50 Jahre Kunstraum Kreuzberg - Als das Bethanien von der Kunst besetzt wurde
Gebaut als Krankenhaus, ist das Bethanien am Kreuzberger Mariannenplatz seit vielen Jahren ein Raum für Kunst. Das ist nicht selbstverständlich, denn es gab andere Pläne – und zum Teil auch harte Auseinandersetzungen um das Gebäude. Von Bruno Dietel
Zuerst war es ein Krankenhaus, gebaut Mitte des 19. Jahrhunderts. Mit langen, breiten Gängen, einer imposanten Eingangshalle, vor dem Eingang erstreckte sich ein Lenné-Park. Zwischenzeitlich war die Krankenhausapotheke Arbeitsplatz eines gewissen Theodor Fontane. Die nach ihm benannte Apotheke gibt es heute noch.
Bethanien sollte Hochhäusern weichen
Das ehemalige Bethanien-Diakonissenkrankenhaus übersteht beide Weltkriege, doch mit der Teilung der Stadt verliert es die Ost-Berliner Patienten und wird 1966 zahlungsunfähig. Schon kurz darauf wird der Abriss des neogotischen Ensembles diskutiert. Die Architektin Sigrid Kressmann-Zschach, die auch den Steglitzer Kreisel und das Ku'damm-Karree entwarf, bringt die Errichtung von Hochhäusern für den sozialen Wohnungsbau ins Spiel.
Bis auf die beiden Türme soll das Bethanien verschwinden. Doch der Aufschrei ist selbst unter Architekten groß - die Rettung gelingt, seit 1969 steht das Gebäude unter Denkmalschutz. 1970 schließt das Krankenhaus, die Kirche verkauft das Grundstück an das Land Berlin. Aber wie weiter mit dem symbolträchtigen Bau?
Aus Bethanien wird "Georg-Rauch-Haus"
Im Dezember 1971 besetzen junge Menschen das leerstehende Schwesternwohnheim – und benennen es nach Georg Rauch, einem West-Berliner Anarcho, der bei einem Polizeieinsatz ums Leben kommt. Als die Polizei in einer Nacht im April 1972 am "Georg-Rauch-Haus" mit hunderten Kräften zu einer Razzia anrückt, schreibt Rio Reiser aus Solidarität mit den Besetzern den "Rauch-Haus-Song". Mit dem Ton Steine Scherben-Lied wird das Bethanien zum Symbol der Hausbesetzerszene, der Mythos des linksautonomen Kreuzberg ist begründet.
Ein Künstlerhaus für Kreuzberg
Vereinzelt fordern Stimmen die Weiternutzung des Bethanien als Poliklinik, doch verschiedene Künstlergruppen setzen sich durch: Am 22. November 1973 eröffnet die erste Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg, bis heute eine Einrichtung des kommunalen Kulturamts. Im Jahr danach zieht zusätzlich die Künstlerhaus Bethanien GmbH ein. Der gesamte Komplex entwickelt sich zu einem Zentrum der alternativen Kunstszene – mit Ateliers, Werkstätten und einer Druckerei.
Der Gründungsdirektor Michael Haerdter legte Wert darauf, dass das Bethanien nicht zu einem "Künstlerghetto" werden sollte, wie er im SFB sagte, "sondern dass wir versuchen, Projekte zu machen, die für den Bezirk eine Bedeutung haben."
Die zweite Rettung des Bethanien
Der Kiez um das Bethanien herum verändert sich nach dem Fall der Mauer rasant – der Druck auf das Bethanien als Ort für Künstler und Kultur steigt. Das Bethanien soll 2002 an einen privaten Investor verkauft werden. 2005 kommt es erneut zu Besetzungen, dieses Mal durch das linke Schöneberger Hausprojekt "Yorck59". Die Besetzer sind erfolgreich, im Bezirk kommt es zu einem Bürgerentscheid, ein Runder Tisch wird eingerichtet. Der Verkauf des Bethanien wird verhindert, das Land übernimmt ab 2009 die Verwaltung.
Das Bethanien soll nun zu einem "offenen, kulturellen, künstlerischen politischen und sozialen Zentrum" werden. Ein soziokulturelles Zentrum? Für Christoph Tannert, Leiter des Künstlerhaus Bethanien, ist das die falsche Entwicklung. Er fühlt sich damals von den Hausbesetzern rausgedrängt: "Jeder weiß natürlich, dass ein Künstlerhaus etwas anderes ist als ein soziokulturelles Zentrum."
Künstlerhaus geht, Kulturraum bleibt
Die Künstlerhaus Bethanien Gmbh verlässt das Haus 2010, nimmt aber den Namen mit an die neue Adresse unweit vom Kottbusser Tor. Vermieter dort ist Nicolas Berggruen, der sich einst an der Karstadt-Rettung versucht hat.
Der kommunale Kunstraum Kreuzberg hingegen hat seine Heimat immer noch unter dem Dach des alten Bethanien, seit nun mittlerweile 50 Jahren. 4.000 Ausstellungen sind seit der Eröffnung 1973 zu sehen gewesen, darunter im Jahr 2011 freigelegte Wandmalereien des weltberühmten Banksy oder im Jahr 2004 die lebensgroße Häkelpuppe "Wollita" der 2021 verstorbenen Stereo Total-Sängerin Francoise Cactus. Springer-Boulevardzeitungen werteten "Wollita" als Beleg für eine "Kinderpornoausstellung".
Letzte Bastion gegen Gentrifizierung
Seit 20 Jahren schon ist Stéphane Bauer Leiter des Kunstraums Kreuzberg. Je höher der Druck auf die Umgebung ist – Stichwort Gentrifizierung – umso wichtiger sieht er die Rolle des Bethanien für Kreuzberg an. Sie wolle der Veränderung mit öffentlichen Kulturangeboten entgegenwirken, sagt sie, aber einfach sei das nicht: "Wir fühlen uns auch manchmal wie eine letzte Bastion."
Erschwingliche 7,50 Euro Miete pro Quadratmeter zahlen der Kunstraum Kreuzberg und andere Einrichtungen im Haus, unter anderem eine Musikschule und andere Jugend- und Sozialeinrichtungen. Bauer sagt, er träume von weiteren Ateliers unter dem Dach des Bethanien, denn Interessenten für Räume gäbe es genug. Und so ist das Bethanien wichtiger denn je – einst Zufluchtsort für Erkrankte, heute "stille Insel im Häusermeer", als Ruhepunkt für Kunst und Kultur.
Sendung: rbb24 Inforadio, 22.11.2023, 09:55 Uhr