Theaterkritik | "Riesenhaft in Mittelerde" - "Ich bin nicht so der Fantasy-Fan"
Vier Regisseure übertragen in "Riesenhaft in Mittelerde" die Welt von J.R.R. Tolkiens "Der Herr der Ringe" in einen begehbaren Theaterraum. Ein grundsympathischer, aber streckenweise auch mühseliger Beitrag zum Berliner Theatertreffen. Von Fabian Wallmeier
Frodo spricht mir aus der Seele. "Keine Ahnung, was hier los ist", sagt der Hobbit aus dem "Herrn der Ringe", als der Abend eine gute halbe Stunde alt ist. "Ich habe das Buch nicht gelesen, die Filme nicht gesehen. Ich bin nicht so der Fantasy-Fan."
Es ist in der Tat nicht leicht, dem Treiben inhaltlich zu folgen, das an diesem Mittwochabend beim Berliner Theatertreffen eine bunte Truppe aus Zürich hier unter dem Titel "Riesenhaft in Mittelerde" auf die Bühne zaubert. Wenn man nicht einigermaßen firm ist, was Tolkiens kultisch verehrten Mammut-Roman und seine vielen künstlerischen Nachbildungen angeht. Doch das Schöne an diesem Abend: Man kann sich ihm auch hingeben, ohne "Herr der Ringe"-Fan zu sein.
Nicolas Stemann vom Schauspielhaus Zürich, Stephan Stock vom inklusiven Theater Hora, Florian Loycke vom Berliner Puppentheater Das Helmi und der Sänger Der Cora Frost haben zusammen einen begehbaren Theaterabend erschaffen. Über den Eingang zur Seitenbühne kommt man ins Festspielhaus und ist gleich mittendrin im Getümmel. Elben, Hobbits, Zwerge, Orks und wie die Völker aus der "Herr der Ringe"-Welt alle heißen, wuseln durcheinander.
Podeste, Nischen und "Crazy Horst"
Der aufwändige begehbare Theaterraum (Bühne: Katrin Nottrodt) löst die klassische Bühne-Zuschauerraum-Konstellation weitgehend auf. Es gibt verschiedene Podeste, Treppen, Häuschen, Emporen, Nischen und eine Bar namens "Crazy Horst". Zwar sind auch Sitzgelegenheiten vorhanden, aber mehr hat man vom Geschehen, wenn man zumindest immer mal wieder aufsteht und herumläuft. Denn es wird zwar live gefilmt, aber auf die Leinwände wird nicht alles übertragen, was gerade irgendwo im Raum passiert.
"Die Welt ist im Wandel" singen all die umherwuselnden Wesen. Und wie nur alles so schrecklich enden konnte, fragen sie. Der Ring sei Schuld: "Ein Ring sie zu knechten." Damit ist schon mal das Grundmotiv des "Herrn der Ringe" eingeführt, so halbwegs zumindest. Nach dem musikalisch begleiteten Erkunden des Theaterraumes geht es auch kurz einigermaßen brav weiter: Die Spieler:innen stellen sich mit Namen und Rolle vor, der eine ernsthaft, die andere ironisch gebrochen. So bekommt man gleichzeitig einen ganz groben Überblick über die Geschichte.
Jemand fängt an zu jodeln
Doch dann geht es ziemlich rasant voran und durcheinander. Irgendjemand ist immer auf der Jagd nach irgendwelchen Ringen, Allianzen werden geschmiedet, Lieder werden gesungen, Unsinn wird geredet, Kämpfe werden ausgefochten, Völker von Freunden zu Feinden und umgekehrt. Irgendwann ist Kapitel 8 angebrochen ("Bei den Elben" wird eingeblendet), jemand fängt an zu jodeln und man wird gewahr, dass es zu mühselig wäre, jetzt noch alles nachvollziehen zu wollen. Denn der letzte Rest von unmittelbarem Verstehen der Handlung ist soeben verschwunden.
Also gut, lassen wir es einfach geschehen. Man ist geradezu dazu eingeladen sich zu verlieren. Genießen wir also all das freundliche, etwas zerrupfte und schmutzige Getier aus der Schaumstoff-Puppenwerkstatt von Das Helmi, das durch den Raum getragen wird. Lassen wir uns verscheuchen, weil ein Boot oder eine Gruppe von Reiter:innen vorbei muss. Versuchen wir hier und da, Teile der Geschichte dann doch irgendwie zu verstehen. Erdulden wir die Passagen, in denen all die Orks- und Elben-Humorlosigkeit allzu ernst genommen wird. Schmunzeln wir über die Meta-Einwürfe, die sich milde über den Roman lustig machen oder Theater-Manierismen ironisieren. Und freuen wir uns über die live gespielte Musik und den schönen mehrstimmigen Gesang.
Allemal bemerkenswert
Das Regie-Team ist auch unter den Mitspielenden. Nicolas Stemann, scheidender Zürcher Intendant, sitzt etwa am Klavier oder kalauert sich in der "begehbaren Pause" an der Gitarre für Umstehende durch den Liedschatz der Orks - von "Keep on Orking in the Free World" bis "Take a Ork on the Wild Side". Und auch wenn der Abend erkennbar ziemlich durchkomponiert ist: Ein prüfender, ordnender, die Spreu vom Weizen trennender Blick von außen statt mitten aus dem Getümmel hätte vielleicht ganz gut getan. So zerfasert und zieht er sich doch gelegentlich ein wenig.
Dennoch ist "Riesenhaft in Mittelerde" ein grundsympathischer Theaterabend. Mit wieviel Herzblut alle Akteur:innen bei der Sache sind, spürt man nicht erst nach dem Applaus, als Stemann gar nicht aufhören will, Zugabe um Zugabe initiieren und alle fiebrig beseelt einstimmen. Und bemerkenswert, wie es das Regelwerk des Theatertreffens vorsieht, ist "Riesenhaft in Mittelerde" als Gesamtanstrengung allemal.
Sendung: rbb24 Infordaio, 10.05.2024, 07:55 Uhr