Theaterkritik | "The Silence" von Falk Richter - "Dimi: Schaubühne, Schaubühne: Dimi"

Falk Richter ist zurück an der Berliner Schaubühne. In seinem autofiktionalen Stück "The Silence" schaut er auf die Traumata seiner Familiengeschichte. Ein eindrücklicher, wenn auch übervoller Abend - und ein kraftvolles Solo für Dimitrij Schaad. Von Fabian Wallmeier
Am Anfang ist das Schweigen. Das, was totgeschwiegen wurde, steht im Raum. Das, was von essenzieller Wichtigkeit war, aber nie in Worte gefasst wurde. "In meiner Familie haben wir nie darüber gesprochen, dass" - so beginnen am Anfang von "The Silence" mehrere Sätze.
Zum Beispiel darüber, wie viele Menschen der Vater im Zweiten Weltkrieg getötet hat. Oder über die vielen Affären des Großvaters. Auch nicht, wie später ausgeführt wird, über Kränkungen, Richters Homosexualität, die ganz auf die Herrschaft des Vaters und das Gehorchen der Mutter ausgelegte Beziehung der Eltern. Nicht über Misstrauen, tiefe Verletzungen und Gewalt.

Eine Rückkehr und ein Schaubühnen-Debüt
Regisseur und Autor Falk Richter kehrt mit dieser Premiere am Sonntagabend nach langer Zeit an die Berliner Schaubühne zurück, wo er vor allem in den 2000er Jahren große Erfolge feierte. Anders ist dieses Mal: Richter selbst ist das Thema des Abends. Seine Familie, das Verhältnis zu seinem Vater und zu seiner Mutter. Richter und seine Mutter sind in Videoeinspielungen zu sehen, wie sie miteinander über die gemeinsame Vergangenheit sprechen - oder eben auch nicht darüber sprechen.
Richters Alter Ego und zugleich der einzige Darsteller des Abends ist Dimitrij Schaad. "Dimi: Schaubühne, Schaubühne: Dimi". Schaad macht sich mit dieser Vorstellung zu Beginn erst einmal mit dem neuen Spielort bekannt. Der einstige Star des Maxim-Gorki-Theaters, mittlerweile auch Serienheld ("Kleo"), Kinohauptdarsteller ("Sophia, der Tod und ich") und Drehbuchautor ("Aus meiner Haut"), spielt an diesem Abend zum ersten Mal an der Schaubühne.
Meisterin des Nichtverstehens
Dass er sich selbst erst einmal zum Thema macht, ist typisch für die gewohnt kraftvolle und zugleich auch hier viele Zwischentöne auskostende Rampensau Dimitrij Schaad. Es irritiert daher zunächst nur im speziellen Kontext dieses doch sehr auf einen anderen, nämlich Falk Richter, fokussierten Abends. Es stellt sich im Laufe der eindreiviertel Stunden aber als folgerichtig im Sinne des Stücks aus: Denn "The Silence" weist über die persönliche Erfahrung Richters auch in dem Sinne hinaus, dass hier bewusst die Grenzen zwischen Literatur und Leben, Autofiktion und Darstellung nicht nur verwischt, sondern das auch offen thematisiert wird.
Der Haufen von zerknülltem Papier in der Mitte der Bühne sagt ganz klar: Das hier ist ein Schreibprozess, ein Findungsprojekt, Schaad bricht immer wieder ab, zerknüllt ein weiteres zuvor von ihm beschriebenes Blatt Papier. Die Frustration, am Ende doch nicht gesagt und gehört zu haben, was man erhofft hatte, das Schweigen nicht durchbrochen zu haben, wird am Ende dieses Abends bleiben. Das zeigt sich auch in den Videoeinspielungen. Wenn Mutter und Sohn am Tisch zusammen sitzen - sie adrett mit Bluse, er in gelbgestreifter Trainingsjacke mit Bart-Simpson-Aufnäher - treffen da zwei Kosmen aufeinander. Jede:r hat sich in der eigenen Erinnerung eingerichtet, die Mutter ist eine Meisterin des Verdrängens, Ausweichens und Nichtverstehens - und wirkliche Antworten auf die drängenden Fragen kann Sohn Falk Richter vergessen.
Noch härter wird die Beziehung zum Vater geschildert. Der ist schon vor ein paar Jahren gestorben. Das letzte Gespräch von Vater und Sohn, die Nichtaussöhnung am Sterbebett, ist das Zentrum des Abends. Oder vielmehr eines von etwas zu vielen Zentren: "The Silence" vollgepackt mit Themen, die nur angerissen werden. Der Abend springt ständig zwischen ihnen und auch zwischen den Zeitebenen hin und her, macht ständig neue Aspekte und Schauplätze auf.
Das fasert jetzt richtig aus
Dieses Sprunghafte ist mit Sicherheit gewollt, folgt es doch dem noch ungeordneten Gedankenschwall, den der dargestellte Schreibprozess auslöst. Es wird von Schaad auch ironisch kommentiert, wenn er bemerkt, dass alles gerade richtig ausfasere. Dennoch kann die schiere Fülle an nicht Auserzähltem beim Zuschauenden eine gewisse Frustration erzeugen.
Klar schält er aber aus diesem Chaos aber vor allem eins heraus: wie schwer es ist, aus dysfunktionalen Kommunikationsmechanismen auszubrechen. In zwei eiindrücklichen Szenen ruft Richter-Schaad nach dem Tod seines Vaters zunächst seinen Partner und dann einen Freund aus Schulzeiten an, mit dem er heimlich-verklemmten Sex hatte. Der ist mittlerweile mit einer Frau verheiratet und Vater von zwei Teenager-Kindern und wird von Richter-Schaad übergriffig unter Druck gesetzt: Er möge doch jetzt, nach Jahrzehnten ohne Kontakt zueinander, zu ihm zu kommen und Sex mit ihm haben.
"Wir leben die Skripte meiner Eltern nach", wirft er seinem Partner vor, der gerade eigentlich eine Auszeit von ihm will. Während nebenan noch die Leiche seines Vaters liegt, will er gleich die gesamte Beziehung zu seinem Freund analysieren, über alles reden, über das erlöschende Begehren, das Nebeneinanderherleben - und überfordert sein für das Publikum nicht hörbares Gegenüber mit seinem Redeschwall komplett. Das Ergebnis: Er stößt letztlich wieder auf eine Mauer des Schweigens.
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