Theaterkritik | Stück zur "Reichsbürger"-Szene - Das "Königreich Deutschland" im Theater unterm Dach

Do 19.10.23 | 11:44 Uhr | Von Barbara Behrendt
Theater Unterm Dach in Berlin © imago/Steinach
Audio: rbb24 Inforadio | 19.10.2023 | B. Behrendt | Bild: imago

Wie gefährlich ist die "Reichsbürger"-Szene? Die interaktive Performance "König von Deutschland" der Gruppe Polyformers lädt ein zur Reise ins "Königreich Deutschland", das der "Reichsbürger" Peter Fitzek 2012 gegründet hatte. Von Barbara Behrendt

Noch kein Jahr ist es her, da gingen die Bilder um die Welt: Ein älterer Mann in Cordhose und Jackett wird von schwer bewaffneten Polizisten abgeführt – denn dieser so bürgerlich-konservativ wirkende Heinrich Prinz Reuß ist "Reichsbürger" und soll mit seiner Gruppe einen gewaltsamen Sturz der Bundesregierung geplant haben. Etwas älter sind die Bilder von Peter Fitzek – ebenfalls "Reichsbürger", der 2012 das "Königreich Deutschland" in Lutherstadt Wittenberg ausgerufen hat. Ein Ort, an dem die Gesetze der Bundesrepublik nicht gelten sollten.

In dieses "Königreich Deutschland" reisen die Zuschauer:innen nun im Theater unterm Dach. Dafür muss zunächst ein Visum erworben werden. Mit der Eintrittskarte wird einem am Eingang also ein grüner oder rosafarbener Schein ausgestellt. Das Handy packt der Grenzbeamte in einen Briefumschlag, der einem versiegelt wieder ausgehändigt wird: Es sollen keine nicht genehmigten Aufnahmen aus dem Königreich entstehen. Ob man denn Euro in "Engel" umtauschen wolle, wird man noch gefragt – die Fantasie-Währung im "Königreich Deutschland". Damit sind die Getränke an der Bar günstiger.

Das Publikum krönt den "König von Deutschland"

Dann werden die Gäste in diesem Staatsgebiet einerseits Zeugen dessen, was geglaubt und wie hier gelebt wird, andererseits werden sie aktive Mitgründer:innen des Fantasiestaats. Etwa bei der Krönungszeremonie des Souveräns Peter Fitzek. Während das dokumentarische Youtube-Video übergroß projiziert wird, in der Fitzek tatsächlich die Insignien der Macht erhält für diese "konstitutionelle Wahl-Monarchie", spielen die drei Performer:innen die Szene mit Freiwilligen aus dem Publikum nach.

Davon abgesehen hält sich das aktive Mitspielen jedoch in Grenzen. Man zieht schlicht von Raum zu Raum oder vors Haus, wo vom Balkon Banner des Königreichs gerollt und Teile der Verfassung gelesen werden – und auch die vierte inoffizielle braune Strophe der Nationalhymne geschmettert wird.

Rechte Esoterik, Blut-und-Boden-Ökologie, Impf-Gegnerschaft

Welche Ideologie das Königreich propagiert, lässt sich schwer auf einen Begriff bringen. So wie sich nicht eindeutig definieren lässt, was einen "Reichsbürger" ausmacht – viele Strömungen und Milieus laufen dabei zusammen. Zu Beginn des Abends wird eben dies referiert: Unter den "Reichsbürgern" gibt es solche, die an das Fortbestehen des Deutschen Reiches glauben – doch ob das die Grenzen von 1871, von 1919 oder 1937 meint, daran scheiden sich die Geister. Es gibt Selbstverwalter, die der BRD die Legitimität absprechen. Und Souveränisten, die die Bundesrepublik nicht für einen freien Staat halten.

Was sie alle eint, ist, die Bundesrepublik nicht anzuerkennen (Peter Fitzek etwa nennt sie eine GmbH) und antisemitische und rechtsextreme Tendenzen zu vertreten. Hinzu kommt eine wilde Mischung aus Verschwörungstheorien, der Glaube, dass hinter Marionetten-Politikern andere Mächte regieren, rechte Esoterik, Blut-und-Boden-Ökologie, Wissenschaftsleugnung, Ablehnung der Schulmedizin, Impf-Gegnerschaft.

Es ist also ziemlich leicht, dieses Königreich im Theater zu belächeln und sich selbst auf der "richtigen" Seite zu wähnen. Die Performer:innen der Gruppe Polyformers tun oft genau das, indem sie das ausschließlich dokumentarische Material ironisch und übertheatral vortragen – von den verlesenen Telegram-Nachrichten bis zum Reenactment des Krönungsvideos.

Eine idealistische Alternative zur kaputten Realität

Eine bessere Strategie wäre allerdings, das Publikum mit den Versprechungen des Königreichs zu verführen. Einige Schlüsselszenen am späteren Abend versuchen genau das. Etwa, wenn eine Staatsbürgerin des Königreichs ihre Motivation erklärt, aus der Gesellschaft auszusteigen: Die kaputte Welt wird angeprangert, die Ellbogenmentalität, das nicht funktionierende Wirtschaftssystem – im Königreich möchte sie den praktischen Gegenentwurf leben, offen, liebevoll, zugewandt, der Welt etwas hinterlassend. Entscheidende Sätze, die völlig plausibel erscheinen. Leider konnte ausgerechnet diese Verführungsszene wegen einer Erkrankung im Ensemble nur spröde eingelesen werden.

An die idealistischen Sätze knüpfen die praktischen Erfindungen des Königreichs an: Es gibt eine eigene Gesundheitsvorsorge, eine Gemeinwohlkasse, kostenreduziertes Heizen, den Markt "Kauf das Richtige". Alles Möglichkeiten für Peter Fitzek, den Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen und zu veruntreuen – doch die zugrunde liegenden Ideen klingen in vielen Ohren äußerst attraktiv.

Wo steht die "Reichsbürger"-Szene heute?

Um mehr zu erfahren über dieses gefährliche Konglomerat aus Aussteiger-Fantasie, Esoterik, Radikalität, lohnt sich die Reise ins Königreich also allemal. In der Aufklärung und Informationsaufbereitung ist die Inszenierung stark. Doch dringlicher und konsequenter hätte der Abend durchaus sein dürfen.

Die "Reichsbürger"-Szene ist zwar mit 25.000 Mitgliedern überschaubar, doch sie wächst und ist bewaffnet und gewaltbereit. Da fühlt sich das "Königreich Deutschland" fast schon nett an, trotz Möchtegern-Monarch und Veruntreuung von mehreren Millionen Euro. Zudem bleibt im Spiel völlig unklar, dass das Königreich inzwischen zwar verboten ist, daran aber neue Projekte angeschlossen haben, die ganz ähnlich funktionieren. Wo wir uns Stand heute in der "Reichsbürger"-Szene befinden, das hätte man doch gern genauer gewusst.

Sendung: rbb24 Inforadio, 19.10.2023, 7.00 Uhr

Beitrag von Barbara Behrendt

Nächster Artikel