Ungewollt kinderlos - Der unbedingte Wille, Vater zu sein

Di 14.01.25 | 06:16 Uhr | Von Yasser Speck, Helena Daehler, Christina Rubarth
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Symbolbild: Ein Vater mit seinem Kind am 11.04.2016. (Quelle: imago/Halfdark)
Bild: imago/Halfdark

Fast jeder dritte kinderlose Mann zwischen 20 und 50 gibt an, ungewollt keine Kinder zu haben. Gründe gibt es viele – darüber zu reden, trauen sich nur wenige. Von Yasser Speck, Helena Daehler und Christina Rubarth

Arno ist einer, der sich traut. "Im Freundes- und Bekanntenkreis kann ich sehr offen darüber sprechen." Was Arno meint, sind Gespräche über seinen unbedingten Wunsch, Vater zu werden, der bislang unerfüllt blieb.

Wenn er seine Freunde mit ihren Kindern spielen sieht, wenn er an einem vollen Spielplatz in seinem Kiez in der Berliner Bergmannstraße vorbeikommt, merkt er wieder, dass ihm etwas fehlt. "Ich sehe hier im Kiez viele Mütter, Väter und Kinder. Das ist so ein bisschen der Esel mit der Möhre. Es ist immer eine Möhre, die vor einem hergeführt wird und man versucht sie zu erreichen und erreicht sie nicht." Der über 40-Jährige möchte von seinem Leben etwas weitergeben, ist aber alleinstehend. In Berlin, der "Hauptstadt der Singles" die passende Partnerin zu finden, ist nicht leicht.

Harry ist da schon weiter. Vor ein paar Jahren hat der jetzt Anfang 40-Jährige Daniela kennengelernt. Die beiden heiraten und schnell ist klar, sie wollen eine Familie gründen. Aber auch: Das wird nicht einfach. "Ich wusste schon mit Mitte 20, dass es bei mir schwer wird, auf natürlichem Weg Kinder zu bekommen." Er hat wenig Spermien, und sie sind langsam. Außerdem sind beide schon älter, als sie sich kennenlernen. "Natürlich haben wir es erstmal so versucht, fast ein Jahr lang, aber wir wollten keine Zeit verlieren und uns medizinische Hilfe holen." Vier gescheiterte Hormonbehandlungen liegen hinter den beiden – eine hohe emotionale Belastung für das Paar. In ihrem Wohnzimmer erinnert eine große Vase voller Ampullen und Spritzen an die Hormonbehandlung. "Fünf Versuche, zwei Jahre – das ist ein sehr emotionales Glas für uns", sagt Daniela.

Kinderlos trotz Kinderwunsch

Männlich, ungewollt kinderlos – damit sind Arno und Harry nicht allein. Im Gegenteil. Laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahr 2020 ist der Anteil der Frauen und Männer mit unerfülltem Kinderwunsch im Alter von 20 bis 50 Jahren erheblich gestiegen. 2013 waren 25 Prozent der Befragten ungewollt kinderlos, 2020 stieg ihr Anteil auf 32 Prozent.

Auffallend ist, dass der Anteil der ungewollt kinderlosen Männer stärker gestiegen ist als der der Frauen.

Der Kinderwunsch würde heute immer später eine Rolle spielen, sagt Reproduktionsmediziner Heribert Kentenich von der Kinderwunschklinik "Fertilitycenter Berlin. "Wann bekommt eine Frau in Deutschland ihr erstes Kind? Mit 30 Jahren. In der DDR bekam sie mit 25 Jahren und in der BRD mit 28 Jahren ihr erstes Kind." Es seien eindeutige Verschiebungen erkennbar. Beispielsweise lernten sich Paare heutzutage später kennen, als früher, was dazu führe, dass mehr Menschen länger ungewollt kinderlos blieben, so Kentenich.

Gründe für Kinderlosigkeit bei Männern

Die Gründe für Kinderlosigkeit bei Männern sind vielfältig und reichen von persönlichen Umständen bis hin zu medizinischen Ursachen. Bei manchen liegt der Grund auf der Hand: Sie finden nicht die passende Partnerin oder den passenden Partner. Laut einer repräsentativen Umfrage des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahr 2020 traf das zu diesem Zeitpunkt auf 47 Prozent der befragten Männer zu.

Bei wieder anderen liegt die ungewollte Kinderlosigkeit an Einschränkungen in der Qualität der Spermien. Entscheidende Kriterien bei der Analyse von Spermien sind ihre Anzahl, die Form und die Beweglichkeit. Sind diese nicht optimal, kann es sein, dass es mit der Befruchtung nicht funktioniert.

Ein weiterer Grund kann eine Störung in der Spermienproduktion sein, beispielsweise wenn ein Mann einen Hodenhochstand als Kind hatte, der erst zu spät behandelt wurde. Bei einem Hodenhochstand erreichen die beiden Hoden nach der Geburt nicht den Hodensack des Säuglings. Sie stecken förmlich im Körper fest. Wird das nicht bis zum Ende des zweiten Lebensjahres behandelt, kann es zu Problemen in der Spermienproduktion kommen.

Weitere medizinische Gründe, warum es mit dem Kinderkriegen nicht funktioniert, können genetische Defekte, Infektionen, Hormonstörungen oder das Alter des Mannes sein.

Wer sind die kinderlosen Männer?

Ein Großteil der ungewollt kinderlosen Männer lebt in einer festen Partnerschaft. Insgesamt machen sie 62 Prozent der ungewollt Kinderlosen aus. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des Bundesfamilienministeriums von 2020 hervor.

Umgekehrt bedeutet das, dass 38 Prozent der ungewollt kinderlosen Männer keine feste Partnerin oder Partner haben. Aus der Umfrage geht auch hervor, dass 94,7 Prozent der ungewollt kinderlosen Männer in einer heterosexuellen Partnerschaft leben – also eine Frau oder Freundin an der Seite haben. 5,2 Prozent hingegen haben einen männlichen Partner.

Der "Spitzenbeauftragte"

Bei Harry stand die Karriere lange im Vordergrund, mit dem Kinderkriegen hatte er sich nicht intensiv beschäftigt. "Ende 2020 begann unsere IVF-Reise." IVF steht für in vitro-Fertilisation. Das ist ein längerer Prozess, bei der ein Spermium in die vorher entnommene Eizelle injiziert und der Frau eingesetzt wird. Ein komplexes Verfahren mit vielen Nebenwirkungen für die Frauen. Die Männer können nicht viel tun, außer sich fit zu halten und ihren Frauen eine emotionale Stütze zu sein. Harry wird der "Spritzenbeauftragte", verabreicht Daniela zu Hause die Hormonspritzen. "Jedes Mal hatte ich Angst und war gestresst, weil ich es richtig machen wollte und nichts verschwenden wollte. Das hätte Auswirkungen auf das Ergebnis haben können."

Mit den Belastungen gehen beide unterschiedlich um. Für sie ist der emotionale Austausch mit ihren Freundinnen sehr wichtig. Er begegnet dem Stress vor allem mit Faktenrecherche und kennt alle technischen Details.

Kinderlosigkeit bei Männern - ein stigmatisiertes Thema

Über den Prozess der Kinderwunschbehandlung zu reden, so Harrys Erfahrung, hilft aber auch anderen in der gleichen Situation. Harry hat seine Freunde mit auf den holprigen Weg der künstlichen Befruchtung mitgenommen, die einzelnen Schritte erzählt. “Ich habe ihnen Fotos geschickt von den befruchteten Embryos. Und ich sagte ihnen, dass wir die heute einsetzen und sie uns viel Glück wünschen sollen. Wir haben in den Gesprächen auch gemerkt, dass ein Freund gerade genau das gleiche durchmacht und bisher nicht darüber gesprochen hat."

Der fünfte Versuch hat geklappt. Seit knapp anderthalb Jahren sind Harry und Daniela Eltern der kleinen Clara. Harry wünscht sich einen offeneren Umgang mit dem Thema unerfüllten Kinderwunsch. “Wenn du unfruchtbar bist oder andere Herausforderungen hast, dann ist da diese veraltete Idee von Männlichkeit, aber natürlich macht es dich nicht weniger männlich. Aber es gibt wohl immer noch diese Idee in den Köpfen der Menschen, die Männer davon abhalten, sich zu öffnen.”

Auch Arno hat Erfahrungen damit gemacht, wie es ist, offen über seine Gefühle zu sprechen. "Man wird als Mann schon toll gefunden, wenn man über Gefühle sprechen kann, aber wird dann nicht wirklich als Mann gesehen." Als potenzieller Partner oder Vater eines gemeinsamen Kindes käme er dann nicht mehr in Betracht, erzählt er. Doch er lasse sich von solchen Rückschlägen nicht entmutigen und mache weiter. Solange es eben dauert. "Ich halte immer noch an diesem Traum fest, in einer richtigen Beziehung Vater zu werden."

Sendung: rbb24 Abendschau, 14.01.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Yasser Speck, Helena Daehler, Christina Rubarth

Kommentar

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29 Kommentare

  1. 29.

    Kenne auch ein Paar, die es aus Kostengründen in Polen gemacht haben. Sie, schon 5 fache Mutter (drei im Heim) und er mit einer einschlägigen p..do Vorstrafe. Da schien es keine Überprüfung zu geben. Wie ist das in Deutschland?
    (Ich musste mit ihr zusammenarbeiten für ein Projekt, sie gehört nicht zu meinen Freunden. Sie hätte meiner Meinung nach lieber gar keine Kinder bekommen dürfen. Sie wollte auch nicht. Aber die jeweiligen Kindsväter wollten unbedingt, haben sich aber nie gekümmert.)

  2. 28.

    Es ist wichtig und richtig, das zu thematisieren! Vor ca. 20 Jahren konnte man mich im rbb-Bericht über Kinderwunschbehandlungen sehen, damals mit wirklich viel und langem Gedöns alleinstehend endlich schwanger :-) und meine Besti in Behandlung, inzwischen 2fache Mutter. Prof. Dr. Kentenich war auch da im Film/Thema und sein Team kompetent. Danke, das Thema wieder aufzurufen! Und an die Herren: es gibt viele Wege, die nach Rom führen, alle sind steinig, aber es lohnt sich, diese Wege zu suchen....

  3. 27.

    Was genau finden Sie am Artikel oder an Selbsthilfegruppen für kinderlose Männer albern? Haben Sie den Artikel gelesen und dementsprechend erfasst, wie groß die Zahl der Betroffenen ist? Warum sollte der rbb also nicht über ein Thema berichten, das so viele Menschen betrifft?

    Aber vielleicht finden Sie auch Selbsthilfegruppen generell albern oder zumindest solche für Männer, weil ja echte Männer nicht über ihre Gefühle sprechen (?).

  4. 26.

    Na ja, das würde dann wahrscheinlich wieder andere Probleme nach sich ziehen :)

  5. 25.

    Es gibt eine Plattform, familyship,.org eine Plattform zur Familiengründung & Co-Parenting .Darüber kann man schauen ob man sich zum Beispiel als Singlemann mit Frauen oder a. A. Menschen vernetzen kann, die ein Kind möchten. Bekannte von mir haben sich so den Traum vom eigenen Kind erfüllen können.

  6. 24.

    Um adoptieren zu können, muss man zahlreiche Bedingungen erfüllen. Viele Menschen sind, wenn ihnen klar wird, dass sie selbst trotz aller Versuche kein Kind bekommen können, schlichtweg zu alt für eine Adoption oder partnerlos. Beides sind Ausschlusskriterien. Zudem geht es vielen Männern darum, ihre Gene weiterzugeben und nicht etwa fremde Kinder aufzuziehen. Die zahlreichen Single-Mütter werden das bestätigen können.

  7. 23.

    Tatsächlich ist es ein sehr langer und tief in die Privatsphäre eingreifender Prozess um in Deutschland Kinder adoptieren zu können.

    Selbst wenn dann ein Kind bei einem zu Hause ist, kann es passieren, dass sich die leibliche Mutter innerhalb eines bestimmten Zeitraums dafür entscheidet, das Kind doch selber zu behalten.

    Dann ist man doppelt und dreifach traumatisiert.

    Ich bin dafür nicht stark genug und kümmere mich als Onkel gelegentlich um die Kinder meines Schwagers oder meiner Freunde.

  8. 22.

    Danke für den Artikel.
    Meine Frau und ich sind ebenfalls ungewollt kinderlos.

    Wir waren von der ersten Fehlgeburt bis zum letzten Versuch der IVF sehr offen in unserem Umfeld mit unserer Situation.

    Es gab viele Leute, die sich uns mitteilten, dass sie ebenfalls Fehlgeburten oder ebenfalls Empfängnisprobleme erlebten.
    Dies geschah leider oft mit der Bitte, es niemandem zu erzählen.

    Meine Bitte an uns alle:
    Teilt euch mit.
    Es gibt immer Mitmenschen, die sich über die emotionale Verbindung freuen werden.


    Scham tut uns nur weh.

  9. 21.

    So ein alberner Artikel. Selbsthilfegruppe für Kinderlose Männer. 90% der Männer werden Vater, obwohl sie es gar nicht wollten. Klar, sie sind letztlich selbst dafür verantwortlich.

  10. 20.

    Sachen gibt's.
    Dachte erst es geht darum das man ungewollt Vater wird.

  11. 19.

    Es geht darum das eigene Kind groß zu ziehen. Andere Kinder sind die Verantwortlichkeit anderer. Das hat nichts mit Egoismus zu tun. Des weiteren ist es doch auch unverschämt weil man entweder selbst Beziehungsunfähig ist oder man bei der vorigen Vaterwahl zu oberflächlich war die Verantwortung die man eigentlich selbst hat nun auf andere Männer die diesen Fehler nicht gemacht haben abwälzen zu wollen.

  12. 18.

    Aus eigener Erfahrung sage ich, dass ist ein Thema was zu lange durch die Männer verschwiegen wurde. Es gibt sicherlich eine höhere Dunkelziffer. Ich kenne den Stress mit der Behandlung, dem Spritzen geben und hoffen, dass Alles gut geht. Wir haben diesen Schritt gewagt. Das Ergebnis sind 2 tolle Kinder, welche jetzt 4 Jahre alt sind und uns jeden Tag erfreuen. Allerdings sind die Kosten in D viel zu hoch und die Hürden fast unüberwindlich. Daher sind wir nach Polen gefahren und haben es dort machen lassen. Weniger Kosten, keine großen Hürden. Da sind uns unsere polnischen Nachbarn weit voraus. Und die Kosten waren gerade mal 1/4 als es in D gewesen wäre. Und es hat direkt beim ersten Mal geklappt. Also Männer traut euch offen zu sprechen. Es gibt Mittel und Wege und ggf. dann eben eine Adoption, wenn es nicht sein sollte.

  13. 17.

    Männer wollen eigene, genetisch eigene Kinder. Und Männer wollen keine Kinder fremder Männer großziehen. Sie wollen ihre hart erarbeiteten Ressourcen in ihre eigene genetische Nachkommenschaft investieren und nicht in Kuckuckskinder.
    Das kann man nun egoistisch nennen aus Sicht einer Frau, die einen Mann sucht um in ihr eigenes, von einem anderen Mann gezeugtes, Kind zu bespaßen. Oder aber natürlicher Instinkt. Andersrum wäre es nicht eher der Egoismus der Frau so etwas zu verlangen?

  14. 16.

    Es gibt so viele Alleinerziehende Frauen. Aber die werden auf dem Datingmarkt völlig ignoriert. Kaum einer will sich ein „fremdes“ Kind ans Bein binden.
    Warum? Geht es den Männern nur darum eigene Gene weiterzugeben? Sind nicht Kinder der Grund Kinder haben zu wollen, sondern nur der eigene männliche Egoismus? Los ihr Männer, sagt mal!

  15. 14.

    Nicht "nur" in Berlin eine Partnerin suchen, in Berlin ist es schwer jemanden zu finden...

  16. 12.

    Keiner der hier Betroffenen zog oder zieht eine Adoption in Erwägung? So sehr ich den Wunsch nach einem biologisch gesehen eigenen Kind verstehen kann: es gibt auch sehr viele Kinder, die einfach Pech hatten und sich nach Menschen, die unbedingt Kinder möchten, sehnen.

  17. 11.

    Ein guter Beitrag zu einem sensiblen Thema, worüber Mann nicht gern spricht. Ich kann es aus eigener Erfahrung bestätigen, wie es ist ungewollt kinderlos zu sein.
    Meine frühere Ehefrau und ich wollten anfangs mehrere Kinder. Durch eine schwere Erkrankung von ihr, durfte sie danach, wegen der Nebenwirkungen der Medikamente, 2 Jahre keine Kinder bekommen.
    Genau in dieser Zeit bekamen unsere Freunde ringsum ihre Kinder.
    Da leidet man wirklich.... Letztlich bekamen wir unseren Sohn. Dabei blieb es.

  18. 10.

    Wenn es auf natürlichem Wege nicht klappt, gibt es auch eine andere Chance, das Familienglück zu starten:

    In den sozialen Trägern dieser Stadt gibt es Kinder- bzw. Säuglingsnotfallstationen. Dort kümmern sich die Pädagogen nach Leibeskräften um die kleinen Erdenbürger, die mit einem negativen Vorzeichen ins Leben gestartet sind (konfliktbehafteter Haushalt mit Drogen, Verwahrlosung, Gewalt, Elterntod, et cetera).

    Diese Kinder können nichts für ihr Umfeld und brauchen ein schönes Zuhause.

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