Theatertreffen-Eröffnung | "Nathan der Weise" - Die Aufklärung der Untoten

Fr 03.05.24 | 08:08 Uhr | Von Fabian Wallmeier
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Szenenbild vom Theaterstück "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing Regie und Bühne: Ulrich Rasche Salzburger Festspiele.(Quelle:SF/Monika Ritterhaus)
Audio: rbb24 Inforadio | 03.05.2024 | Bild: SF / Monika Ritterhaus

Ulrich Rasche, Freund gigantischer Theatermaschinen, hat zum Auftakt des Theatertreffens die Aufklärung für sich entdeckt. Ein Happy End ist seinem "Nathan der Weise" nicht vergönnt - aber ein spektakuläres Lichtdesign. Von Fabian Wallmeier

Ulrich Rasche mag es laut, düster und technisch bombastisch. Der Regisseur, dessen Salzburger Inszenierung von "Nathan der Weise" am Donnerstagabend das Berliner Theatertreffen eröffnet hat, lässt seine Schauspieler:innen gern über gigantische Laufbänder laufen. Oder über kreisende und sich neigende Drehscheiben oder ähnliche große, aufwändige Theatermaschinerien. Dazu wummert unaufhörlich düstere Livemusik und die Darsteller:innen brüllen rhythmisch zerhackt im Chor den Text des Stückes. Man muss das nicht mögen. Wirklich nicht.

Nun aber "Nathan der Weise". Gotthold Ephraim Lessings 1783 in Berlin uraufgeführtes Stück über die Versöhnung der drei monotheistischen Weltreligionen ist ein Kerntext der Literatur der Aufklärung. Das gilt vor allem für die berühmte Ringparabel, den vermutlich jede:r auf, vor und hinter der Bühne mal im Deutschunterricht besprochen hat (wer sich nicht mehr erinnert: hier entlang bitte [schule-bw.de].

Vielleicht kein typischer Rasche-Stoff - aber wer so unterschiedliche Texte wie Sarah Kanes "4.48 Psychose", Schillers "Räuber" und "Das große Heft" von Ágota Kristóf irgendwie gleich klingen lassen kann, kann letztlich jeden beliebigen Text nach seinem Prinzip niederwalzen.

Alles bleibt anders

Tatsächlich ist in dieser Inszenierung vieles wie immer bei Rasche. Und doch ist es ganz anders - und von Niederwalzen kann zum Glück kaum einmal die Rede sein. Die Musik wummert düster wie gewohnt, setzt aber zwischendurch auch mal aus. Das Sprechen im Chor hingegen, das bei Rasches Aufführungen oft so affektiert wirkt und dem Text eher entgegenwirkt, ist hier die Ausnahme. Und wenn es kommt, dann entwickelt es eine wahrhafte Wucht.

Die drei Hauptdarsteller:innen, zugleich Vertreter:innen der drei Religionen, können derweil tatsächlich ihre Rollentexte sprechen - und bei allem Zwang zum Rhythmus auch eigene Akzente setzen. Valery Tscheplanowa verleiht dem Juden Nathan eine klare Unbeirrbarkeit und Dringlichkeit. Nicola Mastroberardinos muslimischer Sultan Saladin verfügt über eine gewisse Sanftheit. Die Show stiehlt ihnen allerdings Mehmet Ateşçi, der den Christen Curd von Stauffen vor Kraft und Körperlichkeit nur so strotzend spielt.

Szenenbild mit Julia Windischbauer (Recha), Valery Tscheplanowa (Nathan) und der Chor während der Fotoprobe zum Schauspie vom Theaterstück "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing Regie und Bühne: Ulrich Rasche Salzburger Festspiele.(Quelle: picture alliance/dpa/apa/Barbara Gindl)
Bild: picture alliance/dpa/apa/Barbara Gindl

Drehscheiben und Ringflächen

Die Bühnenmaschine ist wieder einmal gigantisch. Die gesamte Bühne ist von einer Drehscheibe bedeckt, deren äußeren zwei Ringflächen auch unabhängig bewegt werden können. Mal drehen sie sich mit dem Inneren, mal entgegengesetzt. Die Spieler:innen können so, immer im Gleichschritt zur Musik, scheinbar aufeinander zugehen, während sie dank der Drehung der Fläche unter ihnen vom Zuschauerraum aus betrachtet in Wirklichkeit nicht von der Stelle kommen und einander weiter entfernt bleiben.

Allein der grau gekleidete Nathan berührt hin und wieder eine andere Figur. Alle anderen sind schwarz gewandet und kommen einander nicht näher. Den Blick starr nach vorn gerichtet, setzen sie oft seitwärts den einen Fuß vor den anderen. Die Schulten sind vorgestreckt, die Arme eigentümlich angewinkelt. So wackeln sie fast unheimlich auf der Stelle. In höchster Anspannung und in tiefstem Misstrauen zueinander wirken sie wie Untote, die sich in ihrem letzten Aufbäumen mit aller Kraft wehren gegen den Geist der Aufklärung, der aus Lessings Text strahlt.

Von außerweltlicher Schönheit

Hoch über den Ringflächen auf der Bühne sind drei weitere Ringe befestigt. An ihnen hängen Säulen aus perforiertem Metall bis knapp über den Bühnenboden. Entlang der Ringbahnen und zusätzlich über eine den inneren Ring querende Traverse lassen sie sich quasi schwebend über die Bühne bewegen. Das klingt kompliziert und ist es sicher auch - der Aufbau der Bühne dürfte deutlich länger gedauert haben als bei den meisten anderen Produktionen.

Wichtig ist aber vor allem: Diesen Säulen ist die eigentliche Attraktion von Rasches Inszenierung zu verdanken. Denn an ihren Seiten sind sie von oben bis unten mit Leuchten in wechselnden Farben besetzt. Wird nun von einer Säule auf die andere geleuchtet, entsteht zusammen mit viel Bühnennebel eine Wand aus Licht von unheimlicher, außerweltlich wirkender Schönheit.

Wenn nun die langsam und rhythmisch zuckenden Untoten hinter einer solchen matt violetten oder blauen Wand aus Licht verschwinden oder allmählich daraus auftauchen, ist das nicht nur ein Gimmick der Theatermaschinerie. Vielmehr hat es eine in ihrer Düsternis so bedrückende wie berückende Kraft, wie zumindest ich sie von Rasche noch nicht kannte.

"Zu Hilf"

Düster ist allerdings auch der Schluss des fast vier Stunden langen Abends. Wo sich in Lessings Text nach allerlei Wirrungen die Figuren selig in den Armen liegen ("Unter stummer Wiederholung allseitiger Umarmungen fällt der Vorhang", lautet die finale Regieanweisung), ist es bei Rasche deutlich anders. Zwar schafft auch er die Fakten für ein Happy End - und versinnbildlicht das fast schon kitschig mit einem Kostümwechsel: All die Untoten, die nun aus dem Bühnennebel heraustreten, tragen am Ende Weiß. Nur Nathan nicht. Der trägt weiter Grau, ist ganz allein vorn und spricht zweimal bitter und eindringlich die letzten Worte des Abends: "Zu Hilf".

Wie gesagt: Man muss Rasche nicht mögen. Aber wenn er so starke Bilder schafft wie hier und seinen Schauspieler:innen Raum lässt, dann ist es auch kein Ding der Unmöglichkeit. Für den Theatertreffen-Jahrgang 2024 ist das schon einmal ein schönes Signal zum Auftakt.

Sendung: rbb24 Inforadio, 03.05.2024, 6:40 Uhr

Beitrag von Fabian Wallmeier

3 Kommentare

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  1. 3.

    Ob die Inszenierung v. Künstler C. Rasche die Jugendlichen, die den Weg in das Leben finden müssen - sie haben ja eigene Vorstellungen/ Fragen - bleibt abzuwarten. Lautstärke(n) u. Düsternis, das ständige Ein"hämmern" -das sollte hinterfragt werden: Wozu, warum? Hilft es?
    M.E. ist Lessings Ringparabel viel zu wenig gewürdigt in der Weltliteratur, ich bezweifle, dass sie jeder, der der dt. Sprache mächtig ist, kennt. Einfache - verständlich klare Worte anhand eines sehr schönen Vergleiches - Höhepunkt der Aufklärung, ein vorläufiger Höhepunkt der deutschen Klassik. Ist derart Eingängiges zu überbieten? Ich bin mir da nicht schlüssig. Will Kunst und Darstellung Menschen jedes Alters nun für Erhabenes gewinnen - oder für immer abstoßen? Das ist meine Frage! Wenn es der 1. Theaterbesuch war? Für sehr beachtliche Preise - , sorry, würde ich mir ein Maschinentheater nicht antun: Sieger im Stück ist immer noch die Persönlichkeit u. ihre Sprache! Es ist ja die gr. Szene! Traumrolle ! ?

  2. 2.

    Das Bühnenbild hat ebenfalls Herr Rasche entworfen.

    Zum Regieteam gehören in der Regel auch Dramaturgie, Ton und Licht. Oft Video. Hier z.B. zusätzlich noch die Chorleitung.

  3. 1.

    Es ist wie immer sehr schade, dass die Namen der Bühnen- und Kostümbildner nicht genannt werden. Es arbeiten weitgehend Regieteams aus Regisseur, Bühnenbilder und Kostümbildner an einem Stück. Schade, dass das immer vergessen wird. Den Schulterklopfer für eine solche Arbeit und das austüfteln und die Essenz einer Geschichte in die Bühne zu setzen und Raum erlebbar zu machen ist dem Szenografen und Bühnenbildner zu verdanken.

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