS z.B. aber die wurde erst niedergebrüllt und dann, als Juniorpartner, überstimmt.

    "Mit den Ergebnissen dieser Verkäufe werden wir noch lange zu kämpfen haben."

    Da bin ich komplett bei ihnen, auch wenn die neoliberalen Märchenerzähler auch hier gerne etwas anderes erzählen. Wohnungen, ÖD uvm.

  4. 13.

    Es war nunmal Rot/Rot. Die CDU hätte sicherlich "Alles" verkauft. Aber Sie spielen auf den Bankenskandal an. Schwaches Argument. Die Stadt Dresden hat Damals ohne Not ihren gesamten kommunalen Wohnungsbestand verkauft. Es war der Zeitgeist. Und ein bequemer Weg sich auf einen Schlag zu entschulden. Aber, und das ist mein Vorwurf: Man hätte es wissen müssen was passiert, es gab genug Leute die davor gewarnt haben. Mit den Ergebnissen dieser Verkäufe werden wir noch lange zu kämpfen haben.

  5. 12.

    "Wir waren auch mal "städtisch"(BEWOGE) bis uns damals ROT-ROT verkauft hat. "

    Und warum mußte unter dem sPD/PDS Senat das Tafelsilber verramscht werden? Fragen sie doch mal die "Herren" Diepgen und Landowsky. Und die PDS Senatoren haben als Juniorpartner die Folgen z.B. für die GSW Mieter noch abgemildert, die sPD wollte zu weitaus schlechteren Konditionen verhandeln.

  6. 11.

    Simples Gemüt, simple Meinung. Glückwunsch zur Billigwohnung. Ganz ohne Neid, dafür hören wir niemanden in der Nacht strullern, schnarchen oder beim Sex. Aber wer so gerne wohnen will.......

  7. 10.

    Und Sozial-Ticket, und WBS-Schein für Alle, und Bürgergeld und ne Wohnung vom Staat und und und

  8. 9.

    "Wer jetzt noch keine billige Bude hat,ist doch selbst Schuld". AHA! Wir waren auch mal "städtisch"(BEWOGE) bis uns damals ROT-ROT verkauft hat. Nach unzähligen Verkäufen müssen wir jetzt unter der Deutsche Wohnen leiden. Und dann sind wir Schuld,weil wir keine billigen Wohnungen haben?

  9. 8.

    Mir doch vollkommen egal : Wir haben unsere billige Platte/ Jahrzehntealter Mietvertrag und geringe Anpassungen !!!
    Wer jetzt noch keine billige Bude hat, ist doch selbst schuld.

  10. 7.

    Haben Sie schon mal was von Normen und von Bauvorschriften und von Bauordnungen gehört? Die so oft kritisierten fehlenden Innovationen sind meistens rechtlich gar nicht zulässig.

  11. 6.

    Da die Tarifverhandlungen im Baugewerbe vor der Tür stehen, lohnt es sich scheinbar, bereits schon vorsorglich auf die kommenden leeren Taschen der Bauwirtschaft hinzuweisen.

  12. 5.

    Selbstkritik einer innovationsarmen Branche. Das wär mal was. Aber doch nur sind wieder alle anderen schuld.

  13. 4.

    Ihr letzter Absatz sagt, dass die Renovierung teuer ist. Ein Kleinwagen kostet günstigenfalls 10.000€, die Fliesenlegerstunde maximal 60€, das wäre also ein Monat Arbeit für Ihre 3qm. Wenn Sie sich darauf einlassen...

  14. 3.

    Wenn man Arbeitskräfte entlässt, und in Zukunft wohl in größerem Umfang, dann sollte der Fachkräftemangel ja bald überwunden sein. Das keine Arbeitsplätze frei sind, spricht ja eher gegen diese These vom Mangel.

    Finde das auch gut: Wenn die Behörde mit entscheidet, dann verstehe ich nicht, warum sie Bearbeitungszeit bekommt. Selten so gelacht. Vielleicht sollten die Herren der Baubranche ihre Planungsziele entsprechend strecken. Es sollten ja Erfahrungen vorliegen, wie lange ein Verfahren dauert. Seit den 90ern ging es super, aber auf einmal ist die Bürokratie der Knackpunkt...

    Die Entwicklungen am Kapitalmarkt sowie die Einkaufspreise für Rohstoffe ist nicht Sache der Politik.

    Mein persönlicher Eindruck: Wenn ein 3m²-Bad zu renovieren ohne Materialkosten mehr kostet als ein Kleinwagen, dann stimmt etwas bei der Preisgestaltung der Baufirmen nicht. Tut mir leid, aber ich denke, die Situation der Baubranche ist immer noch gut und wenn nicht, dann auch hausgemacht.

  15. 1.

    Werde das dann die aus den EU-Freundes-Länder betreffen?

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