Ausstellung "Deutsche Juden heute" - Leben nach dem Überleben

Mo 11.11.24 | 11:19 Uhr | Von Mira Schrems
Simchat Tora-Ball, Köln, 1961. (Quelle: Jüdisches Museum Berlin/Freed)
Jüdisches Museum Berlin/Freed
Audio: rbb24 Inforadio | 11.11.2024 | Mira Schrems | Bild: Jüdisches Museum Berlin/Freed

Wie sah jüdisches Leben in der Bundesrepublik Deutschland in den 1960er Jahren aus? Damit befasst sich die neue Fotoausstellung "Deutsche Juden heute" des US-Fotografen Leonard Freed, die im Jüdischen Museum in Berlin zu sehen ist. Von Mira Schrems

Ein frisch gekrönter Schützenkönig, der direkt in die Kamera blickt, ein eisschleckender Versicherungsinspektor mit Sonnenbrille und eine Düsseldorfer Bar Mizwa-Feier - alles Motive jüdischen Lebens der frühen 1960er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland, festgehalten von einer Person: Leonard Freed.

Der 1929 in Brooklyn, New York, geborene Fotograf beschäftigte sich mit den unterschiedlichsten Themen. So auch mit dem jüdischen Leben in der Bundesrepublik Deutschland der frühen 1960er Jahre. Die Themen, denen sich Freed zuwandte, habe er oft sozialkritisch und über viele Jahre hinweg mit seiner Kamera begleitet, sagt Theresia Ziehe, die Kuratorin für Fotografie am Jüdischen Museum in Berlin. 1972 wurde Leonard Freed Vollmitglied der renommierten Fotoagentur Magnum, 2006 verstarb er in New York.

Leonard Freed, Kerzenzünden am Schabbat, Frankfurt am Main, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2006/198/7 (Quelle: Leonard Freed / Jüdisches Museum Berlin).
Eine Mutter zündet 1961 mit ihrer Tochter in Frankfurt am Main Kerzen am Schabbat an. | Bild: Leonard Freed / Jüdisches Museum Berlin

Erstmals vollständige Fotoserie zu sehen

Insgesamt 52 Schwarz-weiß-Fotografien gehören zu der neuen Ausstellung "Deutsche Juden heute". Unter diesem Titel veröffentlichte Freed sie 1965 als Buch mit Begleittexten. Die Themen aus Freeds Buch werden 1963 auch in einer Aus­gabe des Nach­richtenmagazins "Der Spiegel" mit der Schlag­zeile "Juden in Deutsch­land" sowie 1964 in einem von Her­mann Kesten heraus­ge­gebenen Band mit dem Titel "Ich lebe nicht in der Bundes­republik" behandelt.

In der Ross-Galerie des Jüdischen Museums wird nun zum ersten Mal die gesamte Fotografie-Serie ausgestellt. Dort liegen auch, zur zeitgeschichtlichen Einordnung, die beiden anderen Publikationen sowie der 1970 erschienene "Made in Germany"-Band von Leonard Freed aus.

Hintergrund

Magnum-Fotograf - Leonard Freed

Freed wurde am 23. Oktober 1929 in Brooklyn als Kind jüdischer Einwanderer aus Osteuropa geboren. Ursprünglich wollte er Maler werden, entschied sich aber nach einem Grafikdesign-Studium für die Fotografie. Seine Arbeiten wurden in zahlreichen internationalen Zeitschriften und Zeitungen veröffentlicht, darunter Life, Look, Paris Match, Die Zeit, Der Spiegel und The Sunday Times Magazine. Er wurde oft als "besorgter Fotograf" bezeichnet, was seine tiefe Anteilnahme an den von ihm fotografierten Themen und Menschen widerspiegelt. Leonard Freed starb am 30. November 2006 in Garrison, New York, an Prostatakrebs.

"Man kann sich wirklich in den Bildern verlieren"

"Für mich war es schon lange ein Herzenswunsch, diese ganze Serie zu zeigen, weil sie noch nie in Gänze gezeigt wurde", sagt die Fotografie-Kuratorin Ziehe über "Deutsche Juden heute". Einzelne Fotografien der Serie waren schon in früheren Ausstellungen des Jüdischen Museums gezeigt worden.

Ziehe fasziniere, dass es sich trotz des dokumentarischen Charakters der Fotografien dabei um sehr subjektive Bilder handle. Freed zeige, was er zeigen möchte. Der besondere Reiz für Ziehe: "Man kann sich wirklich in den Bildern verlieren. Man kann natürlich oberflächlich vorbeigehen, aber man kann bei jedem Bild auch extrem viel entdecken."

Jüdisches Leben in der BRD der 1960er

Freed sieht durch sein Objektiv mit einiger Skepsis auf Deutschland und wagt auch den Blick in die Vergangenheit. Es gibt wenige direkte Bezüge zur Shoah. So zeigt eine der Fotografien eine Frau auf einer Schifffahrt auf dem Rhein - sofort fällt die tätowierte KZ-Häftlingsnummer auf ihrem Arm auf.

Die Situation für Jüdinnen und Juden in der Bundesrepublik Deutschland der 1960er Jahre war nicht einfach: Theresia Ziehe zufolge habe es einzelne, kleine jüdische Gemeinden, aber generell sehr wenige Jüdinnen und Juden in der Bundesrepublik Deutschland gegeben. Das jüdische Leben sei fragil gewesen und es habe eine Innen- und Außensicht darauf gegeben.

Die Mehrheitsgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland sei nicht unbedingt informiert über das jüdische Leben gewesen. Gleichzeitig sei es für Jüdinnen und Juden zum einen schwierig gewesen, im "Land der Täter" zu wohnen und zum anderen von außen auch kritisch dafür betrachtet zu werden, warum sie sich in Deutschland aufhielten.

Der Bedarf meine Beziehung zum Juden­tum zu ver­stehen und zu analy­sieren und andere Fragen, die mich rat­los machen, führten mich zur Foto­grafie.

Leonard Freed

Ausstellung

Das jüdische Museum in Berlin (Bild: dpa/Joko)
dpa/Joko

"Deutsche Juden heute"

Jüdisches Museum Berlin

Lindenstraße 9–14, 10969 Berlin

Bis zum 27. April 2025

Der Museumseintritt ist frei.

Debattenanstoß

Leonard Freed greift in seinen Fotografien unterschiedliche Motive auf: Vom Tora-Studium jüdischer Männer, über das innig verschlungene Paar Ruth und Herbert Rubinstein, bis zu einer Aufnahme des KZ Dachau - zusammen ergeben die Fotos ein ganzes Panorama jüdischen Lebens. Wie seine Publikation von 1965 ist auch die Ausstellung "Deutsche Juden heute" in unterschiedliche Motivgruppen gegliedert. So befasst sie sich mit religiösem Judentum, bekannten Persönlichkeiten und unterschiedlichen Berufsgruppen.

Am Ende der Ausstellung liegt der Fokus auf Menschen, die in den 1960er Jahren jung waren. Die Ausstellung wolle die Situation für Jüdinnen und Juden in den 1960er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland aufzeigen. Ziehe ergänzt: "Für uns hat das aber auch einen aktuellen Bezug, weil damit eine Debatte angesprochen wird über die Möglichkeit, als Jüdin oder Jude in Deutschland zu leben."

Sendung: rbb24 Inforadio, 11.11.2024, 15:55 Uhr

Beitrag von Mira Schrems

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